Ich kann Wilferedhs klassisch strukturalistische Argumentation nur unterstützen. Menschen können nur in Gegensätzen denken. Ohne Dunkelheit kein Licht. Genau da setzt Ilúvatars Zitat an: Manwë allein hätte ihm das Stück verdorben. Das Publikum wäre eingeschlafen, weil nie irgendetwas passiert wäre. Offenbar hat Eru Melkors Renitenz eingeplant.
Obwohl die Parallelen zur Genesis tatsächlich unübersehbar sind, liegt in diesem Punkt ein delikater Unterschied: Melkor ist Manwës Gegenspieler und nicht Erus. Um Ilúvatar zu trotzen, hätte er das ganze System Musik verlassen müssen, um sich – keine Ahnung – vielleicht in Bildhauërei zu versuchen. Aber ein echter Ausbruch überstieg wohl Morgoths Fähigkeiten.
Das übermächtige biblische Vorbild erklärt wahrscheinlich auch, warum die Hoch-Nerds nur all zu gerne bereit sind Eru und Melkor gegenüberzustellen. Dabei steht Ilúvatar, wie nun schon bis zur Erschöpfung ausgeführt, weniger für das Gute, als für gute Unterhaltung. Und so kommen wir wieder auf die Frage: Wieviel von Tolkien selbst steckt in Ilúvatar?
Ob Gott und Luzifer Fiktion sind, können wir Menschen nicht letztgültig beantworten. Wir können die Frage agnostisch offen stehen lassen oder uns für den Atheïsmus als Gegenglauben entscheiden (was auch wieder irrational wäre). Allerdings scheinen „Zuckerbrot und Peitsche“ eine Konstante in der Menschheitsgeschichte zu sein. Himmel und Hölle heißen heute „Unberührte Natur“ und „Klimawandel“ und all unsere Handlungen werden danach beurteilt, ob sie zur Sünde führen oder klimaneutral sind.