Zum Inhalt springen

Die Pflege in Deutschland - Traum oder Alptraum?


Empfohlene Beiträge

Gast ThorBrownlock
Geschrieben (bearbeitet)

Moin liebe Leute!

Hab diesen Thread eröffnet, um mal öffentlich meiner derzeitigen Wut Ausdruck zu verleihen.

Zum Zweiten um mal eure Empfindungen zum Thema Pflegesituation in unseren Lande zu hören.

Natürlich weiß ich daß es ein Thema ist , mit dem man sich Allgemein ungern beschäftigt.

Wer von uns insbesondere die Jungen denkt schon gern an Alter oder Krankheit.

Doch genau weil es ein Jeden von uns jederzeit treffen könnte, sollte man sich damit durchaus auseinandersetzen.

Ich selbst nämlich möchte im Falle einer schweren Krankheit oder Behinderung gut versorgt sein.

Gerade auch deswegen, weil derzeit eine erhebliche Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung geplant ist.

Aus diesem Grunde kann es nicht angehen, daß sich die Pflege ob im Krankenhaus oder Altenheim immer mehr verschlechtert.

Ich selbst, der in diesem Bereich tätig ist, muss seit geraumer Zeit ernsthaft an meinem Verstand zweifeln.

Bin auf ner Wohnheinheit eines neuen Seniorenheim mit 44 dementen bzw. psychisch kranlen Personen beschäftigt.

Zum Teil sind sie schwerstpflegebedürftig bzw. benötigen aufwendige Hilfe bei allen Verrichtungen des Lebens.

Doch aufgrund hoher Krankheitsraten und mangels Einsatz von ausreichend Aushilfskräften sind tagesweise nur 3- 4 Personen im Einsatz. Tageweise ist von diesen Wenigen auch die komplette Essensversorgung zu übernehmen.

Ich selbst als die diensthabende Fachkraft des Bereichs ersticke fast an der vielen Behandlungspflege, die zu leisten ist. Daneben obliegt mir auch noch die inzwischen nicht mehr zu bewältigende Dokumentation, an der man machmal schier verzweifelt.

Diese kurze Beschreibung meines Arbeitsalltags kann euch natürlich kaum einen realistischen Einblick verschaffen .

Man muss es einfach mal erleben, um es nachvollziehen zu können. Was ich hier erlebe, bringt das Faß regelrecht zum Überlaufen, Natürlich tue ich das Möglichste, um den Menschen das Notwendigste an menschenwürdiger Pflege zukommen zu lassen. Doch selbst das ist immer häufiger nicht mehr möglich. Im Moment kämpfe ich mit der Überlegung, die Sache hinzuwerfen oder die Zustände offen zu bekämpfen. Natürlich mit allen Konsequenzen, die damit verbunden wären, was mir die Entscheidung sicher nicht erleichtert. Schließlich habe ich einst diesen Beruf erlernt um ihn ein Leben lang auszuüben.

Wie sehr sich zusehends die pflegerische Versorgung hierzulande verschlechtert, sehe ich nicht nur in meiner eigenen

Einrichtungen sondern auch jenen Fällen, die zeilweise aus Krankenhäusern zurückverlegt werden.

Das ist natürlich kein Vorwurf gegen die Krankenpflege im Allgemeinen. Auch diese Berufskollegen tun ihr Bestes,

haben aber auch immer mehr Belastungen zu schuldern. Neue Kollegen, die in den Beruf einsteigen, müssen inzwischen Einbußen von 100- 200 Euro im Vergleich zu mir Langzeitbeschäftigten hinnehmen.

Dafür aber wächst deren Verantwortungsbereich und Arbeitsvolumen immer mehr. Verursacht auch durch ein Qualitätsmanagementsystem, das inzwischen wie in der freien Wirtschaft installiert wurde. Jedoch die Qualität, die man dadurch erhofft hatte, steht nur auf endlosen Seiten von Handbüchern.

Und was tut die Politik? Die lamentiert in endlosen Debatten oder Talkshows über das Thema statt zu handeln.

Jeder sagt, es müsse sich was an den aktuellen Bedingungen ändern. Jeder jammert über die vorhandene

gefährliche Pflege oder Vernachlässigung, die zunimmt. Doch was geschieht eigendlich?

Eigendlich nichts Wirkliches aus dem Blickwinkel der Pflegebedürftigte wie auch der Pflegenden, ob im Krankenhaus

oder Altenheim. Stetig werden Personalschlüssel heruntergeschraubt und Fachpersonal veringert, dafür aber

Qualitätsanforderungen und Bürokratie verstärkt. Für mich stellt sich auch die Frage, wie sehr der Leidensdruck

noch zunehmen muss, bis sich die Pflege endlich wehrt. Wäre sicher nicht auszudenken, was passieren würde,

wenn die Pflege bundesweit nur für ein paar Stunden die Arbeit niederlegen würde.

Ich selbst wäre dazu inzwischen dazu bereit, wenn ich dadurch etwas an den Bedingungen ändern könnte.

So, nachdem ich meinen Frust hinaus posaunt habe, würde ich sehr gerne eure Meinung zum Thema hören.

Auch wenn ihr noch Fragen haben solltet, stellt sie ruhig. Ich hab nämlich in der Vergangenheit häufig erleben,

wie wenig Außenstehende darüber wissen.

Bearbeitet von ThorBrownlock
Geschrieben

Ich kann mich dem Thema nur insofern anschließen, als dass ich absolut sauer über eine gewisse Krankenkasse bin. Wir hatten selber einen Pflegefall in der Familie (Pflegestufe 3 - mittlerweile verstorben). Aufgrund der ständigen Verschlechterung des Zustandes mussten wir zwei mal den medizinischen Dienst kommen lassen um einen Antrag auf Pflegegeld zu stellen. Es hat mehrere Wochen gedauert bis die Bewilligung kam und das Pflegebett hatten wir ganze drei Tage (dann wurde es nicht mehr gebraucht). Es ist eine absolute Frechheit, dass die Krankenkassen bei solchen Dingen Zeit schinden wollen. Was ist der Kranke denen wert? Nichts, absolut gar nichts. So viel steht fest. Wieso braucht es Wochen (das ist eine Ewigkeit für einen Sterbenden) um ein "Ja" dafür zu geben, was schon lange vorher Fakt war und feststeht. Ehrlich gesagt ist man mehr traurig und sprachlos, aber auch unendlich wütend, weil man nichts dagegen tun kann.

Ich persönlich habe großen Respekt vor Leuten, die tagtäglich kranke Menschen pflegen müssen. Auch ich hab in dieser Zeit Dinge getan und gesehen, die mich ziemlich erschüttert haben. Aber das schlimmste ist zu wissen, dass der Kranke sich unendlich quält (auch seelisch) und man so machtlos ist und nicht helfen kann. Ehrlich gesagt war es jedes mal wieder eine Qual aber letztendlich auch der letzte Dienst, den man einem lieben Menschen erweisen kann. Deswegen kann ich deine Stellung voll und ganz nachvollziehen. Manche Menschen in Pflegeheimen haben ja auch niemanden mehr oder die Verwandtschaft wohnt zu weit weg, oder es ist ihnen zu anstrengend. Gerade mit diesen Menschen sollte sich auch mal ein wenig mehr beschäftigt werden, außer Essen darreichen, Pops abwischen, lagern,... . Das zwischenmenschliche fehlt. Wie soll man sich auch intensiv mit jemanden beschäftigen, wenn man unter Zeitdruck steht. Ich kann das voll und ganz nachvollziehen. Dabei sollte ich vielleicht erwähnen, dass wir auch jemanden in der Familie haben, der im Pflegeheim arbeitet. Er hat schon einiges erzählt.

Noch dazu haben wir eine demenzkranke Oma. Durch sowas wird einem erst einmal bewusst, wie pflegebedürftig solche Menschen in allen Dingen sind.

Man hofft jedenfalls, dass sich die ganze Pflegesituation mal ändert und mehr auf die Bedürfnisse des Kranken eingegangen wird. Und gerade für demenzkranke ist der menschliche Kontakt der Wichtigste.

Geschrieben

Muss sich keiner wundern, wenn bei diesen Zuständen freundliche Polinnen angeheuert werden, die dann in der Grauzone zwischen legal und illegal für bezahlbahre Löhne privat pflegen. Ich würde es auch so machen, wenn ich einen Pflegefall in der Familie hätte und das Geld nicht reicht für eine richtig gute legale Pflege, das sage ich ganz offen. Und für mich würde ich das auch wünschen.

Geschrieben

Muss sich keiner wundern, wenn bei diesen Zuständen freundliche Polinnen angeheuert werden, die dann in der Grauzone zwischen legal und illegal für bezahlbahre Löhne privat pflegen. Ich würde es auch so machen, wenn ich einen Pflegefall in der Familie hätte und das Geld nicht reicht für eine richtig gute legale Pflege, das sage ich ganz offen. Und für mich würde ich das auch wünschen.
Dann musst du es aber mal von der anderen Seite sehen: Wie willst du in Deutschland von 4-5 Euro Bruttostundenlohn leben?

Bei 5 Euro Stundenlohn und 40Std. Woche verdient man 800 Euro Brutto, davon gehen dir, je nach Steuerklasse, 200-300 Euro an Abzügen runter. Was dann noch über bleibt, davon kann in Deutschland keiner leben, dafür sind Mieten, Strom, Lebensmittel usw. usw. viel zu teuer!

Geschrieben

Bei 5 Euro Stundenlohn und 40Std. Woche verdient man 800 Euro Brutto, davon gehen dir, je nach Steuerklasse, 200-300 Euro an Abzügen runter. Was dann noch über bleibt, davon kann in Deutschland keiner leben, dafür sind Mieten, Strom, Lebensmittel usw. usw. viel zu teuer!

Stimmt, davon kann man nicht leben. Die traurige Wahrheit allerdings ist, dass sehr viele Menschen von solchen Gehältern leben müssen!

Geschrieben

Dann musst du es aber mal von der anderen Seite sehen: Wie willst du in Deutschland von 4-5 Euro Bruttostundenlohn leben?

Das musst du einer alten Linken und Gewerkschaftlerin nicht erklären. Das ist echt ein Dilemma, aber dafür habe ich auch kein schnelles Rezept. Wir sind halt ein Land mit einem hohen Lohn- und Preisniveau. In der Schweiz, wo das noch höher ist, werben sie ja inzwischen Deutsche an für alles mögliche. Als privater "Arbeitgeber" hast du keine Verrechnungsmöglichkeiten und musst alles selber zahlen. Ich hatte mal einige Zeit eine Kinderfrau voll versteuert und versichert, die hat das ganze Geld, was ich auf meiner Halbzeit-Beamtenstelle verdient habe, für ihre Halbzeitstelle gekostet. In der Zeit habe ich praktisch nur für meine Pension gearbeitet. (Ich bin trotzdem gerne arbeiten gegangen).

Gast ThorBrownlock
Geschrieben (bearbeitet)

Jaaa, das mit der freundlichen Polin ins so ne Sache. So wie unter meinen eigenen Landsleute, gibt es leider auch

unter diesen Menschen, die mehr schlecht als recht pflegen. Man sollte sich da nicht täuschen lassen , mal beiläufig erwähnt. Nicht selten muss ich nämlich auch die " Scherben" beseitigen, die durch unsachgemäße Pflege im privaten Haushalten verursacht wurden.

Ich selbst bin froh, nach 7- 10 Stunden Arbeit diese hinter mir lassen zu können. Und nicht als 24 Std. Kraft einen alten Menschen Tag für Tag im privaten Haushalt zu pflegen und gar noch dort wohnen. Ist meine persönliche Meinung. Und schlußendlich möchte ich auch eine Familie aufbauen und diese ernähren können. Hab eine neue sehr nette und engagierte Kollegin, übrigens alleinerziehende Mutter, die mit ca. 1000 Euro auskommen muss. Sie überlegt gerade ob sie wieder aufhört, weil sie die erforderlichen Kosten ( Miete, Strom ) sowie den Lebensunterhalt von diesem Lohn nicht bestreiten kann.

Viele Misstände, die man glaubte, durch die Pflegeversicherung oder dem Heimgesetz verbessern zu können, hat man durch die Bürokratie verstärkt. Ich der ausgebildete Pfleger nämlich, der über alles notwendige Wissen verfügt, bin inzwischen hauptsächlich mit der Planung der Pflege und zugleich als Verwaltungskraft für die Dokumentation beschäftigt. Die macht inzwischen bis zu 50 % meiner Arbeitszeit aus. Dazu sind privat angeheuerte Pflegekräfte in Privathaushalten nicht verpflichtet, ausgenommen im Rahmen von ambulanter Pflege. Und selbst die müssen nur eine abgespeckte Form der Dokumenation leisten. Die Pflege am Menschen aber, das ist Realtität, führen Andere aus.

Dabei möchte ich auch net verschweigen, daß nur ein Bruchteil davon adäquat ausgeführt wird, weil die Pflegekräfte einfach oft nicht die erforderliche Anleitung oder genügend Kentnisse besitzen. Nicht grundlos habe ich eine dreijährige Ausbildung absolvieren müssen.

Es reicht leider net, eine ruhige Hand und ein Herz am rechten Fleck zu haben, um richtig und adäquat pflegen zu können. ( Zitat von Norbert Blüm )

Bearbeitet von ThorBrownlock
Geschrieben

Habe eben in der taz von heute einen guten Artikel mit dem Titel "Wer kümmert sich?" gefunden. Ist leider nicht im taz-blog, sonst hätte ich versucht, ihn hier einzustellen. Darin wird darauf hingewiesen, dass bei pflegenden Familienangehörigen ja auch keiner fragt, ob sie eine Ahnung von Pflege haben. (Ich weiß auch, wovon ich rede, ich habe als Teenie meine querschnittgelähmte Mutter zu pflegen gehabt.) Übrigens, findest du das richtig mit dieser ausführlichen Dokumentation? Nützt das der Menschheit, oder ist es bloß Bürokratie? :kratz: In dem Artikel geht es übrigens um die Vermittlungsagentur McPflege. Lohndumping, ja, bin ich auch immer dagegen, aber wenn es die Leute halt brauchen und nicht zahlen können? :grummel:

Gast ThorBrownlock
Geschrieben (bearbeitet)

In der Tat hat lange niemand danach gefragt, in wie weit pflegende Angehörige mit der Pflege

und dem Umgang mit der Krankheit ihrer Angehörigen befähigt sind. Inzwischen hat man aber begriffen, wie immens wichtig das ist.

So gibt es seit geraumer Zeit allerorts Schulungsangebote für pflegende Angehörige,

in denen sie notwendiges Wissen und Techniken erlernen können.

Was die Dokumentation anbelangt. Eigendlich dient sie der Transparenz und Professionalität in der Pflege. Ebenso

zu zwecks Prüfungen durch Behörden und bei gerichtlichen Auseinandersetzungen.

Wer hat was, wo , wie und an wem durchgeführt? Das ist durchaus sehr wichtig und notwendig. Andererseits ist die professionellste Dokumentation nur dann auch etwas wert, wenn das was da steht auch durchgeführt wird.

Für mich löse ich dieses Problem, indem ich die Dokumentation außerhalb meiner regulären Arbeitszeit durchführe.

Tät ich das nicht, würde das zwangsläufig zu Vernachlässigung und Pflegefehlern führen. Allerdings bekomme ich nur

meine reguläre tägliche Dienstzeit bezahlt. Sollte ich außerdem einen Unfall auf dem Heimweg erleiden, der nicht

unmittelbar zu Dienstende erfolgt, gilt das nicht mehr als Arbeitsunfall. Das ist eigendlich schon bedenklich, oder?

Bearbeitet von ThorBrownlock
Geschrieben

Also auf deutsch: du beutest dich selber aus. Da sagt die Gewerkschaftlerin: Das kann nicht die Lösung sein. Was den Arbeitsunfall angeht, den du bitte nicht ausprobieren sollst: einE guteR Anwalt/Anwältin könnte das sicher raushauen.

A propos: ist für dich eine Gewerkschaft zuständig? Oder bist du eine Ich-Ag? Wenn nicht, würde ich dir natürlich empfehlen, einzutreten. "Allein machen sie dich ein." :grummel: :grummel:

  • 1 Jahr später...
Geschrieben

ThorBrownlock, wenn ich mir deine Schilderung so anhöre stehen mir die Haare zu Berge. So kann man doch nicht mit alten Leuten umgehen! *kopfschüttel* Ehrlich ich verstehe nicht wieso man für den Bürokram keine BüKo oder VFA anheuern kann, sodass die Pfleger ihrer eigentlichen Arbeit nachgehen können. Du hast genau wie jeder andere Arbeitnehmer ein Recht auf Bezahlung der Überstunden.

Geschrieben

Übrigens ist der Fall bei uns jetzt eingetreten. Meine Schwiegermutter hat ein Metallstück in der wirbelsäule, kann sich also nicht mehr bücken und drehen, mein Schwiegervater hat Parkinson und liegt sozusagen im Sterben, und zur großen Erleichterung der Familie ist jetzt eine freundliche Slowakin über eine Agentur vermittelt worden. Für die großen Maßnahmen kommt aber der ambulante Pflegedienst.

Oh Mann, wenn ich wüsste, dass sowas auf mich zukommt, würde ich auch lieber vorher das letzte Schiff übers Meer nehmen. Aber bei uns um die Ecke wohnt eine Hundertjährige, die versorgt sich noch allein und ist ganz flott zu Fuß. Man weiß - zum Glück - nicht, wie's kommt.

Aber dass Pflegekräfte besser bezahlt gehören, das denke ich schon seit meinem ersten Krankenhausaufenthalt vor 47 Jahren. Seither habe ich großen :respekt:

Geschrieben

@Fioridur: Ich kann Krankenhäuser irgendwie nicht leiden.

Geschrieben

Ach Mädel - wer kann die schon leiden? Wer geht da freiwillig hin? Naja, so ein paar "Schönheits"-Verrückte und die Bauersfrauen, die ihr Leben lang schuften müssen und sich gerne einmal umsorgen lassen, aber sonst?

Trotzdem kann mensch Respekt haben vor der Leistung des Personals. Und sich wundern, wie wenig die verdienen.

×
×
  • Neu erstellen...