Blauborke Geschrieben 29. Februar Geschrieben 29. Februar vor 6 Stunden schrieb Elda: mir fällt hier auf, dass das ja große Ähnlichkeit hat mit den Frauen in Helms Klamm, wenn ich mich nicht irre? Ich hab gerade natürlich mehr den Film im Kopf als das Buch, aber ist es da nicht genau so, dass die Frauen sich selbst-organisiert in die Berge führen und dort verschanzen? Im Buch führt Eowyn die Leute von Edoras nach Dunharg, nachdem Théoden ihr die Regierungsgeschäfte, sowie Schwert und Harnisch übergeben hat. Als die Reiter in Helms Klamm ankommen, sind die Frauen und Kinder aus der Westfold bereits in die Höhlen geschickt worden. Es gibt also schon Unterschiede. Ich muss zugeben, dass ich mich mit dem Begriff "Kuriosität" schwertue. Bei allem, was wir zu Recht kritisieren, ist es dennoch nicht so, dass Tolkien sich über seine Frauenfiguren lustig macht oder sie vorführt. Zitieren
Eldacar Geschrieben 29. Februar Autor Geschrieben 29. Februar Sie vorzuführen oder ähnliches werfe ich Tolkien gar nicht vor. Ich bin der festen Überzeugung, dass er sie selbst so für gut und ausgewogen befunden, wie er sie geschrieben hat. Ich verstehe unter Kuriosität letztlich einfach die Frauen, die ihre Rolle als Hausfrau und Mutter durchbrechen und u.a. auch militärisch oder politisch aktiv werden, was offenbar in der Geschichte selbst immer wieder als etwas Bemerkenswertes, Sonderbares oder Verwunderliches dargestellt wird und eben nicht als etwas, dass Frauen ganz allgemein einfach in der Lage sind zu tun. Eben etwas Kurioses. Zitieren
gathame Geschrieben 29. Februar Geschrieben 29. Februar Stimmt, "Kuriosität" ist als Begriff nicht so ganz passend. Das kann man schon leicht als abwertend verstehen oder eben auch in dem Sinne dass man sich da über etwas lustig macht. Und Tolkien macht sich über seine Frauenfiguren tatsächlich nicht lustig, und die werden da auch nicht irgendwie vorgeführt. Er akzeptiert durchaus dass sich zum Beispiel Eowyn in der gegebenen Lage so verhält wie sie es tut, und er beschreibt ja auch wie erfolgreich sie als Kriegerin ist. Es ist halt bloß so, dass eine Frau die sich so verhält für ihn eine absolute Ausnahmeerscheinung ist. Das ist schon irgendwie zeitbedingt, aber für uns heute eben nicht mehr mehr so richtig nachvollziehbar. Im Buch führt Eowyn die Leute also schon von Edoras an nach Dunharg, auf Theodens Befehl hin, das macht tatsächlich einen Unterschied. Im Film übernimmt sie diese Aufgabe erst unterwegs, in der Szene wo die kampffähigen Männer sich vom Rest der Gruppe trennen um den Wargangriff abzuwehren. Theoden ist übrigens interessant in dieser Hinsicht, denn offensichtlich hat er keinerlei Probleme damit einer Frau die Regierungsgeschäfte und auch Schwert und Harnisch zu übergeben. Zitieren
beadoleoma Geschrieben 1. März Geschrieben 1. März Ich finde den Begriff Kuriosität sogar sehr passend - wenn man ihn in seiner ursprünglichen Bedeutung von "besonders, ungewöhnlich" gebraucht. Für mich ist das nämlich der Knackpunkt bei eurer ganzen Diskussion, die ich jetzt schon eine Weile mitverfolge: es gibt zwar diese starken außergewöhnlichen Frauen, aber Tolkien stellt sie immer als die Ausnahme von der Norm dar. Er erkennt also an, dass es unter bestimmten Umständen nötig und möglcih ist von der gesellschaftlichen Norm abzuweichen, aber er stellt sie nie in Frage. 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 1. März Geschrieben 1. März (bearbeitet) vor 12 Stunden schrieb gathame: Es ist halt bloß so, dass eine Frau die sich so verhält für ihn eine absolute Ausnahmeerscheinung ist. Das ist schon irgendwie zeitbedingt, aber für uns heute eben nicht mehr mehr so richtig nachvollziehbar. Ich denke, es gibt zwei Faktoren, die dazu geführt haben, dass tendenziell emanzipierte Frauenfiguren die Ausnahmen in Tolkiens Werken sind. Das ist zum einen sicherlich Tolkiens katholischer, zivilisationskritischer Konservatismus und die damit verbundenen Vorstellungen von einer natürlichen Ordnung. Zum anderen ist es wohl auch in den literarischen Vorlagen begründet, die ihn dazu bewegt haben Mittelerde zu erschaffen. Dort sind handelnde Frauenfiguren ja auch eher die Ausnahmen. vor 12 Stunden schrieb gathame: Theoden ist übrigens interessant in dieser Hinsicht, denn offensichtlich hat er keinerlei Probleme damit einer Frau die Regierungsgeschäfte und auch Schwert und Harnisch zu übergeben. Genau genommen ist es Háma, der Théoden darauf aufmerksam macht, dass Éowyn großes Ansehen genießt und die Leute Éowyn als Regentin vertrauen und folgen würden. Théoden hat ja lange Zeit gar nichts mitbekommen. Er stimmt dem Vorschlag aber umgehend zu. Die Szene ist so aber, denke ich, noch weitaus interessanter. vor 21 Minuten schrieb beadoleoma: Ich finde den Begriff Kuriosität sogar sehr passend - wenn man ihn in seiner ursprünglichen Bedeutung von "besonders, ungewöhnlich" gebraucht. Für mich ist das nämlich der Knackpunkt bei eurer ganzen Diskussion, die ich jetzt schon eine Weile mitverfolge: es gibt zwar diese starken außergewöhnlichen Frauen, aber Tolkien stellt sie immer als die Ausnahme von der Norm dar. Er erkennt also an, dass es unter bestimmten Umständen nötig und möglcih ist von der gesellschaftlichen Norm abzuweichen, aber er stellt sie nie in Frage. Schön, dass du es noch mal auf den Punkt gebracht hast. Was aber die Verwendung des Begriffs Kuriosität angeht, ist da nicht eher der allgemeine Gebrauch entscheidend? Der Verweis auf seine ursprüngliche Verwendung in allen Ehren, aber wenn diese Art der Verwendung nicht mehr üblich ist ... Bearbeitet 1. März von Blauborke 1 Zitieren
beadoleoma Geschrieben 1. März Geschrieben 1. März vor 8 Minuten schrieb Blauborke: Schön, dass du es noch mal auf den Punkt gebracht hast. Was aber die Verwendung des Begriffs Kuriosität angeht, ist da nicht eher der allgemeine Gebrauch entscheidend? Der Verweis auf seine ursprüngliche Verwendung in allen Ehren, aber wenn diese Art der Verwendung nicht mehr üblich ist ... Da hast du natürlich völlig Recht. Ich fand es nur interessant, dass ihr gerade bei diesem Begriff gelandet seid, der (in seiner alten Bedeutung) genau meine Sicht der Dinge beschreibt. 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 1. März Geschrieben 1. März So gesehen ... hast du natürlich völlig Recht vor 20 Stunden schrieb Eldacar: Gerade im Kontext relativ bekannter historischer Beispiele, muss man sagen, dass Tolkien selbst seinen kuriosen Frauen, nicht die Rollen zugestand, die manche historische Vorbilder erreichten. Olga von Kiev führte Regierungsgeschäfte, reformierte das Tributsystem ihres Reiches, konvertierte die Rus zum Christentum und führte mehrfach erfolgreich Armeen an. Im byzantinischen Reich gab es recht regelmäßig Co-Kaiserinnen und De-facto Regentinnen wie Theodora Porphyrogenita oder Irene von Athen und als gebildeter Engländer dürfte Tolkien durchaus mit dem Boudiccan Destruction Horizon vertraut gewesen sein und der Frau, deren Rebellion ihn verursachte. Im Vergleich zu diesen Persönlichkeiten ist der Ausbruch aus Geschlechterrollen von Haleth oder Eowyn schon spürbar dezenter. Sofern für diese Charaktere auf historische Persönlichkeiten zurückgegriffen wurde, muss Tolkien eigentlich schon eine bewusste Entscheidung getroffen haben, diese nicht in all ihren Facetten umzusetzen. Man müsste mal genau schauen, welche Frauenfiguren in Mittelerde mit welchen historischen Frauen vergleichbar wären. Haleth ist als Anführerin einer relativ kleinen Ethnie sicher nicht mit Olga von Kiev vergleichbar, auch der Vergleich mit Boudicca würde beiden nicht gerecht. Andererseits gab es in der Historie auch nie eine Frau, die in der Lage war, eine Armee von Werwölfen und Vampiren in die Flucht zu singen 1 1 Zitieren
gathame Geschrieben 1. März Geschrieben 1. März Wenn ich es ganz kurz zusammenfassen sollte, würde ich sagen: Tolkien akzeptiert durchaus dass Leute in außergewöhnlichen Situationen (zum Beispiel in einem Krieg) außergewöhnliche Dinge tun, dass also beispielsweise Eowyn in den Krieg zieht. An seinem grundsätzlichen Verständnis davon was die naturgegebene Rollenverteilung ist ändert das allerdings nichts, es bestätigt das eher: "Ausnahmen bestätigen die Regel". - Ich habe eben etwas nachgelesen weil ich ein passendes Zitat dazu heraussuchen wollte und bin dabei auf eine komplette Textseite gestoßen die sehr viel über Tolkiens Frauenbild aussagt. Ich setze die jetzt einfach mal im Original hier rein. Es ist die Eowyn-Faramir-Szene aus dem Kapitel "The Steward and the King". ... Éowyn, do you not love me, or will you not?" "I wished to be loved by another", she answered. "But I desire no man's pity." "That I know", he said. "You desired to have the love of the Lord Aragorn. Because he was high and puissant, and you wished to have renown and glory and to be lifted far above the mean things that crawl on the earth. And as a great captain may to a young soldier he seemed to you admirable. For so he is, a lord among men, the greatest that now is. But when he gave you only understanding and pity, then you desired to have nothing, unless a brave death in battle. Look at me, Éowyn!" And Éowyn looked at Faramir long und steadily; and Faramir said: "Do not scorn pity that is the gift of a gentle heart, Éowyn! But I do no offer you my pity. For you are a lady high and valiant and have yourself won renown that shall not be forgotten; and you are a lady beautiful, I deem, beyond even the words of the Elven-tongue to tell. And I love you. Once I pitied your sorrow. But now, were you sorrowless, without fear or any lack, were you the blissful Queen of Gondor, still I would love you. Éowyn, do you not love me?" Then the heart of Éowyn changed, or else at last she understood it. And suddenly her winter passed, and the sun shone on her. "I stand in Minas Anor, the Tower of the Sun", she said; "and behold! the Shadow has departed! I will be a shieldmaiden no longer, nor vie with the great Riders, nor take joy only in the songs of slaying. I will be a healer, and love all things that grow and are not barren." And again she looked at Faramir. "No longer do I desire to be a queen", she said. Then Faramir laughed merrily. "That is well", he said; "for I am not a king. Yet I will wed with the White Lady of Rohan, if it be her will. And if she will, then let us cross the River and in happier days let uns dwell in fair Ithilien and there make a garden. All things will grow with joy there, if the White Lady comes." "Then must I leave my own people, man of Gondor?" she said. "And would you have your proud folk say to you: There goes a lord who tamed a wild shieldmaiden of the North! Was there no woman of the race of Númenor to choose?" "I would", said Faramir. And he took her in his arms and kissed her under the sunlit sky, and he cared not that they stood high upon the walls in the sight of many. And many indeed saw them and the light that shone about them as they came down from the walls and went hand in hand to the Houses of Healing. And to the Warden of the Houses Faramir said: "Here is the Lady Éowyn of Rohan, and now she is healed." 1 Zitieren
Eldacar Geschrieben 7. März Autor Geschrieben 7. März Am 1.3.2024 um 12:03 schrieb Blauborke: Man müsste mal genau schauen, welche Frauenfiguren in Mittelerde mit welchen historischen Frauen vergleichbar wären. Ob es dabei natürlich immer eine historische Vorlage gab, ist noch ne andere Frage, allerdings scheint mir im Falle Haleths Æthelflæd recht eindeutige Parallelen aufzuzeigen, auch wenn ihre Geschichten weit von deckungsgleich sind. 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 8. März Geschrieben 8. März Eine historische Person kann ja auch Inspirationsquelle für eine literarische Figur sein, ohne gleich mit allen Facetten übernommen zu werden. Welche Übereinstimmungen zwischen Æthelflæd und Haleth siehst du konkret? 1 Zitieren
gathame Geschrieben 8. März Geschrieben 8. März Die Antwort auf diese Frage würde mich auch interessieren. Und natürlich kann eine historische Person auch als Inspirationsquelle für eine literarische Figur dienen ohne dass man sie "eins zu eins" übernehmen muss. Ich würde übrigens noch in einer ganz anderen Richtung suchen: weniger bei historischen Personen und mehr bei Figuren aus altenglischen/keltischen/nordischen Sagen; aus diesem Bereich hat Tolkien ja auch sonst einiges übernommen. Aber leider kenne ich mich da so fürchterlich gut nicht aus. Hat da jemand eine Idee? 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 9. März Geschrieben 9. März vor 21 Stunden schrieb gathame: Ich würde übrigens noch in einer ganz anderen Richtung suchen: weniger bei historischen Personen und mehr bei Figuren aus altenglischen/keltischen/nordischen Sagen; aus diesem Bereich hat Tolkien ja auch sonst einiges übernommen. Wenn ich an Tolkiens Beschreibung der Haladin-Kultur denke, würde ich auch in der Antike suchen. Die ersten, die von Begegnungen mit Amazonen berichteten, waren die Griechen und sie haben damals diese Kulturen, wenn ich mich recht erinnere, auch schon als seltsam beschrieben. Und gab's bei den Römern in der Aeneis nicht die Figur der Camilla, die Anführerin der alten italienischen Stämme, die nur besiegt werden konnte, indem sie hinterhältig ermordet wurde? Ein Motiv, das interessanterweise so ähnlich in der Geschichte um Brünhild, Gunther und Siegfried im Nibelungenlied wieder auftaucht. 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 10. März Geschrieben 10. März (bearbeitet) Wenn ich darüber nachdenke, scheint es mir, als sei in all den Legenden, Epen und mythologisierenden Formen der Geschichtsschreibung so etwas wie ein Muster zu erkennen. Die kämpfenden Frauen werden immer besiegt, entweder indem sie sterben müssen oder von den Männern auf ihren Platz verwiesen werden. Das war bei Camilla so, bei Brünhild, bei Boudicca, bei den griechischen Amazonen und bei Æthelflæd in gewisser Weise auch. Mir scheint, es wird in den Texten wie in der Realität sogar ein Widerspruch konstruiert: Frauen dürfen entweder kämpfen oder ein Sexualleben haben und Kinder bekommen. Bei Brünhild ist es eindeutig, zuerst wird sie - mit fiesen Tricks - im Wettstreit besiegt, dann auf die gleiche Weise im Bett. Boudicca wird zuerst von den Römern als Herrscherin abgelehnt und durch Vergewaltigung tatsächlich und symbolisch ins Bett gezwungen. Als sie dann immer noch aufbegehrt und kämpft, wird sie auch militärisch besiegt und stirbt unter ungeklärten Umständen. Selbst im Fall von Æthelflæd gibt es den Versuch, die Rolle als Kämpferin und Mutter im Nachhinein als unvereinbar erscheinen zu lassen. Bei William of Malmesbury heißt es, Æthelflæd habe sich nach der schwierigen Geburt ihrer Tochter Ælfwynn entschieden enthaltsam zu leben, obwohl es keinerlei historische Überlieferung dazu gibt. Hinzu kommt, dass Ælfwynn nach dem Tod ihrer Mutter nicht lange auf dem Thron sitzen durfte; sie wurde bald von ihrem Onkel abgesetzt und ihr Herrschaftsgebiet dem seinen einverleibt. Abgesehen davon, dass wohl auch Aspekte historischer Personenen und literarischer Charaktere in Tolkiens Frauenfiguren einfließen, lassen sich bei ihm Variationen dieses Darstellungsmusters finden. Etwa bei Haleth, bei Éowyn, bei Aredhel oder bei Goldbeere. Bearbeitet 10. März von Blauborke 1 Zitieren
gathame Geschrieben 10. März Geschrieben 10. März Doch, dieses Muster existiert eindeutig. Und das übernimmt ja auch Tolkien der das offensichtlich für den normalen Lauf der Dinge hält. Die kürzlich hier von mir zitierte Eowyn-Szene ist genaugenommen das klassische Beispiel dafür. Eowyn ist ja nun durchaus eine erfolgreiche Kriegerin und wird als Kriegsheldin gepriesen, aber als geheilt und mit sich selbst im reinen gilt sie erst wieder nachdem sie in die traditionelle Frauenrolle zurückkehrt und einwilligt einen standesgemäßen Mann zu heiraten. Tolkien sieht Eowyn ja nun offensichtlich als eine durchaus positive Figur, aber doch letztlich vor allem deshalb weil es da eben diese Rückkehr in ihre "natürliche" Rolle gibt. Was übrigens die Antike als Vorbild für Tolkiens Kriegerinnen betrifft: die Amazonen-Sagen der Griechen spielen da schon wirklich eine Rolle. Historisch belegt sind diese Amazonen ja nicht direkt, aber es lässt sich doch halbwegs zurückverfolgen woher diese Vorstellung bei den Griechen stammt. Sie lokalisieren die Amazonen grob gesagt im Gebiet um das Schwarze Meer, und bei den damals dort lebenden Skythen gab es ja nachweisbar durchaus Kriegerinnen. Es ist übrigens interessant wie lange man davon ausging, dass Frauen sich entweder für ihre "natürliche" Rolle, also Ehe/Mutterschaft/Haushalt, entscheiden müssen oder aber dafür beruflich Karriere zu machen, eventuell auch in Bereichen die als "männlich" galten. Tolkien ging zweifellos davon aus dass diese Entscheidung getroffen werden muss, weil sich die beiden Dinge nicht miteinander verbinden lassen. Genau das zeigt ja die Eowyn-Geschichte sehr gut. Kleines Beispiel dazu, aus meiner eigenen Familiengeschichte: eine Cousine meiner Großmutter war eine der ersten Frauen in Deutschland die Medizin studiert haben, gleich nachdem das erlaubt wurde (Anfang des 20. Jahrhunderts). Sie wurde auch durchaus akzeptiert, aber sie blieb das "Fräulein Doktor": "Natürlich heiratet die nicht, da wäre ja das ganze Studium sinnlos geworden." - Für die, die das glücklicherweise schon nicht mehr wissen: "Fräulein" war die übliche Anrede für unverheiratete Frauen jeglichen Alters. 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 10. März Geschrieben 10. März vor 3 Stunden schrieb gathame: Doch, dieses Muster existiert eindeutig. Und das übernimmt ja auch Tolkien der das offensichtlich für den normalen Lauf der Dinge hält. Ja, solch ein Muster findet sich auch bei Tolkien, aber in abgewandelter Form; das was bspw. Gunther und Siegfried mit Brünhild abgezogen haben, hätte Tolkien seinen Helden nie erlaubt. 1 Zitieren
gathame Geschrieben 10. März Geschrieben 10. März Das allerdings ist wahr. Dieses Muster findet sich bei Tolkien, was ja auch wenig überraschend ist. Zu den Autoren, die die grundlegenden gesellschaftlichen Normen ihrer Zeit in Frage stellen, gehört er ja nun wohl eher nicht. Und damals war diese Vorstellung von der Rolle der Frau tatsächlich noch eine grundlegend gesellschaftliche Norm. Und so etwas wie die Brünhild-Geschichte hätte er natürlich nicht geschrieben, das hätte er seinen Helden nie erlaubt, wie du das so schön formuliert hast. Tolkiens Helden sind ja genaugenommen schon recht brav und in Sinne der Zeit moralisch korrekt, das ist eine der Sachen die mich bei Tolkien immer ein bisschen stören. 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 11. März Geschrieben 11. März (bearbeitet) Um nun noch mal auf die Haleth/Æthelflæd-Relation zurückzukommen: ich denke, Eldacar liegt mit seiner These nicht ganz falsch. Die Darstellung der Æthelflæd kommt der Figur der Haleth schon recht nahe, insbesondere wenn man die Malmesbury-Fama mit einbezieht. Nach dieser Deutung wird auch sie zu einer auf Kinder verzichtenden Amazone, die ihr Territorium erfolgreich gegen Invasoren verteidigt. Wie Haleth wird sie nach dem Verlust männlicher Angehöriger zur Anführerin. Im Unterschied zu Haleth wird sie dabei aber durch die feudale Ordnung unterstützt. Insofern könnte Haleth tatsächlich so etwas wie eine egalitärere Version Æthelflæds sein. Bearbeitet 11. März von Blauborke 1 Zitieren
Eldacar Geschrieben 21. März Autor Geschrieben 21. März Das sind im Grunde die Parallelen, die ich auch gesehen habe. Entschuldige, irgendwie hatte ich ganz vergessen, dir deine Frage zu beantworten und dann hast du es schon selbst getan. Außerdem, glaube ich, ist ein Argumentationsstrang unserer Diskussion hier allmählich etwas vom eigentlichen Thema abgedriftet. Vielleicht lohnt sich ein eigener Thread bzgl. (möglicher) historischer Vorbilder für (weibliche) Charaktere in Tolkiens Welt, in dem man dann vielleicht auch (etwas fundiert) spekulieren könnte. 2 Zitieren
Blauborke Geschrieben 22. März Geschrieben 22. März Tatsächlich habe ich mich immer mal wieder gefragt, ob es in konkreten Fällen reale Vorbilder für Tolkiens Charaktere gab oder nicht. Lobelia Sackheim-Beutlin etwa: gab es da eine Person in Tolkiens Leben, die die Figur mit ihren Verhaltensweisen angereichert hat oder repräsentiert die Figur einfach einen bestimmten Typus, der einem immer wieder mal im Leben oder in der Literatur begegnet? Oder Galadriel: von ihr weiß man, dass sie sozusagen en passant beim Verfassen des Herrn der Ringe entstanden ist, es gab keine Vorstudien oder so etwas; und Tolkien stand dann vor der Aufgabe, sie ins Silmarillion einzufügen. Was ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigt hat. Wurde Galadriel also womöglich ausschließlich aus den inneren Notwendigkeiten der Geschichte heraus geformt? Was das eigentliche Thema des Threads angeht, haben wir das denn schon abschließend behandelt? Tolkiens Frauenfiguren tauchen ja in sehr unterschiedlichen Konstellationen auf (Aredhel und Erendis bspw.) und es gibt sehr unterschiedlich konzipierte Charaktere, die manchmal gar nicht, manchmal nicht ohne Einschränkungen emanzipierte Frauen darstellen oder darstellen könnten - und es gibt Galadriel. 1 Zitieren
Eldacar Geschrieben 27. März Autor Geschrieben 27. März Ich würde nicht sagen, dass wir unser Thema hier wirklich abschließend behandelt haben, nein. Bestenfalls könnte man sagen, wir haben ein Argument erschöpft, nämlich dass anhand historischer Vergleiche in Tolkiens Werken klargemacht werden kann, dass emanzipatorische Tendenzen von (prominenten) weiblichen Charakteren als (kuriose) Normabweichung dargestellt werden, wodurch die Bedeutung dieser Tendenzen untergraben wird. Man könnte das ganze natürlich noch in einem anderen Kontext betrachten, nur bin ich mir noch unschlüssig wie genau, damit man auch wirklich stichhaltige Informationen daraus ziehen kann. Am 22.3.2024 um 14:19 schrieb Blauborke: Oder Galadriel: von ihr weiß man, dass sie sozusagen en passant beim Verfassen des Herrn der Ringe entstanden ist, es gab keine Vorstudien oder so etwas; und Tolkien stand dann vor der Aufgabe, sie ins Silmarillion einzufügen. Was ihn bis zu seinem Lebensende beschäftigt hat. Wurde Galadriel also womöglich ausschließlich aus den inneren Notwendigkeiten der Geschichte heraus geformt? Das ist mir tatsächlich neu und klingt sehr vielversprechend. Hast du ein paar Quellen dazu, wo man was dazu nachlesen kann? 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 28. März Geschrieben 28. März Am 27.3.2024 um 10:13 schrieb Eldacar: Bestenfalls könnte man sagen, wir haben ein Argument erschöpft, nämlich dass anhand historischer Vergleiche in Tolkiens Werken klargemacht werden kann, dass emanzipatorische Tendenzen von (prominenten) weiblichen Charakteren als (kuriose) Normabweichung dargestellt werden, wodurch die Bedeutung dieser Tendenzen untergraben wird. Letztlich wird es wohl auch immer darauf hinauslaufen. Auch im Fall Galadriels, selbst wenn sich meine Vermutung, dass es für sie keine historische oder literarische Vorlage gab, bestätigen sollte. Denn selbst dann findet sich in ihrer Konzeption immer auch die Konzeption der Elben wieder. In dieser gibt es zwar eine ziemlich weit gehende Gleichstellung von Mann und Frau, sowohl was Rollenzuweisungen angeht, als auch hinsichtlich der Ausweisung „natürlicher“ geschlechtsspezifischer Eigenschaften, ganz frei davon ist sie dann aber doch nicht. Am 27.3.2024 um 10:13 schrieb Eldacar: Hast du ein paar Quellen dazu, wo man was dazu nachlesen kann? Tolkien beschreibt in einem Brief an den Literaturkritiker W.H. Auden, wie er vom Hobbit ausgehend zum Herrn der Ringe kam, an welchen Aspekten er anknüpfte, weist dann aber gleich darauf hin, dass sehr vieles zufällig zu Papier gebracht wurde, unter anderem: „... of Lothlórien no word had reached my mortal ears till I came there“. Hammond und Scull greifen in ihrem Reader’s Companion das Zitat auf und ergänzen: „Nor is there evidence that he knew anything of Galadriel (or of Celeborn) until he came to write The Mirror of Galadriel, and he went on discovering more about her until the end of his life.“ 1 Zitieren
Eldacar Geschrieben 30. Juni Autor Geschrieben 30. Juni (bearbeitet) Irgendwie beschäftigt mich die Sache mit Galadriel immer noch, aber ich weiß nicht recht, daraus etwas zu machen. Ich habe auch nochmal etwas zu Entstehung, Einbettung und Anpassung ihrer Geschichte nachgelesen und fand dafür besonders The Fall and Repentance of Galadriel interessant. Die besondere Aufmerksamkeit, die Tolkien ihr offenbar zugestand, lässt sich bestimmt für die Frage dieses Threads verwenden, aber wenn, dann ist es für mich jedenfalls alles andere als offensichtlich wie. Und dabei geht es mir gar nicht um das Podest als Celestial Woman, auf das sie gestellt wird (auch weil dieses Motiv vermutlich eher unbewusst eingeflossen ist, vgl. Zitat unten), sondern eher darum, wieso Tolkien ihr überhaupt eine solche besondere Aufmerksamkeit in Form irgendeines Podestes schenkte. Schließlich gibt es auch andere weibliche literarische Stereotype, die er hätte verwenden können und keines trifft gänzlich auf sie zu. "We will see that Galadriel and Lothlorien share a number of previously unremarked similarities with the celestial ladies and earthly paradises of the Divine Comedy and Pearl. It is, however, not necessary to assume that such similarities constitute deliberate allusions on Tolkien's part, or even that he was consciously appropriating material from Dante or the Pearl-poet. This material was simply embedded in Tolkien's literary psyche, and its presence there seems likely at least to have colored Tolkien's presentation of Galadriel in The Lord of the Rings, whether Tolkien himself was conscious of such coloring or not." Shippey geht ja sogar in Road to Middle-Earth so weit, Tolkien ein weiches Herz (soft-heartedness) in Bezug zu Galadriel "vorzuwerfen". Lässt dieser Narr, den er offenbar an ihr gefressen hat, überhaupt auf etwas schließen? Bearbeitet 30. Juni von Eldacar 1 Zitieren
Blauborke Geschrieben 1. Juli Geschrieben 1. Juli (bearbeitet) Ich finde schon, dass die beiden Texte etwas hergeben. Aber vielleicht nicht das, was man sich erhofft. „The Fall and Repentance of Galadriel“ ist ja im wesentlichen eine Synopsis der für die Genese der Figur Galadriel relevanten Textstellen, zu der Lakowski wenig eigene Interpretation hinzufügt. In der Zusammenschau der Textstellen wird allerdings noch mal deutlich, dass nicht nur die Entstehungsgeschichte der Figur Galadriel eine Geschichte der Entwicklung ist, sondern Galadriel auch eine Figur ist, die eine Geschichte der Entwicklung durchlebt. Das ist bereits so in „Der Herr der Ringe“ angelegt und es hat sich in allen weiteren Bearbeitungsphasen auch nicht mehr geändert. Bei vielen Interpretationen wird das ja gerne vernachlässigt und Galadriel als unveränderlicher, ewig gleichbleibender Charakter behandelt. In „Cordial Dislike“ werden zwar nachvollziehbar manche Parallelen zwischen Dantes „Inferno“, dem „Pearl“ Gedicht und den Galadriel in Lothlorien Kapiteln aufgezeigt. Aber ich sehe es auch so wie du, dass vermutlich eh niemand annimmt, dass Tolkien davon unbeeinflusst gewesen sein soll. Außerdem handelt sich bei den aufgeführten Beispielen um in der Literatur häufig anzutreffende und wiederkehrende Motive und um tradierte Farbsymbolik. Die interessantesten Stellen sind meines Erachtens deshalb diejenigen, aus denen sich die Unterschiede zwischen den drei Texten und zwischen den Figuren Beatrice, Pearle und Galadriel herauslesen lassen. Es zeigt sich, dass Galadriel eben nicht, und vor allen Dingen nicht Zeit ihres fiktiven Lebens, die ausschließlich Trost spendende und Orientierung gebende transzendente Erscheinung ist. Eben das, die Tatsache, dass sie eine sehr diesseitige Entwicklungsgeschichte hat, sich verändert, und neben Größe und Güte auch gefährliche Abgründe Merkmale ihres Charakters sind, machen für mich die eigentliche, die emanzipatorische Errungenschaft bei der Entwicklung dieser Figur aus. Wenn Tolkien kurz vor seinem Tod glaubte, es sei nötig, noch einmal eine neue Version der Galadriel schreiben zu müssen, war das aber, so wie ich die Fassung aus der "History of Middle-earth" kenne, vielleicht doch eher in konzeptionellen Erwägungen begründet als in einem weichen Herz. Bearbeitet 1. Juli von Blauborke 2 Zitieren
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