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Victor Klemperer


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Geschrieben

Letzte Woche habe ich mich ganz spontan und, weil ich darauf überhaupt nicht vorbereitet war, völlig überraschend zu einem riesigen Projekt entschlossen: Ich werde Victor Klemperers Tagebücher lesen und zwar von vorne bis hinten. Victor Klemperer hat mit ungefähr 17 begonnen, Tagebuch zu schreiben, und damit nicht aufgehört, bis er gestorben ist. Zudem hat er während der Kriegszeit seine Kindheits- und Jugenderinnerungen bis 1918 (sein Tagebuch beginnt 1918) aufgeschrieben.

Berühmt sind seine Tagebücher von 1933 bis 1945 geworden, denn als jüdischer Literaturwissenschaftler hatte er es in Deutschland nicht gerade leicht. Sein Überleben verdankte er seiner nicht-jüdischen Frau, die immer zu ihm gehalten hat. Dieses Tagebuch ist vor wenigen Jahren von Kai Wessel verfilmt worden: "Klemperer – Ein Leben in Deutschland" mit Matthias Habich in der Titelrolle. Victor Klemperer zählt zu den wichtigsten und genauesten Zeitzeugen überhaupt.

Nach dem Krieg hat er ein berühmtes Buch über die Sprache des Dritten Reichs geschrieben, das auf seine in den Tagebüchern festgehaltenen Beobachtungen beruht: "LTI - Notizbuch eines Philologen". Dieses Buch ist einer der wichtigsten Grundsteine für die Erforschung der Sprache des Dritten Reichs (ich habe es mir auch gleich bestellt).

Ich habe mir letzte Woche sein autobiographisches Gesamtwerk, das im Aufbau Verlag erschienen ist, bestellt und es auch bereits geliefert bekommen. Es besteht aus vier Schubern aus je zwei dicken gebundenen Büchern von hoher Qualität (ich bin in der Tat positiv überrascht, denn diese Gesamtausgabe ist in jeder Beziehung eine verlegerische Meisterleistung). Interessanterweise kostet ein Schuber der gebundenen Ausgabe je zwischen 20 und 25 Euro, während die Schuber mit den Taschenbüchern deutlich teurer sind: das Tagebuch zwischen 1933 und 1945 kostet in der Taschenbuchausgabe ca. 40 Euro und gebunden nur ca. 25 Euro. Verrückte Preispolitik! Wie auch immer, der Aufbau Verlag ist ja in Konkurs gegangen (oder so) und das war natürlich auch ein Grund dafür, dass ich so schnell und zwar alles auf einmal bestellt habe. Zusammen mit "LTI" kosteten alle Bücher zusammen (alle gebunden) ca. 100 Euro. Das ist für diese Menge und vor allem in dieser Qualität geradezu billig.

Angefangen habe ich gestern mit dem ersten Band von "Curriculum vitae. Erinnerungen 1881-1918" und bin schwer begeistert! Dieser Mensch konnte schreiben, das ist beachtlich! Ich bin mir sicher, dass ich damit noch viele, viele Stunden genießen werden können, denn insgesamt sind es immerhin 6770 Seiten und "LTI", welches ich mir gleich auch noch dazu bestellt habe, hat immerhin 361 Seiten.

Geschrieben

Ich kann Viktor Klemperer auch nur empfehlen. :-)

Seine Tagebuecher habe ich zwar bisher nur in Auszuegen gelesen, aber die "Lingua Tertii Imperii" hat mich sehr beeindruckt. Es ist zwar schon eine Weile her, dass ich dieses Werk gelesen habe, aber einige Dinge sidn doch haengengeblieben. Ich erinnere mich noch gut daran, wie geschockt ich war, als ich gesehen habe wie viel von dem urspruenglichen Nazi-Vokabular immer noch in unserer Sprache im Umlauf ist. :-0

Solche Erinnerungen sind wichtig, denn allzuoft vergessen wir die Macht von Sprache und Worten:

"Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da."

Wittgenstein hat einmal gesagt "The limits of your language are the limits of your world.". Wir koennen unsere Welt also nur im Rahmen unserer eigenen Sprache erfassen und verstehen. Umso schlimmer, wenn diese Sprache manipuliert wird, wie Klemperer so eindeutig beschreibt.

Danke fuer diesen Thread, viator. :-)

  • 7 Monate später...
Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Danke fuer diesen Thread, viator. :-)

Dem schließe ich mich vorbehaltos an.

Ich habe eben erst diesen Thread, der vor eindreiviertel Jahren eröffnet wurde, entdeckt. Ich werde versuchen, diese Bücher zu bekommen. Es ist genau das, was ich gesucht habe, für diesen Zeitpunkt.

Gerade nach dem Tolkienseminar in Hannover (wo über Gewalt und Krieg bei Tolkien diskutiert wurde) ist mir bewusst geworden - und da auch nicht zum ersten Mal -, wie leicht doch die Phantastik oder gar die Fantasy die Kernprobleme vernebeln kann, sich hinter sich selbst (der Fantasy) verstecken kann.

  • 3 Monate später...
Geschrieben

Ich werde versuchen, diese Bücher zu bekommen. Es ist genau das, was ich gesucht habe, für diesen Zeitpunkt.

Lieferbar sind alle gebundenen Ausgaben der Tagebücher, die Autobiographie über die Zeit vor 1918 scheint lt. Thalia.at vergriffen zu sein. Das ist schade.

Zu meinem Projekt: Ich habe es groß angekündigt, bin aber stecken geblieben. Ich möchte es aber in diesem Jahr noch einmal starten, vorher möchte ich aber noch "Das Dritte Reich und die Juden" von Saul Friedländer lesen, das ich gerade vor zwei Tagen begonnen habe (scheint übrigens ein hervorragendes, wenn auch bedrückendes Buch zu sein). Ich habe vor einem Jahr Klemperer auch deshalb gesamt gekauft, weil ich ihn schon länger im Hinterkopf hatte und zudem den Eindruck hatte, als ob es mit dem Aufbau Verlag irgendwie aus wäre (2008 wurde immerhin ein Insolvenzverfahren eröffnet) und die Bücher damit später nicht mehr so leicht erhältlich wären.

Gerade nach dem Tolkienseminar in Hannover (wo über Gewalt und Krieg bei Tolkien diskutiert wurde) ist mir bewusst geworden - und da auch nicht zum ersten Mal -, wie leicht doch die Phantastik oder gar die Fantasy die Kernprobleme vernebeln kann, sich hinter sich selbst (der Fantasy) verstecken kann.

Das ist ein interessantes Thema. Möchtest Du das ausführlicher diskutieren?

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Entgegen meiner Ankündigung, Saul Friedländer noch vor Victor Klemperer zu lesen, habe ich mich vor wenigen Tagen dazu entschlossen, doch sofort mit dem Leseprojekt zu beginnen. Saul Friedländer lese ich vielleicht parallel zu den Tagebüchern Victor Klemperers, die er während des Dritten Reichs geschrieben hat, lesen - oder vielleicht überhaupt unabhängig davon, ich werde sehen.

Begonnen habe ich mit "Curriculum Vitae", seiner die Jahre 1881 bis 1918 umfassende Autobiographie, die er in der zweiten Hälfte der 30er Jahre geschrieben hat, als ihn die Nazis von allen Arbeitsmöglichkeiten als Literaturwissenschaftler abschnitten. Es ist faszinierend, das gesamte Leben eines Menschen (genauer: dieses Menschen) aus dessen Sicht zu studieren. Die Zeit, in der Klemperer lebte, ist eine besonders interessante, das betrifft nicht nur das Dritte Reich, sondern auch die vielen Jahre davor und die Nachkriegszeit. Bei Klemperer kommt noch ein Umstand hinzu: Er wirkt in seiner Autobiographie auf mich wie ein Gelehrter, der er ja auch war, und vor allem ist er ein genauer Beobachter, der das Erlebte sorgfältig reflektiert und damit sehr kritisch, und zwar auch kritisch über sich selbst ist. Grundsätzlich kann ich mich in das Leben eines Gelehrten auch leichter hineindenken als in manch andere Leben und die Probleme, die Klemperer wichtig sind, sind auch Probleme, die mich interessieren. Mir gefällt auch die Art seines Humors, feine Ironie trifft es m.E. ganz gut.

Das heißt, dass mir Klemperer bisher sehr gut gefällt und ich bin zuversichtlich, dieses relativ ehrgeizige Projekt abzuschließen.

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