Bis gestern hatte ich mich damit noch nie beschäftigt, habe mich jetzt allerdings ein wenig eingelesen und versuche mich an einer Einordnung.
Der Katholizismus hatte in England nach der Kirchentrennung durch Heinrich VIII. 1531 erstmal lange Zeit einen äußerst schweren Stand. Katholiken wurden, je nach Zeitraum, diskriminiert oder sogar verfolgt, was sich im Grunde in unterschiedlichen Ausprägungen ca. 250 Jahre hingezogen hat. Quelle In dieser Zeit gab es allerdings theologisch gesehen keine allzu hohe Trennschärfe zwischen der Church of England auf der einen Seite und europäischem Katholizismus bzw. Protestantismus auf der anderen Seite, einfach aus dem Grund, dass keine dieser Kirchen einen monolithischen Block darstellte und insbesondere die reformistischen Bewegungen sich in eine Vielzahl von Glaubensrichtungen und -philosophien aufspalteten. Einflussreiche protestantische Varianten des christlichen Glaubens waren im 18. Jahrhundert u.a. Calvinismus, Puritanismus, Methodismus, Hallescher Pietismus, etc. Theologische Ausrichtungen, die u.a. von Gelehrten der Universitäten Oxford und Cambridge vertreten bzw. pioniert wurden. Darüber hinaus war/ist die Church of England dem Katholizismus nicht so fern, wie sie es gerne vorgibt.
"Die Church of England ließ als episkopal verfasste Staatskirche mit apostolischer Sukzession die überkommenen mittelalterlichen Kirchenstrukturen mit Ausnahme der Bindung an Rom intakt." (Kirn, Hans-Martin: Geschichte des Christentums IV,1. Konfessionelles Zeitalter (Theologische Wissenschaft Sammelwerk für Studium und Beruf, 8,1), Stuttgart 2018, S. 223.
Spätestens ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurde der Katholizismus zusehends eine "legitime" und "verbreitete" Glaubensrichtung in England, was unter anderem durch die Annexion Irlands in das Vereinigte Königreich vorangetrieben wurde. Schließlich waren von heute auf morgen rund 10% der Bevölkerung des Vereinigten Königreichs katholischer Konfession. 1829 erfolgte die Katholikenemanzipation also die rechtliche Gleichstellung der Katholiken und 1850 sogar die Reetablierung des katholischen Diözesansystems mit der Zirkumskriptionsbulle Universalis Ecclesiae von Papst Pius, die von einer Konversionswelle begleitet wurde.
An dieser Stelle habe ich viele Ursachen und Feinheiten gekonnt ignoriert, aber ich denke mal, für eine grobe Einordnung der Konversion von Tolkiens Mutter dürfte es reichen.
Zum Zeitpunkt von Mabels Übertritt zur katholischen Kirche, war diese also schon länger nicht mehr verfolgt, es gab einige Jahrzehnte zuvor eine Art kleiner Renaissance der Kirche und reichlich Präzedenzfälle für Konversion. Nichtsdestotrotz blieben die Katholiken eine Minderheit (bis heute beläuft sich der Anteil der Katholiken Englands auf ca. 10 % der Bevölkerung), deren Überzeugungen in zumindest gewissem Widerspruch mit der Mehrheitsbevölkerung stand. Eine gesellschaftliche Verpöhnung und Ablehnung ist da vorprogrammiert, die in England u.a. dadurch Ausdruck fand, dass sich gegen Bildung durch Katholiken bzw. in Konventen ausgesprochen wurde, da diese minderwertig und schädlich für Kinder sei. (Vgl. Kollar, Rene: Foreign and Catholic: a plea to Protestant parents on the dangers of convent education in Victorian England, in: History of Education 31,4 (2002), S. 335-350.)
Ich würde diese Konversion bzgl. gesellschaftlicher Interpretation und Bedeutung mal extrem vorsichtig mit einem Austritt aus der katholischen Kirche im heutigen Polen vergleichen. Je nachdem, wo man sich genau befindet, und wie die Leute im persönlichen Umfeld ticken, ist das völlig unproblematisch, kann aber auch dazu führen, dass man enterbt wird. Der Vergleich hinkt natürlich, aber gibt vermutlich ein grobes Gefühl für die Relevanz.