Murazor Geschrieben 28. September 2007 Geschrieben 28. September 2007 Hi allseits. Ich mag mich selbst keinen Meister der Fanfiction nennen, will hier aber dennoch einen kleinen Teil vom ersten Teil zur Lektüre vorstellen. Meine Geschichte enthält keine allseits bekannte Person. Weder Aragorn, noch Legolas oder eine andere abgegraste Figur wird hier wieder zum Leben erweckt. Auch handelt sie in einer Zeit, die auch in Tolkiens Werken höchstens als großes Blaues Loch erscheint. Das Jahr 1801 liegt zwischen dem ersten Donnerschlag Angmars gegen die Dúnedain 1409 und dem zweiten, vernichtenden, um 1974. Somit konnte ich recht frei schreiben. König Arveleg II. ist aber historisch. Gelegentlich habe ich es für nötig befunden Orte und Siedlungen samt Namen komplett zu erfinden. Allerdings habe ich auch bei gewissen anderen Fans, die Karten von Eriador mit zahlreichen erdachten Ergänzungen ins Internet gestellt haben, abgekupfert. Ich hoffe, dass mir diesbezüglich niemand etwas anhängen kann. Ich warte gespannt auf euer Feedback. 1. Kapitel: Herbst im Jahre 1810 D.Z. In Arthedain, irgendwo westlich des Baranduin, nördlich des Auenlandes Eine sanfte, aber kalte Brise wehte durch das Lager. Und dazu diese Nässe. Seit vier Tagen hatte es ununterbrochen geregnet. Es wurde langsam Zeit, dass das aufhörte. Haenderil rieb sich die Hände. Die Fingerkuppen waren schon taub. Er war am falschen Ort geboren worden. Die Kälte vertrug er schlechter als die meisten anderen. Aber das durfte er nicht zeigen. Er musste stark sein. Ein Heerführer Arthedains zeigte keine Schwäche. Erst recht nicht, wenn er ein Neffe des Königs selbst und Abkömmling des legendären Elendil war. Nicht, wenn er gleich mehrere Kriegshelden in seinem Stammbaum hatte, denn damit lag die Messlatte hoch. Der Hauptmann trat an ihn heran. „Wir sollten aufbrechen. Bald sind wir da.“, sagte er. „Dann lass uns hoffen, dass die Karren nicht wieder im Schlamm stecken bleiben.“, erwiderte Haenderil in angesauerter Erinnerung an den letzten Tag. Sie hatten eine Menge Zeit verloren. Und das lag am Wetter. Am verdammten Regen. Am Schlamm. Und an den zehn Vorratskarren, die mit Futter für die Truppen an der Nordfront beladen waren und von den Eseln nur widerwillig gezogen wurden. „Es ist Zeit fürs Frühstück. Dann werden die Zelte abgebrochen!“, rief der Hauptmann den Soldaten zu, die ebenfalls gerade erst erwacht waren. „Wir werden keine Zeit verlieren.“ Es war ein Trupp von insgesamt vierzig Dúnedain- Soldaten zu Pferde, eigentlich nicht mehr als die Eskorte für die anrollenden Vorratswagen, aber sie galten als die Verstärkung für die Kameraden, die an der Nordgrenze ausharrten und den Berichten zufolge schon so hungrig waren, dass sie fast schon Orkfleisch essen würden. Haenderil, seit einer Woche im Rang eines Heerführers, führte den Trupp an und sollte dann im unruhigen Norden sein erstes größeres Kommando übernehmen. Das Frühstück bestand aus Brot, Äpfeln und Nüssen. Obwohl in den Karren auch Weinfässer transportiert wurden, rührte der Heerführer sie nicht an. Es gab dann nämlich nur zwei Möglichkeiten, wenn er das tat: Entweder er allein trank ein Schälchen Wein und das würde bei den Soldaten gar nicht gut ankommen, oder die ganze Truppe würde ein wildes Saufgelage machen mit dem Ergebnis, das die Grenztruppen dann keinen Tropfen mehr sehen würden. Beides war nicht hinnehmbar für einen Heermeister, der die Zuneigung der Mannschaften gewinnen und den König nicht entäuschen wollte. Der König, Arveleg II. mit Sitz in Fornost, war Haenderils Onkel mütterlicherseits. Die ältere Schwester des Königs, Ithisel, war seine Mutter. Sein Vater war der Fürst von Garasion gewesen, wie die Besitzungen der Familie im Westen nahe den Turmbergen hießen. Dabei hatte sich Fürst Horostal von Garasion nie richtig um die Besitzungen und die paar Bauern, die dazugehörten, gekümmert und stattdessen unermüdlich für den König gekämpft. Nun verfaulten seine Gebeine seit dreiundzwanzig Jahren auf irgendeinem sumpfigen Feld in den Nordhöhen. Viel hatte Haenderil von seinem Vater nie gesehen. Stattdessen war er seitdem am Königshof selbst aufgewachsen. Arveleg II. hatte ihn wie einen zweiten Sohn behandelt. Das bedeutete beste Erziehung, gepflegte Umgebung, ungestörte Jugend. Und natürlich eine Menge Verantwortung. Eine Wahl hatte er nie gehabt. Man hatte ihm die Möglichkeit ein friedliches Leben zu wählen nie gegeben. Das verstand er auch. Wieso sollte er sein Leben in einem beheizten Palast verbringen, wenn draußen viele ihr Leben riskierten. Also lernte er früh den Umgang mit Waffen und wurde einer kleinen Truppe zugeteilt, die in den Nordhöhen operierte. Dort hatte er sein erstes Gefecht erlebt, denn der Trupp wurde auf einem Höhenzug von gleich zwei Orkhorden in die Mangel genommen. Haenderil kam nicht um die Erinnerung an sein erstes Gefecht herum. Ein Ork stand ihm gegenüber. Zum ersten Mal sah er einen. Eine Kreatur, kleiner als er selbst, mit gebeugtem Rücken und geiferndem Blick. Er trug einen Skimitar und einen groben Schuppenpanzer. Sonst nichts. Die gelben Augen drehten sich wie krank in ihren Höhlen, aus dem Maul kamen grunzende Worte. War es ein Tier oder die grauenhafte Entstellung eines anderen Wesens? Bei dieser ersten Begegnung erstarrte der junge Dúnadan vor dem Ork mit seinen zuckenden Bewegungen, der sofort auf ihn losstürmte. Haenderil vergas alles, was ihm sein Lehrer in der Kaserne beigebracht hatte. Er ließ sich vom Ork umwerfen und lag am Boden, als er aus seiner Erstarrung aufwachte. Der Ork holte mit dem Skimitar aus und brüllte, Haenderil wälzte sich um und bekam den Schwertarm des Orks zu fassen. Er brach es. Dann war der Ork tot, der Dúnadan war an sein Schwert gekommen, und die Begegnung war zuende. Es war eigentlich nichts von Bedeutung, nur ein Ork. Er hatte sich überrumpeln lassen, ein typischer Anfängerfehler. Diese Kreatur war die erste von fümf gewesen, die er an diesem Tag erschlug. Im Grunde hatte er sich bewährt, aber die Überrumpelung nagte noch immer an ihm. Er konnte es nicht ertragen, dass er sich von einem kleineren Ork umwerfen ließ. Normale Soldaten mussten auch nach so einem Gefecht weiterkämpfen. Bei Haenderil war es anders. Er wurde abkommandiert und erhielt die Stellung eines Schwertführers. Das klang martialisch, bedeutete im Grunde aber nur, dass er einem Heermeister in Evendim zugeteilt wurde, mit dem er das Zelt teilte, dem er die Korrespondenz führte und immer dicht folgte. Bei den Lagebesprechungen mit den Offizieren war er immer dabei und er wurde herumgeführt. Im Grunde war es nur die Vermittlung organisatorischer Kenntnisse an einen, der später mal selbst ein Heer führen sollte. Dann erhielt er sein erstes Kommando, nämlich als Anführer einer Truppe, die an den Baranduinmündungen die Grenze und den Hafen von Lond Naewaith bewachten. Verglichen mit den Aufgaben an der Nordgrenze war das schon langweilig, denn die Dunländer hatten das Interesse an Arthedains Südprovinz Egenyar verloren und Haenderil musste lediglich präventiv gegen einen Obstschmuggler vorgehen, der die königlichen Zollaufseher betrogen hatte. Und dann auf einmal ein Brief, in dem er zum Heerführer Arthedains befördert wurde. Wovon viele junge Adelige vergeblich träumten, bis sie auf einem blutigen Schlachtfeld starben, wurde ihm, dem Neffen des Königs, praktisch auf dem Silbertablett serviert. Ohne große Leistungen vorweisen zu können, sollte er sich nun um die nördlichen Baranduin- Übergänge kümmern. Es gab sicher bessere Offiziere, die doppelt so alt waren wie er und dreimal so viel Kampfeserfahrung besaßen, aber die wurden übergangen. Die neidischen Blicke konnte Haenderil nicht leicht vergessen. Sie waren eine Anklage. Er nahm das ernst. Er kaute das Frühstück herunter, trank kaltes Wasser aus einem nahen Bach und wusch sich schnell das Gesicht. Dann stieg er schnell in den Sattel seiner Stute. Er war als erster oben und das war wichtig. Aber im Sattel war er sicherer, denn er war ein sehr guter Reiter und konnte es mit den älteren Soldaten aufnehmen. „Wir brechen auf!“, befahl der Hauptmann so, dass es jeder hörte. Inzwischen waren die Zelte eingepackt, zurück blieben nur die Reste der Lagerfeuer vom letzten Abend. Haenderil hatte es schon vergessen, dass er an der Spitze der Truppe ritt, gleich vor dem Hauptmann und dem Reiter, der das Banner Arthedains mit den sieben Sternen und der Krone auf blauschwarzem Grund trug. Vor ihm lag die flache Ebene und sie marschierten durch den Nebel. Erst gegen Mittag klarte es auf. Diese Gegend war früher dicht bevölkert gewesen, sehr viel dichter zumindest als jetzt. Es gab hier noch immer eine Reihe von Dörfern, wo die Bauern Getreide anbauten und Schweine und Hühner züchteten und von ihren Steuern den Fürsten und den König im fernen Fornost ernährten, aber es waren weniger geworden. Das war seit der Großen Pest und einer großen Verheerung durch Orktruppen um 1409 geschehen. Die beiden Ereignisse waren ewig lange her und inzwischen waren es sicher wieder ein paar mehr Dörfer, aber die frühere Blüte der Gegend war verflossen. Weil die Entvölkerung im Süden noch schlimmer gewesen war, siedelten dort jetzt Halblinge oder Hobbits wie sie sich selber nannten. Sie waren unter Argeleb II. über den Baranduin gekommen und lebten in dem Auen- und Hügelland, das sie selbst das Auenland nannten. Ein paar Bauern standen am Wegesrand, aber sie fuhren mit den Feldarbeiten fort. Auf vielen Feldern musste noch geerntet werden. Der Ertrag schien gut zu werden, auch wenn sie einen großen Teil davon wieder abliefern mussten. Haenderil wusste inzwischen, dass die Bauern murrten über die hohen Steuern des Königs, der damit, wie es ihnen schien, nur seinen Palast in Fornost noch schöner machen konnte. Die Vorräte in den Karren hingegen stammten noch aus Egenyar, dem Landesteil Arthedains, wo man ganz sicher jedes Jahr mit Ernteüberschüssen rechnen konnte. Als sie nach einer Weile kurz Rast machten, konnten sie in der Ferne schon die blauen Umrisse der fernen Abendroterge sehen. Entrückt sahen sie aus. Vor ihnen lag die weite Senke zum Baranduin, der hier von den Abendrotbergen aus gemächlich durchs Land floss. Haenderil konnte den blaugrauen Faden in der Landschaft sehen, wo er nicht durch die dichten Uferbäume verdeckt wurde. Er schien bei weitem noch nicht so breit und mächtig wie an den Mündungen zu sein, aber er hatte eine Menge Zuflüsse und wuchs beständig. An den Übergängen verwinkelte er sich zuweilen und bildete anscheind kleine Inseln, Auen und Sümpe. Haenderil sah von ferne schon die Lager und Siedlungen. Jenseits des Flusses erstreckte sich die Ebene von Evendim nach Norden, unendlich und nebelig. Die Ausläufer der Abendrotberge, die da in seiner Sicht lagen, bildeten die Grenze ins Niemandland. Dort stieg Rauch auf. Zitieren
Imrazor Geschrieben 2. Oktober 2007 Geschrieben 2. Oktober 2007 Nun, mir gefällt vor allem die Thematik deiner Geschichte, denn sie spielt in einem jener Zeiträume, über die höchstens Mutmaßungen angestellt werden können. Ich finde, du hast diese Lücke mit deiner Geschichte sehr gut gefüllt. Nichts wirkt unrealistisch oder nicht vorstellbar, die ganze Handlung passt gut nach Mittelerde hinein, etwas, was bei sehr vielen Fangeschichten meiner Meinung nach leider nicht mehr der Fall ist. Der Hauptcharaktter Haenderil gefällt mir ebenfalls gut. So weit ich weiß, hat Tolkien die Dunedain in den meisten Fällen als starke, unnahbare, edle und mutige Krieger dahingestellt. Haenderil hat zweifellos auch etwas davon, aber ich habe es beim Lesen als interessant empfunden, einen Dunedain-Heerführer vorgestellt zu bekommen, der sich vor seinen Männern behaupten muss und etwas unsicherer wirkt. Damit erhält der Dunedain einige etwas menschlichere, "gewöhnlichere" Charakterzüge und ist nicht ein stets tapferer, unendlich mutiger Elendil-Charakter. Das gefällt mir wirklich sehr gut an deiner Story. Mich haben beim Lesen lediglich einige Kleinigkeiten gestört, die aber an sich vielleicht auch recht unbedeutend sind. Du hast stets die genauen Jahreszahlen und Daten der Historie von Mittelerde mit eingebracht, z.b "Das war seit der Großen Pest und einer großen Verheerung durch Orktruppen um 1409 geschehen" oder "Arveleg II. hatte ihn wie einen zweiten Sohn behandelt" Ich bin zwar für historische Korrektheit, aber in einer laufenden, flüssigen Geschichte hemmen genaue Jahresdaten und Ordnungszahlen meiner Meinung nach den Lesefluss. Ich halte Umschreibungen wie "Vor Jahrhunderten", "Einst" oder ähnliches in flüssigen Texten für besser als genaue Jahreszahlen. Bei Arveleg II würde ich ein einfaches Arveleg vorziehen, aber das ist vielleicht auch wieder Geschmackssache. Alles in allem aber . Zitieren
Murazor Geschrieben 3. Oktober 2007 Autor Geschrieben 3. Oktober 2007 (bearbeitet) Danke für den Kommentar. Ich habe den zweiten Teil geschrieben. Der Handlungsverlauf mag hier zwar ein wenig behindert sein, aber ich musste einige Dinge erklären, um die folgende Handlung verständlich zu machen. Wie auch den ganzen strategischen Kontext. Rood ist ein Ort aus einem Rollenspiel. Die Bezeichnung ist also de facto geklaut. Asronar ist ein Offiziersrang in den Armeen Arthedains. Vergleichbar mit einem Oberst oder General. Der Baranduin, der in einem leichten Bogen vom eiskalten Abendrotsee bis ins weite Meer floss, teilte Arthedain in zwei ungleich sichere Teile. Während Orktruppen im Osten, besonders in der Umgebung von Fornost und nahe den Wetterbergen, schon fast alle Dörfer und Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht hatten und dort Horden von marodierenden Orks und mit ihnen verbündeten Menschen durch das verödende Land streiften, war das Land westlich des Baranduin fast noch gänzlich von den ständigen Kriegen und Feldzügen unberührt. Die Dúnedain machten sich den Fluss zunutze und versuchten mit Wachen an den Übergängen Angreifer aus Angmar von dem Hinterland fernzuhalten, das Fornost noch immer mit den dringend benötigten Ressourcen versorgte. Auch waren die Flussübergänge strategisch wichtig, da Fornost im Falle einer massiven Bedrängnis auf die Hilfe der Elben von Lindon angewiesen war. Und je stärker Angmars Kräfte wurden, desto mehr wurden die Elben von den Grauen Anfurten in Anspruch genommen. Eine Schwierigkeit war die große Anzahl von Furten und Übergängen. Die Landvermesser des Königs hatten vor Urzeiten fünfzehn verschiedene Furten ausgemacht, von denen fünf regelmäßig von Händlern und Reisenden genutzt wurden. Dazu kam dann noch eine schwer zählbare Reihe von Stellen, wo das Wasser niedrig genug war, um von Menschenkriegern ohne besonders schwere Ausrüstung durchwatet zu werden. Seitdem hatte man keine genaue Flussvermessung mehr durchgeführt, aber in manchen Abschnitten hatte der Fluss seine Richtung geändert, Gebiete waren entwässert, andere überflutet worden. Flache Abschnitte waren vertieft, tiefe verflacht worden. Beiderseits wurde der Flusslauf oft von dichten Uferwäldern gesäumt, wo sich ganze Heere verstecken konnten. Trotz dieser Umstände zählten die Könige auch mangels anderer Möglichkeiten auf den Fluss. Argeleb II. hatte nach der Großen Pest begonnen Flusswächter aufzustellen und seine Nachfolger waren ihm darin gefolgt. Nur waren die schlagkräftigsten Dúnedain- Einheiten zu anderen Schlachtfeldern abbefohlen worden und seitdem rekrutierte man die Flusswachen aus Nicht- Dúnedain, Mittelmenschen, wie sie von den Herren in Fornost genannt wurden. Das waren Bauernsöhne aus den Dörfern und Stämmen beiderseits des Baranduin, die vom König verpflichtet und ausgerüstet wurden. Die Offiziere waren aber Dúnedain und man hielt hier weniger erfahrene Dúnedain- Einheiten, meist Berittene, zur Verstärkung. Doch auch die Mittelmenschen hatten nicht unbegrenzt viele Krieger zur Verfügung. Im Nordabschnitt des Baranduin, dort, wo die Front von Evendim gefährlich nahe war, lag die Sollstärke der Truppen auf der anderen Flussseite bei 7.000 Kriegern. Doch als Haenderil eintraf, stand die tatsächliche Stärke bei nicht einmal 3.000, die über einen langen Uferabschnitt verteilt waren. Asronar Labathor stammte aus Fornost, hatte diese Stadt aber schon seit zehn Jahren nicht mehr gesehen und seine Kampferlebnisse standen ihm im zerfurchten Gesicht geschrieben. Er war seinem König blind ergeben und ein tapferer Soldat, wegen seiner Verdienste war er in einen der obersten Heeresränge aufgerückt. Sein Befehlsstand war ein befestigtes Lager, das nah genug am Fluss lag, dass die es die Wachen hören konnten, wenn die Lachse zum Abendrotsee schwammen. Insgesamt siebenhundert Krieger bewohnten dieses Lager und Labathor kommandierte vier weitere Lager, die am Flusslauf entlang verteilt waren. In seinem Aufgabenbereich lag der wohl gefährlichste Abschnitt des Baranduin überhaupt, seit vier Jahren diente er hier. Man hatte ihm die Ankunft eines neuen Heerführers aus dem Süden angekündigt. Es würde wohl ein erfahrener Offizier sein, dachte er, aber er konnte seine Enttäuschung nur mühsam unterdrücken, als ein kleines Prinzlein herangeritten kam. „Mein Name ist Labathor, Herr.", brummte er, als sich der Trupp dem Lager näherte. „Ich bin Kommandant dieses Lagers im Range eines Asronar." Der Lagerkommandant konnte seinen Unmut nicht ganz unterdrücken und Haenderil wurde klar, dass seine Ankunft hier nicht gerade freudig begrüßt wurde. Die letzten Meilen waren sie so schnell wie möglich geritten und hatten die Karren hinter sich gelassen, denn die Rauchsäulen von jenseits des Flusses hatten ihn sehr beunruhigt. Bei diesem Lager schien aber alles ruhig zu sein, abgesehen von einigen Kolonnen Bewaffneter, die mit Speeren und Bögen das Lager verließen. „Wir haben Rauch von jenseits des Flusses gesehen.", begann Haenderil so unbewegt wie möglich. Aber es schien nichts Aufregendes passiert zu sein, wenn der Kommandant die Zeit hatte ihn zu begrüßen. „Es gab Kämpfe jenseits des Flusses, Herr.", antwortete Labathor und wies auf die andere Seite. Dort schien es noch immer zu rauchen. „Orks sind aufgetaucht, einige Rotten von kräftigen Nordlandorks. Der Rauch kommt von einem Dorf, das schon halb verlassen war, trotzdem gab es ein paar Tote. Die Flüchtlinge sind inzwischen hier", er wies auf eine Reihe von Hütten und Holzhäusern, die außerhalb der der Lagermauer aus Ziegelsteinen lagen „Die Orks waren nicht aufs Kämpfen aus. Sie zündeten das Dorf an und zogen sich zurück in die Wälder, unsere Reiter kamen zu spät." Haenderil saß ab. „Wie viele Orks befinden sich da drüben?" Eine gut gemeinte Frage, aber Labathor wurde nur noch missmutiger. „Das können wir zurzeit schlecht abschätzen. Sie kommen nahezu ungehindert über Evendim, auch wenn es dort einige Truppen von Waldläufern gibt. Aber ich würde sogar sagen, dass ist im Bereich des Üblichen." „Im Bereich des Üblichen?" Haenderil stutzte. „Das ist nicht das einzige Dorf, das in letzter Zeit niedergebrannt wurde und vergleichsweise sind auch wenige Menschen getötet wurden. Es gibt keine Anzeichen, dass unsere Feinde dort drüben Truppen ansammeln würden." „Keine Anzeichen für eine größere Bedrohung.", murmelte Haenderil. „Gut zu wissen." „Nun, für Euch steht ein Quartier bereit.", sagte Labathor mit angestrengter Höflichkeit. Das einstige von Palisaden umgebene Feldlager war zu einer Art von Festung umgebaut worden. Lange Baracken nach Dúnedain- Art beherbergten Vorratsräume, Waffenkammern, Küchen, Schlafräume und Ställe. Man hatte hier viele Pferde, aber auch ganz normale Nutztiere, Kühe, Schweine und Hühner. Haenderil wusste, dass die Soldaten Arthedains einen Großteil ihrer Zeit der Landwirtschaft widmen mussten, denn es wurde von Jahr zu Jahr schwieriger eine reibungslose Versorgung der Garnisonen zu sichern. Die Karren aus Egenyar wurden sofort entladen und die Vorräte in die Küchen gebracht. Es war eine Menge von gutem Getreide. Der Befehlstand des Heermeisters war das größte Gebäude im Lager. Es war rechteckig und hatte nur einen Eingang. Labothar führte Haenderil hinein. Bisher hatte ausschließlich er hier residiert, nun musste er einige Räume dem neuen Vorgesetzten zur Verfügung stellen. Es gab einen kleinen Innenhof mit einer Rasenfläche und Ziersträuchern gleich nach dem Eingang. Von dort kamen sie in einen größeren Saal mit einem Steintisch in der Mitte, einer Flagge Arthedains an der weißen Wand und Schränken mit Papieren. Das war der Kommandoraum. Auf dem Tisch war eine große Karte ausgebreitet. „Es gibt einen Wachtrupp von fünf Mann, die jeden Abend und Morgen abgelöst werden.", erklärte Labathor. Haenderil hatte die Wachen schon gesehen. Sie waren Dúnedain mit polier- ten Plattenpanzern, Speeren, ovalen Schildern und Langschwertern. „Wir werden eine Lagebesprechung machen müssen.", fuhr der Offizier fort. „Ich habe meine immer um vier abgehalten." „Dann belassen wir es bei vier." Haenderil betrachtete die Karte interessiert. Sie schien schon mehr als nur ein paar Jahre alt zu sein. Man hatte sie an verschiedenen Stellen überkritzelt. Wahrscheinlich, weil sich die Gegend geändert hatte. „In Ordnung, um vier.", sagte Labathor. „Wir haben eine sehr gut funktionierende Wasseruhr aus zwergischer Fertigung. Sie steht auf der anderen Seite dieses Hauses. Sehr präzise. Man muss sie nur zweimal im Jahr neu drehen." Haenderil hatte von solchen Zwergenuhren gehört. Sie waren sehr teuer. Labathor schien seine Gedanken lesen zu können. „Kriegsbeute.", sagte er. „Ist eine Ewigkeit her, dass ich den Angriff auf ein Orklager im Norden geleitet habe. Sie hatten einen ansehnlichen Beutehort. Das meiste Zeug ging nach Fornost, aber um die Wasseruhr habe ich gekämpft. Nun ruht euch aus." Er grüßte noch kurz und verließ dann den Kommandoraum. Haenderil sah sich in seinen Räumen um. Es waren drei, spärlich möbliert. Er legte die Rüstung ab und suchte nach etwas zu trinken. Im obersten Regal seines Schrankes war ein Weinkrug. Er kostete ein wenig davon, es war ein saurer Jahrgang, aber trinkbar. Die Räume waren dunkel, es gab nur eine schmale, vergitterte Öffnung im Schlafraum, aber die Sonne kam zu dieser Tageszeit von der anderen Seite. Eine alte, von Arnors Königen einst angelegte Straße, die sich nicht mehr im allerbesten Zustand befand, führte aus den südlichen Teilen Arthedains nach Norden, durchquerte das von den Halblingen bewohnte Gebiet, kam an der Kleinstadt Nirmolian vorbei, führte durch das von Bauern besiedelte Land, wo Haenderil und sein Trupp übernachtet hatten, kam herunter zum Baranduin, führte an Labathors Lager vorbei, überquerte den Fluss bei einer der ältesten Furten, führte dann parallel zum Fluss und erreichte die Kleinstadt Rood. Rood war eine von Mittelmenschen bewohnte Stadt, die sich gefährlich nahe am Kriegsgebiet befand und schon zweimal von Orks belagert wurde. Mit den Mitteln des Königs, der hier einen Stützpunkt haben wollte, und mit ihrer eigenen harten Arbeit hatten die Menschen von Rood eine Steinmauer rund um ihr Städtchen erbaut, mit Türmen und zwei Toren. Die Einwohner der Stadt hatten eine eigene Miliz, aber auf Befehl des Königs gab es hier noch einen Reitertrupp und zweihundert Bogenschützen. Die Menschen von Rood waren für den König wichtig, auch wenn die Stadt arg gefährdet war. Die von der Furt kommende Straße führte quer durchs Land nach Fornost selbst. Fornost war auf Lebensmittellieferungen aus dem Westen angewiesen. Die Dörfer östlich des Baranduin gaben nicht genug her. Im Süden, bei dem Städtchen Bree, gab es noch genügend Felder, aber die Nord- Süd- Straße, die von Bree nach Fornost führte, war immer wieder das Ziel von Angriffen. In den undurchdringlichen Wäldern und Sümpfen westlich der Wetterberge unterhielt Angmar ein paar Truppenlager, von denen aus Angriffe auf Karren geführt wurden, die von Bree nach Fornost fuhren. Deswegen war die Straße über Rood in der Bedeutung gestiegen. Aber auch dort bestand immer wieder die Gefahr, dass Orks die Lieferungen abfangen könnten, denn aus Evendim wurden harte Kämpfe gemeldet. In Fornost waren sich die Berater des Königs einig, dass sich Angmar bemühte näher an diese Straße heranzukommen, um die Versorgung von Fornost ins Stocken geraten zu lassen. Die Kräfte Angmars waren in den letzten Jahren gewachsen. Kundschafter berichteten mit großer Sicherheit, dass ein direkter Angriff von Norden auf Fornost selbst gut möglich sei. Die Karren von Rood mussten von starken Reitereskorten gesichert werden. Vor acht Jahren war ein Versuch Angmars gescheitert, die Straße zu sperren, es hatte eine kleine Schlacht mit vielen Toten gegeben. Nur waren Angmars Kräfte erneut gestärkt worden und die Gefahren bestanden weiter. Deshalb konnte Arthedain nicht auf Rood verzichten. Der Reiter aus Fornost hatte keine Eskorte bekommen. Es bestand die Annahme, dass ein einzelner Reiter die Strecke nach Rood sicherer hinter sich lassen könnte als ein ganzer Trupp. Es lag auch daran, dass zurzeit in Fornost niemand zur Verfügung stand, um eine Eskorte zu bilden. Der König hatte seine Reitertruppen an die Ostgrenze geholt. Dort wurde mit neuen Angriffen gerechnet. Der Reiter sollte sein Ziel schnell erreichen. Deswegen trug er keine Rüstung, nicht einmal ein Lederwams, sondern nur einen Mantel gegen die Nässe, die Kälte und ein Kurzschwert. Er hielt die Zügel fest in den Händen und zwang das Pferd durch ständigen Druck seiner Schenkel im Galopp zu bleiben, denn er hatte es eilig. Es war kein schlechtes Pferd, eher ein sehr gutes aus den königlichen Ställen. Es galoppierte nun seit schon vier Stunden. Eine Pause wollte der Reiter erst hinter den sicheren Mauern von Rood machen. Er musste eine Botschaft mit königlichem Siegel überbringen, die in seiner Satteltasche lag. Schaum tropfte aus dem Maul des Pferdes, als die Straße durch die westlichen Ausläufer der Nordhöhen führte, ein windiges Gelände und es regnete obendrein. Hier hatten einmal Siedlungen gelegen, der Reiter konnte die Ruinen alter Steinhäuser sehen. Er bemerkte erst jetzt an einem Donnern, dass sich über ihm ein Gewitter zusammengeballt hatte. Die undurchdringliche Wolkendecke verdunkelte die Erde. Es regnete stark. Sollte er eine Pause einlegen, bevor er vom Blitz getroffen wurde? Der Blitz traf nicht ihn, sondern eine Pappel auf einer Hügelkuppe, die in sengendes Licht getaucht wurde. Der kurze Zeitraum, während dem er um sich herum alles klar erkennen konnte, reichte gerade noch aus um drei Pfeile zu sehen, die zwischen den fallenden Regentropfen auf ihn zuflogen. Man nahm ihm die Satteltasche als erstes ab, schleifte seine blutige Leiche von der schlammigen Straße runter und warf sie unter einen Busch, wo sie liegen ließ. Das Pferd sollte ebenfalls mitgenommen werden, doch dann riss es aus und verschwand im Gestrüpp. Der Regen wusch das Blut des Reiters von der Straße. Bearbeitet 3. Oktober 2007 von Murazor Zitieren
Murazor Geschrieben 3. Oktober 2007 Autor Geschrieben 3. Oktober 2007 König Arveleg II. grüßt seinen Neffen und Heerführer Haenderil! Als ich dich mit der Befehlsgewalt über die Truppen am nördlichen Baranduin betraute, glaubte ich, dass sie einem angehenden Heerführer ohne besondere Erfahrungen geradezu angemessen wäre. Doch jüngste Ereignisse veranlassen mich von einer größeren Bedrohung der Übergänge am Oberlauf des Baranduin auszugehen als bisher. Die Stärke unserer Feinde in Angmar ist gewachsen, derzeit haben sich vier unterschiedliche Heere gegen uns gesammelt. Zwei stehen im Osten, bei den Wetterbergen und in den weiten Wäldern, die zwischen Angmar und den Nordhöhen liegen. Auch wenn mir keine genauen Kenntnisse vorliegen, gehe ich davon aus, dass es zusammengenommen eine sehr starke Streitmacht ist, die all unsere Kräfte erfordert. Die übrigen zwei Heere scheinen kleiner, aber trotzdem von ansehnlicher Schlagkraft zu sein. Sie kommen von Norden. Das erste der zwei rückt in die Nordhöhen vor, dort gibt es heftige Kämpfe. Das zweite aber, und das betrifft dich, kommt über Evendim und scheint das Städtchen Rood, die von dir bewachten Übergänge des Baranduin und die Straße von Rood nach Fornost in Angriff nehmen zu wollen. Es werden endlos scheinende Marschkolonnen von bewaffneten Orks gemeldet. Die Waldläufer in Evendim sind tapfer, aber sie können kein ganzes Heer aufhalten. Ich gehe von einer Stärke dieses Heeres zwischen 6.000 und 10.000 Kriegern aus. Es wird entweder in Richtung Rood oder in deine Richtung vorrücken. Ich habe mich über die derzeitige Stärke deiner Truppen unterrichten lassen. Da du noch nicht genug Erfahrung hast, um diesem Feind in einer offenen Feldschlacht entgegentreten zu können, rate ich dir dich defensiv zu halten. Nimm das gesamte Land nördlich deiner Stellungen als verloren an, doch Rood muss gehalten werden. Der Reiter, der dir dieses Schreiben überbracht hat, hat ein weiteres an Tirgobil, den Kommandanten von Rood übergeben. Tirgobil wird die Tore von Rood schließen lassen und versuchen, der ganz sicher kommenden Belagerung standzuhalten. Gewiss besitzt der Feind keine Sturmgeschütze und wird sich auf eine lange Belagerung einstellen müssen, denn Tirgobil verfügt über ausreichend Vorräte. Versuche du dann nicht Rood unmittelbar zu besetzen, sondern sende deine Reiter aus, damit sie Angmars Heer in Scharmützel verwickeln und vom Nachschub abschneiden. Der dir unterstellte Labathor ist ein aufrechter Krieger, der schon viele Gefechte gewonnen hat. Vertraue ihm. Vertraue auf dein eigenes Geschick, auf die Hilfe der Valar und auf die Kraft der Dúnedain! Ich werde versuchen Verstärkung zu schicken, sobald es geht. Boten sind zu den Elben nach Lindon unterwegs, sie haben uns bisher noch nie im Stich gelassen, wenn die Dúnedain in höchster Not standen. Meines Wissens hat Círdan, Herr der Grauen Anfurten, einige Truppen östlich des Lhûn stationiert. Sie werden sicher zu Hilfe kommen. Mit deiner Befehlsgewalt als Heerführer kannst du auch Verstärkung aus Nirmolian und den südlichen Gebieten anfordern, um Angmar von den Übergängen fern zu halten. Arveleg II, Herr von Arthedain und Hoher König von ganz Arnor durch die Gnade Eru Illuvatars des Allmächtigen Doch es war nicht Heerführer Haenderil, der den Brief aus Fornost Erein las, den der König selbst geschrieben und besiegelt hatte. Von den Dúnedain unvorhergesehene Dinge waren eingetreten, von dem Moment an, als der Bote aus Fornost von drei Pfeilen tödlich durchbohrt und ausgeraubt wurde. Narcharos, Unterfeldherr Angmars und Kommandant der Vorhut seines Heeres, ein Mann, der in Carn Dûm geboren und in den Kampfschulen des Roten Turms ausgebildet worden war, lächelte kaum merklich, als er das Schreiben des Königs von Arthedain an seinen Heerführer las. Normalerweise hielt er gar nicht viel von Orks. Sie waren gerade mal gut genug um die Zeit der Feinde in Anspruch zu nehmen, hatte er gedacht. Doch diesmal hatten sie seinen Auftrag zu seiner vollen Zufriedenheit erfüllt und die Post aus Fornost an ihn abgeliefert. Rückblickend gesehen war es gar nicht so selbstverständlich, dass das Kommando-Unternehmen gelang. Der lohnende Tipp hatte sehr wenig Zeit gelassen, aber der Trupp aus sechs Nordlandorks, kälteresistenten Kämpfern mit großer Ausdauer aus den Bergen Angmars, und einem menschlichen Anführer, hatte den Boten getötet und die Botschaft an sich gebracht. Die armen Dúnedain am Baranduin würden niemals auch nur erfahren, dass ein Bote unterwegs gewesen war. „Gut gemacht.“, sagte er leise zu den Mitgliedern des Kommandotrupps, die ihm gegenüber standen. „Ihr habt euch um Angmar verdient gemacht. Lauft zu den Karren, nehmt euch so viel Schnaps und Fleisch wie ihr in eure Mägen stopfen könnt.“ Die Orks johlten und rannten zu den Karren, die unter Bewachung am Rand eines Kiefernwäldchens standen. Bei Narcharos blieb der Anführer der Truppe unter einem Felsüberhang zurück. Ein Trupp Menschen hatte hier an dem trockenen Ort ein Feuer gemacht, an dem Fleisch hing. Der Anführer des Trupps war ein Mann von Narcharos’ Vertrauen, ein entschlossener Krieger aus Nan Angmar mit einigem Kampfnarben, der Cartan hieß. Er war wie die anderen Krieger in dem Trupp mit einem Schuppenpanzer gewappnet, trug Fuchsfelle und ein Dunkelstahlschwert an der Hüfte. Er war sehr verlässlich, das Schreiben hatte er übergeben. „Der Reiter war tot?“, fragte Narcharos. „Ja, Herr.“, antwortete Cartan. „Hat ihn jemand begleitet?“ „Nein, Herr.“ „Passierte er bei einer Siedlung?“ „Nein, Herr.“ „Keine Zeugen?“ „Nein, Herr.“ „Es gibt nichts, woraus die Dúnedain Verdacht schöpfen könnten?“ „Nein, Herr.“ „Gute Arbeit.“, sagte Narcharos und überreichte Cartan einen Lederbeutel mit Silber-Münzen. Cartan verneigte sich überdankbar und verschwand dann in der Nässe vor der Höhle. Es regnete noch immer sehr stark, aber Narcharos konnte von der hochgelegenen Höhle aus den Baranduin sehen. Der Fluss Arthedains wand sich durch sein Bett zwischen teils sehr dichten Uferwäldern. Er erkannte die schwachen Lichter von den Lagerfeuern der Wachen dort. Es war ein flaches, weites Gebiet, das auf seine Eroberung wartete. Narcharos würde diese Eroberung ausführen und mit Ruhm bedeckt werden. Er sah sich das Schreiben noch einmal an. Immer wieder überraschte es ihn, dass die Dúnedain immer wieder so gute Kenntnisse von den Bewegungen ihrer Feinde hatten, bessere zumeist als Angmar welche besaß. Doch leicht verschätzt hatten sie sich diesmal. Eine Streitmacht von 12.000 Kriegern, gut bewaffnet und mit durchdachter Logistik unter dem Befehl von Feldherr Sothas würde die Stellungen der Dúnedain am Oberlauf des Baranduin überrennen, Rood erobern, die Straße nach Fornost sperren, das Land westlich des Flusses verheeren und jeden Versuch der Elben verhindern, zu Hilfe zu kommen. Wer weiß, dachte sich Nacharos, vielleicht würde er als erster Krieger Angmars den Fluss Lhûn überqueren? Er wandte sich wieder dem Schreiben zu. Der Heerführer Arthedains mit dem Namen Haenderil tat ihm schon fast leid. Haenderil hatte auf ein Ende der Regenfälle gehofft, nun gab es sogar noch Gewitter. Er hatte sein Kommando als Heerführer am Oberlauf des Baranduin mit einer Lagebesprechung im Befehlsstand angetreten. Die große Karte auf dem Steintisch zeigte alle Stellungen der Dúnedain in dieser Gegend an, denn bei jeder Garnison und bei jedem Wachtrupp war ein blaues Fähnchen angebracht. Ein großes blaues Fähnchen wehte über Rood, doch dieses Städtchen unterstand nicht Haenderils Befehlsgewalt. „Das Kommando dort hat ein Mann namens Tirgobil.“, erklärte Labathor. „Ein aufrechter Soldat, der aber einen Großteil seiner Zeit mit dem Zählen von Erbsen verbringt. Er ist ein knausriger Geizhals und fühlt sich dem König zu allergrößter Ehrlichkeit verpflichtet.“ Bei der Lagebesprechung stellte man ihm zuallererst seine Offiziere vor. Naelmir, Althaer, Cirnath und Imarnor waren im Mainothar- Rang, also Hauptleute, Onaruir war im Rang eines Cristonar, also direkt unter Labathor, der wiederum direkt unter Haenderil stand. Beschämt musste Haenderil feststellen, dass nur der picklige Imarnor jünger war als er selbst. Mal wieder fand er sich in der uneigennützigen Ansicht bestärkt, dass bei der Rangverteilung in Arthedains Heer viel zu sehr auf die Abstammung aus adeligem Hause geachtet wurde. Althaer war gerade von einer Rittpatrouille auf der anderen Seite des Flusses zurück-gekehrt, deswegen erstatte er Bericht über die Lage dort. „Es scheint nicht gefährlicher als sonst zu sein.“, sagte er. „Natürlich streifen dort Orks herum, aber das sind eine Gruppe, vielleicht auch zwei, die noch nicht einmal den Mut haben uns direkt zu begegnen. Am Fluss hat sich nichts Verdächtiges bewegt. Heute waren wieder zwei Streifen zu Fuß in den Uferwäldern unterwegs. Aber natürlich müssen wir achtgeben, die Orks sind nicht hier um sich die Zeit bei der Kaninchenjagd zu vertreiben.“ „Wie groß schätzen wir ihre Zahl ein?“ „Vielleicht hundert.“, sagte Naelmir. „Das ist fast schon ein üblicher Zustand.“ Dann ging es um die Straße nach Rood. Cirnath war dafür zuständig alles zu vermerken, was den Fluss überquerte. „Wir hatten einen Tuchkarren.“, sagte er. „Nach Fornost ist der Händler unterwegs. Er hat eine Reitereskorte von zehn Mann bis nach Rood bekommen. Sonst nichts. Außer Fischern aus den Dörfern am Südufer, die ihre Netze und Angeln auswarfen.“ Wo es um Karren ging, konnte Haenderil nicht vom Nachschub ablenken. Das war für die Offiziere im Befehlsstand sehr wichtig und offenbar waren sie von den zehn Karren, die mit Haenderil gekommen waren, nicht befriedigt. Vor allem wurden frische Kleider und Rüstungsstücke erwartet. Für Onaruir war es kaum erträglich, dass ein Tuchhändler an ihnen vorbeifuhr um seine Ware in Fornost Erein zu verkaufen, während es den Wachen am Fluss an Kleidungsstücken mangelte. „Wie viel brauchen wir?“, fragte Haenderil. Cirnath reichte ihm eine genaue Liste. Der Mainothar war der Buchführer des Lagers und ein sehr genauer obendrein. Die Liste hatte einiges zu bieten. Etwa zweihundert neue Hemden waren gefragt, ebenso hundert Hosen. Haenderil fragte sich, wie man einen so hohen Materialverschliss haben konnte. „Es gab ein Feuer im Warenlager in Nirmolian.“, erinnerte sich Cirnath. „Dort lagerte der Kleidernachschub. Aber wir brauchen noch eine ganze Menge sonst. Brennöl, Bandagen für die alltäglichen Verletzungen, Arzneien und seit Wochen haben wir kein Gemüse mehr. Es wird nicht mehr lange dauern, dann haben wir auch die neuen Getreidevorräte aufgefressen. Die Liste hier habe ich schon auf den neuesten Stand gebracht.“ „Sehr gut.“, meinte Haenderil. „Mach mir noch zwei Kopien der Liste. Die schicken wir dann nach Nirmolian und Rood. Nach Nirmolian werde ich auch die Bitte um weitere Truppen schicken, wir sind weit unter der Sollgrenze. Nötigenfalls werde ich mich an den König selbst wenden, auch wenn eigentlich alle Heere Arthedains unter Sollstärke sind.“ Er erklärte die Besprechung für beendet. Nach der Zwergenuhr hatte sie zwei Stunden gedauert. Er bemerkte allerdings, dass Labathor noch im Raum war. „Was ist?“, fragte Haenderil. „Ihr fangt wieder dort einen Streit an, wo bisher jeder Heerführer gescheitert ist.“ „Was meinst du?“ „Nirmolian.“, antwortete Labathor. „Ihr wollt von dort Verstärkung, die werdet Ihr aber nicht bekommen.“ „Wieso?“ „Fürst Raescil von Nirmolian weigert sich beharrlich mehr als einige Vorräte zu stellen. Dafür hält er sich seine eigene Garnison von fünfhundert Kriegern.“ „Ich hatte bei meiner Durchreise bemerkt, dass er über eine Menge Krieger verfügt.“, sagte Haenderil. „Aber fünfhundert sind doch eigentlich mehr, als einem Fürsten in beinahe- Friedenszeiten zusteht.“ „Das sieht er nicht so. Er hält sich seine eigene Garnison, um seine Stadt besser vor Angmars Horden zu schützen. So zumindest hat er es dem König erklärt. Tatsächlich will er vor allem seine Hörigen am Boden halten.“ „Seine Bauern?“ Haenderil meinte sich an etwas zu erinnern. „Gab es hier nicht mal einen Bauernaufstand?“ „Ja, den gab es. Vor knapp fünfzig Jahren, so lange ist das mittlerweile schon her. Aber geändert hat sich wenig. Fürst Raescil fordert seinen Bauern eine Menge ab. Frondienste, Steuern, Getreideabgaben und vieles mehr. Es gibt in Nirmolian erhebliche Missstände, aber bisher konnte noch nichts dagegen getan werden. Raescil ist ein eigennütziges Schwein. Von ihm kann man höchstens ein paar Hemden bekommen oder vielleicht Bestechungsgelder, ein Vorgänger an diesem Kommando hat welche angenommen. Ein schmieriger Kerl war das.“, sagte er, ohne Haenderil aus den Augen zu lassen. „Ich lasse mich nicht schmieren.“, entgegnete Haenderil wütend. Labathor sah ihm spöttisch in die Augen. „Das ist alles eine Charaktersache.“ „Wie meinst du das?“ „Euer bestechlicher Vorgänger hatte fünfzig Jahre lang sein Leben aufs Spiel gesetzt für den König und das Reich. Er hatte einen Arm verloren und seine vier Kinder für den Dienst am König. Irgendwann gab es dann keinen Halt mehr für ihn, sein Charakter war ebenso verschlissen wie es seine Kräfte waren. Da hatte er schon jeden Bezug zur Moral und Sitte verloren.“ „Und was habe ich damit zu tun?“, entgegnete Haenderil höhnisch. „Entweder man verliert durch langen Verschleiß und herbe Schicksalsschläge die Moral, oder man hatte sie nie gehabt.“ Haenderil glaubte sich verhört zu haben. Er war der Vorgesetzte dieses Mannes! „Was ich damit sagen will…“, fuhr Labathor fort. „Wie kann man Moral kennen, wenn man das Leben nicht kennt? Wie kann man das Leben kennen, wenn man umsorgt in einem Palast aufwuchs und geschenkt bekam, was einem gar nicht zusteht? Wie will man die Richtigkeit von etwas beurteilen können, wenn noch nicht einmal angemessen mit einem selbst umgegangen wird?“ „Wenn du damit sagen willst, dass ich den Tod noch nie gesehen habe…“ „Ich will damit sagen, dass Fürst Raescil sich weder um Moral noch um die Belange des Reiches kümmert. Er ist zutiefst eigennützig. Doch seid Ihr auf ihn angewiesen, denn Nirmolian ist die Nachschubbasis für unsere Truppen hier. Es wäre besser, einen guten Umgang mit ihm zu pflegen und zu einigen Dingen den Mund zu halten, denn er kann sehr rachsüchtig sein. Er ist der Heer über dieses Land und nicht einmal der König selbst konnte ihm jemals wirklich Einhalt gebieten.“ Zitieren
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