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Eines der am häufigsten besprochenen Gedichte Tolkiens ist "The Sea-Bell", vom berühmten Poeten und Kritiker W.H. Auden sogar als Tolkiens bestes poetisches Werk bezeichnet. Schon stilistisch verführen der Rhythmus und das wunderbare Reimschema dazu, ihm recht zu geben, viel mehr noch jedoch der Inhalt. Inhaltlich geht es in diesem (in der Ich-Perspektive verfassten) Gedicht um einen Erzähler, der am Strand in einer Muschel den Klang des Meeres und der Glocke eines fernen Hafens hört. Ein Boot taucht auf und trägt ihn in ein mysteriöses und schönes Land. Dort nimmt er zwar Gesang und Musik wahr, doch trifft er nie auf einen der Bewohner, die offenbar vor ihm fliehen. Auf einer Anhöhe ernennt er sich selbst zum König der Insel, eine dunkle Wolke lässt ihn aber blind und gebeugt Schutz in einem Wald suchen. Ein Jahr und einen Tag verbringt er dort, und wird, im Verstand umherwandernd, alt und grau. Verloren und gebrochen findet er schließlich sein Boot wieder, das ihn heim trägt. Doch zurückgekehrt in seine Heimat hat die Muschel ihren Klang verloren, und der Erzähler ist sich nicht nur bewusst, dass er das seltsame Land nie wieder sehen wird, sondern er findet sich darüber hinaus auch in seiner Heimat allein und verlassen. Das Gedicht bietet eine ganz ungewöhnliche Perspektive auf die Meeressehnsucht und die Reise übers Meer, die sonst bei Tolkien durchweg positiv besetzt ist. Zum einzigen Mal nimmt sich Tolkien des Scheinterns einer Reise in die Märchenwelt / Anderwelt an. Im Gegensatz zu all den anderen vielen Faerie-Reisenden in Tolkiens Werk (von den Elben über Aelfwine bis hin zum Schmied von Großholzingen) erfährt der Reisende hier nicht nur Ablehnung im Märchenreich, er entfremdet sich schließlich auch von seiner Heimat und wird fast zu einer Art Geist zwischen den Welten. Neben dem stolzen Gebahren des Reisenden im fremden Land, als er sich zum König ausruft, kulminieren in diesem Gedicht viele andere für Tolkiens Werk zentrale Themen wie Sehnsucht, Leid, Sterblichkeit, Anderwelt etc. Eine besondere Tiefe erhält das Gedicht durch seine fiktive Hintergrundgeschichte: Im Vierten Zeitalter in Mittelerde geschrieben trägt es den hingekritzelten Titel "Frodo's Dreme / Frodos Traum" und wird in Verbindung gebracht mit Frodos Zustand nach seiner Rückkehr ins Auenland, seinen unheilbaren Verletzungen und fiebrigen Träumen, wenn er wieder einmal krank wurde. Liest man das Gedicht auf diesem Hintergrund, kann man nicht nur Frodos Zustand in all seiner Gebrochenheit und Entfremdung besser fassen, man kann auch eine völlig neue Facette entdecken: Frodos Angst, in den Westen zu fahren und - noch dramatischer - die Möglichkeit, dass Frodo dort eventuell nicht findet, wonach er sich sehnt... Das Gedicht ist in den "Adventures of Tom Bombadil" erschienen, entsprechend gebe ich die vorhandene deutsche Übersetzung gleich mit dazu. THE SEA-BELL I walked by the sea, and there came to me, as a star-beam on the wet sand, a white shell like a sea-bell; trembling it lay in my wet hand. In my fingers shaken I heard waken a ding within, by a harbour bar a buoy swinging, a call ringing over endless seas, faint now and far. Then I saw a boat silently float on the night-tide, empty and grey. ‘It is later than late! Why do we wait?’ I leapt in and cried: ‘Bear me away!’ It bore me away, wetted with spray, wrapped in a mist, wound in a sleep, to a forgotten strand in a strange land. In the twilight beyond the deep I heard a sea-bell swing in the swell, dinging, dinging, and the breakers roar on the hidden teeth of a perilous reef; and at last I came to a long shore. White it glimmered, and the sea simmered with star-mirrors in a silver net; cliffs of stone pale as ruel-bone in the moon-foam were gleaming wet. Glittering sand slid through my hand, dust of pearl and jewel-grist, trumpets of opal, roses of coral, flutes of green and amethyst. But under cliff-eaves there were glooming caves, weed-curtained, dark and grey; a cold air stirred in my hair, and the light waned, as I hurried away. Down from a hill ran a green rill; its water I drank to my heart’s ease. Up its fountain-stair to a country fair of ever-eve I came, far from the seas, climbing into meadows of fluttering shadows: flowers lay there like fallen stars, and on a blue pool, glassy and cool, like floating moons the nenuphars. Alders were sleeping, and willows weeping by a slow river of rippling weeds; gladdon-swords guarded the fords, and green spears, and arrow-reeds. There was echo of song all the evening long down in the valley; many a thing running to and fro: hares white as snow, voles out of holes; moths on the wing with lantern-eyes; in quiet surprise brocks were staring out of dark doors. I heard dancing there, music in the air, feet going quick on the green floors. But whenever I came it was ever the same: the feet fled, and all was still; never a greeting, only the fleeting pipes, voices, horns on the hill. Of river-leaves and the rush-sheaves I made me a mantle of jewel-green, a tall wand to hold, and a flag of gold; my eyes shone like the star-sheen. With flowers crowned I stood on a mound, and shrill as a call at cock-crow proudly I cried: ‘Why do you hide? Why do none speak, wherever I go? Here now I stand, king of this land, with gladdon-sword and reed-mace. Answer my call! Come forth all! Speak to me words! Show me a face!’ Black came a cloud as a night-shroud. Like a dark mole groping I went, to the ground falling, on my hands crawling with eyes blind and my back bent. I crept to a wood: silent it stood in its dead leaves; bare were its boughs. There must I sit, wandering in wit, while owls snored in their hollow house. For a year and a day there must I stay: beetles were tapping in the rotten trees, spiders were weaving, in the mould heaving puffballs loomed about my knees. At last there came light in my long night, and I saw my hair hanging grey. ‘Bent though I be, I must find the sea! I have lost myself, and I know not the way, but let me be gone!’ Then I stumbled on; like a hunting bat shadow was over me; in my ears dinned a withering wind, and with ragged briars I tried to cover me. My hands were torn and my knees worn, and years were heavy upon my back, when the rain in my face took a salt taste, and I smelled the smell of sea-wrack. Birds came sailing, mewing, wailing; I heard voices in cold caves, seals barking, and rocks snarling, and in spout-holes the gulping of waves. Winter came fast; into a mist I passed, to land’s end my years I bore; snow was in the air, ice in my hair, darkness was lying on the last shore. There still afloat waited the boat, in the tide lifting, its prow tossing. Weary I lay, as it bore me away, the waves climbing, the seas crossing, passing old hulls clustered with gulls and great ships laden with light, coming to haven, dark as a raven, silent as snow, deep in the night. Houses were shuttered, wind round them muttered, roads were empty. I sat by a door, and where drizzling rain poured down a drain I cast away all that I bore: in my clutching hand some grains of sand, and a sea-shell silent and dead. Never will my ear that bell hear, never my feet that shore tread Never again, as in sad lane, in blind alley and in long street ragged I walk. To myself I talk; for still they speak not, men that I meet. ÜBERSETZUNG MUSCHELKLANG Am Meere ging ich, der Sand war feucht, da blendete mich ein weißes Geleucht, so dass ich mich bückte und hob vom Sand eine Muschel auf mit nasser Hand. Befremdlich lag sie und bebend da, als ich sie stumm vor Staunen besah. Sie glich einem Trichter, der sich wand um einen inneren, tönenden Kern, Nachhall der Brandung, unendlich fern Ich nahm ihn wahr, als er kaum begann, er schwoll, er nahm ab, er fing wieder an. Dann sah ich ein Schiff, das im Nebel schwamm bei Flut, es war grau und leer. Laut rief ich, als es mir näher kam: „Was warten wir? Bring mich ins offene Meer, Es ist später als spät!“ Und ich sprang durch den Gischt an Bord: „Es ist spät, und das Licht erlischt!“ Es trug mich fort, nass von Spritzern und Schaum, reglos lag ich, von Schlaf übermannt. Von dannen trug's mich, ich merkte es kaum, an den seltsamen Strand im Vergessenen Land. Im Zwielicht vernahm ich den Muschelton, den Klang wie zuvor, er schwebte davon, und die Wogen rollten wie eh und je und zerbarsten am Riff in der brüllenden See. Mich verschlug's an Land, die Küste lag breit und schimmerte weißlich im Meerschaumkleid. Sacht ging die See nun und spiegelte wiegend die Sterne wider, im Wasser liegend, Klippen, glatt geschliffen und nass, vorn Monde beschienen, funkelten blass. Durch die Finger lief mir glitzernder Sand wie Edelsteinsplitter und glimmernder Tand: Muscheln wie Hörner, gedreht aus Opal, grünliche Flöten, gerade und schmal, winziges Wendeltreppengerüst, Trompeten aus Bronze und Amethyst. Aber schaurige Höhlen lagen auch da, dem Anblick entzogen, dem Abgrund nah, Schlingkraut verbarg sie und schirmte sie ab. Es lief mir kalt den Rücken hinab. Ein bitterer Zugwind fuhr mir durch’s Haar, ich lief davon und floh die Gefahr. Vom Hügel sprang munter ein grün‑grüner Bach. Nach Herzenslust trank ich und wurde hellwach. Ich erklomm sein Bett über Stufe und Stein, kam in ein Traumland und drang da ein. Es lag im Glanze ewigen Lichts, von brandenden Meeren wusste es nichts. Wiesen breiteten sich wie Matten, überspielt von huschenden, leichten Schatten, von Blumen besät, als trügen sie Sterne, herabgefallen aus himmlischer Ferne; und ein blauer Weiher, gläsern und kühl, diente dem Mond als Spiegel und Pfühl. An einem trägen Flusse säumten Schwertlilien die Ufer, wo Erlen träumten und Weiden trauerten über den Spitzen schilfiger Speere und Binsenlitzen. Lieder drangen als Echo herauf aus dem Tal tief unten. Ich sah im Lauf schneeweiße Hasen vorüberflitzen, Ratten in heimlichen Höhlen sitzen, Stielaugenfalter schaukeln und flattern, Dachse vor ihren Bauen und Gattern staunend starren. Ich hörte Musik, trippelnde Füße auf grünendem Boden, doch wo ich hintrat, stockte mein Odem: Alles verstummte im Augenblick! Niemals schlug mir ein Gruß entgegen. Keiner ließ sich zu kommen bewegen. Aus schimmernden Blättern und grünem Röhricht knüpfte ich, unverdrossen und töricht, einen Mantel mir und brach einen Stab, dem ich zum Schmuck einen Wimpel gab, eine Ranke aus Gold. Mein Auge schien klar wie ein Stern zu sein und nahm alles wahr. Mit Blumen gekrönt stand ich königlich da, Herrscher des Hügels, des Lands, das ich sah. Und ich rief so schrill wie ein Gockel kräht. „Antwortet endlich und zeigt, wo ihr steht! Warum dieses Zaudern und Zögern? Warum bleibt ihr alle vor mir, eurem König, stumm? Hier stehe ich mit dem Schwertliliendegen, Rüstung aus Blattwerk zum friedlichen Segen! Sprecht endlich Worte und seht mich an!“ Aber nichts geschah. Eine Wolke zog dann drohend und nachtschwarz zu mir herauf. Ich stürzte zu Boden – ich raffte mich auf und lief um mein Leben! Die Finsternis umschloss mich erstickend im mächtigen Vließ. Ich tastete mich, gebückt und krumm, blindlings voran und erreichte den Wald, einen abgestorbenen Aufenthalt, entblättert, reglos und abermals stumm. Dort hockte ich lange, ging dann verwirrt immer tiefer hinein, wo Eulen schnarrten im öden Holz, und fand mich verirrt als ein Narr, den andere weiter narrten. Ein Jahr ging hin und mehr als ein Jahr. Der Holzwurm tickte in allen Bäumen, die Spinnen spannen in Zwischenräumen ihr Netz, ihre Fäden durchflochten mein Haar. Endlich durchbrach ein Licht die Nacht, und ich sah mein Haar: Es war grau geworden, gekrümmt mein Rücken von quälender Wacht. „Zurück muss ich wieder – ans Meer! In den Norden! Verloren hab ich mein eigenes Ich, kenn nicht den Weg und muss ihn doch gehen, ohne die Schattenverfolger zu sehen. Aber ich fühl es: Sie jagen mich!“ Ich stolperte weiter und weiter fort, sie lauerten fledermausgleich über mir und dem Weg und dem toten Ort und dem ganzen verfluchten Bereich. Mit dornigen Ranken schützte ich mich vor dem Wind, dem eisigen Wind, kroch tappend weiter, tastete, schlich ertaubten Gefühles und blind. Und eines Tages verspürte ich doch den Geschmack von Wasser und Salz. Ein Regen fiel, der nach Dünung roch, und ich stand am Ende des Walds! Schreiende, klagende Möwen flogen über die Klippen, wo Seehunde lagen; Wogen rollten in Brechern und zogen schäumend heran, und wurden zerschlagen. Winter brach ein. Ich verlor mich im Nebel, er schluckte mich und verschluckte die Zeit, drückte mir Schnee in den Mund als Knebel und stieß mich zurück in die Einsamkeit. Doch an der Küste lag noch mein Boot, gewiegt von der Flut. Da ließ ich mich fallen, wurde geschaukelt, getragen von allen Wellen, hinweg aus der Not und dem Tod! Möwen drängten sich eng auf den Riffen, wir aber drängten ins offene Meer, wo riesige Frachter im Sonnenlicht schiffen, die Segel gebläht und von Lichtfracht schwer. Wir legten zuletzt im Hafen an, das Wasser schwappte, der Tag zerrann und wandelte sich in Nacht und Schnee. Wabernder Vorhang verdeckte die See. Ringsum standen die Häuser verschlossen, finster und nass. In Straßen und Gossen troff es. Alles war menschenleer. Da warf ich alles von mir, was ich trug. Die letzten Sandkörner rieselten leise aus meiner Faust – keine Muschel schlug mir wie einst entgegen tönenderweise. Den Klang wird mein Ohr nie wieder vernehmen. Mein Fuß wird nie wieder das Land betreten. Zu allen Stunden, frühen und späten, Wandre ich blindlings einher wie ein Schemen. Wohl seh ich Menschen vorübereilen, spricht mich doch keiner jemals an, scheut mich ein jeder, ich scheue jeden, kann nur mehr mit mir selber reden. Aussätzig bin ich, ein Bettelmann.1 Punkt
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