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  1. Hallo und guten Tag! Ich lese hier ja bisher nur gelegentlich mit. Ein solches Leseprojekt finde ich aber spannend. Zum Glück habe ich noch nicht so viel verpasst und hoffe, ich kann es mir noch erlauben, etwas zum 1. Kapitel zu schreiben. Den „Hobbit“ habe ich so vor ca. 30 Jahren als Schüler zum ersten Mal gelesen, damals als „Der kleine Hobbit“ in der Scherf-Übersetzung. Damals schon als spannend empfunden, haben sich bei mehrmaligem Lesen – besonders nach dem Wechsel vom Deutschen ins Englische – bei den Werken Tolkiens immer neue Aspekte ergeben. Das wird auch anderen hier Anwesenden schon so gegangen sein. Beim Lesen des „Hobbits“ fällt mir zunächst einmal auf, dass der Buchuntertitel bereits eine Kurzzusammenfassung enthält: There and back again. Jemand macht also eine Reise und kommt am Schluss wieder (hoffentlich wohlbehalten) zuhause an. Auch der Titel des ersten Kapitels sollte man sich merken, weil er später im Herrn der Ringe variiert wird: „An Unexpected Party“ vs. „A Long-Expected Party“. Es ist schon einmal weiter oben erwähnt worden, dass mit „Party“ sowohl die „Feier“ gemeint sein kann als auch die „Gesellschaft“. Beides passt, denn Bilbo hatte an jenem Mittwochmorgen weder mit Gesellschaft noch mit einem solchen Bankett gerechnet. Die Unterschiede zwischen der „Hobbit“-Party und der „HdR“-Party liegen klar auf der Hand: Ist letztere von langer Hand geplant, wobei dem Leser jedes kleinste Detail vom Verschicken der Einladungen über die Essensbestellungen bis zu den Aufbauarbeiten am Festplatz geschildert wird, so ist Bilbos erste Party geprägt von Chaos und Kontrollverlust. Bereits bei der Ankunft der Zwerge und deren Speise- und Getränkebestellungen deutet sich an, wie Bilbos wohlgeordnetes (oder langweiliges) Leben in kurzer Zeit aus den Fugen geraten wird. Erstaunlich, wie er dem allem mit Höflichkeit begegnet, ich hätte schon längst die Polizei gerufen, wenn ein Trupp mir unbekannter Landstreicher es sich in meinem Wohnzimmer gemütlich gemacht hätte. Aber natürlich gehört es zu den Höflichkeitsvorschriften der Hobbits, Gäste zu bewirten, so wie auch in alten Sagen (griechischen oder nordischen) es immer nur böse Menschen sind, die einem Fremden die Bewirtung verwehren. Überhaupt, der erste Satz! Ein mittlerweile fast schon ikonischer Romanbeginn mit faszinierender Entstehungsgeschichte. Aus einem irgendwo aus Langeweile auf ein Schmierpapier hingekritzelten Sätzchen wird später ein ganzes Buch konstruiert. Ein Akt der Kreativität, den ich bewundere. Als Tolkien das kritzelte, wusste er noch gar nicht, dass daraus einmal ein Buch wird, geschweige denn, was darin vorkommt. Ich fühle mich erinnert an ein Interview mit Michael Ende, das man sich auf Youtube anschauen kann, wo er erzählt, wie er den Anfang von „Jim Knopf“ erfand. Er wusste nicht, wie die Geschichte weitergeht, und musste sich von seiner Kreativität leiten lassen. Der Charakter des ersten Kapitels ist direkt sehr kinderbuchhaft. Gleich mehrfach fühle ich mich an typische Märchenanfänge erinnert („In a hole in the ground, there lived a hobbit“ … „One morning long ago in the quiet oft he world“ – vgl. z. B. „Es war einmal ein Fischer und seine Frau, die wohnten zusammen in einer kleinen Fischerhütte“ oder „In den alten Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat“). Der Erzähler des Buches erinnert ein bisschen an den Erzähler aus „Benjamin Blümchen“: Er fängt erst einmal an zu erzählen, dann fällt ihm ein, dass er eigentlich erst etwas erklären sollte (Was ist überhaupt ein Hobbit?), gibt schon mal eine Kurzzusammenfassung dessen, was den Leser erwartet (Jetzt kommt eine Geschichte, in der ein Hobbit unerwartete Dinge tut und ein Abenteuer erlebt), will aber noch nicht gleich alles verraten (… und am Ende erlangt er… Nun, ihr werdet ja sehen, ob er irgendetwas erlangt) und zeigt schon gleich auf den ersten Seiten seine Vorliebe, die „vierte Wand“ zu durchbrechen und die Leser direkt anzusprechen (Wenn ihr wüsstet, was ich weiß). Das wird er später noch viele Male tun. Die Darstellung der Personen ist cartoonartig, karikaturenhaft. Zwerge mit bunten Mützen; ein Zauberer, dessen Augenbrauen bis über den Rand seines Hutes hinausreichen und der Rauchringe in beliebiger Form hervorbringen und Kunststücke vollführen lassen kann. Diese Wortkulisse ist so Disney-haft, dass man die spätere Abneigung des Autors gegen „Disney“ kaum verstehen könnte. Übrigens ist mir jetzt aufgefallen, wie erstaunlich oft in dieser Kinderbuchatmosphäre der Alkohol- und Nikotinkonsum der Protagonisten erwähnt wird. „A little beer would suit me better“ ist eine der ersten Äußerungen, die die Zwerge von sich geben. Ob man das heute in einem Kinderbuch auch noch so schreiben würde? Nach etwa der Hälfte des Kapitels verdüstert sich die Stimmung. Die Sonne ist untergegangen. Licht wird ausdrücklich nicht gewünscht: „Dark for dark business!“ Die aufziehende Dunkelheit ist nur ein Symbol für die ernster werdende Handlung. Jetzt werden erstmals ernsthafte Dinge besprochen. Der Stilwechsel ist besonders markant, sobald das Lied der Zwerge beginnt „Far over the Misty Mountains cold“. Hier verabschiedet sich Tolkien vom Kinderbuchstil, der Sprachstil des Liedes ist der der Sage und ist aus anderen Liedern und Gedichten Tolkiens bekannt. Der Leser wird erstmals in das sich abzeichnende Abenteuer eingetaucht. Es geht dem Leser quasi wie Bilbo, der aus dem Fenster schaut und sich in der Ferne das Drachenfeuer vorstellt, man wird „swept away into dark lands under strange moons“. Diese Formulierung hat mich schon immer fasziniert. Sie zieht einen geradezu in die Geschichte hinein. Was mögen das für Länder sein, in denen sogar der Mond anders aussieht als gewohnt? Auch Bilbos Stimmung ändert sich. Er versucht jetzt immer mehr, seriös zu erscheinen und sich an den Planungen um die Rückgewinnung des Schatzes ernsthaft zu beteiligen, auch wenn seine Ankündigungen sich zunächst in etwa so glaubhaft anhören, wie wenn meine dreijährige Tochter verkündet, sie würde jetzt das Haus putzen. Zum Schluss wird der Leser durch einen Kunstgriff des Autors endlich mit den notwendigen Informationen versorgt, um den weiteren Verlauf des Buches durchstehen zu können. Man erfährt von dem Einsamen Berg, dem Drachen und seinem Hort, den untergegangenen Reichen der Zwerge und Menschen, dem Plan der Zwerge, der Karte und dem Schlüssel. Wie beiläufig werden auch die Zwergenschlacht vor Moria, Azog, Thror und Thrain sowie der Necromancer erwähnt. Viel erfährt man im Laufe des Buches nicht über diese Hintergrundgeschichten, der flüchtige Leser wird sie vielleicht schon bald wieder vergessen. Aber solche Details dienen Tolkien dazu, seinem „Bild“ einen „Hintergrund“ hinzuzufügen. Im „Herrn der Ringe“ wird er diese Technik perfektionieren. Schön wird das Kapitel abgerundet: Thorin singt nochmals eine Strophe des Zwergenlieds. Das hat etwas von einer „Reprise“ wie in der Musik, wenn am Ende eines Musikstücks ein früheres Thema nochmals aufgegriffen wird. Damit entlässt Tolkien uns und Bilbo in die Nacht.
    2 Punkte
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