Ich finde schon, dass die beiden Texte etwas hergeben. Aber vielleicht nicht das, was man sich erhofft. „The Fall and Repentance of Galadriel“ ist ja im wesentlichen eine Synopsis der für die Genese der Figur Galadriel relevanten Textstellen, zu der Lakowski wenig eigene Interpretation hinzufügt. In der Zusammenschau der Textstellen wird allerdings noch mal deutlich, dass nicht nur die Entstehungsgeschichte der Figur Galadriel eine Geschichte der Entwicklung ist, sondern Galadriel auch eine Figur ist, die eine Geschichte der Entwicklung durchlebt. Das ist bereits so in „Der Herr der Ringe“ angelegt und es hat sich in allen weiteren Bearbeitungsphasen auch nicht mehr geändert. Bei vielen Interpretationen wird das ja gerne vernachlässigt und Galadriel als unveränderlicher, ewig gleichbleibender Charakter behandelt.
In „Cordial Dislike“ werden zwar nachvollziehbar manche Parallelen zwischen Dantes „Inferno“, dem „Pearl“ Gedicht und den Galadriel in Lothlorien Kapiteln aufgezeigt. Aber ich sehe es auch so wie du, dass vermutlich eh niemand annimmt, dass Tolkien davon unbeeinflusst gewesen sein soll. Außerdem handelt sich bei den aufgeführten Beispielen um in der Literatur häufig anzutreffende und wiederkehrende Motive und um tradierte Farbsymbolik. Die interessantesten Stellen sind meines Erachtens deshalb diejenigen, aus denen sich die Unterschiede zwischen den drei Texten und zwischen den Figuren Beatrice, Pearle und Galadriel herauslesen lassen. Es zeigt sich, dass Galadriel eben nicht, und vor allen Dingen nicht Zeit ihres fiktiven Lebens, die ausschließlich Trost spendende und Orientierung gebende transzendente Erscheinung ist. Eben das, die Tatsache, dass sie eine sehr diesseitige Entwicklungsgeschichte hat, sich verändert, und neben Größe und Güte auch gefährliche Abgründe Merkmale ihres Charakters sind, machen für mich die eigentliche, die emanzipatorische Errungenschaft bei der Entwicklung dieser Figur aus.
Wenn Tolkien kurz vor seinem Tod glaubte, es sei nötig, noch einmal eine neue Version der Galadriel schreiben zu müssen, war das aber, so wie ich die Fassung aus der "History of Middle-earth" kenne, vielleicht doch eher in konzeptionellen Erwägungen begründet als in einem weichen Herz.