Mich wundert es, dass hier noch niemand geschrieben hat...
"The Fall of Arthur" steht nun schon seit einigen Wochen in meinem Bücherregal. Insgesamt umfasst es 233 Seiten, von denen aber nur magere 41 Seiten das eigentliche Heldenlied enthalten; der Rest besteht aus Kommentaren und Essays. Das zeigt schon sehr deutlich, wohin die Reise geht: Es ist ähnlich aufgebaut wie das "Lay of Sigurd and Gudrún", nur ist die Verteilung von Text und Kommentar mangels Text noch weiter zugunsten der Kommentare verschoben. Wer also mit dem "Sigurd" aufgrund dieses Konzepts schon wenig anfangen konnte, wird mit "Arthur" sicher nicht glücklich werden.
Wie schon beim "Sigurd" haben wir es auch beim "Arthur" mit einem sehr archaisch anmutenden Heldenlied in Stabreimtechnik zu tun - mit dem großen Nachteil, dass der "Arthur" im Vergleich zum "Sigurd" unvollendet ist; wer einen leicht lesbaren und vollendeten Prosatext erwartet und mit Tolkiens Dichtkunst nach "Sigurd"-Art wenig anfangen kann, der sollte sich das Geld sparen.
Alle anderen finden in diesem Buch einen weiteren kleinen, aber wundervoll glänzenden Mosaikstein aus Tolkiens Gesamtwerk. Mich persönlich faszinieren seine Gedichte seit jeher, ganz besonders die längeren Heldenlieder. Entsprechend lange habe ich auf die Veröffentlichung dieses Werks gewartet (seit ich in Carpenters Biografie zum ersten Mal Ausschnitte daraus gelesen habe). Schlägt man das Buch auf, findet man zuerst ein erfrischend kurzes Vorwort von Christopher Tolkien, mit einigen Bemerkungen zur Textgeschichte und zum Aufbau des Buches. Schnell überflogen, und nichts wie rein ins Vergnügen! Das Gedicht selbst umfasst fünf Cantos, von denen der letzte leider nach wenigen Zeilen abbricht. Im Gegensatz zum "Sigurd" beginnt die Story quasi mittendrin, und es braucht eine Weile, bis man hineingefunden hat...
"Arthur eastward in arms purposed
his war to wage on the wild marches,
over seas sailing to Saxon lands,
from the Roman realm ruin defending.
Thus the tides of time to turn backward
and the heathen to humble, his hope urged him,
that with harrying ships they should hunt no more
on the shining shores and shallow waters
of South Britain, booty seeking."
Sobald man den Anschluss gefunden hat, kommt man in den bekannten Genuss eines typisch tolkienschen Heldenliedes. Es ist nicht ganz so ausschweifend und episch wie der "Sigurd", dennoch steckt der Text voller zauberhafter Momente. Ich habe ihn bisher nur zweimal gelesen, daher verkneife ich mir eine nähere Beschreibung.
Auf das Gedicht folgen einige "Notes" zum Text, wie man sie schon vom "Sigurd" her kennt; anschließend klärt uns Christopher in einigen Essays über die Beziehung des Gedichts zur Arthur-Tradition, über sein Verhältnis zum "Silmarillion", über die Entwicklung des Gedichts etc. auf, in deren Verlauf noch viele weitere Textfragmente präsentiert werden, die keinen Platz im Haupttext gefunden haben. Die Titel dieser Essays klingen sehr vielversprechend, bisher hatte ich jedoch nicht die Zeit, sie zu lesen; von daher enthalte ich mich eines Kommentars.
Geradeheraus empfehlen kann ich dieses Buch nicht - nicht für die breite Masse. Es ist eher etwas für Liebhaber, für Leser, die sich vom "Sigurd" und von den "Lays of Beleriand" nicht haben abschrecken lassen, für Leser, die Gefallen finden an dieser sehr speziellen Art Literatur. Für einen solchen Liebhaber lohnt sich der Kauf jedoch allemal, trotz des sehr spärlichen Umfangs des eigentlichen Gedichts.