Ich begrüße es außerordentlich, daß der Fuchs schließlich doch noch das Prinzip der Ironie für sich entdeckt hat. Ganz ohne Augenzwinkern werden wir hier vermutlich nicht weiterkommen.
Es gehört zu den tragischen Widersprüchen unserer Zeit, daß Tolkiens Werke und urbane Subkulturen wie Hip Hop nebeneinander in derselben Welt existieren. Wir müssen diese Diskrepanz irgendwie aushalten.
Zum Glück beschränkt die kulturelle Divergenz beider Themenfelder deren Überschneidungspunkte auf ein genuïn bedingtes Minimum. Im Alltag gehen sich Hip Hop und fiktive Mythologiën meistens stillschweigend aus dem Weg. Und das ist gut so.
Irgendwie scheinen die Leute intuïtiv zu wissen, daß es für Rap und Tolkien keine funktionierende gemeinsame Rezeptionsebene gibt. Auch niederländischer Gabber, Nu Rave und im Grunde sogar Punk disqualifizieren sich in dieser Kombination glücklicher Weise selbst.
Aber nicht alle popkulturellen Stile sind so inkompatibel und ungefährlich für die literarische Synästhesie.
Vor Jahren habe ich ein interessantes Experiment gemacht. Ich las den Herrn der Ringe vier Mal hintereinander, mit jeweils unterschiedlicher musikalischer Untermalung: Mit britischer Independent-Musik der späten 1980er Jahre, mit Frankfurter Hardtrance, verschiedenen Komponisten der Romantik und schließlich mit Sprechgesang der Aggro Berlin Gruppe, Delated Peoples und den Beasty Boys.
Der Versuch endete mit dem wenig erstaunlichen Ergebnis, das Rap samt seiner eingewobenen Funk-, Jazz- und Soulelemente völlig vom Text abprallte. Ähnliche Beobachtungen machte ich mit Indie (bis auf ein paar Ausnahmen im Shoegazer-Bereich) und selbst die klassische Musik erwies sich zu meiner Verwunderung größtenteils als ungeëignet, um den Lesefluß musikalisch zu umschmeicheln.
Die große Überraschung des Tests war für mich, wie sagenhaft sich der Herr der Ringe lesen ließ, wenn ich mich dabei Hardtrance und balearischen House-Tracks aussetzte. Die synthetischen Klangflächen verwoben sich mit den Landschaften Eriadors, Calenardhons und Gorgoroths und ließen meine Vorstellungskraft in ungeahnte Tiefen des Stoffes eintauchen. Zwar nervten mich anfangs die repetitiven Beats, aber gerade deren Regelmäßigkeit half mir, die Bässe schon nach wenigen Seiten auszublenden.
Dann traten aus dem sphärischen Klanggewebe langgezogene Sounds hervor, die mich an die bizarren Laute fremdartiger Urtiere erinnerten. Das künstliche Äonenheulen wurde mir zur Vertonung der Agonie der Zeit bei Tolkien und ließ die historische Tiefe von Orten wie Amon Sûl, Eregion und Moria hörbar werden.
Ich mochte mir zunächst nicht eingestehen, wie sehr diese Synästhesie meine Tolkien-Rezeption bereicherte. Vom popkulturellen Standpunkt her sind Trance und Ibiza-House so ungefähr die uncoolsten Genres, die der Musikmarkt momentan zu bieten hat. Dennoch eignen sich diese Genres vorzüglich als Tolkien-Soundtrack und erweitern mit ein bißchen Glück sogar das geonarrative Verständnis des Lesers.
Natürlich gibt es vorzügliche Gründe, beim Lesen gänzlich auf Musik zu verzichten. Alles ist besser als auf LRP-Getröte, Mittelalterrock und sonstige (selbstverständlich rein subjektiv eingeschätzte) Geschmacksausfälle zurückzugreifen.