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  1. Ermutigt (und vollkommen überrascht) von der Menge an FanFiction, die im Netz zu finden ist, habe ich mich entschlossen, aus den Ideen, die mir schon seit geraumer Zeit im Kopf herumschwirren, eine Geschichte zu schreiben. Es gibt einige Dinge aus Tolkiens Werken, die mich sehr faszinieren, aber nur kurz erwähnt werden. Also schreibe ich nun meine eigene Story (was nicht heißt, dass ich mir anmaßen würde, mich mit dem Meisterhobbit JRRT auf eine Stufe zu stellen). Es geht mir um die blauen Zauberer, deren Geheimbünde, und die finsteren Melkor-Kulte im fernen Osten Mittelerdes. Auch faszinieren mich (spätestens nach dem Hobbit-Film) die Zwerge, weshalb ich auch dazu etwas geschrieben habe und noch schreiben werde (Durins Fluch etc.). Da es jedoch schwer ist, die Geschichte eines Zauberes zu erzählen, die über mehrere Tausend Jahre reicht, entschied ich mich, einen Großteil der Geschichte aus der Sicht eines Jungen zu erzählen, der (wie ich) 17 Jahre alt ist. Dieser Junge, mit Namen Jálerh (sprich: Jallech), wohnt in einer Stadt am Meer von Rhûn, ganz in der Nähe des Gebirges. Er ist ein Einzelgänger, (Es ist jedoch kein tragisches Drama des einzelnen, einsamen Einzelgängers, der ja so allein ist und den keiner mag) der gerne draußen ist und der den Geruch und die ganze Gesellschaft der Stadt nicht leiden kann. Auf einer Wanderung in den Bergen begegnet er einem merkwürdigen, alten Mann mit blauem Mantel. Ein Zauberer. Er erzählt ihm wundersame, obgleich furchtbare Geschichten von fernen Ländern und seltsamen Geschöpfen (z.B. Zwerge). Doch Jálerhs Bericht über den schwarzen Tempel in der Stadt, und die Orks, die sich plötzlich bei Tageslicht aus ihren Höhlen wagen, beunruhigen den weitgereisten zauberkundigen, und er beschließt, der Sache auf den Grund zu gehen (Soweit gehen die ersten 5/6 Kapitel, aber ich schreibe täglich weiter). Er entdeckt Furchtbares, und erinnert sich seiner eigentlichen Aufgabe: Die Menschen Mittelerdes vor dem Bösen zu beschützen. Ein Geheimbund wird gegründet, die "Bruderschaft des Geheimen Feuers". Doch dessen Aktivitäten bleiben dem großen Auge nicht unbemerkt. Sauron entsendet Sepálkaron, einen schwarzen Númenorer und mächtigen Hexenmeister, um diese Geheimgesellschaft auszulöschen und dem aufmüpfigen Volk eine Lehre zu erteilen. Noch ein Hinweis: Es ist meine erste FanFiction und eigentlich sogar die erste Geschichte, die ich jemals geschrieben habe. Die Bruderschaft des Geheimen Feuers Kapitel 1 - Sturmwind und Eintopf 2997 Drittes Zeitalter Ein Sturm kündigte sich an. Finstere Wolken zogen heran, und ein kalter Wind vertrieb die wenigen, denen es zum Baden noch nicht zu kalt war, vom Strand. Ein letztes Mal war die untergehende Sonne durch eine Lücke in den Wolken zu sehen, ein letztes Mal schien der Himmel über der Stadt in Flammen zu stehen, als wäre Ancalagon selbst zurückgekehrt, um die Lande Mittelerdes in eine Aschewüste zu verwandeln. Nur eine einzige Person schien dem Sturm trotzen zu wollen, eine einsame Gestalt inmitten der Felsen, die diesem Landstrich und der Stadt ihren Namen gegeben hatten. Es war ein Junge von etwa 17 Jahren, mit alten, allzu oft geflickten und überaus schmutzigen Klamotten, dem das dunkle Haar bis auf die Schultern reichte. Sein Name war Jálerh, Sohn von Nérra, dem Bogner, und was er an dem Strand suchte, war weder der Bernstein, der hier ab und an angeschwemmt wurde, noch die wundersamen, blau schillernden Muscheln, die auf dem Markt für gutes Geld verkauft werden konnten. Was er zu finden hoffte, und zumeist auch fand, war Einsamkeit. Einsamkeit und Ruhe vor den Leuten. Er hatte sich schon oft gefragt, wie es alle anderen in dem Gedränge der Stadt nur aushielten. Der Gestank nach altem Fisch und noch älterem Unrat, der durch die engen Straßen zog, der Lärm der Handwerker und das Geschrei der Kinder schien den meisten nichts auszumachen, doch ihm bereitete es Kopfschmerzen. Hier, am Meer, oder im Bergland, das westlich der Stadt lag, fühlte er sich wohl. Er holte tief Luft, und genoss die frische Luft, die das heranziehende Sturmtief mit sich brachte. Stürme waren am Meer von Rhûn, besonders zu dieser Jahreszeit, keine Besonderheit. Folglich waren die Häuser der Stadt robust und wetterfest gebaut. Auch war die Stadt auf einer Anhöhe gebaut, damit eine Sturmflut keinen Schaden anrichten konnte. Ein in dem Wind kaum hörbarer Ruf riss ihn aus seinen Gedanken. Das war eindeutig die Stimme seines Vaters: „Jaaaalerh!“. Jalerh seufzte, und verließ seinen Platz zwischen den beinahe schwarzen Felsbrocken, und folgte dem Ruf. Als er um einen besonders großen Stein herumlief, stieß er beinahe mit seinem Vater zusammen. Sein Haar war ebenfalls schwarz und schulterlang, aber seine Kleidung (und sein Gesicht) waren sauber, und er war wesentlich kräftiger gebaut als sein Sohn. Er wirkte besorgt oder erbost, Jalerh war sich nicht ganz sicher. Seiner Stimme nach war er aber eher froh, ihn so schnell gefunden zu haben: „Da bist du ja! Und ich dachte, ich müsste erst den ganzen Strand absuchen, um dich ausfindig zu machen. Deine Mutter wünscht, dass du nach Hause kommst.“ - „Warum? Ist etwas passiert? Ist Ménad mal wieder weggelaufen?“ – „Sie mag es nicht, wenn du bei Stürmen draußen am Felsenstrand bist, das weißt du doch. Sie hat wohl Angst, dir könnte ein Unglück widerfahren. Auch wenn ich nicht so recht weiß, was hier am Strand schon groß geschehen könnte. Und außerdem gibt es… ach, das siehst du dann schon.“ Sein Vater lächelte ihn an, und Jálerh folgte ihm auf dem sandigen Weg zur Stadt hinauf, wo sich die spitzen Türme der Stadtmauer schwarz vor dem nun dunklen Rot der Abenddämmerung abzeichneten. Sie durchquerten das Stadttor in der etwa vier Meter hohen Steinmauer, auf die man noch einen Wehrgang und eine Palisade aus teils angespitzten Pfählen, alles aus dunklem Holz, gesetzt hatte. Dûleng Suûrtan, „steiniger Strand“, so nannte man die Stadt. Während sie durch die schmalen Gassen gingen, die nur von dem schwachen Licht aus den trüben Fenstern erleuchtet wurden, lauschten sie dem Wind, der mit unheimlichen Geräuschen durch so manch ein Fenster fuhr. Vor ihnen erhob sich ein großer Schatten, der alle anderen überragte. Der schwarze Tempel, indem alle 11 Tage ein Kreis aus ausgewählten Personen (überwiegend Adlige oder anderweitig zu Geld Gekommene) irgendwelche Rituale abhielt. Wer oder was dort angebetet wurde, war unbekannt. Auch diesen Abend würden sie sich versammeln, denn die große Glocke im Turm des Tempels rief ihre Jünger mit tiefen, misstönenden Lauten zu sich. Ein kalter Regen setzte ein. Ab und zu eilte nun eine in einen schwarzen Mantel oder eine Robe gehüllte Gestalt an ihnen vorbei, in Richtung des Tempels. Sonst schien kaum jemand zu dieser Zeit und bei diesem Wetter noch auf den Straßen unterwegs zu sein, selbst die zahlreichen Bettler hatten sich verkrochen. Nach kurzer Zeit kamen sie an ihrem Haus an. Es war ein schmales, langes Haus, dessen Außenwände ebenso wie das Mansardendach mit Schieferplatten bedeckt waren. Jálerhs Vater klopfte an die Tür: „Ich bin‘s!“. Die Tür wurde von innen entriegelt. Das vom Kochen am heißen Herd leicht gerötete Gesicht seiner Mutter blickte Jálerh und seinem Vater entgegen: „ Ach, da seid ihr ja! Kommt rein, es ist gleich soweit.“ Als sie den Raum betraten, schlug ihnen ein umwerfend guter Duft entgegen, der in krassem Gegensatz zu dem Mief der Stadt stand. „Was ist das?“, wollte Jálerh fragen, doch bevor er dazu kam, sagte seine Mutter bereits: „Eintopf mit Bohnen und Schweinefleisch. Dazu gibt es noch etwas Brot, und…“- sie sah ihren Ehemann an –„…Bier!“. Sie setzten sich an den Tisch aus grobem Holz, wo sich bereits Jálerhs drei Jahre jüngere Schwester Tani und sein Bruder Ménad, acht Jahre alt, niedergelassen hatten. Kurz darauf wurde das dampfende Essen serviert. Dem an karge Kost gewöhnten Jungen erschien das Essen wie ein Festmahl, auch wenn die Reichen und Mächtigen der Stadt darüber die Nase gerümpft und es nicht angerührt hätten. Auch Bier wurde reichlich in die irdenen Becher eingeschenkt, und nur auf Bitten seines Vaters hin, der bereits einige Becher geleert hatte, trank auch er einen Schluck. Seine Abneigung gegen Bier hatte ihm bereits viel Spott eingebracht. Er war wohl der einzige in ganz Dûleng Suûrtan, der dieses Getränk nicht mochte. Überhaupt gab es so einiges, was ihn von den meisten hier unterschied. Er mochte weder die oft tödlich ausgehenden Kämpfe, die allwöchentlich mehrere tausend Zuschauer in die Arena lockten, noch die Hinrichtungen der zum Tode verurteilten Verbrecher, die man dort wilden Hunden zum Fraß vorwirft (bei der Verbrechensrate der Stadt ist deren hohe Zahl leicht zu erklären, aber man munkelt auch, die Richter seien von der Arena-Verwaltung gekauft). Auch die häufigen Saufgelage, die schon zu manch einer tödlich endenden Raufereien geführt hatten, reizten ihn gar nicht, teils, weil er (wie bereits gesagt) Bier nicht leiden konnte, teils, weil er sein teuer erspartes Geld lieber in sinnvollere Dinge als Alkohol, Brechreiz und Kopfschmerzen investierte. Nachdem das köstliche Mahl restlos verspeist war und sein Vater sich dreimal versichert hatte, das kein Bier mehr in der großen Kanne war, erhob Jálerh, ging nach hinten, warf sich auf sein Bett und dachte an die waldigen Hügel und Berge, die sich westlich der Stadt erhoben. Er verspürte den Wunsch nach weiten Wanderungen durch einsame Täler, über schmale Pfade hinauf zu den Hochebenen, zu kristallklaren Wasserfällen in vergessenen Schluchten, ohne jede Spur menschlichen Einflusses. Wenn sich das Wetter bis zum morgigen Tage bessern sollte, würde er seine Sachen packen und für einige unterwegs sein. Er dachte an die wunderbare Landschaft, die kaum ein anderer hier zu schätzen wusste, und er war sich sicher: Morgen würde er in die Berge gehen. Kapitel 2 - Ein düsteres Zeichen Grau. Die Welt war grau. Die grauen Hügel und dunkelgrauen Wälder waren verschleiert durch mattgraue Nebelschwaden. Im Osten schien ein schwaches, graues Licht durch die geisterhaften Vorhänge aus feinsten Wassertropfen, und der Boden bestand aus grauem Fels und mit grauen, taubedeckten Spinnweben bedecktem Graß. Jálerh sah sich um. Er stand auf einer Anhöhe, direkt vor einem Abgrund, dessen Boden im Nebel nicht zu erkennen war. Um ihn standen alte, knorrige Eichen, unheimlich und bedrohlich im grauen Nebeldunst. Es war totenstill. Kein Vogel oder sonstiges Getier war zu hören, nur das gelegentliche Fallen eines Steines, den er losgetreten hatte, zerriss die Lautlosigkeit. Er war an diesem Tag bereits eine Stunde unterwegs gewesen, war beim ersten Licht aufgestanden, um tiefer als je zuvor in das Gebirge einzudringen. Selbst die Jäger gingen selten so weit ins Innere des namenlosen Gebirges. Warum den Leuten „Namenlos“ als Name für diesen wundervollen Landstrich genügte, war ihm unbegreiflich. Er kletterte über Felsbrocken und umgestürzte Bäume, sprang über schmale Gebirgsbäche, und watete durch einen breiten Fluss, der, so wusste er, nördlich der Stadt ins Meer mündete. Als er sich umwandte, sah er, dass die Sonne, nun blassgolden, die Schleier zu durchdringen versuchte. Er setzte seinen Weg fort. Er fror immer noch von der letzten Nacht. In einer kleinen, ihm wohlbekannten Höhle hatte er übernachtet, in einem scheinbar undurchdringlichen Dickicht aus dornigen Sträuchern. Auch war ihm nicht ganz wohl zumute, wenn er an seine Mutter dachte. Sie hatte, wie immer, heftig protestiert, als er erklärte, in den Bergen wandern gehen zu wollen. Sein Vater hatte ihm jedoch geholfen, und sogar heimlich etwas Käse und eine kleine Metallflasche mit Bier zu dem Brot getan, dass er in seinen klobigen Rucksack gepackt hatte. Bei Nacht war er aus dem Haus geschlichen und war über die Stadtmauer geklettert, unbemerkt von den Wachen. Obwohl seine Mutter immer mit allen Mitteln versuchte, ihn von seinen mehrtägigen Wanderungen in die Wildnis abzubringen, hatte sie sich wohl mittlerweile damit abgefunden, und war bei seiner Rückkehr niemals sauer, sondern nur froh, ihn gesund wiederzuhaben. Er musste unwillkürlich lachen, als er sich ihre Argumente in Erinnerung rief. Sie meinte, in den Bergen wimmle es nur von Wölfen, Bären und weitaus finstereren Kreaturen. Dabei wusste sie so gut wie er, dass die geschickten Jäger der Bergdörfer alle größeren Raubtiere wegen ihrer Felle, mit denen die Adligen ihre Rüstungen und Schlafzimmer schmückten, nahezu ausgerottet hatten. Und an Orks, Trolle, Kobolde, Werwölfe, Zwerge, Elfen, Riesenspinnen, Feuerdrachen und all die anderen Kreaturen aus den Legenden glaubte er nicht. Ebenso wenig glaubte er an die Existenz von Zauberern, Hexen und finsteren Totenbeschwören in alten Ruinen im Wald. Die Sonne hatte nun gegen die grauen Schleier der vergangenen Nacht die Oberhand gewonnen, es klarte überraschend schnell auf. Schon nach wenigen Minuten war der Himmel so blau nur wie selten zu dieser stürmischen Jahreszeit. Ein leichter Wind kam erhob sich. Aus den grauen und schwärzlichen Baumgeistern wurden goldene, lichtdurchtränkte Hainbuchen und Kastanien, gelb-orangene bis feuerrote Eichen und dunkle, leise rauschende Fichten. Die bisher bewaldeten Berge wurden nun an den Spitzen deutlich kahler. Unmengen bizarr geformter Schieferstein-Felsbrocken lagen zwischen den Bäumen, die mit zunehmender Höhe deutlich kleiner wurden. Wie verwitterte, gebrochene Knochen von Steinriesen aus den Nebelbergen muteten die Gesteinsbrocken an (Zumindest jenen, denen ein solcher Anblick vertraut ist). Mühselig über einige Hindernisse hinweg- und einige steile Erdhänge hochkletternd, erreichte Jálerh nun einen Bergkamm, über den überraschender Weise ein schmaler, wie eine Allee (nicht, dass er je zuvor eine Allee gesehen hätte) wirkender Pfad führte, umsäumt von goldenen Hainbuchen. Dem Weg folgend, der nun seitlich den Hang hinunterführte, gelangte er zu einer kleinen Hochebene, bestanden mit lichtem Herbstwald. Ein widerlicher, fauliger Gestank, der vom zunehmenden Wind zu ihm herüber geweht wurde, erregte seine Aufmerksamkeit. Er folgte seiner Nase, und fand schon bald den Ursprung des üblen Geruchs. Auf einer Lichtung, umgeben von Lerchen und Hainbuchen, war eine Art Lagerstätte. Dort lagen neben einigen zerrissenen Kleidungstücken viele abgenagte Knochen, einige davon eindeutig von Menschen. Kein ihm bekanntes Tier warf die Knochen nach dem Verzehr seiner Beute auf einen Haufen. Und kein Tier hat wohl jemals ein Lagerfeuer entfacht. Die dünne Rauchfahne, die von den Ästen und Zweigen aufstieg, verhieß nichts Gutes. Die in ihm aufsteigende Panik nur mit Mühe unterdrückend, ging er weiter. Und dann sah er es. Am hinteren Ende der Lichtung, auf einem angespitzten Pfahl, war ein menschlicher Kopf aufgespießt. Die Augen hatte man ihm herausgerissen, aber in seine Stirn war mit einem Messer dass Zeichen eines flammenden Auges eingeritzt. Jálerh stockte der Atem. Er kannte dieses Symbol. Genau dieses Zeichen war, nur wesentlich kunstfertiger, mit blutroter Farbe über der Tür des schwarzen Tempels zu sehen. Wer immer auch das getan hatte, er hatte irgendwas mit diesem Tempel zu tun. Doch bevor er sich weitere Gedanken darüber machen konnte, hörte Jálerh Stimmen. Einige schrill, andere tief und bedrohlich, doch keine davon klang menschlich. Und sie kamen eindeutig näher. Sofort ergriff Jálerh die Flucht, rannte, so schnell er konnte, fort von diesem grausigen Ort. Er rannte und sprang einen leichten Abhang, doch in seiner Hast verfing sich sein Fuß an einem toten Ast und knickte schmerzhaft um, sodass er im weichen Herbstlaub landete. Vom Lager vernahm er eine hohe, quiekende Stimme: „Moment, riecht ihr das auch? Da waren dreckige Menschen im Lager und haben herumgeschnüffelt!“ – „Dann finde die elenden Schnüffler, Snaga! Ich will so schnell wie möglich raus aus diesem verfluchten Sonnenlicht!“, antwortete ihm eine finstere Stimme. Er versuchte nun aufzustehen, doch vergeblich, sein schmerzender Fuß zwang ihn auf den Boden zurück. Ein großer Lärm erhob sich. Die unheimlichen Gestalten schrien und fluchten in einer unbekannten, übel klingenden Sprache. Dann hörte er, wie sich ihm jemand durch das Unterholz näherte. Atemlos, und von Panik ergriffen kroch er davon, doch es bestand keine Hoffnung, dass er dem Unbekannten entkommen konnte. Immer näher kamen die schweren Schritte, unaufhaltsam, gnadenlos. Er zog sich am Ast einer Hainbuche hoch, stellte sich auf seinen unverletzten Fuß. Den Geräuschen nach war sein Verfolger hinter ihm stehengeblieben. Mit klopfendem Herzen drehte er sich um. Kapitel 3 - Rómestámo „Was führt einen so jungen Burschen wie dich in eine so einsame Gegend?“ Jálerh war vollkommen überrascht. Er hatte eine finstere Gestalt mit grausiger Stimme erwartet, die sich mit gezücktem Messer auf ihn stürzen würde, doch die raue Stimme, die ihn da ansprach, klang eigentlich eher verwundert als blutrünstig. Sie gehörte einem alten Mann. Er trug einen dunkelblauen Kapuzenmantel mit seltsamen, geometrischen Mustern aus schwarzen Fäden, und sein dünner grauer Bart hing ihm fast bis an den Gürtel, an dem neben diversen Beuteln und Flaschen ein Schwert hing. Mit seiner rechten Hand stützte er sich auf einen Stab aus dunklem Holz, der gänzlich mit Runen bedeckt war. Die anscheinend breitere Spitze des Stabes war mit einem blauen Tuch umwickelt. Das Gesicht des Mannes war knochig, mit hohen, breiten Wangenknochen und schmalem Kiefer, was ihm zusammen mit den seltsam geschwungenen Augenbrauen und den saphirblauen Augen ein ungewöhnliches Aussehen verlieh. „Was ist, hat es dir die Sprache verschlagen?“ Noch vollkommen durcheinander, stammelte Jálerh: „ Ich,… ich dachte, ich,… ihr wärt…“ – Der Alte lachte: „Du dachtest, ich wäre ein Ork was?“ – „Ein…was? Ein Ork? Es gibt keine Orks.“ – „ Ooooh doch, die gibt es. Viel zu viele, wenn du mich fragst. Und ich kann es dir sogar beweisen: Folge mir!“ Jálerh machte einen Schritt mit seinem linken Fuß, doch ein heftiger Schmerz ließ ihn wie ein unter dem Gewicht des Meisterkochs der Stadt (Er kocht eigentlich nur für den Statthalter und sich selbst) zerbrechender Stuhl zusammenklappen. (Mit dem kleinen, aber nicht unerheblichen Unterschied, das Stühle keine Schmerzensschreie von sich geben). „Ach du meine Güte. Hast du dir was getan?“ Schon kniete der seltsame Blaugewandete neben ihm. Jálerh stöhnte. „Ja, mein Fuß! Ich bin… gestürzt, als ich vor dem… vor euch…“ – Doch der Mann hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Er zog ihm den Schuh aus und befühlte seinen Fuß, was ihn erneut aufschreien ließ. „Das sieht übel aus… aber ich könnte zumindest…“ Der Alte legte nun beide Hände auf seine Fuß und murmelte ein paar unverständliche Worte. „Na bitte. Das sollte die Schmerzen lindern“ Jálerh zog nun seine Schuh wieder an, stand langsam, sich erneut an dem Ast hochziehend, auf, und machte vorsichtig einen Schritt. Zu seinem Erstaunen konnte er ohne größere Probleme gehen. Zwar tat es noch immer weh, und er würde nicht weit laufen können, doch zumindest saß er nicht mehr mitten im Wald fest. „Wie habt ihr das… ich meine natürlich: Vielen Dank, Herr…ähm…“ – „Verzeih mir. Ich hätte mich vorstellen sollen, aber ich bin schon seit Jahren niemandem begegnet, dem ich noch nie zuvor begegnet war. Zumindest niemandem, der dieses Zusammentreffen überlebt hat. Nenn mich… ja wie denn nun?“ – „Habt ihr euren Namen vergessen? Oder dürft ihr in mir nicht nennen?“ – Der Mann in Blau sah ihn nachdenklich an. „Nun, das eigentliche Problem ist, das ich bei all meinen Namen simpel den Überblick verloren habe. Wer ich für dich bin, hängt primär davon ab, wer du bist, woher du warum kommst, und ob und wann du weshalb wohin gehen wirst.“ – „Bitte?“ – „Was ich sagen will, ist: Wer bist du?“ Jálerh räusperte sich, und sprach: „Mein Name ist Jálerh, Sohn von Nérra, dem Bogner, und ich komme…“ – „Lass mich raten:“, unterbrach in der Alte, „du kommst aus dem Kirhma-Tal, richtig?“ – „Nein, mein Herr. Ich komme aus Dûleng Suûrtan.“ – „Dûleng Suûrtan? Ist das nicht dieses Städtchen, das sie ans Rhûn-Meer gebaut haben? Die Zwerge haben mir davon erzählt. Das liegt doch einen Tagesmarsch östlich von hier. Ich war schon lange nicht mehr dort.“ Aus leichter Verwirrtheit wurde nun vollkommene Unverständnis, und Jálerh wusste nicht, ob er den Mann überhaupt ernst nehmen sollte. „Zwei Tagesmärsche östlich… und es gibt keine Zwerge.“ – „Ach, wirklich?“ Der alte, blaugekleidete Mann sah ihn mit dem Blick eines besser Wissenden an, und fuhr fort: „Bis dorthin wirst du es mit deinem verletzten Fuß nicht schaffen. In meiner Hütte kann ich wesentlich mehr für dich tun. Mir nach!“ – „Ist es weit?“ – „Neeein, es ist gleich um die Ecke, hier entlang!“ Damit begann der seltsame alte Mann mit raschen Schritten den leichten Abhang hinauf zuschreiten, den Jálerh zuvor auf recht unbequeme Weise hinuntergeflogen war. Er folgte ihm, und hatte Mühe, Schritt zu halten. Plötzlich drehte sich der Vorrausgehende wie vom Blitz getroffen um und sah ihn scharf an: „Bei Oromë, dem großen Jäger, meine Vergesslichkeit übertrifft sogar Aiwendil! Mein Name ist … Einer meiner Namen ist … und ich denke, dass es durchaus angemessen ist, dass du mich so nennst; Nenn mich… Rómestámo.“ – „Was bedeutet das?“ – „ Es bedeutet, wenn ich mich nicht irre, „Ost-Helfer“. Mein Elbisch ist nicht so gut, musst du wissen; ich überließ die Übersetzungsarbeit immer meinem Meister. Dafür fragte er mich immer bei Inschriften in Khuzdûl um Rat. Wie ich zu diesem Namen kam ist eine lange und bemerkenswerte Geschichte.“ – „ Schön und gut, ihr habt mir einen Namen, genannt, aber… wer seid ihr?“ – „Das fragst du noch? Hat man bei euch etwa all die Sagen und Legenden Vergessen, die man einst an Lagerfeuern in düsteren Wäldern erzählte, bevor irgendjemand auch nur auf die Idee kam, Häuser zu bauen? Ich bin ein Zauberer! Einer von fünf Zauberern, die… ach, nicht so wichtig. Komm!“ Sie setzten ihren Weg fort und traten auf die Lichtung. Dort bot sich ihnen ein grausiger Anblick. Ein dutzend vermummte Gestalten lagen in schwarzen Blutlachen auf dem Gras, nicht wenigen fehlte eine Arm, ein Bein oder ein Kopf. Die meisten der Toten hätten ihnen aufgerichtet wohl kaum bis zu Schulter gereicht, nur einer war (sogar ohne Kopf) etwa zwei Meter lang. Rómestámo trat neben die leblosen Überreste, und hob einen Kopf auf, der eindeutig zu dem Großen gehört haben musste. Er zog die schmutzigen, stinkenden Tücher beiseite, die das Sonnenlicht abgehalten hatten: Der Kopf sah entsetzlich aus, doch es lag nicht an der dunkelgrauen, narbigen Haut. Das, was dem Gesicht auch im Tode noch Schrecken verlieh, waren die weit aufgerissenen gelben Augen, die furchtbare Grimasse und die spitzen, schwärzlichen Zähne im weit aufgerissenen Maul. Der Zauberer warf den Kopf angewidert zu Boden und sagte: „Die haben selbst im Tode noch Mundgeruch. Widerliche Kreaturen, diese Orks.“ Nun trat der Blaugewandete an den aufgespießten Kopf, seufzte und sprach: „Wohl ein Jäger, der den Orks in die Quere kam und als Imbiss und Dekoration endete. (Bei diesen Wörtern drehte sich Jálerh bestimmt zweimal der Magen um) Er hätte ein Grab verdient, doch leider habe ich grad keine Schaufel zur Hand. Dann müssen seine Überreste wohl mit einer Feuerbestattung vorlieb nehmen.“ Eine Flasche von seinem Gürtel entleerte der alte Mann über dem Kopf, dann sprach er mit seltsamer Stimme: „Naur an edraith ammen!“ – Zu Jálerhs Erstaunen ging der Kopf sofort in Flammen auf. Doch das musste nicht unbedingt eine magische Ursache haben. Die Feuerschlucker vom Jahrmarkt vermochten ganz ähnliche Dinge, und die waren ganz bestimmt keine Zauberer. „Den Spruch habe ich von einem meiner Kollegen, den ich seit Urzeiten nicht gesehen habe. Ob er sich wohl noch an meinen Namen erinnert?“ – Der seltsame Alte im blauen Mantel trat vor ihn, und sah ihm in die Augen. „Glaubst du mir jetzt, Junge? Glaubst du nun an das Unmögliche, das Inexistente, den Mythos? Bist du bereit, zu vergessen, was einst du zu wissen glaubtest? Was Unwissende mitunter als Wissen zu bezeichnen wagen grenzt schon an Wahnsinn. Bist du bereit mir zu folgen, die irrführenden Pfade zu verlassen und zu wandeln auf den Pfaden der Wahrheit?“ – Jálerh sah den Mann mit fragendem Blick an – er hatte kaum ein Wort verstanden und war sich sicher, dass der Alte nicht mehr ganz richtig im Kopf war. Doch wie es aussah, hatte er keine andere Möglichkeit, als das Wagnis einzugehen, einem scheinbar Verrückten zu folgen. Ein heilkundiger Irrer mit Taschenspielertricks, nichts weiter. Auch die „Orks“ waren wohl nichts als missgebildete Menschen. „Vergiss einfach was ich gesagt habe, und halt dich ran! Hier geht’s lang!“ Damit sprang der Alte über einen Baumstamm, der den Weg versperrte. Da Jálerh sich einen solchen Sprung in seinem jetzigen Zustand nicht zutraute, ging er einfach außen herum. Es dauerte nicht lange, da standen sie vor einer klapprigen Hängebrücke, die aussah, als bräuchte man nur an das Wort „morsch“ zu denken, um sie zum Einsturz zu bringen. Die Schlucht unter ihnen war etwa hundert Meter tief. Auf der anderen Seite stand, auf einem Felsvorsprung mitten in der Steilwand, eine schmale Hütte aus Stein. Beim Anblick dieser Brücke und dem Gedanken an viereinhalb Sekunden Fall in den sicheren Tod war ihm schon recht mulmig zumute. Der blaue Zauberer sah ihn ermutigend an: „Nun komm schon. Diese Brücke hat zwar schon bessere Tage gesehen, aber sie wird sich kaum noch daran erinnern können. Die sah schon zur Zeit der großen Schlacht von Dagorlad so miserabel aus. Und sie wird nicht von den Seilen zusammengehalten, sondern von… du würdest es wohl „Magie“ nennen. Die würde sogar dem Angriff eines durchschnittlichen Drachen widerstehen! Komm!“ Jálerh wurde von dem Mann gepackt und über die Brücke geschleift. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, doch es geschah nichts, sie überquerten die Brücke, die so robust war wie massiver Fels. So langsam begann sich Jálerh zu fragen, ob der alte Mann mit seinen wirren Geschichten nicht doch recht haben könnte. Die Tür zur Hütte war aus massivem Stahl und ließ sich nur mit einem merkwürdigen Schlüssel öffnen, den der Zauberer um seinen Hals trug. Als sie eintraten, war dem Jungen sofort klar, dass diese Hütte mehr war als nur eine Hütte. Die von außen sichtbaren Steinmauern waren nur die Spitze des Eisbergs, eine Fassade, zur Tarnung der großen Anlage, die sich im Innern befand. Ein dunkler Gang lag vor ihnen und führte tief in den Berg hinein. Als sie den hallenden Pfad beschritten, befühlte Jálerh die Wände. Sie waren so glatt wie Glas, keine Unregelmäßigkeit war zu fühlen. Ein kugelförmiger Raum, etwa 20 Meter im Durchmesser, öffnete sich vor ihnen. Ungläubig starrte Jálerh auf die ebenmäßige Form der Halle. Nie zuvor hatte er auch nur annähernd vergleichbare Steinmetzarbeit gesehen. In der Mitte des Raumes lag, auf einer Steinsäule, eine runde Steinplatte von etwa sieben Metern. Dort befand sich, genau in der Mitte und ebenfalls kreisrund, eine Feuerstelle, die die Wände mit flackenden Lichtern und Schatten bedeckte. In sechs Richtungen führten von dieser Plattform schmale Steinbrücken zu dunklen Pforten. Aus einem dieser Gänge traten sie nun auf das wärmende Feuer zu. Sie setzten sich auf wider Erwarten einigermaßen bequeme Steinbänke. Der alte Mann seufzte. „Immer wenn ich ein Lagerfeuer oder Kaminfeuer sehe, verspüre ich den Wunsch, jemandem eine Geschichte zu erzählen. Leider ist dann selten jemand da, der gewillt ist, mir zuzuhören. Möchtest du etwas von meinen Erlebnissen hören? Sei gewarnt, es könnte dein Verständnis von Arda grundlegend verändern.“ Jálerh war zu müde, um zu widersprechen, ganz davon abgesehen, dass er aus einem unerklärlichen Grund tatsächlich gespannt war auf die Geschichte dieses Mannes, der vielleicht tatsächlich ein Zauberer war. Der alte Mann erhob seine Stimme und begann zu erzählen; von längst vergangenen Tagen in fernen, wundersamen Ländern und sein eigenes Mitwirken an den Geschicken der Welt… Kapitel 4 - Durins Fluch 1980 D.Z. Tief unter dem Nebelgebirge, genauer gesagt unter den Bergen Barazinbar, Zirak-zigil und Bundushatûr, die die Elben auch als Caradhras, Celebdil und Fanuidhol bezeichneten, liegt die uralte Zwergenstadt Khazad-Dûm, Heimstätte von Durin, dem Unsterblichen. Nicht ganz so gewaltig und beeindruckend wie die gewaltigen, unterirdischen Dombauten des Erebor waren ihre Hallen, dafür aber wesentlich zahlreicher. Viel weiter verzweigt waren ihre Gänge und Säle, und ihre Minen, über tausende von Jahren in unermessliche Tiefen hinabgetrieben, waren ohnegleichen. Ein Mann, mit blauem Mantel und einen hölzernen Stab in der rechten Hand, durchquerte die 21. Halle. Die Wände und Säulen der Halle, deren Ende nicht zu erkennen war, waren geschmückt mit Bannern und Waffen, und künstliche Goldadern bildeten faszinierende Muster. In der Halle war ein Markt aufgebaut. Tausende barttragende Gestalten eilten umher, und der Lärm der eisenbeschlagenen Stiefel und der lebhaft feilschenden Händler war unbeschreiblich. Einige Kinder (auch diese hatten Bärte) rannten laut schreiend umher, und warfen mit kleinen Steinen. Als der Mann eines dieser Geschosse, das ansonsten seinen Kopf getroffen hätte, auffing, erkannte er es zweifelsfrei als einen der seltenen, sternförmigen Chrysoberyll-Kristalle, die er vorhin bei einem Händler gesehen hatte. Kurz darauf rannte ebendieser Händler den Kindern laut fluchend hinterher, die seinen Marktstand umgestoßen und einige der Steine entwendet hatten. Khûztargûn, so nannten ihn die Zwerge, musste über die Wortwahl des beraubten Händlers lächeln. Überhaupt waren die Zwerge seltsames Volk, zumindest für Außenstehende. Der Name, den sie ihm gegeben hatten, bedeutete in etwa „Mann mit Zwergenbart“, eine Anspielung auf seinen langen, grauen Bart, der nach zwergischer Art geflochten und mit einigen Metallringen gebunden war. Er war als einer von wenigen Nicht-Zwergen in Teile der geheimen Zwergensprache Khuzdûl eingeweiht, was eine große Ehre war. Nun betrat er einen kleineren Raum, die Kammer von Mazarbûl, wo alte Aufzeichnungen aufbewahrt wurden. Eine große Zahl an Chronisten und Rechenmeistern gab es in Khazad-Dûm, sie sahen alte, vergilbte Schriftrollen durch, kartographierten neu erschlossene Minen und schrieben sämtliche Funde von Edelmetallen und Edelsteinen auf. In dieser Kammer wurden jedoch nur die wirklich wichtigen Aufzeichnungen aufbewahrt, sie war für die Zwerge beinahe ein Heiligtum, das Jahrtausende altes Wissen beherbergte. Nun standen jedoch einige wichtig wirkende Zwerge um einen Tisch gedrängt und nahmen von dem Zauberer zuerst keine Notiz, bis dieser einen der Zwerge ansprach: „Ich habt mich rufen lassen, mein Herr?“ – „In der Tat. Ich bin wieder einmal auf eure Hilfe angewiesen.“ Das Erscheinungsbild von König Durin VI. war wirklich außergewöhnlich. Er trug eine unwirklich glänzende Rüstung aus Schuppen, Platten und Kettenringen sowie eine große Krone, allesamt in jahrelanger Arbeit aus reinstem Mithril gefertigt. Nicht ein Gramm anderer Metalle, und im Gegensatz zu seinen Beratern auch keinen einzigen Schmuckstein, trug er am Körper. Sein Bart, schneeweiß wie die Hänge des Rothorn-Berges, war selbst für zwergische Verhältnisse lang, und mit glitzernden Fäden aus gewebtem Wahrsilber durchdrungen. Er zeigte auf eine Karte auf dem Tisch. Dort war eine detaillierte Skizze eines Minenabschnittes auf einem Pergament zu sehen. „Vor vielen tausend Jahren ließ mein ehrwürdiger Vorfahr Durin I. eine Treppe bauen, eine Treppe von unermesslichen Ausmaßen. Sie führte nach oben bis in Durins Turm auf der Spitze des Zirak-Zigil, und nach unten bis an die Wurzeln des Berges, und nie wurde auch nur der Versuch unternommen, ihre Stufen zu zählen. Doch niemand wagte, dort unten nach Schätzen zu graben, aus Ehrfurcht vor dem Stein, der die Welt im Innersten zusammenhält. Zudem wurde Durin von einem Fürsten der Noldor, dem man eine prophetische Gabe nachsagte, prophezeit, dass sein Reich und sein Reichtum andauern würden, solange er die das Gebein der Welt nicht anrühre. Aus irgendeinem Grund, vielleicht auch weil damals noch in höheren Felsschichten gewaltige Schätze zu finden waren, befolgte Durin den Rat und ließ die Treppe zumauern, um niemanden der Versuchung auszusetzen. Irgendwann geriet sie in Vergessenheit, bis mein junger Freund hier“, – der König sah einen sichtlich stolzen Zwerg mit feuerrotem Bart an, - „in einem halbzerfallenen Buch die alte Geschichte wiederentdeckte. Wie ihr sicher wisst, sind unsere Mithril-Minen beinahe erschöpft, was den Preis für Wahrsilber ins unermessliche steigen ließ. Also öffneten wir, wie in dem Buch beschrieben, die geheime Pforte, und stiegen hinab, hinab in die unermessliche Tiefe. Dort stießen wir auf Höhlen, gewaltige Höhlen, nicht von Zwergen erschaffen, doch auch nicht natürlichen Ursprungs. Wir gruben Stollen in die Felswand, und wir fanden tatsächlich viele Edelsteine und Gold, in unfassbaren Mengen. Doch vor allem fanden wir…“ König Durin winkte mit der Hand, woraufhin zwei Zwerge eine Schubkarre aus massivem Stahl hereinfuhren, deren Inhalt mit einem Tuch aus Goldfäden abgedeckt war, -„…dass hier gefunden. Sehet und staunet!“ – Mit diesen Worten zog der König das Tuch beiseite, und den umstehenden Zwergen entfuhren Ausrufe des Erstaunens und Unglaubens. Auf dem Karren lagen mehrere Klumpen aus Metall, deren Glanz sie eindeutig als Moria-Silber auswies. „Noch nie zu vor hat man dieses Metall in solchen Mengen und in solch reiner Form gefunden! Und da unten gibt es noch mehr, mehr als wir alle uns vorstellen können! Wir werden Paläste und Städte aus Zigil Khazad-Dûmu bauen, und aus ganz Mittelerde wird man kommen, um das größte Wunder der Welt zu sehen! Man wird uns die feinsten und edelsten Speisen als Geschenk darbringen, und man wird die Fertigkeit und Macht der Zwerge verehren!“ – Der seltsame Glanz in Durins Augen beunruhigte Rómestámo. Auch hatte er den König noch nie so euphorisch und ehrgeizig erlebt. Er sah dem König tief in die Augen und sprach: „Hört meine Worte, König Durin VI. von Zwergenbinge! Ich kann euer Vorhaben nicht gutheißen, denn die Gier ist euch ins Gesicht geschrieben, und der Wahn trübt euren Blick.“ – Das Gesicht des Königs verfinsterte sich. „Khûztargûn, wir gaben dir Unterkunft und Nahrung für viele Jahre, wir gaben dir große Schätze aus den Tiefen der Berge, und gewährten dir Einblick in einige der am besten gehüteten Geheimnisse unserer Kultur. Du hast uns deine ewige Dankbarkeit versichert und mir sogar nach alter Sitte der Langbärte bei den sieben Urvätern geschworen, mir beizustehen, sollte ich euch rufen. Ich rufe euch nun, euch, den wir Zwergenfreund nannten, erfüllt euren Eid!“ – Der Zauberer seufzte. „Was wünscht ihr, mein Herr? Ihr habt bisher noch nicht gesagt, worin euer Problem besteht.“ „Tief unten, jenseits der Mithrilvorkommen, gruben wir einen Stollen in den Fels hinein, da wir einen Schatz witterten, der alles andere übertreffen wird, was wir zuvor entdeckt haben. Doch wir stießen auf ein unüberwindbares Hindernis. Eine Wand aus Adamant, härter noch als unsere gehärteten Hacken aus Mithril. Kaum mehr als ein paar kümmerliche Kratzer fügten sie der Wand zu, bevor sie entzwei brachen. Deshalb bitte ich euch, der ihr von Fels und Stein mehr Ahnung habt als die meisten Zwerge, durchbrecht die Mauer dieser unermesslichen Schatzkammer, und ich werde euren Eid als erfüllt ansehen.“ Rómestámo blieb nichts anderes übrig, als der Aufforderung des Königs Folge zu leisten. Sie machten sich sofort auf den Weg. Sie durchquerten die einundzwanzigste Halle, und stiegen eine Treppe hinauf, in Richtung der Privatgemächer des Königs. Dort kamen sie an einer Tür aus massivem Mithril vorbei, hinter das Schlafgemach lag, in dem seit dem Unsterblichen immer nur die Zwergenkönige mit Namen Durin geschlafen hatten. (abgesehen von deren Ehefrauen, natürlich) In diesem Moment wurde der Zauberer von einem Zwerg mit schwarzem Haar und Bart angesprochen. Es war Náin, Sohn von Durin VI, Thronerbe von Khazad-Dûm: „Ich warne euch, wagt es nie wieder, meinem Vater zu widersprechen. Nie zuvor war unser Volk so glücklich und zufrieden wir jetzt, und nie hatten wir einen größeren König als Durin VI. Seine Befehle auch nur hören zu dürfen, sollte euch mit Ehre erfüllen. Ihr seid nicht vom Blute Durins, nicht einmal ein Zwerg seid ihr. Ich habe nie verstanden, warum mein Vater euch aufgenommen hat, doch wenn ihr unserem Volk und unserem König nicht treu bleibt, werde ich euch eigenhändig den schwarzen Abgrund am Osttor hinab werfen. Habt ihr meine Worte verstanden?“ – Der Zwergenprinz sah ihn scharf an. Doch der Zauberer erwiderte nichts. Náin wandte sich ab und würdigte ihn keines weiteren Blickes. Die Gruppe hielt nun ohne ersichtlichen Grund an, und König Durin VI betrachtete die glatte Felswand auf der linken Seite des Ganges. Er murmelte einige leise Worte, woraufhin sich eine Tür im scheinbar massiven Fels öffnete. Dem dunklen Gang dahinter folgend, kamen sie zu einer großen, abgenutzten Wendeltreppe, die in den lebenden Stein gehauen war. Licht spendeten ihnen einige Fackeln, sowie der Saphir auf der Spitze von Rómestámos Stab. Sie begannen den scheinbar endlosen Abstieg in unvorstellbare Tiefen. Es dauerte mehrere Tage, bis sie ihr Ziel erreichten. Sie mussten auf der Treppe übernachten, was der Zauberer als sehr unbequem empfand, den Zwergen jedoch nichts auszumachen schien. Die Luft war heiß und stickig in den seltsam geformten Höhlen, die vor ihnen lagen. Erleuchtet von unzähligen Fackeln, sahen sie eine Art rundlichen Stollen, der anmutete wie ein von einem gigantischen Wurm in den Fels gegrabenes Wurmloch. Viele Zwerge liefen fleißig umher, und ließen nur von ihrer Arbeit ab, um sich kurz vor dem König zu verneigen. Dieser schritt voran, geradewegs durch einen breiten Stollen in das am tiefsten gelegene Minensystem der bekannten (und unbekannten) Welt. Nicht einmal die Verließe von Utumno lagen so tief. Adern aus allen bekannten Edelmetallen liefen durch den Stein zu beiden Seiten, an dem wie besessen einige Zwerge hämmerten und klopften. Vor ihnen lag nun ein schmalerer Stollen, der ziemlich hastig in den Fels gehauen war. „Dies ist der Pfad unserer Hoffnungen auf unermessliche Schätze.“, sagte der König. Nach einiger Zeit endete der Weg abrupt an einer schwarzen Wand. Adamant, das härteste bekannte Material in Mittelerde, war bisher nur einmal in großen Mengen zum Bau eines Gebäudes benutzt worden, und dabei war sehr viel Magie im Spiel gewesen. „So, nun zeigt einmal, was ihr könnt, Zauberkünstler!“, spottete Náin, was seinem Vater einen strengen Blick entlockte. Rómestámo trat vor, und holte tief Luft. Er hatte ein seltsames Gefühl bei dieser Sache, und wollte es so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er legte seine Hand auf den Fels, und sprach eine Menge Zaubersprüche in verschiedenen Sprachen. Einige ließen den Boden unter ihren Füßen für einen Moment erbeben, andere ließen die schwarze Felswand erzittern, doch keiner erbrachte den gewünschten Erfolg. Wie immer, wenn ihm etwas auch nach Stunden nicht gelang, wurde er wütend. Und es gibt nur wenige Dinge, die gefährlicher sind als ein wütender Zauberer. „Du hast es nicht anders gewollt!“, schrie er die Wand an. „Jemand möge den König in Sicherheit bringen, denn ich werde jetzt ein Wort der Macht sprechen, und das kann für Nahestehende recht unangenehm werden!“ Er hob seinen Stab in die Luft, und die Zwerge suchten das Weite. Mit donnernder Stimme rief er „Cara Moreondo!“, und schlug seinen Stab mit unfassbarer Wucht gegen den Fels. Es gab einen blendenden Blitz, und ein Teil der Wand zerbarst in kleine, scharfkantige Kristallsplitter. König Durin VI. kam als erster herbeigeeilt, eine Fackel in der Hand. Doch der Zauberer war besorgt, und hielt den König zurück: „Ich fürchte um euer Leben, mein König, wenn ihr dieses Loch durchquert. In dem Moment, als die Wand zerbrach, spürte ich die Anwesenheit eines anderen Wesens. Irgendeine uralte Macht schlummert in diesem Hohlraum, und ich würde sie lieber nicht aufwecken.“ – „Was redet ihr da, Narr! Niemand ist in dieser Kammer, sie war fest verschlossen. So fest, dass selbst ihr sie nur mit Müh und Not aufbekommen habt. Lasst mich durch, oder ihr bekommt mein Schwert zu spüren! Lasst mich durch! Oder wollt ihr eure Hand gegen den König erheben?“ – König Durin VI hatte sein schimmerndes Schwert auf den Rómestámo gerichtet, und in seinen weit aufgerissenen Augen brannte die Gier nach unendlichem Reichtum. Der alte König kletterte durch das Loch, und ignorierte die scharfen Kanten, die sich sogar durch seine Rüstung in seine Hände und seine Knie bohrten. Für einen kurzen Moment enthüllte des Königs Fackel einige große, dunkle Kristalle, die aus den Wänden der Kammer ragten. Doch dann verblasste das Licht der Fackel, und war schon bald nicht mehr zu sehen. Rómestámo spürte eine Bewegung in der Finsternis, einen feinen Lufthauch, und aus der Höhle ertönte ein lauter, verzweifelter Schrei. Náin wollte seinem Vater zur Hilfe eilen, doch der Zauberer hielt ihn zurück. „Ich werde gehen.“ Mit einer unerklärlichen Angst betrat der Zauberer den Hohlraum. Er benutzte nun erneut seinen Stab als Fackel, und sah sich erstaunt um. Er befand sich in einer riesigen Geode, einem Hohlraum im Fels, an dessen Innenwänden Kristalle gewuchert waren, und die man deshalb auch Druse nennen konnte. Doch für gewöhnlich waren diese Gesteinsformationen nicht größer als ein Apfel, nur selten war eine über einen Meter groß. Diese jedoch war gigantisch. Die hintere Wand war nicht zu erkennen. Riesige, dunkle Kristalle, einige drei Meter im Durchmesser und zehn in der Länge, standen aufrecht oder schräg auf dem Boden, der mit kleineren Kristallen bedeckt war, oder lagen, abgebrochen, herum. Im blauen Licht des Zauberstabes erschienen sie sie schwarz, doch in Wirklichkeit waren sie blutrot. Als er über einige der Kristalle hinweg kletterte, sah er in einer Senke im Boden den leblosen Körper des Zwergenkönigs liegen. Er sprang hinab, packte den bewusstlosen Zwerg, und kletterte unter großen Mühen die glatten Kristalle hinauf. Doch da war noch etwas anderes. Etwas bewegte sich in der Dunkelheit, unsichtbar, doch nicht unbemerkt. Ein uraltes Wesen, älter noch als das Geschlecht der Zwerge, älter als die Welt. Rómestámo hatte Mühe, nicht in Panik zu verfallen, da er den Zwergenkönig und seinen Zauberstab tragen musste, kaum Halt an den rutschigen Kristallen fand, und sich eine unbekannte Bedrohung näherte. Nun begann auch noch das Licht aus seinem Stab zu verblassen, und er sah kaum noch, wohin er ging. Mit letzter Kraft gelang es ihm, sich zu dem Loch, das er in die Druse geschlagen hatte, hochzuziehen. Draußen angekommen, nahm die unerklärliche Angst in seinem Herzen zwar ab, aber die Sorge um König Durin VI wuchs. Náin nahm seinen Vater in die Arme, und legte ihn, mit den Füßen zu dem schwarzen Loch, sanft auf den Boden und bettete den Kopf des Königs auf seine Knie. Er schüttete ihm etwas Wasser aus einer Metallflasche ins Gesicht, und rief in ihn der Zwergensprache an, er möge aufwachen. Tatsächlich begann dieser langsam, seine Augen zu öffnen, nur um sie dann plötzlich in Panik weit aufzureißen und mit zitterndem Finger auf die Öffnung im Fels zu zeigen. Als sie ihre Augen dorthin wandten, blieb ihnen fast das Herz stehen. Direkt hinter dem Loch waren zwei feurige Augen zu sehen, die sie mit einer allesdurchdringenden Bedrohlichkeit ansahen. Mit panischen Schreien ergriffen nun die meisten Zwerge die Flucht. Nur Náin und der Zauberer blieben bei dem erneut in Ohnmacht gefallenen König, den Rómestámo nun erneut aufhob, und von diesen furchterregenden Augen fortschleppte. Plötzlich hörten sie hinter sich das Bersten von Adamant und Fels, als sich das Wesen den schmalen Weg verbreiterte, um hinaus auf den Gang zu treten. Der Zauberer warf sich in eine schmalen Seitengang, und zog den Sohn des Königs mit sich. Sie hielten den Atem an, und auch ihre Herzen schienen einen Moment auszusetzen. Der Fackelschein auf dem Gang verblasste, als sei dem Feuer die Luft ausgegangen. Eine finstere Präsenz war zu spüren, die Gegenwart eines Wesens, das an Grausamkeit und Tücke so reich war wie die Zwerge an Gold. Nun schob sich ein Schatten durch den Gang, und in dem Schatten war vage ein Umriss zu erkennen, vielleicht von Menschengestalt, doch größer. Er bemerkte sie nicht, und setzte seinen Weg unbeirrt fort. Die unheimliche Bedrohung fiel von ihren Herzen ab, doch gleichzeitig kam ihnen schlagartig die Erinnerung an den König wieder. Náin hielt seine Tränen nun nicht länger zurück. „Vater, wach auf! Vater!“ Und erneut schlug der König langsam seine Augen auf. Er erkannte seinen Sohn, und sagte mit schwacher Stimme: „Mein Sohn! Was habe ich getan? Vergib mir, mein Sohn, vergib mir! Ich habe unser Schicksal besiegelt. Ich war blind, blind vor Gier! Warum, in Mahals Namen, habe ich nicht auf den weisen Rat gehört, den ich so oft zu hören bekam? Ich verfluche das Gold in der Tiefe, und ich verfluche das Wahr-Silber! Tod-Silber nenne ich es, denn nichts als den Tod bringt es uns. Meine Gier… ist mein Fluch! Verflucht bin ich, und verflucht sind wir alle! Mein Sohn, lasse mich zurück, und fliehe von hier. Lerne aus meinen Fehlern, und werde ein besserer und weiserer König als ich es war. Lass mich hier zurück, denn ich… ich verdiene nichts als den Tod. Lasse mich hier zurück, und fliehe! Und ihr, Zauberer, ich flehe euch an: Schützt meinen… meinen Sohn!“ Mit diesen Worten schloss der König seine Augen für immer. Náin brach in Tränen aus, und umarmte seinen Vater, wobei er leise Worte auf Khuzdûl murmelte. Rómestámo versuchte, den Zwergenprinzen zur Flucht zu überreden, doch dieser schien ihm überhaupt nicht zuzuhören, bis er ihn auf einmal anschrie: „Verschwindet! Lasst mich allein! Ihr habt schon genug Unheil angerichtet!“ Da des Königs Sohn seine Hilfe offenbar nicht wollte, machte sich Rómestámo auf, um sie anderen anzubieten. Und in der Tat gelang es ihm, die Leben einiger Zwerge zu retten, indem er ihnen half, unbemerkt von dem bedrohlichen Schatten, der scheinbar ziellos umherwanderte und Zwerge tötete, zur Treppe zu gelangen. Als er sich sicher war, dass kein lebender Zwerg mehr in den Seitengängen unterwegs war, kehrte er zum Hauptgang zurück, wo er Náin mit dessen sterbendem Vater zurückgelassen hatte. Doch Náin war nicht dort. Er musste sich des letzten Wunsches seines Vaters erinnert, und die Flucht ergriffen haben. Allerdings hatte er vorher noch einige Steine über der Leiche seines Vaters aufgeschichtet, damit er wenigstens ein einfaches Grab hatte. Nun machte sich auch der Zauberer auf den langen, beschwerlichen Weg zurück in die Zwergenstadt. Ab und zu lag ein Zwerg auf der Treppe, der an seinen Verletzungen gestorben war. Nach mehreren Tagen erreichte er endlich den Gang bei den königlichen Schlafgemächern, und ließ sich erschöpft gegen die Tür aus Mithril sinken. Er fiel in einen unruhigen Schlaf. Was ihn genau geweckt hatte, wusste er nicht. Vielleicht einfach sein Instinkt, der ihn vor einer drohenden Gefahr warnte. Die gedämpften, aber dennoch tief dröhnenden Schritte, die langsam näher kamen, trieben ihm den Angstschweiß auf die Stirn, ohne dass er genau sagen konnte, was an diesem Wesen ihm solche Angst einjagte. Doch von allen fünf Zauberern war er schon immer der furchtsamste gewesen, Olórin oder Alatar wären sicher nicht, wie er jetzt, davongerannt. Doch als er das große, offene Tor durchquerte, dass den Ein- und Ausgang der königlichen Gemächer darstellte, erinnerte er sich, wer er eigentlich war, und blieb stehen. Langsam drehte er sich um. Die dunkle, schattenumhüllte Gestalt raste auf ihn zu. Er musste etwas tun. Jetzt! Er holte mehrmals Luft, und rief: „Lacho sern a sairch-en-îul!“ Es gab einen blendend weißen Feuerblitz, und die Decke des Ganges vor ihm krachte. Genau vor den Füßen des dunklen Wesens stürzten einige glühende und brennende Felsbrocken zu Boden. Die grausige Gestalt sah ihn an. Dann krachte es wieder, und weitere Felsmassen versperrten den Weg. Das letzte, was er sah und hörte, war eine schwarze Gestalt, die von den Flammen umzüngelt wurde, und einen tiefen, rasselnden Schrei ausstieß. Dann herrschte Stille. Mit wankenden Schritten ging der erschöpfte Zauberer weiter, die Treppe hinab, zur 21. Halle, von wo es nicht mehr weit war bis zum Thronsaal, wo er Náin vermutete. Doch er musste ihn nicht suchen, denn er kam ihm bereits entgegen. Als er die Halle betrat, stand ein grimmig dreinblickender Zwergenprinz vor ihm. Auf seinem Kopf ruhte die Mithrilkrone des verstorbenen Königs. „Da ist er ja!“, rief er. „Mein Prinz… König Náin“, sagte Rómestámo mit müde Stimme. Ich habe den Angreifer aufhalten können, indem ich ihm den Weg zu eurer Stadt versperrte, doch ich fürchte, dass er sich einen anderen Weg suchen wird. Vielleicht solltet ihr die Stadt räumen lassen.“ – „Ihr seid verantwortlich für den Tod von Durin VI, meines Vater. Ihr hättet ihn abhalten können von seinem Wahn, doch ihr habt es nicht getan. Ihr habt ihm sogar noch Tür und Tor geöffnet und ihn geradewegs in sein Verderben geschickt. Doch ich fürchte, Durins Fluch wird unser aller Fluch sein. Dennoch, ich schwöre bei Durin dem Unsterblichen, solange ich lebe wird diese Stadt weder fallen, noch werden wir feige davonziehen und sie dem Ungeheuer überlassen. Rómestámo, den wir einst Khûztargûn nannten, ich verbanne euch hiermit aus dem Reich von Khazad-Dûm. Alle Aufzeichnungen über eure „Wohltaten“ werden vernichtet, schon allein die Erwähnung eures Namens wird unter Strafe gestellt. Ihr werdet schon bald vergessen sein vom Volk der Langbärte. Nehmt eure Sachen und verschwindet! Und sollte euch jemals der Gedanke kommen, zurückzukehren, bedenkt dies: Tief ist der Abgrund am Osttor, und lang und grausam ist der Fall in den Tod. Und nun verschwindet!“ – „Rómestámo, von dieser Ächtung vollkommen überrascht, suchte schnell seine wertvollsten Sachen zusammen, und verließ die Stadt über die Brücke von Khazad-Dûm und das Osttor. Kapitel 5 - Drachenblut und Reisepläne Jálerh schrie auf, sein Gesicht von Schmerzen verzerrt. Er versuchte, sein Bein aus der Umklammerung zu lösen, doch eisern hielt ihn die Hand fest. „Jetzt halt doch still, ich hab’s doch gleich… ein wenig Geduld noch… und… fertig!“ Augenblicklich ließ der Schmerz nach, und der Atem des Jungen beruhigte sich wieder. Der alte Mann sah ihn mit frohen Augen an. „Diese Salbe aus Drachenblut und Düsterwald-Schwarzrosen-Extrakt hat bisher noch jeden Knöchel geheilt. Mein Kollege drüben in Rhosgobel hat das Zeug erfunden. Nur dass er anstatt Drachenblut Kaninchenexkre-… ach, lassen wir das. Jedenfalls ist er ein Tierfreund, der keinem Drachen auch nur eine Schuppe gekrümmt hätte, was jedoch nicht heißt, das diese ihn genauso behandelt hätten. Drachen zählen zu den gerissensten und verschlagensten Geschöpfen, die man finden kann. Wenn sie dich nicht vorher finden…“ – „Drachen? Drachenblut? Gibt es sowas überhaupt? Und wenn ja, wie kommt ihr an sowas ran? Ich meine, wenn ihr das Blut eines Drachen für eure Heilsalben verwendet, müsst ihr ja einen getötet haben, oder?“ – „Ja, ja, natürlich, mit einem scharfen Schwert, in der Tat. Damit sollten all deine Fragen beantwortet sein. Wenn du jedoch Details willst, muss ich dich vorerst enttäuschen, denn das ist eine weitere lange Geschichte, und ich bin schon müde. Vielleicht ein andermal.“ – „Um nochmal auf eure Geschichte von vorhin zurückzukommen: Was war das für ein unheimliches Wesen, von dem ihr erzählt habt?“ Die Augen des alten Mannes wurden glasig, und schienen in eine unermessliche Ferne zu blicken. „Ich weiß es nicht. Ich habe einen starken Verdacht, doch ich wage es nicht, ihn auszusprechen. In dem Moment, als die Felsbrocken ihm den Weg versperrten, sah er mich an, und seine schattenhafte Gestalt wurde von Flammen umlodert. So etwas ist nur von sehr wenigen Geschöpfen bekannt, eigentlich nur…“ – „Ja? Was wollt ihr sagen, mein Herr?“ – „Nichts, ich… ich habe dir für heute genug erzählt. Du allerdings hast bisher fast die ganze Zeit nur da gesessen und brav deinen Mund gehalten. Ich bitte dich, erzähle mir von deiner Heimat. Von deiner Familie, von der Stadt und den Leuten, alles, was du für interessant hältst. Ich weiß über die Stadt nur das, was ich den bruchstückhaften Berichten wortkarger Zwergenhändler entnehmen konnte.“ Jálerh dachte einen Moment nach, setzte sich auf und begann zu erzählen. Er berichtete Rómestámo alles ihm bekannte Wissenswerte über die Landstriche am großen Binnenmeer von Rhûn, zumindest über die Ländereien, die dem Statthalter von Dûleng Suûrtan unterstanden. Er sprach von den armen Bauern, die mehrmals wöchentlich Frondienst leisten mussten, und hohe Abgaben an Nahrungsmitteln entrichten mussten, damit die Fürsten der Stadt nicht ihr „teuer erworbenes Geld“ für die üppigen Festmähler aufwenden mussten, die in der Stadthalle abgehalten wurden. Auch berichtete er von den Kämpfen in der Arena, die dafür sorgten, dass die Gefängnisse meist recht leer waren. Denn neun von zehn gefassten Straftätern wurden in der Stadt zum Kampf in der Arena verurteilt, und nur einer von zwanzig überlebte das mehr als zwei Wochen. Der Zauberer lauschte ihm gebannt, stellte ab und an eine Frage, oder stellte irgendeine Sache richtig, über die er besser Bescheid wusste. Nun kam Jálerh auf ein Thema zu sprechen, das den Zauberer noch mehr als alles andere zu interessieren schien: „In der Mitte der Stadt steht der schwarze Tempel. Er ist von einem Graben umgeben, und wird rund um die Uhr bewacht. Alle elf Tage läuten die großen Glocken am Abend, und einige Leute in schwarzen Roben eilen dorthin. Niemand weiß genau, was dort vor sich geht, aber um Mitternacht wollen einige Leute Trommeln gehört haben. Einer hat sogar behauptet, er habe einen Schrei gehört.“ Der Zauberer wirkte beunruhigt. „Das kommt mir sehr bekannt vor. Diese Kulte sind weiter im Süden noch wesentlich zahlreicher, sie verehren den Herrn des schwarzen Landes, das große Auge, und mache beten sogar zu dem dunklen Feind der Welt, der draußen in der Leere gebunden ist. Was genau diese Kultisten dort in ihren Sitzungen treiben, entzieht sich meiner Kenntnis. Diese Kulte sind zumeist auch vollkommen unabhängig voneinander, sodass ich nicht sagen kann, was mich erwarten wird. Ein einziges Mal habe ich einem Treffen solcher Leute beigewohnt, in Khand, weit im Süden. Sie beteten zu einer Statue des Herrn von Mordor, er möge sie vom Tode erlösen und ihnen ewiges Leben schenken. Als wir uns ihnen zeigten, flohen sie entsetzt. Saruman meinte, als Anhänger des großen Auges würden sie uns als seine Feinde fürchten, und in uns das Licht sehen, das dem finsteren Treiben ihres Herrn Einhalt gebietet. Doch ich glaube, es lag eher daran, dass wir haargenau der Beschreibung entsprachen, die ein Überlebender des Massakers von Utkassim ihnen überbracht hat.“ – „Moment mal…“, Jálerh war (wieder einmal) etwas verwirrt, „Großes Auge? Wie das Symbol in dem… dem Kopf, und am Tor des Tempels? Und wer bitte ist Saruman?“ – „Das große Auge ist das Symbol des Herrn des schwarzen Landes, von Mordor. Davon hast du aber sicher schon gehört, ist ja schließlich fast um die Ecke.“ – „Nun, man sagt, im Süden liege eine dunkle Wüste, die von einem Gebirge wie eine Mauer umgeben sei. Dort habe vor Tausenden von Jahren ein großer König geherrscht, der mächtigste und bedeutendste aller Zeiten. Doch er wurde gestürzt, heißt es. Verraten und getötet, von einem Aufstand der bösartigsten und grausamsten Menschen dieser Welt. Manche sagen, es seien sogar Elben dabei gewesen, finstere Wesen mit leuchtenden Augen und Schwertern, die sich durch die härtesten Rüstungen brennen. Doch wenn ihr mich fragt, hatten diese Leute einmal zu oft deutlich zu viel getrunken.“ Der Zauber runzelte die Stirn, unsicher ob er belustigt oder entsetzt sein sollte übe diese Verfälschung der Geschichte. Da er zu keinem Ergebnis kam, murmelte er nur: „In der Tat hat sich das etwas anders…“ – „Saruman. Ihr wolltet mir sagen, wer das ist.“ – „Nun, Saruman der Weiße ist der Oberste des Ordens der Wissenden. Er ist der weiseste und klügste der Zauberer, und seine Stimme ist wie ein Schwert, das den Ungerechten Reue verspüren und den Unwilligen zum Wohl von Mittelerde kämpfen lässt. Er ging mit mir und meinem Freund Alatar in den Osten, um die Künste des Feindes zu erforschen und die Völker des Ostens zu unterstützen. Irgendwann trennten sich unsere Wege, und nur meinen alten Freund Alatar sehe ich noch ab und zu. Doch auch das ist eine recht lange Geschichte. Jedenfalls habe ich mich entschieden, dich nach Dûleng Suûrtan zu begleiten, und mir diesen „Tempel“ mal genauer anzuschauen.“ – „Was? Ja, aber…“ – „Keine Widerrede, ich komme mit, oder wir gehen beide allein dorthin, nur dass ich vor dir ankommen werde. Außerdem brauche ich einen Führer, jemanden, der sich in der Stadt auskennt. Und da ich außer dir dort niemanden kenne…“ – Rómestámo sah im tief in die Augen – „…bestehe ich darauf, dass du mich begleitest.“ – Nun gut!“, antwortete Jálerh, noch nicht vollkommen überzeigt von der Vertrauenswürdigkeit des Mannes, „Ich werde mit euch gehen. Ich kenne den schnellsten Weg zur Stadt.“ – „Nein…“, antwortete der Zauberer mit einem schelmischen Grinsen, „...Ich kenne den schnellsten Weg zur Stadt. Du wirst schon sehen, was ich meine.“ – Der Junge musste gähnen, worauf der alte Mann aufstand und sagte: „Da du nun endlich ebenfalls müde zu sein scheinst, werde ich jetzt das Feuer löschen, und schlafen gehen. Folge mir, ich zeige dir deine Kammer.“ Der Zauberer nahm seinen Zauberstab, flüsterte „Gwanno Naur!“, und rammte das untere Ende des Stabes in die Flammen. Augenblicklich wurde es stockdunkel. Doch der alte Zauberer entzündete nun den Kristall in seinem Stab, der unter dem Tuch versteckt gewesen war, und ein blaues, kühles Licht erhellte die kugelrunde Kammer. Sie gingen über eine der Steinbrücken, hinein in den dunkeln Gang, und der Zauberer wies auf eine Holztür zu seiner Rechten. „Hier kannst du schlafen. Es ist sauber, trocken, und frei von Staub. Das Licht brennt bereits. Gute Nacht.“ Jálerh trat durch die Tür in eine kleine, gemütlich eingerichtete Kammer, in deren Ecke auf einem Steinvorsprung eine kleine, aber helle Öllampe stand. Es dauerte nicht lange, dann blies er die Lampe aus und legte sich in das Bett, das zwar aus Stein, jedoch hervorragend gepolstert war. Es dauerte kaum fünf Minuten, da war er eingeschlafen.
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