Nicht nur die Hoch-Nerds sind völlig aus dem Häuschen. Die ganze streamende Welt ist in Aufruhr, weil Amazon Prime ein neues Bild von Galadriël zeichnet. Aus der alterslosen Fee, die seit Jahrtausenden dazu verdammt ist, alles was sie tut, beispiellos anmutig zu tun, wird nun eine jugendliche Action-Heldin, die sich bei jeder Gelegenheit Schrammen einfängt und ihre oscarreifen Ballkleider ruïniert.
In den nächsten Wochen werden Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer die Zumutung verkraften müssen, ihr liebgewonnenes Bild von der keltisch-kühlen Noldorprinzessin für eine „marvelisierte“ Version revidieren zu müssen. Kann man das Amazon Prime verzeihen?
Ich fürchte, ja! Tatsächlich diente die Figur der Galadriël ihren Exegeten schon lange vor der Jackson-Verfilmung als Projektionsfläche für viele unterschiedliche Frauengestalten: Sie provozierte Vergleiche mit der Jungfrau Maria, Morgana der Fee und der Queen Elizabeth des gleichnamigen Zeitalters. Sie mußte in der Phantasie der Leserinnen und Leser als Engel und als Medusa herhalten – und ab September eben auch als Lara Croft von Mittelerde.
Der orthodoxe Eifer der Galadriël-Bewahrer überrascht und ermüdet mich gleichzeitig. Seit dem Erscheinen der Trailer finde ich mich ständig in der anstrengenden Situation wieder, empörten Fans und sogar einigen Hoch-Nerds erklären zu müssen, daß dieses neue athletische Image der Elda weitgehend buchkonform ist: Als „Mannweib“ galt Nerwen in ihrer valinorischen Jugend als sehr interessiert an sportlichen Wettkämpfen. Darüber hinaus schloß sie sich dem Zug der Noldor mit ganz eindeutig imperialistischen Absichten an: Sie wollte erobern und herrschen. Es spricht also grundsätzlich erst mal nichts dagegen, daß die ewige Abendkleid-Diva in ihrer eigenen Vorgeschichte etwas dynamischer und „amazonenhafter“ (no pun intended) auftritt.
Natürlich ist die Prime-Galadriël letztendlich eine identitätspolitische Entscheidung. Sie ist die Rey Skywalker des Tolkien-Franchise – wenn auch von Payne und McKay viel eleganter gelöst, da hier eine starke und interessante weibliche Persönlichkeit nicht extra konstruïert werden mußte.
Daher kann ich verstehen, daß viele Fans befürchten, daß der Figur aus Zeitgeistgründen ein progressives Empowerment-Image angedichtet wird, das die Zeitlosigkeit der Geschichte zerstört.
Entscheidend ist für mich hierbei – welche Überraschung! – die Umsetzung: Beweisen die Macher von „Rings of Power“ ebenso viel Gespür für die poëtische Geschlossenheit von Tolkiens Werk wie Peter Jackson und sein Team vor zwanzig Jahren? Oder wird die erhabene Vorlage dem Primat der unbedingten Publikums-Stimulation geopfert, wie wir es beim Plottwist-Overkill von Netflix immer wieder erleben? Wir dürfen gespannt sein.
Aber die feministische Dimension dieser Produktion ist natürlich nur eine Facette gesellschaftlicher Repräsentativität, die im Vorfeld für Kontroversen sorgt. Entsprechende Diskussionen in benachbarten Threads dieses Forums zeigen, daß die Serië in vielerlei Hinsicht als Prüfstein herhalten müssen wird, um zu klären, inwiefern sich die Ansprüche postmoderner Gesellschafts-Transformation und das literarische Erbe Tolkiens miteinander vereinbaren lassen. Die Frage, ob ich es legitim finde, ein Kunstwerk in den Dienst identitätspolitischer Ziele zu stellen, werde ich jedoch aus forenhygiënischen Gründen nicht hier erörtern, sondern drüben.
Diesen Thread möchte ich gerne ausschließlich der Charakterdarstellung und Entwicklung der Nerwen-Galadriël bzw. der schauspielerischen Leistung Moryfydd Clarks widmen. Die Figur verdient in meinen Augen durchaus besondere Aufmerksamkeit, da sie nach aktuëllem Trailerwissensstand nicht nur eine tragende Rolle in der Serië spielt, sondern zudem auch (neben Elrond) das personelle Bindeglied zu den bekannten Verfilmungen darstellt. Jemand mit einer undurchdringlichen Plot-Armour aus mehreren Jahrtausenden Zukunft hat überdies gute Chancen, alle Staffeln zu überleben.
In woke-trächtiger Terminologie, die ja nun auch hier Einzug hält, könnte man diesen Raum denn auch „Galadriël-Watch“ nennen.
Ich wünsche Euch und mir viel Vergnügen bei der ersten Folge.
T. Nelkhart