Ich habe kurz nach Tolkiens Tod - also ca. Anfang September 1973 - zum ersten Mal den Namen Tolkien gehört.
Zu der Zeit lebte ich in Schweden, und meine Buchhandlung hatte einen Tisch, der ab erwähntem Datum voll bedeckt mit Tolkien war, auch mit einer Masse des aktuellen bebilderten Tolkien-Kalenders.
Ich kaufte mir nach einigem Zögern sowohl die englische Ausgabe von "Lord of the Rings" als auch den Kalender. Mir schien, Tolkien war ein Vertreter der Spätromantik, und mit der deutschen Romantik hatte ich mich schon ewig beschäftigt. Da wollte ich Tolkien dran ranhängen.
Und außerdem erinnerte mich der Titel und die Inhaltsangabe an Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen", mit dem ich mich auch schon etwas gründlicher beschäftigt hatte.
Bei einem Deutschlandbesuch kaufte ich mir dann auch die deutsche HdR-Ausgabe und begann zu lesen. Ehrlich gesagt, war ich eher etwas enttäuscht. Mir fehlte der befriedigende Schluss. Der hat mir auch schon bei Richard Wagner gefehlt: ob man den Ring nun ins Wasser oder ins Feuer wirft: damit hat man doch nicht erklärt, wie die Welt sich von der Herrschsucht befreien kann.
Und dann, irgendwann nach 1977, stieß ich auf das "Silmarillion". Und da hat es mich erwischt. Ich lese es derzeit gerade noch einmal, nach langer Zeit, und ich finde es jetzt noch grandioser als je zuvor.
Ich bin jetzt noch mehr als früher davon überzeugt, dass Tolkien wirklich ein Genie war und in aller Tiefe erfasst hat, worin die Problematik der Menschheit insgesamt liegt, was also die Wurzel allen Übels ist. Im Sil hat er das dermaßen sprachgewaltig in plastische Erzählungen und Bilder gebracht, dass ich bei meinem momentanen Lesen richtig aufgewühlt bin.
Für mich ist sein Werk keine "Fantasy". Es steht für mich noch immer in der Tradition der literarischen Romantik und gleichzeitig in der Tradition der mythischen Epen der Antike und des Mittelalters. Diese Traditionen hat er benutzt, um seine eigene Zeit auszuloten und ihre Gefahren aufzuzeigen.
Ich unterstelle Tolkien sogar eine gewisse seherische Fähigkeit, da er offenbar ahnte, was unserer Kultur noch alles blühen kann, wenn wir nicht rechtzeitig die Notbremse ziehen. Das Sil beschreibt nicht nur seine eigene Zeit, sondern auch die zukünftige, in der wir teilweise schon sind.