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Tolkien & Rassismus


Empfohlene Beiträge

Geschrieben

Ich denke gathames Erklärung war sehr gut. Was ist denn eine Gesellschaft, wenn nicht die Summe der Individuen? Und wir, die wir Teil der gesellschaftlichen Mehrheit sind sagen oder machen manchmal Dinge, die Rassistisch sind, ohne es zu merken. Da geht es nicht unbedingt um das krasse Zeug, sondern darum, dass z.B. Lehrer beim Elterngespräch schon mal davon ausgehen, dass es eine Sprachbarriere geben wird wenn eine Mama mit Kopftuch am Elternsprechabend zur Tür reinkommt.

Das muss nicht mal unbedingt böse gemeint sein und kann auch teilweise auf Erfahrungen beruhen. Für die Schüler-Mama ist es aber doch wieder einer von Zug tagtäglichen Nadelstichen, wenn der Lehrer offensichtlich ganz langsam und deutlich mit ihr spricht, obwohl sie vielleicht selber in Deutschland geboren wurde und einen Abschluss in Germanistik hat.

Ich weiß nicht, ob "ich glaube nicht an strukturellen Rassismus" die richtige Grundhaltung ist um ergebnisoffen über Rassismus zu diskutieren.

Geschrieben
vor einer Stunde schrieb beadoleoma:

Ich weiß nicht, ob "ich glaube nicht an strukturellen Rassismus" die richtige Grundhaltung ist um ergebnisoffen über Rassismus zu diskutieren.

Okay. Hier werden offenbar "Grundhaltungen" für falsch oder richtig gehalten.

Soweit sind wir schon,.

Ich bin draußen aus diesem Thread. 

Geschrieben
Am 22.3.2021 um 14:12 schrieb gathame:

Ich habe meine Meinung nicht geändert, schon allein deshalb nicht weil ich eben noch keine feststehende Meinung zu diesem Thema hatte. Und genau das ist wahrscheinlich das Problem. Die Sache läuft bei mir irgendwie zweigleisig. Vom Verstand her sehe ich die hier vorgebrachten Argumente die besagen dass Tolkien und sein Werk eben gerade nicht rassistisch sind. Diese Argumente sind einleuchtend, und wenn ich hier wissenschaftlich diskutiere (das heißt so wissenschaftlich wie ich das halt kann) stimme ich ihnen zu. Aber das verändert, wie ich mehr und mehr merke, mein irrationales Gefühl nicht dass da in dieser Hinsicht "etwas nicht stimmt". - Ist unglücklich formuliert, ich weiß, aber anders kann ich es nicht ausdrücken.

Wahrscheinlich sollte ich es lieber bleiben lassen dieses Thema zu diskutieren.

Ich werde hier jetzt keine wissenschaftlich Abhandlung reinbringen, ob Tolkien Rassist war. Aber ich glaube, ich verstehe, was Gathame meint, wie sie zu ihrem unguten Gefühl bezüglich Rassismus kommt.
Und weil ich ein unverbesserlicher Anhänger von Beispielen bin, formuliere ich es anhand eines Beispiels und vielleicht kann Gathame dann rückmelden, ob ich richtig liege.

Wenn man gestalked wird, dann sind das viele kleine Dinge, die einem stören. Kerl X steht morgens vor meinem Haus und grüßt. Das ist für sich genommen kein Grund, sich aufzuregen. Kerl X steht an der Schlange im Café hinter mir. Er wollte halt auch einen Kaffee, kein Grund sich aufzuregen. Kerl X sitzt in der Pizzeria gegenüber und schaut mir beim Essen zu. Mei, ich sitze in seiner Blickrichtung, keine Sorge.
Kerl X ruft an und entschuldigt sich, weil er sich verwählt hat, er nimmt ein Päckchen für mich an, weil er da war und ich nicht.
Ich will das gar nicht länger ausbreiten, ihr wisst, was ich meine.
Jedes einzelne Ereignis für sich ist absolut erklärbar und überhaupt kein Grund, sich aufzuregen.
Alle Ereignisse zusammen genommen, machen ein ungutes Bauchgefühl. Und es ist genau das Problem, jemandem, einem Polizisten oder seiner besten Freundin zu erklären, warum man sich Sorgen macht und unwohl fühlt. Man kann den Finger nicht auf ein bestimmtes, alles erklärendes Ereignis legen.
Es ist die Summe der kleinen Dinge, die einen insgesamt stört
@Gathame: Komm ich damit deinem Empfinden nahe?

Geschrieben

Wie du gesehen hast bin ich auch ein unverbesserlicher Anhänger von Beispielen. Die stimmen selten ganz genau, aber sie sind eine große Hilfe um klar zu machen was man meint. und dein Stalking-Beispiel kommt dem was ich gemeint habe wirklich sehr, sehr nahe.

Und ich glaube auch dass wir in dieser Diskussion nicht an dem Thema "struktureller Rassismus" vorbeikommen. Ich glaube sogar dass es hier vor allem genau darum geht. Aggressiven und direkten Rassismus werden wir bei Tolkien vermutlich wirklich nicht finden, dazu war er zu intelligent, und dazu hatte er auch zu viel Stil.

Aber Rassismus ist eben nicht immer laut und deutlich und aggressiv, Rassismus muss nicht mal notwendigerweise böse gemeint sein. Beadoleoma hat da ein Beispiel geschrieben das die Sache sehr genau trifft: die Mutter mit Kopftuch beim Elternabend, und der Lehrer spricht langsam und deutlich mit ihr weil er automatisch unterstellt dass sie nicht so gut deutsch kann. Vielleicht hat er ja sogar recht, dann ist das wirklich hilfreich, und in jedem Fall will er der Frau nichts Böses, er will ihr helfen. Aber auf diese Frau wirkt das vielleicht vollkommen anders, sie empfindet es so dass sie mal wieder nicht ernst genommen und für blöd gehalten wird.

Mir geht es tatsächlich um strukturellen Rassismus bei Tolkien. Ich werde mir sowie ich Zeit dazu kriege mal einen Tolkien-Text vornehmen und an diesem Text zu erklären versuchen was ich meine.

Geschrieben

Zweierlei habe ich heute festgestellt. Erstens: nach einem geeigneten Text zu suchen und den dann zu analysieren wird zu langwierig. Und zweitens (durch etliches Nachlesen in den alten Beiträgen in diesem Thread): es geht hier tatsächlich um strukturellen Rassismus. Und um zu zeigen wo man den zum Beispiel in "Herr der Ringe" erkennen kann brauche ich erst mal keine Textzitate, das kann ich auch an Beispielen zeigen die uns vermutlich allen gegenwärtig sind.

Aggressiven Rassismus, im Sinne von massiv abwertenden Äußerungen gegen andere Völker, sehe ich in "Herr der Ringe" tatsächlich nicht, außer eventuell irgendwann mal in einzelnen Äußerungen einzelner Figuren. Solche Reaktionen gibt es allenfalls auf die Orks, und die sind ein Sonderfall, da sowohl im Buch als auch in der Verfilmung eindeutig klar gemacht wird dass dies kein Volk im üblichen Sinne ist sondern im Grunde das Ergebnis von Zuchtversuchen und/oder künstlichen Veränderungen im Erbgut. 

Was ich allerdings sehe, und zwar durchgängig, ist, dass man bestimmten Völkern als Ganzes bestimmte Eigenschaften zuschreibt. Das müssen nicht mal schlechte Eigenschaften sein, aber sie werden halt als typisch für das gesamte Volk beschrieben. Zwerge sind fleißig und geschickte Handwerker. Das kann natürlich zutreffen, wahrscheinlich sogar auf eine ganze Reihe von ihnen, aber was ist bitte mit dem Zwerg der "zwei linke Hände hat" und den es mit Sicherheit auch gibt? Hobbits sind desinteressiert an allem was sich jenseits ihrer Landesgrenze abspielt. Und was ist mit Bilbo, der ja nun zweifellos ein Hobbit ist und sich eben genau dafür interessiert?

Irritierend finde ich auch die zahlreichen ausführlichen Stammbäume, insbesondere die der Hobbits, die ja im Gegensatz zu denen der Menschen- oder Zwergenkönigen für die Handlung völlig belanglos sind. Und auch hier werden den Familien bestimmte Eigenschaften unterstellt die man dann bei jedem Mitglied dieser Familie vorzufinden erwartet.

Genau dies sind die Dinge, die mich an "Herr der Ringe" stören: da wird eigentlich dauernd unterstellt dass jemand so oder so ist, einfach weil er einem bestimmten Volk oder einer bestimmten Familie angehört. Und genau da, wo man anhand der Herkunft annimmt wie jemand ist und welche Eigenschaften er hat, fängt für ich der strukturelle Rassismus an.

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  • 4 Wochen später...
Geschrieben

Kleiner Disclaimer zu Anfang: Ich habe nicht alle 30 Seiten dieses Threads gelesen, bevor ich meinen Beitrag hier verfasst habe und möchte mich deshalb entschuldigen, falls ich etwas schreibe, dass bereits gesagt wurde o.ä.

Was gathame anführt, ist wohl richtig. Es werden Völkern und Familien schlicht aufgrund ihrer Herkunft bestimmte Eigenschaften zugeschrieben, und wenn mir jemand in einem Gespräch erzählen würde, dass z.B. alle Türken faul wären, einfach weil das in ihrer Natur läge, so wäre diese Person auf jeden Fall rasisstisch. Das wäre nicht tolerabel und steht hier nicht zur Diskussion.

Dennoch frage ich mich, inwiefern es sinnvoll ist, die Probleme unserer Welt auf eine ausgedachte Zivilisation zu projizieren. Und dabei verneine ich keineswegs, dass die reale Welt und ihre Strukturen Einfluss auf den Autor und seine Geschichte hatten. Können wir überhaupt, und wenn ja inwieweit, aufgrund der Phantasie eines Menschen auf seine Geisteshaltung zurückschließen?

Bzw. anders gefragt: Schriebe ich ein Buch und meine erdachten Charaktäre würden den Krieg gutheißen, könnte ich als Autor dennoch Pazifist sein? (Vielleicht nicht das beste Beispiel aber das, was mir grad in den Sinn kam.)

 

  • 3 Wochen später...
Geschrieben

Hallo zusammen,

 

ich bin ja nun neu hier und habe zugegebenermaßen noch nicht den gesamten Thread durchgelesen. Das werde ich aber wahrscheinlich noch. Heute Abend möchte ich zum einen ein paar Ressourcen zum Thema hier hineinwerfen - wenn die ganz oder teilweise schon verlinkt wurden, bitte ich um Entschuldigung.

Los geht es mit zwei Episoden des Prancing Pony Podcast zum Thema:
https://theprancingponypodcast.com/2019/02/24/114-race-tolkien-and-middle-earth/
https://theprancingponypodcast.com/2021/01/10/192-race-tolkien-and-middle-earth-revisited/

Und dann Dr. Dimitra Fimis großartiger Blogbeitrag, mit dem Sie 2019 den Tolkien Society Award gewonnen hat:
https://theconversation.com/was-tolkien-really-racist-108227

Ebenfalls von Dimitra eine weitere Betrachtung zum Thema, Transcript einer Vorlesung:
http://dimitrafimi.com/2018/12/02/revisiting-race-in-tolkiens-legendarium-constructing-cultures-and-ideologies-in-an-imaginary-world/

Und natürlich ihr unglaublich empfehlenswertes Buch:
http://dimitrafimi.com/books/tolkien-race-and-cultural-history-2/

 

Zum anderen ein kurzes Statement von mir, wie gesagt ohne auf bisherige Beiträge explizit Bezug zu nehmen - sorry.

Tolkien war meiner Einschätzung nach mit Sicherheit kein Rassist. Das kann man gut belegen anhand von Brief Nummer 30 an den Deutschen Verlag Rütten & Loening, die erwogen eine Deutsche Übersetzung des Hobbit herauszubringen und von Tolkien allen Ernstes einen Ariernachweis verlangten. Schwerer Fehler. Der Brief ist natürlich in "The Letters of J.R.R. Tolkien", aber auch hier online zu finden: http://witnify.com/j-r-r-tolkiens-letter-nazi-publisher/

Allerdings bedient sich Tolkien natürlich rassistischer "Tropes" und Narrative. Die Darstellung der Druedain ("Pukel-men") und ihres Anführers Ghan-buri-ghan im Herrn der Ringe wohl die Stelle mit dem größten "Cringe Factor". Menschenrassen anhand physiognomischer Merkmale zu unterscheiden und diesen Eigenschaften zuzuschreiben war zu Tolkiens Zeit "Stand der Wissenschaft". Nicht nur in Nazi-Deutschland, auch in Großbritannien.

Dem Gegenüber steht neben obigem Brief z.B. Sam Gamgees innerer Monolog in Ithilien angesichts eines toten feindlichen Kriegers:

Zitat

[... he ...] was glad that he could not see the dead face. He wondered what the man’s name was and where he came from; and if he was really evil of heart, or what lies or threats had led him on the long march from his home; and if he would not really rather have stayed there in peace- all in a flash of thought.

Also Tolkien ein Rassist: ein definitives Nein. Tolkiens Werk frei von Rassismus: ebenfalls ein definitives Nein. Es steht an uns als moderne Leser, die problematischen Stellen zu thematisieren und zu erläutern.

 

Liebe Grüße
Patrick

  • 4 Wochen später...
Geschrieben (bearbeitet)

Nun, die Elben sind zweifellos sehr gute Charaktere, aber in den Lothlorien Szenen wirken sie auf mich manchmal doch ein wenig rassistisch:

Da gab es beispielsweise im Roman die Szene, als die Gefährten nach Lothlorien kommen, und wo Haldir ihnen sagte, wenn sie Legolas nicht als einen Verwandten erkannt hätten, hätten sie die Gefährten nicht in den Wald gelassen. 

Auf mich wirkte das so, als ob die Elben von Lothlorien nur noch anderen Elben den Weg nach Lothlorien freigeben.

Beim Lesen stellte sich mir da folgende Frage:

Was, wenn eine Gruppe von Zwergen hilfesuchend nach Lothlorien gekommen wäre, aber ohne Begleitung eines Elben? 

Hätten sie diese Zwerge in ihren Wald gelassen? 

Ich fand die Stelle, an der Gimli sich die Augen verbinden sollte, ein wenig rassistisch, da kam sehr gut das Misstrauen zwischen Elben und Zwergen zum Tragen. 

Diese Frage stellt sich mir bei der Lektüre des Romans schon, ob die Elben in Lothlorien einer Gruppe Zwerge, die beispielsweise auf der Flucht vor Orks aus Moria entkommen wäre, in iDiehrem Wald Zuflucht gewährt hätte. 

Die Elben von Lorien waren doch gutmütige, freundliche Wesen, dass sie Fremde nicht mehr in ihren Wald ließen, passte dazu irgendwie nicht. 

Ich hab mich bei dieser Szene immer gefragt, was wohl geschehen wäre, wenn ein paar Zwerge ohne elbische Begleitung in den Wald gekommen wären´. 

 

Aber ich denke, Tolkien war kein Rassist, sondern Kind seiner Zeit, und zu der Zeit als er den Herrn der Ringe schrieb, wiesen viele Länder Flüchtlinge ab, damals waren die meisten Ländergrenzen eher verschlossen, und die Menschen damals dachten sich nichts dabei, das floss wohl auch in den Roman ein. 

Völker wie die Elben blieben im Roman meistens unter sich...auch..während die Gefährten im Roman in Lorien waren, hatten sie kaum Kontakt zu den dortigen Elben, die zwar sehr freundlich zu ihnen waren, aber einen richtigen Austausch der Völker gab es wohl nicht. 

Alle Völker in Tolkiens Roman blieben meistens unter sich, aber das war wohl dem damaligen Zeitgeist geschuldet, in der Welt in der Tolkien lebte, waren die meisten Länder noch sehr homogen und nationalistisch geprägt. 

 

So etwas wie im Hobbit, die Liebesgeschichte zwischen einer Elbin(Tauriel) und einem Zwerg(Kili) hätte es in Tolkiens Romanen noch nicht gegeben, auf so eine Idee kamen damalige Autoren nicht, weil es der Zeitgeist nicht hergab. 

Und bei heutigen Fantasyautoren wären es bestimmt nicht 9 männliche Gefährten, sondern es kämen auch Frauen hinzu. 

Und im Roman fiel auch auf, dass Celeborn mehr spricht als Galadriel, sie ist im Roman nur die "hohe Frau"; die Gattin von Celeborn, während sie im Film die Herrin von Lorien ist, und auch viel mehr zu sagen hat als Celeborn im Roman. 

Genauso mit Arwen: Bei Tolkien ist sie nur schmückendes Beiwerk zu Aragorn, und die heldenhafte Rettung Frodos kommt dem im Film nicht vorkommenden Glorfindel zu. 

Elbenfrauen spielen im Roman kaum eine Rolle....ich bin mir auch nicht sicher, ob Eowyn im Roman die gleiche heldenhafte Rolle wie im Film spielte. 

Das lag nicht daran dass Tolkien ein Macho gewesen wäre, das war er gewiss nicht, sondern es lag am rückständigen Frauenbild der 1940er und 50er Jahre, als der Roman geschrieben wurde. Damals wäre eine weibliche Hauptfigur undenkbar gewesen. 

Und Tolkien war auch kein Rassist, sondern ein Kind seiner Zeit, einer Zeit, die noch gar nicht multikulturell geprägt war. 

in heutigen Fantasyromanen findet man auch dunkelhäutige Könige, oder Vermischungen verschiedener Völker, das gab es damals nicht. 

Tolkien war eben ein Kind seiner Zeit, kein Rassist. Nur eben jemand, der nicht in einer multikulturell geprägten Gesellschaft lebte, sondern in einem England, in dem damals überwiegend weiße Menschen lebten. 

Bearbeitet von GaladrielOfLorien
Geschrieben

Danke für diesen ausführlichen Beitrag! Denn diesen Thread hier finde ich einfach vom Thema her sehr interessant, und ich fand es sehr schade dass die Diskussion hier wieder mal sehr lange eingeschlafen war. Ich möchte gern genau so ausführlich auf diesen Beitrag antworten, schaffe das aber heute nicht mehr (dies war ein sehr, sehr langer Tag) Also schreibe ich erst morgen.

Besonders dass du betonst dass Tolkien eben aus seiner Zeit heraus geschrieben hat und dass damals doch sehr viele Dinge anders gesehen wurden finde ich sehr wichtig. Und dazu kann ich halt wirklich einiges sagen weil ich diese Zeit noch miterlebt habe, ich bin ziemlich gleichaltrig mit "Herr der Ringe" und muss mich also bloß daran erinnern wie die Welt aussah als ich ein Kind war.

Geschrieben
vor 15 Stunden schrieb gathame:

Danke für diesen ausführlichen Beitrag! Denn diesen Thread hier finde ich einfach vom Thema her sehr interessant, und ich fand es sehr schade dass die Diskussion hier wieder mal sehr lange eingeschlafen war. Ich möchte gern genau so ausführlich auf diesen Beitrag antworten, schaffe das aber heute nicht mehr (dies war ein sehr, sehr langer Tag) Also schreibe ich erst morgen.

Besonders dass du betonst dass Tolkien eben aus seiner Zeit heraus geschrieben hat und dass damals doch sehr viele Dinge anders gesehen wurden finde ich sehr wichtig. Und dazu kann ich halt wirklich einiges sagen weil ich diese Zeit noch miterlebt habe, ich bin ziemlich gleichaltrig mit "Herr der Ringe" und muss mich also bloß daran erinnern wie die Welt aussah als ich ein Kind war.

Wow, ich finde es toll, dass es auch Herr der Ringe Fans in deiner Altersgruppe gibt:-)

Meine Eltern sind in deinem Alter, die können mit Fantasy so gar nichts anfangen, aber von ihnen weiß ich auch, wie damals die Welt aussah, eben dass Frauen leider nur als Hausfrau und Mutter gesehen wurde. 
Mein Vater und meine Mutter führten eine gleichberechtigte Ehe, da hatte meine Mutter Glück, denn damals durften Frauen ohne die Erlaubnis ihrer Männer nicht arbeiten, das war noch bis in die 1970er so. 

Und Tolkien ist ja noch viel älter als du, also 1892 geboren, er hat Frauen also vermutlich auch als Kind nur als Hausfrauen und Mütter erlebt, und deswegen sind auch in seinen Romanen Frauen nur Nebenfiguren. 

Wobei man Tolkien zugute halten muss, dass er mit Galadriel ein sehr beeindruckende Frauenfigur geschaffen hat, aber eben doch eine andere Figur als im Roman

Im Roman beispielsweise webt Galadriel mit ihren Mägden die Elbenumhänge, die die Elben den Gefährten schenken. Das ist typisch für das Frauenbild zu Tolkiens Zeit. 

Allerdings hat Tolkien im Roman auch geschrieben, Galadriel habe den weißen Rat gegründet, das ist dann eine kleine Abweichung vom Frauenbild jener  Zeit. 

Aber trotzdem ist auch Galadriel im Roman vor allem als Gattin dargestellt, während sie im Film eine modernere Rolle einnimmt. 

Bei Tolkien muss man einfach auch bedenken, dass er noch ein Kind des 19. Jahrhunderts war, also seine ersten 8 Lebensjahre in einem Jahrhundert verbrachte, als Frauen nichts als Ehefrauen und Mütter waren, was auch nach der Jahrhundertwende noch lange so blieb. 

Und das England seiner Zeit war sehr homogen, deswegen waren es auch die Völker in seinem Roman. 

Tolkien starb 1973, er hat also nicht mehr miterlebt, wie nach und nach die Gleichberechtigung von Mann und Frau Einzug hielt.

Ich bin 1980 geboren, habe aber Werbespots aus den 1950ern im Fernsehen gesehen, und war geschockt darüber, wie dort die Rolle der Frau war: 

Du kennst ja sicherlich diese Werbespots noch aus dieser Zeit, in denen Frauen immer als Hausfrauen, die dem Mann das Essen auf den Tisch bringen mussten, damit der Mann stahlt und glücklich ist, diese Werbespots erschienen jemandem wie mir, einem Kind der 1980er, immer sehr kurios, weil man da sah, dass Frauen doch noch sehr auf den  Haushalt beschränkt waren.

 

Geschrieben
vor 35 Minuten schrieb GaladrielOfLorien:

...

Im Roman beispielsweise webt Galadriel mit ihren Mägden die Elbenumhänge, die die Elben den Gefährten schenken. Das ist typisch für das Frauenbild zu Tolkiens Zeit. 

....

 

Ich glaube, das ist weniger dem Frauenbild Tolkiens oder seiner Zeit geschuldet sondern einfach eine Analogie zur (gehobenen) Frauenrolle im frühen Mittelalter.

Ähnliche Szenen findet man z. B. auch in "Die Nebel von Avalon" von Marion Zimmer Bradley, wo andauernd die weiblichen Mitglieder der Königshöfe spinnen, weben, nähen oder sticken und sich um die hauswirtschaftlichen Aspekte des Hofes kümmern.

Geschrieben

Stimmt schon: dieses ständige Spinnen, Weben und Nähen war einfach in einer mittelalterlichen Welt unvermeidlich. Alle Textilien die man braucht selbst herzustellen ist eine gigantische Aufgabe und braucht jede Menge Zeit, und da es andererseits eine vergleichsweise leichte und saubere Arbeit war blieb das halt an den "gehobenen" Frauen hängen.

Aber ich wollte ja auf das antworten was GaladrielOfLorien  gestern geschrieben hat. Zweierlei vorweg: mit Fantasy habe ich mich eigentlich erst beschäftigt seit ich über fünfzig war, und darauf gebracht haben mich meine Schüler (ich war Lehrerin) wofür ich ihnen durchaus dankbar bin. Zur Zeit arbeite ich mich durch Das Lied von Eis und Feuer/GOT und finde das ziemlich spannend. - Und die TV-Fernsehspots aus den fünfziger Jahren kenne ich auch inzwischen, aber damals kannte ich sie nicht; wir gehörten nicht zu den Leuten die sich Fernsehen leisten konnten.

Womit wir eigentlich schon bei dem Thema wären zu dem ich etwas sagen wollte. Ich denke auch, dass sowohl sehr viele Dinge in Tolkiens Werken, die heute ziemlich rassistisch wirken als auch die vergleichbare "Unwichtigkeit" von Frauen für die Zeit, in der sie geschrieben wurden, einfach so selbstverständlich waren dass niemand da groß drüber nachgedacht hat. Das war einfach so, und das stellte auch niemand großartig in Frage. Und dabei spielen vor allem drei Dinge eine Rolle, denke ich. Das erste ist ganz einfach dass man generell viel schlechter informiert war. Außer Tageszeitungen und Büchern gab es ja nur die Nachrichten im Radio oder im Fernsehen (falls man einen Fernseher hatte) und die "Wochenschau", eine zehnminütige Nachrichtensendung im Vorprogramm wenn man ins Kino ging, alles andere existierte nicht.

Die zweite wichtige Sache in diesem Zusammenhang ist dass man extrem wenige Kontakte zu Menschen aus anderen Ländern oder zu Menschen anderer Hautfarbe hatte. Die Sache mit den Auslandsreisen fing ja erst in den fünfziger Jahren so langsam an, und Reisen außerhalb Europas kamen erst viel später. Und als die ersten Italiener als "Gastarbeiter" zum Arbeiten nach Deutschland kamen war das eine exotische Sensation. Menschen aus anderen Ländern oder gar anderer Hautfarbe waren etwas mit dem man nur höchst selten in Berührung kam, und was einem so fremd ist, darüber entwickelt man halt schnell Klischeevorstellungen. Wenn damals ein dunkelhäutiger Mensch vorbei ging blieben die Kinder stehen und starrten ihm nach; meine Mutter gehörte zu den eher wenigen Leuten die den Hinweis für nötig hielten dass das unhöflich sei. Und ich habe 1970 mein Englisch-Abitur mit "gut" gemacht, einfach weil ich gut schriftliche Texte übersetzen konnte, etwas anderes verlangte kein Mensch; ich hätte damals nicht die simpelste Unterhaltung auf Englisch führen können.

Die dritte Sache ist vielleicht sogar die wichtigste von allen: man lebte in einer Welt in der jeder sehr genau wusste was "normal" war und in der man auch nichts anderes überhaupt für möglich hielt oder gelten ließ. Was natürlich zum Teil auch damit zusammenhing, dass man eben wirklich nichts anderes kannte. Ich habe das als Kind vielleicht deshalb besonders gut wahrgenommen weil ich von Anfang an auf der "falschen" Seite der Gesellschaft stand. Und deshalb kann ich diese Sache am besten erklären wenn ich mal kurz persönlich werde. Also, ich wurde 1952 geboren und bin in Deutschland West aufgewachsen, in einer kleineren Großstadt; auf dem Land wäre es schlimmer gewesen. Ich bin unehelich geboren, und das war damals wirklich noch ein Problem. Den "unehelichen Zahlvater" kannte ich nicht, das wäre auch unüblich gewesen, außerdem galt ich als mit ihm nicht verwandt, in dem Sinne, dass ich nicht erbberechtigt gewesen wäre. Zudem ging meine Muter natürlich arbeiten, sechs Wochen nach der Geburt, so etwas wie Elternzeiten gab es ja noch lange nicht. Also wuchs ich auch noch als "Schlüsselkind" auf, das einen Hausschlüssel dabei hatte weil niemand zu Hause war wenn es aus der Schule nach Hause kam. Ganztagsschulen oder nachmittägliche Betreuung irgendeiner Art gab es nicht, die war ja überflüssig weil die Frauen ohnehin zu Hause zu sein hatten. Eine verheiratete Frau durfte nur mit Zustimmung ihres Mannes berufstätig sein. "Schlüsselkinder" galten als verwahrlost, mit denen durften die meisten anständigen Kinder nicht spielen. Und dass ich Abitur gemacht habe war eigentlich schon ein kleines Wunder. Eine meiner Klassenlehrerinnen hat mir als Zwölfjähriger gesagt, so etwas wie ich gehört, wenn es denn schon existiert, ans Fließband und nicht in die höhere Schule. Sich gegen solche Äußerungen zu wehren wäre sinnlos gewesen, da machte man halt eine Faust in der Tasche und hoffte auf bessere Zeiten.

Alles was nicht "Norm" war wurde ausgegrenzt, ganz selbstverständlich. Homosexualität war strafbar. Und wenn Eltern mit einer erwachsenen Tochter zusammen im Haushalt lebten und den Freund der Tochter dort übernachten ließen machten sie sich strafbar, Kuppeleiparagraph hieß das. Behinderte hatten so unsichtbar wie möglich zu bleiben. Wir kannten damals einen Kleinwüchsigen, der Buchbinder von Beruf war. Das erstaunte die Leute immer sehr. So jemand gehörte doch nicht in einen bürgerlichen Beruf, so jemand hatte beim Zirkus zu sein.

Diskriminierung, in sehr vielen Bereichen, war halt einfach die Norm, die damals noch niemand in Frage stellte. Das war eben einfach so, und Leute die auf der "richtigen" Seite standen dachten vermutlich überhaupt nicht darüber nach. Eine sehr andere Welt also als die die wir heute kennen und die in dieser Hinsicht ja doch deutliche Fortschritte gemacht hat. Und ich vermute man macht sich oft einfach zu wenig klar wie anders diese Welt, in der Tolkien schrieb, eben doch noch war. Je jünger man ist desto weniger Möglichkeiten hat man ja auch das zu wissen. Wobei "Wissen" ja noch mal etwas anderes ist als selbst erhebt haben. Und deshalb lasse ich das jetzt einfach mal so als Denkhilfe und als Beispiel so stehen.

 

  • 1 Monat später...
Geschrieben

 

Der Titel ist eventuell etwas irreführend. Es geht zwar neben dem HdR auch vermehrt um Critical Race Theory und dergleichen, aber letztendlich war es eine gelungene kurze Abhandlung über Rassismus im HdR und definitv das Anschauen wert.

Geschrieben

Doch, das ist tatsächlich eine gelungene Abhandlung über Rassismus im HdR, und sie ist übrigens gar nicht weit weg von vielen Dingen die hier schon geschrieben wurden. Sehenswert ist das auf jeden Fall. Danke fürs Reinstellen!

  • 6 Monate später...
Geschrieben

Seid gegrüsst, ihr alle!

Ich muss ehrlich sagen, den ganze Thread hab ich nicht gelesen. Seehr lang haha. Aber immer mal wieder was zwischendurch und die letzten zwei Seiten.

Was ich aber gerne zu diesem Thema sagen würde, ist, dass Tolkien eine (fast) vollumfängliche, in sich geschlossene Welt geschaffen hat. In so einer Welt gab/gibt's immer Rassisten, das ist ja dem Wundervollen an der Menschheit geschuldet: Die Vielfältigkeit. Ich weiss nicht, ob ich ein Rassist bin oder nicht, muss ich ganz ehrlich sagen. Aber ich  sehe nun einmal Vor- und Nachteile, bzw. glaube, dass es sie gibt. So kann jemand mit dunkler Haut halt einfach besser mit Hitze umgehen. Vielleicht nicht jeder dunkelhäutige als jeder hellhäutige, aber im Allgemeinen halt. Hab auch mal gelesen, dass die Augen von Blauäugigen sich besser/schneller an Dunkelheit anpassen als andere Augenfarben. Ist es Rassistisch, unterschiede fest zu stellen?

Und in einer Welt, die von mehr humanoiden Wesen bevölkert wird als die Erde, ist das halt umso mehr so. Gewisse Völker haben nun mal andere Eigenschaften als andere. Ist es rassistisch, wenn man sagt, dass die Elben die schönsten Lieder singen? Dass Zwerge die meisterlichsten Hallen bauen? Dass die Orks jemanden jagen und verfolgen können, als wären sie Bluthunde? Auch familiäre Eigenschaften sind halt verbreiteter innerhalb des Stammbaums. Ein Tuk ist mit Leuten aufgewachsen, die ein wenig Abenteuerlustiger sind als die anderen Hobbits, die Wahrscheinlichkeit ist also gross, dass er auch abenteuerlustig wird. Wenn man will, ein gewisses "Zuchtverhalten", wie ich es oben irgendwo mal über Orks gelesen habe. Dennoch kann ich mich nicht erinnern, dass Tolkien je geschrieben hätte, jeder Ork sei Böse. Wenn ich es richtig im Kopf habe, sagte er lediglich etwas in die Richtung, dass sie gewalttätige und kriegslüsterne Veranlagungen hätten und ein grosses Geschick darin, Folter- und Kriegsgerät zu bauen. Ebenso wie wir modernen Erden-Menschen die Veranlagung für Besitz und Grenzen haben. Ich finde es also ('tschuldigung wenn sich jemand beleidigt fühlt) etwas klein geistig, wenn man, nur weil Tolkien sagt es liegt in einer Rasse/Familie, dieses gleich auf jedes Individuum dieser Rasse/Familie überträgt.

So sind im Herrn der Ringe ganz klar die Ostlinge und die Haradrim Feinde. Ganz einfach. Wenn man aber die von Tolkien geschaffenen Hintergründe ansieht, sieht man ganz klar, dass es nicht so einfach ist, nur weil die Menschen der Zeit des Ringkrieges so allgemein sprechen. Melkor und nach ihm auch Sauron haben Jahrhunderte, gar Jahrtausende an der Korruption des Ostens und Südens gearbeitet, dennoch gab es Widerspenstige Stämme und Untervölker, die sich des Bösen erwehrt haben. Und Tolkien wusste ja selber nicht alles über Mittelerde, wie er in den Büchern gerne mal sagt.

Fazit: Ich denke nicht, dass Tolkien rassistischer war als Du und/oder ich (egal wer das gerade liest). Ich denke, er wollte ein Welt schaffen, eine Mythologie, Völker, Sprachen, Ortschaften, Geschichten. Da gehören unglaublich viele Ansichten dazu und es muss wahnsinnig schwer gewesen sein, das auf eine Reihe zu bringen. Am Ende war er vielleicht selber so vielfältig im Geist, wie es die Bevölkerungen seiner Werke sind. Ich werde so oder so immer den grössten Respekt vor dem Professor haben, möge Mittelerde für immer bestehen bleiben.

Ich glaube das war lang genug^^

Möget ihr lange unter eurem jeweiligen Lieblingsgestirn Wandeln.

Geschrieben

"Ich glaube das war lang genug" find' ich gut. Lange Beiträge sind doch toll, auf die lässt sich viel besser antworten als auf einen einzelnen Satz. Aber, trotzdem und ganz ehrlich: ich habe auch nicht den ganzen Thread gelesen, obwohl ich seit ich hier bin doch sogar eine ganze Menge drin geschrieben habe.

Und eins stimmt ja auf alle Fälle: in Tolkiens Welt gibt es etwas, was in der realen Welt nicht existiert. In der realen Welt sind die Menschen die einzige hochintelligente Art. In Tolkiens Welt gibt es auch andere Arten mit vergleichbarer Intelligenz: Elben, Zwerge, Hobbits und so weiter, und die unterscheiden sich doch schon recht deutlich voneinander, Das ist eine Situation die man eben mit unserer Realität nicht wirklich vergleichen kann.

Und noch eins stimmt auf alle Fälle: wenn sich da irgendeine Romanfigur in irgendeinem Zusammenhang rassistisch äußert, dann kann das auch einfach der Charakterisierung dieser Romanfigur dienen und muss keineswegs die Meinung des Autors wiedergeben.

Außerdem ist "Rassismus" ja ohnehin ein schwieriger Begriff. Denn der bedeutet ja zweierlei. Erst einmal gibt es diesen unübersehbaren Geradeaus-Rassismus: Wir sind aber besser als die da draußen, von überlegener Intelligenz, von besserem Charakter, von reinerem Blut, oder was auch immer. Der ist deutlich sichtbar, den nicht wahrzunehmen erfordert schon eine gewisse Anstrengung. Und dann gibt es eine Art von Rassismus, die viel verbreiteter ist und viel unauffälliger. Manchmal wird das als "struktureller Rassismus" bezeichnet. Da geht es einfach darum dass man bestimmten Gruppen bestimmte Eigenschaften zuordnet, die nicht einmal schlecht sein müssen: die sind alle so temperamentvoll, die sind gute Seefahrer, die sind viel spontaner als wir, was auch immer. Und genau da wird es kritisch. Denn erstens sind "die da" nicht alle gleich. Und zweitens entstehen in diesem Zusammenhang die meisten von denjenigen Äußerungen die dann als beleidigend empfunden werden obwohl sie wahrscheinlich gar nicht so gemeint waren. "Deine Hautfarbe spielt doch keine Rolle wenn du bei der Polizei arbeiten willst", das stimmt natürlich im Prinzip; aber dass man diese Tatsache überhaupt ausdrücklich erwähnt besagt ja schon dass man da eben doch ein Problem wahrnimmt, und deshalb kann ein solcher gut gemeinter Satz für Betroffene durchaus eine Kränkung darstellen. Leute die selbst niemals von Ausgrenzung in irgendeiner Form betroffen waren sind oft erstaunlich fantasielos darin wie ihre Äußerungen auf Betroffene wirken können.

Also, war Tolkien rassistisch? Im Sinne dessen was ich da eben "Geradeaus-Rassismus" genannt habe mit Sicherheit nicht. Aber diese Tendenz bestimmten Völkern und dann sogar noch bestimmten Familien charakteristische Eigenschaften zuzuschreiben, die ist schon recht deutlich vorhanden (wobei du natürlich recht hast dass bei den Familien auch Vorbilder und Erziehung eine Rolle spielen könnten). Das sind allerdings Anschauungen die für die Zeit in der Tolkien schrieb ja durchaus noch typisch  und gewissermaßen normal waren. Und Tolkien war sicherlich kein Typ der den Normen seiner Zeit sonderlich kritisch gegenüberstand. Und so sehr mich auch seine perfekt konstruierte Welt beeindruckt: die Weltanschauung dahinter stört mich schon ein bisschen.

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Geschrieben

Ich muss Dir Recht geben, gathame, auf lange Beiträge lässt sich leichter antworten. Ausserdem sind sie viel interessanter zu lesen^^

Leider muss ich wohl einsehen, dass ich eine Art "struktureller Rassist" bin. Tut mir Leid an alle, die anders sind als ich. Oder gleich, falls das was schlimmes ist ;-)

vor 3 Stunden schrieb gathame:

"Deine Hautfarbe spielt doch keine Rolle wenn du bei der Polizei arbeiten willst", das stimmt natürlich im Prinzip; aber dass man diese Tatsache überhaupt ausdrücklich erwähnt besagt ja schon dass man da eben doch ein Problem wahrnimmt, und deshalb kann ein solcher gut gemeinter Satz für Betroffene durchaus eine Kränkung darstellen. Leute die selbst niemals von Ausgrenzung in irgendeiner Form betroffen waren sind oft erstaunlich fantasielos darin wie ihre Äußerungen auf Betroffene wirken können.

Diesen Teil hier finde ich persönlich besonders wichtig. Denn oft habe ich ein kleines Problem, mit denen, die gegen Rassismus kämpfen. Als Beispiel: Wenn ich andere Vorfahren hätte als meine Mitmenschen und irgendwelche Leute, die ich weder kenne noch sonst wie mit mir zu tun haben, zeigen auf mich und sagen "He, der Typ da und alle die so aussehen wie er werden deswegen diskriminiert!", dann würd ich doch ganz klar denken, ob die keine eigenen Probleme haben oder so, egal ob sie nun recht haben oder nicht. Oder mal angenommen ich wäre ein Jude in Amerika, der sich mit möchtegern-Querdenkern rumschlagen müsste, wäre ich da nicht beleidigt, dass dunkelhäutige plötzlich "höher im Kurs stehen" als ich? Ich bezweifle, dass das nicht zu plump ausgedrückt ist, aber ich hoffe ihr versteht was ich meine. Ich denke, es wäre sinnvoller, die Gesellschaft einfach auf grössere Probleme wie den Klimawandel oder Flüchtende aufmerksam zu machen, statt auf etwas rum zu reiten, was die Menschen eigentlich seit mindestens 50 Jahren begriffen haben sollte. Wenn ich irre und jemand mit mehr Erfahrung in diesem Thema als ich mich aufklären würde, sehr gerne.

Geschrieben
5 hours ago, Cor der Grobe said:

ich hoffe ihr versteht was ich meine.

Ich verstehe leider überhaupt nicht, was du meinst.

Der Abschnitt, der darauf folgt, ist aber ein Whatsaboutismus sondergleichen - argumentativ völlig unhaltbar.

Wenn ich dich dafür, wer du bist (egal warum genau, nur halt nicht wegen etwas, das du getan hast, sondern nur dafür, wer du bist) verprügele, diskriminiere, ggf sogar umbringe und dann deiner Familie sage "heult nicht rum, denkt mal an den Klimawandel", dann wäre das, ganz offensichtlich, nicht okay. Mehr als eine Sache auf einmal kann problematisch sein und mehr als eine Sache auf einmal kann man als. Gesellschaft bekämpfen. Tu dir selbst, deinem Umfeld und dem Forum einen Gefallen und argumentiere nicht mit "habt ihr sonst keine Probleme". Das wirkt maximal bis zur Nasenspitze. Völlige Zeitverschwendung.

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Doch, ich verstehe schon was da gemeint war. Ich bin bloß anderer Meinung darüber.

Natürlich ist der Klimawandel ein riesiges Problem, und zwar eins das nun wirklich alle betrifft. Und ebenso ist die Flüchtlingsproblematik ein Riesenproblem, das erschreckend viele Leute weltweit betrifft. Aber ein Vorwand den nun einmal existierenden strukturellen Rassismus kleinzureden ist  das eindeutig nicht, meiner Meinung nach zumindest. "Mehr als eine Sache auf einmal kann problematisch sein", schreibt Tomtom, und er hat recht. "Habt ihr sonst keine Probleme?", das kann ich fragen wenn jemand sich darüber aufregt dass er wegen Corona keinen Friseurtermin kriegen kann oder wenn seine Onlinebestellung zu spät ausgeliefert wird.

Das Gemeine an strukturellem Rassismus ist ja gerade dass die Sache erst einmal so harmlos wirkt und so selbstverständlich. Ich betrachte das Problem ja auch als Außenstehende, denn ich bin hellhäutig. - Ist jetzt jemand über das Wort "hellhäutig" gestolpert? Das ist ein ungewohntes Wort, denn auf den Umstand dass jemand hellhäutig ist weisen wir normalerweise nicht extra hin, das betrachten wir als Normalzustand. Aber "dunkelhäutig" wird durchaus als scheinbar wertfreie Beschreibung benutzt. Das ist ein Widerspruch über den nachzudenken sich lohnt.

Ich habe hier in diesem Thread schon einmal ein Beispiel für strukturelle Diskriminierung angeführt, das damals einige Leute für sehr gelungen hielten. Und da ich zu faul bin es herauszusuchen und zu verlinken schreibe ich es noch mal hin. Da geht es nicht um rassistische Diskriminierung, sondern um Diskriminierung aus anderen Gründen, aber ich denke man sieht daran sehr gut wie so etwas funktioniert. Also: ich habe 1975 meine erste Lehrerstelle angetreten, in einem kleinen und sehr katholischen Dorf. Ich bin unehelich geboren, und das war zu jener Zeit noch ein riesiges Problem. Mein Schulleiter hat damals zu mir gesagt: "Erzählen Sie das den Schülern nicht. Sie sollen doch eine Respektsperson sein." Das war nicht böse gemeint, eher im Gegenteil. Er mochte mich gern und wollte mir helfen. Ich habe es als extrem diskriminierend empfunden, so etwa in dem Sinne: "So etwas wie dich sollte es eigentlich nicht geben."

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Ich hatte eigentlich auch das Bedürfnis noch mal inhaltlich zu antworten, weil ich das so nicht stehenlassen wollte. Aber ich denke @Tomtom und @gathame haben dazu gesagt, was gesagt werden musste. Deshalb bitte ich jetzt darum wieder zum Thema zu kommen.

Die Frage war nämlich, ob Tolkien ein Rassist war. Was denn eigentlich rassistisch ist und ob es denn so schlimm ist wenn man nur (hier bitte den alltagsrassistischen Satz eurer Wahl einsetzen) sagt haben wir hier schon ausführlich diskutiert und ich würde dich bitten, @Cor der Grobe, dann doch noch mal den ganzen Thread zu lesen, bevor du hier Diskussionen anfängst, die wir schon X mal hatten.

 

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@beadoleoma, du hast natürlich völlig Recht, tut mir Leid dass ich eine bereits gehabte Diskussion hervor gebracht habe. Werde mir bestimmt Stück für Stück mal den Thread durchlesen.

Und natürlich haben auch gathame und Tomtom recht, Rassismus und andere Probleme wie Klimawandel haben nichts miteinander zu tun. Aber der Punkt mit dem "Mehr als eine Sache auf einmal kann problematisch sein", auf den wollte ich eigentlich hinaus damit. Um ein passendes Szenario zu finden: Nehmen wir einmal an, die Gefährten seien gegründet worden, um den Klimawandel oder die Kriege weltweit zu beenden. Ich hoffe mal, wir sind uns wenigstens darin einig, dass diese Probleme, die ja die gesamte Weltbevölkerung betreffen, grösser sind als Rassismus. (Ich will damit nicht sagen, Rassismus sei ein kleines Problem, lediglich, dass die anderen noch grösser sind.)

Wir wissen ja eigentlich nicht, ob Boromir, Legolas oder vielleicht sogar einer der Hobbits die grössten Nazis/Rassisten oder was auch immer von Mittelerde überhaupt waren. Aber zusammen gegen Sauron (= Klimawandel/Kriege/Welthunger) anzukämpfen, sorgte dafür, dass sie alle Freunde wurden, egal welcher Herkunft sie waren. So gesehen, wenn wir einfach gemeinsam grössere Probleme bekämpfen würden, würde sich der Rassismus praktisch erübrigen, findet ihr nicht?

Den Hobbits konnte schlussendlich ja auch egal sein, ob ihr Erschaffer, also Tolkien, selbst ein Rassist war und somit eigentlich auch dem Leser, theoretisch. Denn wenn wir in irgendetwas von Tolkien geschriebenem etwas von Rassismus lesen, dann ist das unsere eigene Interpretation. Daher auch unser eigener Rassismus, sei er jetzt strukturell, geradeaus, bewusst oder unbewusst. Und um ehrlich zu sein: Ich wäre auch niemals auf die Idee gekommen, Herr der Ringe mit Rassismus zu vereinen, egal, in welchem Zusammenhang, bevor ich im Internet auf solche Gedanken stiess. Ich würde das dann so verstehen, dass jeder einzelne von uns mindestens genauso rassistisch ist wie Tolkien. Denn schlussendlich ist Rassismus auf Vorurteilen aufgebaut, welche wiederum wesentlich für unsere Evolution waren. Scharfe Zähne + Klauen = gefährlich, so als Beispiel.

Vergebt mir, sollte das auch schon irgendwo so stehen.

Geschrieben

Ne, so einfach erledigt sich ein strukturelles Problem eben nicht. Denn nur weil du vielleicht mit der ein oder anderen schwarzen Person (oder einer Person einer anderen diskriminierten Gruppe, egal welche Art des Diskriminierung) was zusammenarbeitest, hat die noch eine hohe Quote an Repräsentation im höheren Management von größeren Firmen, haben die noch keinen hinreichenden Zugang zu Schwimmunterricht (großes Problem in den USA, weshalb auch Filme, die "humorvoll" Schwarze zeigen, die dann nicht schwimmen können, absolut gar nicht witzig sind), werden die immer noch von Polizist*innen umgebracht weil sie "verdächtig aussahen" (gibts Videos auf Youtube, da wird einem ganz anders).

Struktureller Rassismus lässt sich nur durch Bewusstmachung abschaffen, nicht durch Ignorieren.

Kann zu dem Thema nur https://www.exitracism.de/ von Tupoka Ogette und den ARD-Beitrag

 empfehlen (wiederholt, weise ich immer wieder gerne drauf hin).

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Geschrieben

Doch, das  Video kenn' ich, das macht das Problem wirklich hervorragend deutlich. Auf dieses Video noch mal hinzuweisen kann auf jeden Fall nicht schaden.

Und, "struktureller Rassismus lässt sich nur durch Bewusstmachung abschaffen, nicht durch ignorieren", da hat Eldanor recht. Genau deshalb ist diese Diskussion hier im Moment wichtig, auch wenn wir uns da teilweise ein bisschen wiederholen. Und sie führt auch überhaupt nicht vom Thema "Tolkien & Rassismus" weg, sie führt eher genau dazu hin.

Als ich "Herr der Ringe" zuerst gelesen habe, vor mittlerweile nun auch schon wieder fast zwanzig Jahren, da war ich auf Anhieb fasziniert von dieser perfekt konstruierten Welt. Damals habe ich mit Sicherheit noch nicht viel darüber nachgedacht dass da munter allen möglichen Völkern oder Familien alle möglichen Eigenschaften zugeordnet werden. Auf den ersten Blick nimmt man das einfach so hin, es geht ja ohnehin um eine erfundene Welt, und viele dieser Zuordnungen sind ja auch keineswegs als solche negativ. Und genau da liegt das Problem: man nimmt das einfach so hin. Na gut, über ein paar ganz extreme Sachen bin ich von Anfang an gestolpert, über das reine Blut von Numenor und dass die Numenorer sich mit geringeren Menschen vermischt haben was offenbar als Zeichen für ihren Niedergang verstanden werden sollte. Das fand ich schon auf Anhieb schlimm.

Aber die erste Faszination ist naturgemäß etwas das nicht anhält, zumindest nicht bei mir und bei diesem Thema. Das kann natürlich individuell sehr verschieden sein. Und je mehr diese Faszination bei mir nachließ desto heftiger habe ich mich daran gestört mit welcher Selbstverständlichkeit da eben die Elben oder die Zwerge oder die Tuks oder die Beutlins eben so und so waren, ganz einfach aufgrund ihrer Herkunft. Ja, ich weiß, das ist auch zeitbedingt, solche Einordnungen waren zu der Zeit in der Tolkien schrieb auch in seiner realen Umwelt noch selbstverständlich und wurden nicht hinterfragt. Das macht manches vielleicht erklärbar, aber es macht die Dinge nicht besser. 

Das Schlimme ist für mich wirklich die völlige Selbstverständlichkeit dieser Einordnungen, denn diese Selbstverständlichkeit führt dazu, dass das Problem als solches gar nicht mehr deutlich wird. Man übersieht einfach zu leicht dass es vorhanden ist. Genau das ist ja eben typisch für strukturellen Rassismus. Ich denke, das wird in dem verlinkten Video sehr gut erkennbar.

Und, nein, Rassismus (in welcher Form auch immer) ist kein kleineres Problem als der Klimawandel mit all seinen Folgen. Er ist ein anderes Problem, aber die Lösung dieses Problems ist kein bisschen weniger wichtig. Ignorieren und Kleinreden hilft nicht.

Geschrieben
vor 35 Minuten schrieb gathame:

Und je mehr diese Faszination bei mir nachließ desto heftiger habe ich mich daran gestört mit welcher Selbstverständlichkeit da eben die Elben oder die Zwerge oder die Tuks oder die Beutlins eben so und so waren, ganz einfach aufgrund ihrer Herkunft.

Bei Elben, Zwergen, Manschen und Hobbits sehe ich darin och nicht ein allzu großes Problem. Denn es sind ja tatsächlich verschiedene Rassen. Das machen wir ja auch bei verschiedenen Tierrassen. Wir ordnen ihnen bestimmte Merkmale zu, wie Tolkien z. B. Zwergen Sturheit zugeordnet hat. Da sehe ich noch keine Problematik. Was ich dann etwas kritischer finde, ist diese verschiedenen Völker zu unterteilen, wie es unter anderem bei den Hobbits getan wurde. Im Herr der Ringe kommt ja auch öfters vor dass die Hobbits so etwas sagen wie: "Dort sind die Leute seltsam, sie leben auf der falschen Seite des Wassers." Allerdings habe ich darin immer nur den Klatsch der Hobbits gesehen, die ja in ihrem Auenland sonst nicht besonders viel erleben.

vor 47 Minuten schrieb gathame:

Na gut, über ein paar ganz extreme Sachen bin ich von Anfang an gestolpert, über das reine Blut von Numenor und dass die Numenorer sich mit geringeren Menschen vermischt haben was offenbar als Zeichen für ihren Niedergang verstanden werden sollte. Das fand ich schon auf Anhieb schlimm.

Da kann ich nur zustimmen. Kann ich zumindest noch ein kleines bisschen nachvollziehen, da die Numenorer ja auch länger gelebt haben, aber dahinter ist für mich ganz klar Rassismus. Warum auch immer sollten Kreaturen "schlechter" werden, wenn in ihnen anderes Blut fließt? Wollen sie wegen ihrem anderen Blut nach Valinor? Wenn man darüber nachdenkt, ist es absolut schwachsinnig. Doch wie du schon erwähnt hast, das machen die meisten nicht.

vor 54 Minuten schrieb gathame:

Und, nein, Rassismus (in welcher Form auch immer) ist kein kleineres Problem als der Klimawandel mit all seinen Folgen. Er ist ein anderes Problem, aber die Lösung dieses Problems ist kein bisschen weniger wichtig. Ignorieren und Kleinreden hilft nicht.

Da bin ich aber anderer Meinung. Was bringt es uns, wenn wir das Rassismusproblem lösen und in 200-300 Jahren keine Menschen mehr auf der Erde leben? Das Beispiel ist zwar schon extrem, aber das ist, was ich meine. Wegen Rassismus sterben zwar auch Menschen, aber deutlich weniger als am Klimawandel. Was ganz interessant ist: Es kommt ganz groß raus: "Schwarzer wurde von der Polizei getötet" (was ja definitiv nicht falsch ist, es ist wichtig immer wieder darauf aufmerksam zu machen), aber nie wird uns so groß erzählt: "Weltweit sterben jährlich 30-40 Millionen Menschen an Hungersnot, durch Dürren und Naturkatastrophen wächst die Zahl rasant" und auch nicht "Corona tötet auf Umwegen. Die Zahl der Hungernden weltweit droht auf eine Milliarde zu steigen." Bekommt man alles so mit, geht aber eigentlich an uns vorbei.

Daher ist meiner Meinung nach der Klimawandel unser größtes Problem. Das kann selbst Corona nicht übertrumpfen. Im Gegensatz zum Klimawandel ist Corona ein Witz. Da hat die Menschheit schon deutlich schlimmeres erlebt.

LG, Elenriel

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