Torshavn Geschrieben 17. März 2008 Geschrieben 17. März 2008 Seit ich damals Der Vorleser, ich weiß nicht mehr wie oft, gelesen habe, habe ich jedem neuen Buch von Bernhard Schlink eine Chance gegeben. Was auch oft zu großen und kleinen Enttäuschungen geführt hat. Die Erzählungen Liebesleben fand ich mäßig, während mich der Roman Die Heimkehr von der ersten Seite an begeistert hatte, bis ich das völlig unnötige Ende las. Nun also das neue Buch Das Wochende. Die 68er und die RAF werden langsam zur geschichtlichen Epoche, die in diesem Jahr 40zigjähriges "feiert". Viele Bücher aus erster Hand erscheinen, während Terroristen begnadigt werden. Der Roman von Schlink erzählt vom Terroristen Jan, der sein erstes Wochenende nach seiner Begnadigung mit alten Freunden in einem alten Landsitz verbringt. Die Welt hat sich weitergedreht während Jan im Knast saß und auch die Freunde haben sich verändert. Schlink breitet vor uns ein Kalaidoskop verschiedener Lebensentwürfe aus, die zwar alle eine gemeinsame rote Vergangenheit haben; die aber heute unterschiedlicher nicht sein könnten. Das sorgt für Zündstoff und liest sich richtig gut. Beinahe wieder wie der Vorleser. Wenn da nicht das Ende wäre, das es uns so unendlich schwer macht, die Haltung, die wir dem Terroristen Jan gegenüber während des Lesens entwickelt haben, aufrecht zu erhalten. Das Wochenende ist ein schmaler Roman ( 225 Seiten ), der einen mit einem Kopf voller Figuren und einem Bauch voller widerstreitender Gefühle zurückläßt. Schlinks bestes Buch seit dem Vorleser. Zitieren
Torshavn Geschrieben 24. September 2013 Autor Geschrieben 24. September 2013 (bearbeitet) Torshavn, on 24 Sept 2013 - 12:40, said: Ein wunderbares Buch. In dieser etwas unseriösen Art und Weise mit den Problemen in der BRD zur nationalsozialistischen Vergangenheit abzurechnen, halte ich doch für ein wenig fragwürdig. Hätte mir da damals in der Schule lieber Literatur gewünscht, wo eben nicht dumm-dämlich von pubertären Mitschülen rumgekichert wird. Auf solch einer Grundlage kann man sich doch nicht mit den späteren Problemen in diesem 'Roman', was den Nationalsozialismus betrifft, ernsthaft im Plenum des Klassenzimmers austausch Ich habe den Beitrag aus dem Thread 'Buchanfänge raten' mal hierher kopiert, weil ich ihn für diskussionswürdig halte, was dort sicherlich fehl am Platze wäre. Vielleicht kann ein Moderator den Threadtitel ändern in 'Bernhard Schlinks Romane' Vielen Dank. In dieser etwas unseriösen Art und Weise mit den Problemen in der BRD zur nationalsozialistischen Vergangenheit abzurechnen, halte ich doch für ein wenig fragwürdig Ich habe den Roman mehrfach gelesen, lange bevor er seine heutige Berühmtheit erlangte, gerade wegen dieser 'neuen' Herangehensweise an das Thema. Wo siehst Du denn Unseriösität und Fragwürdigkeit, seregthaur? Bearbeitet 24. September 2013 von Torshavn Zitieren
raukothaur Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 (bearbeitet) Im eigentlichen Clou der Handlung: Der junge Protagonist hat sexuellen Verkehr mit einer deutlich älteren Frau - was ja damals an sich wohl schon ein Fauxpas war - ohne von ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit zu wissen, mit der er sich erst viel später beschäftigt. Auf dieser Grundlage die nationalsozialistische Vergangenheit in der BRD anzusprechen, halte ich für zu unseriös, da erste pubertär-sexuelle Erfahrungen - auch wenn sie mit einer ehemaligen KZ-Aufseherin stattgefunden haben mögen - nicht zu einer Problemaufarbeitung des Nationalsozisalismus' beitragen. Wer mit wem was wo macht, hat nichts mit dieser komplizierten Thematik zu tun. Individuelle Probleme helfen einfach nicht sonderlich weiter, mit dem Nationalsozialismus entsprechend umzugehen. Bearbeitet 24. September 2013 von seregthaur Zitieren
Berenfox Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 Individuelle Probleme helfen einfach nicht sonderlich weiter, mit dem Nationalsozialismus entsprechend umzugehen. Genau das sehe ich anders. Der Nationalsozialismus stellt sich ganz anders dar, wenn man ihn nicht wie üblich losgelöst von außen oder oben betrachtet, sondern die ganze Problematik eingebunden in zwischenmenschliche Beziehungen erlebt. Das gelingt in diesem Buch (nicht so sehr im Film, im Buch aber schon) recht gut. Zitieren
raukothaur Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 sondern die ganze Problematik eingebunden in zwischenmenschliche Beziehungen erlebt. Das gelingt in diesem Buch (nicht so sehr im Film, im Buch aber schon) recht gut. Die auf Geschlechtsverkehr basierende Beziehung der beiden hat aber nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun. Die beiden haben eben nur Sex, die nationalsozialistische Vergangenheit der Frau spielt für den Sex keine Rolle. Zitieren
Berenfox Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 Und wieso muss die Beziehung der beiden etwas mit dem Nationalsozialismus zu tun haben? o.O Zitieren
raukothaur Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 (bearbeitet) Das hast Du doch impliziert: Der Nationalsozialismus stellt sich ganz anders dar, wenn man ihn nicht wie üblich losgelöst von außen oder oben betrachtet, sondern die ganze Problematik eingebunden in zwischenmenschliche Beziehungen erlebt. Bearbeitet 24. September 2013 von seregthaur Zitieren
Berenfox Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 Das hast du falsch verstanden. Natürlich spielt der Nationalsozialismus beim Sex keine Rolle. Aber der Kerl hat Sex mit einer Frau, die im Dritten Reich schuldig geworden ist. Dadurch stellen sich für ihn und für den Leser gewisse Fragen aus einem anderen Blickwinkel heraus. DAS spielt eine Rolle. Zitieren
raukothaur Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 (bearbeitet) Weil er Sex mit einer angeblich NS-Schuldigen hat, kann man eine Brücke zum Nationalsozialismus schlagen? Die Fragen sind eher, warum er ausgerechnet Sex mit einer über 30-jährigen hat, während er gerade mal 15 ( ? ) ist. Bearbeitet 24. September 2013 von seregthaur Zitieren
Berenfox Geschrieben 24. September 2013 Geschrieben 24. September 2013 Ich sehe das als Konstruktion: Hier wird eine Beziehung konstruiert zwischen einem Jungen, der mit dem Nationalsozialismus noch nichts zu tun hatte, und einer Frau, die eben dort schuldig geworden ist. Diese Konstruktion ist nur möglich mit diesem großen Altersunterschied. Und sie ermöglicht einen einzigartigen Blickwinkel auf die Problematik des Nationalsozialismus, weil der Junge so auf eine besondere Art damit konfrontiert wird. Zitieren
Torshavn Geschrieben 24. September 2013 Autor Geschrieben 24. September 2013 (bearbeitet) sondern die ganze Problematik eingebunden in zwischenmenschliche Beziehungen erlebt. Das gelingt in diesem Buch (nicht so sehr im Film, im Buch aber schon) recht gut. Die auf Geschlechtsverkehr basierende Beziehung der beiden hat aber nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun. Die beiden haben eben nur Sex, die nationalsozialistische Vergangenheit der Frau spielt für den Sex keine Rolle. Die beiden haben eben nicht nur Sex miteinander. Für Michael ist es auf alle Fälle mehr. Sie ist seine erste große Liebe. Und Du darfst das Vorlesen nicht vergessen, das die Beziehung noch vertieft und eine geistige Ebene mit einbezieht. Da würde sich mir schon die Frage stellen: Wie soll ich mich verhalten, wenn ich erfahre, das ich mit einer Mörderin geschlafen habe? Das meine erste Liebe eine KZ- Aufseherin war? Bearbeitet 26. September 2013 von Torshavn Zitieren
raukothaur Geschrieben 25. September 2013 Geschrieben 25. September 2013 das ich mit einer Mörderin geschlafen habe? Soweit ich mich entsinne, geht nicht explizit hervor, ob sie eine Mörderin ist. Bitte Buchbeleg. Da würde sich mir schon die Frage stellen: [...] Diese Frage ist aber ein individuelles Problem Martins, das man nicht für eine allgemeine Aufarbeitung des Nationalsozialismus gebrauchen kann. Die nationalsozialistische Vergangenheit hat weder mit dem sexuellen Akt noch mit dem Verliebtsein Martins zu tun. und einer Frau, die eben dort schuldig geworden ist. Auch hier bitte Buchbeleg. Ist ihre Schuld wirklich eindeutig bewiesen worden? Zitieren
Torshavn Geschrieben 28. September 2013 Autor Geschrieben 28. September 2013 (bearbeitet) Nur um mal die Details zu klären: das ich mit einer Mörderin geschlafen habe? Soweit ich mich entsinne, geht nicht explizit hervor, ob sie eine Mörderin ist. Bitte Buchbeleg. Hanna und vier weitere Frauen, die als Aufseherinnen in einem kleinen Lager bei Krakau, einem Außenlager von Auschwitz, gearbeitet haben, werden in zwei Hauptpunkten angeklagt: 1. Sie waren verantwortlich für die monatliche Selektion von Gefangenen nach Auschwitz, die dort dann in den Gaskammern starben. 2. Sie haben die Gefangenen Frauen und Kinder auf dem 'Todesmarsch' nach Westen bewacht, und in einer Kirche eingesperrt. Als diese durch Bombenangriffe in Brand geriet, haben sie die Gefangenen verbrennen lassen. (Seite 101- 103) und einer Frau, die eben dort schuldig geworden ist. Auch hier bitte Buchbeleg. Ist ihre Schuld wirklich eindeutig bewiesen worden? Hanna hat ihre Schuld während des Prozesses freiwillig zugegeben, und die Mitangeklagten haben die Hauptschuld auf sie abgewälzt (Seite 130- 132). Und sie wird dafür zu lebenslanger Haft verurteilt (Seite 156 / 157). Bearbeitet 28. September 2013 von Torshavn Zitieren
Torshavn Geschrieben 28. September 2013 Autor Geschrieben 28. September 2013 Es geht in Bernhard Schlinks Büchern eigentlich immer um individuelle Schuld der handelnden Personen, wobei oft politische (Das Wochenende), historische (Der Vorleser, Die Heimkehr) und gesellschaftspolitische Verstrickungen der einzelnen eine Rolle spielen, die letztendlich dazu führen, das sie unfähig sind, erfüllte Beziehungen zu führen. Dabei spielt auch immer wieder der Nationalsozialismus eine Rolle, aber immer eine individuelle. Es geht ihm nie um die NS- Zeit an sich, sondern immer um die Verstrickung und die Schuld einzelner. Es geht immer um die Beziehungen der Handelnden. Das sind Themen, die den Autor als im Krieg geborenen (1944), umtreiben. Das Verhältnis der Nachgeborenen zur Elterngeneration, zur Täter- und zur Opfergeneration. Das geht in einer Geschichte aus 'Liebesfluchten' bis in die Enkelgeneration. Ich glaube, es greift zu kurz, seregthaur, wenn Du das Buch auf die Aufarbeitung der NZ- Zeit durch eine sexuelle Beziehung eines Nachgeborenen mit einer 'Täterin' reduzierst. Das ist, meine ich, nicht Schlinks eigentliche Absicht. Der Autor formuliert es am Ende des Buches wie folgt: "In den ersten Jahren nach Hannas Tod, haben mich die alten Fragen geqäult, ob ich sie verleugnet und verraten habe, ob ich ihr etwas schuldig geblieben bin, ob ich schuldig geworden bin, indem ich sie geliebt habe, ob ich und wie ich mich hätte lossagen, loslösen müssen...Was ich getan und nicht getan habe und sie mir angetan hat- es ist nun eben mein Leben geworden." (Seite 205- 207) Zitieren
Torshavn Geschrieben 9. Dezember 2013 Autor Geschrieben 9. Dezember 2013 Vor ein paar Tagen habe ich nun endlich die Verfilmung des Romans 'Das Wochenende' gesehen. Der Film ist hochkarätig besetzt mit Sebastian Koch als Jan, Barbara Auer als seine Schwester, Katja Riemann als seine frühere Geliebte und Mutter des gemeinsamen Sohnes, Tobias Moretti als der jetztige Ehemann der Geliebten und Vater der gemeinsamen Tochter, und schließlich Sylvester Groth als Jans bester Freund. Die Verfilmung kommt als Kammerspiel daher und vermag von Anfang an zu faszinieren, in meinen Augen nicht zuletzt durch die großartigen Schauspieler. Am Ende hatte ich allerdings das Gefühl, das mir etwas fehlt. Die Politik kam reichlich zu kurz im Film. Ich meine, das wäre im Buch besser dargestelt gewesen (aber ich müßte es nochmals lesen). 'Das Wochenende' ist sehenswert. Zitieren
Berenfox Geschrieben 9. Dezember 2013 Geschrieben 9. Dezember 2013 Das klingt allein schon der Schauspieler wegen nach einem lohnenden Film für meine Füchsin und mich. Wir haben zwar das Buch nicht gelesen, aber für den Filmtipp bedanke ich mich trotzdem schonmal recht herzlich! Zitieren
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