Berenfox Geschrieben 24. Mai 2014 Geschrieben 24. Mai 2014 Vor einer halben Stunde hat der Postbote geklingelt und mir ein lang ersehntes Päckchen in die Hand gedrückt: "Beowulf. A Translation and Commentary, together with Sellic Spell". Das Buch ist gerade frisch erschienen und vereint zwischen seinen Deckeln mehrere Ergebnisse der Auseinandersetzung J.R.R. Tolkiens mit dem altenglischen "Beowulf"-Epos: Den größten Teil des Buches machen eine Prosaübersetzung des "Beowulf" und ein ausführlicher Kommentar Tolkiens zum "Beowulf" aus. Zusätzlich wurden noch zwei Schmankerl hinzugefügt: "Sellic Spell" ist eine eigenständige Nacherzählung der Beowulf-Geschichte, und das "Lay of Beowulf" ist ein Versuch, den "Beowulf" in poetischer Form wiederzugeben. Beide sind leider nur sehr kurz und unvollendet. Tolkien hatte sich als Professor in der Fachwelt einen Namen gemacht mit seinen Forschungen zum "Beowulf". Die Texte in diesem neuen Buch waren nie für die Veröffentlichung bestimmt, und sie haben für die Fachwelt sicher nur einen begrenzten Wert. Was wir hier jedoch vor uns haben ist Tolkien mitten in seinem Arbeitsprozess - wie wir ihn bereits aus der "History of Middle-earth" kennen - und seine Gedankengänge zu seinem vielleicht wichtigsten beruflichen Projekt. Sicher keine Lektüre für jedermann, aber für den, der sich mit Tolkiens Denken und den Einflüssen auf sein literarisches Werk interessiert, garantiert eine Goldgrube. Gelesen habe ich das Buch natürlich noch nicht, aber meine Finger kribbeln schon. Also mach ich mal nen Punkt und melde mich bei Gelegenheit wieder. Zum Schluss aber noch ein paar Zeilen aus dem "Lay of Beowulf": Grendel came forth at dead of night; the moon in his eyes shone glassy bright, as over the moors he strode in might until he came to Heorot. Dark lay the dale, the windows shone; by the wall he lurked and listened long, and he cursed their laughter and cursed their song and the twanging harps of Heorot. The lights were quenched and laughter still; there Grendel entered and ate his fill; and the blood was red that he did spill on the shining floor of Heorot. No Dane ever dared that monster meet, or abide the tramp of those dread feet; in the hall alone he held his seat the demon lord of Heorot. At morn King Hrothgar on his throne for his lieges slain there mourned alone but Grendel gnawed the flesh and bone of the thirty thanes of Denmark. A ship there sailed like a wingéd swan, and the foam was white on the waters wan, and one there stood with bright helm on that fate had brought to Denmark. Zitieren
Torshavn Geschrieben 24. Mai 2014 Geschrieben 24. Mai 2014 Vielen herzlichen Dank für die erste Einschätzung und den Ausschnitt aus dem 'Lay of Beowulf'. Ich bin gespannt und neugierig wie Dein Urteil nach der Lektüre ausfällt Zitieren
Berenfox Geschrieben 24. Mai 2014 Autor Geschrieben 24. Mai 2014 Nachdem ich mich eben sofort über das "Lay of Beowulf" hergemacht habe (leider viel zu kurz, es wundert mich sehr, dass Tolkien ausgerechnet diese für ihn so zentrale Thematik nicht in ein voll ausgearbeitetes Gedicht gegossen hat), habe ich gerade noch "Sellic Spell" gelesen, was übersetzt etwa "Erstaunliche Geschichte" heißt. Es ist eine etwa 25-seitige Kurzgeschichte, in der Tolkien die Beowulf-Legende eigenständig nacherzählt und in gewissem Maße die angelsächsische Legende hinter dem Beowulf-Gedicht zu rekonstruieren versucht. Sie liest sich sehr gut und gibt einen konzentrierten Überblick über die Geschichte und einige Motive. Bin sehr gespannt, inwiefern mir die Lektüre später beim Lesen der Beowulf-Übersetzung helfen wird. Zitieren
Beleg Langbogen Geschrieben 15. Dezember 2014 Geschrieben 15. Dezember 2014 (bearbeitet) Kurze Zwischenfrage: Ich habe hier eine detsche Version von Beowulf herumliegen (Martin Lehnert, Reclam) und bin auf folgende Stelle gestossen (beim Kampf Beowulfs gegen Grendels Mutter): Es trug dann die Wölfin des Meeres, als sie auf den Wassergrund gelangt war,den Herrn der Ringe zu ihrer Behausung hin,so dass er nicht vermochte, so mutig er auch war, Waffen zu verwenden. Jetzt nahm es mich natürlich wunder, was es mit der Umrscheibung "Herr der Ringe" für Beowulf auf sich hat? In der englischen Übersetzung habe ich folgende Version gefunden: The sea-wolf bare then, when bottomward came she, The ring-prince homeward, that he after was powerless (He had daring to do it) to deal with his weapons. Weiss da jemand mehr dazu? Ist das einfach eine Bezeichnung als Edelmann und weiter nichts? Bearbeitet 15. Dezember 2014 von Beleg Langbogen Zitieren
beadoleoma Geschrieben 15. Dezember 2014 Geschrieben 15. Dezember 2014 zum Thema Ring-... in Beowulf habe ich das hier gefunden:http://csis.pace.edu/grendel/projs2003a/Johane,Heidi&Yee/Ring.htm Es wäre noch interessant zu sehen, was im Originaltext an dieser Stelle steht. Hast du eventuell eine Zeilenangabe oder so? Zitieren
Cadrach Geschrieben 15. Dezember 2014 Geschrieben 15. Dezember 2014 1506–9, also im Altenglischen: Bær þá séo brimwylf þá héo tó botme cóm hringa þengel tó hofe sínum swá hé ne mihte —nó hé þæs módig wæs— waépna gewealdan ac hine wundra þæs fela Zitieren
beadoleoma Geschrieben 15. Dezember 2014 Geschrieben 15. Dezember 2014 Mein Wörterbuch sagt: Prinz, nur in poetischen Texten. Die angegebene Beispieltextstelle ist genau die, die du gefunden hast. Bosworth-Toller (online-Wörterbuch) gibt u.a. auch die gleiche Stelle an. Von den beiden Stellen wo das Wort auch bei Ceadmon in seinen biblischen Erzählungen vorkommen soll habe ich sie nur einmal gefunden, da wird der Begriff 'manna þengel' (übersetzt als prince of men) verwendet. Auf jeden Fall kommt es wohl aus dem Isländischen... wieder was gelernt. Zitieren
Beleg Langbogen Geschrieben 15. Dezember 2014 Geschrieben 15. Dezember 2014 (bearbeitet) zum Thema Ring-... in Beowulf habe ich das hier gefunden:http://csis.pace.edu/grendel/projs2003a/Johane,Heidi&Yee/Ring.htm Sehr interessant – etwas in diese Richtung hatte ich auch schon vermutet. Wenn ich mich recht entsinne gab es im (frühen) mitteleuropäischen Lehenssystem eine ähnliche Praxis, wo der Vasall vom Lehensherr einen Ring erhielt, den er dann als Zeichen der Treue trug. Mir bleibt aber unklar, wie genau das in diesem Kontext und bezogen auf Beowulf zu interpretieren ist, bzw. ob da mehr drann ist als einfach eine Umschreibung seiner fürstlichen Abstammung. Die Übersetzung als "Ring-Prinz" oder "Prinz der Ringe" scheint ja schonmal nicht weit daneben zu liegen. Bearbeitet 15. Dezember 2014 von Beleg Langbogen Zitieren
beadoleoma Geschrieben 15. Dezember 2014 Geschrieben 15. Dezember 2014 Hmm. Aus der Hüfte geschossen würde ich sagen dass es sich nur auf seine hochgeborene Abstammung bezieht. In der altenglischen Poesie ist es ja üblich viele verschiedene Umschreibungen für eine Person oder Sache zu verwenden, statt immer den Namen zu wiederholen. In Zeile 1487 sagt Beowulf übrigens zu Hrothgar "béaga bryttan", was hier (http://www.heorot.dk/beowulf-rede-text.html) mit 'dispenser of rings' übersetzt wird, wobei aber bei Bosworth-Toller steht, dass brytta auch "prince, lord" heißen kann. Also wieder "lord of (the) rings". Wenn man das ganze Kapitel anschaut kann man die Ring-Bezeichnung meiner Meinung nach auch konkreter interpretieren. Beowulf bittet Hrothgar, der ihm Gold gegeben hat (also evtl auch goldene Ringe?), dieses seinen Leuten zu überbringen, falls er - Beowulf - den Kampf mit Grendels Mutter nicht überlebt. Es könnte also ganz konkret um die Beziehung zwischen Beowulf und Hrothgar gehen, in der der eine vom anderen Gold bekommen hat. Und in Zeile 1507 wird das dann wieder aufgegriffen... Ich glaube ich muss es langsam doch mal ganz lesen. Zitieren
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