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Böse Elben


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Geschrieben

Es geht mir weniger um die Befähigung der Eldalië selbständig Lyrik zu produzieren, als um ihre poëtische Darstellung im Herrn der Ringe und im Silmarillion. Ich will damit zeigen, daß sich Elben nicht durch ihr moralisches Verhalten definieren, sondern durch ihre Ästhetik. Bei der Betrachtung des elbischen Wesenskerns sind die Kategoriën gut und böse, auf die Du zu bestehen scheinst, unerheblich.
Ob sie ihre Sippe ermorden, um an die Schwanenschiffe zu kommen oder treu zusammen halten, um die Thangorodrim zu belagern spielt keine Rolle. Hauptsache sie tun es würdevoll und rülpsen nicht dabei.

Mit Saeros läßt Tolkien einen intriganten Snob in Doriath auftreten, der unmöglich ein Elb sein kann. Aber nicht seine Arroganz und seine Boßhaftigkeit sprechen gegen Saeros Eldar-Zugehörigkeit, sondern sein kleinliches Denken und vor allem die lächerlichen Umstände seines Todes. So unwürdig stirbt einfach kein Elb.
Saeros war mit Sicherheit kein Nando. Ich bin mir sicher, daß der Fehler dem Professor früher oder später aufgefallen wäre. Aber Tolkien wäre nicht Tolkien, wenn er diese Ungereimtheit einfach so korrigiert hätte.
Vermutlich hätte er einen eleganteren Weg gewählt und uns auf die Quellenlage verwiesen. Er hätte uns in Erinnerung gerufen, daß Bilbo das Silmarillion geschrieben hat und daß das Rote Buch der Schönkinds nicht mal mehr vorliegt, sondern nur Abschriften von Abschriften von Abschriften. Schwer zu sagen, ob der Fehler Bilbo oder Findegil oder irgendeinem unachtsamen Schreiberlein späterer Tage unterlaufen ist.
Aber wir können sicher sein, daß Tolkien seine Freude daran gehabt hätte, aus der Ungereimtheit eine Bereicherung für sein Werk werden zu lassen.

  • 4 Wochen später...
Geschrieben

Im großen Mittelerde-Diskurs begegnet man immer mal wieder übereifrigen Anhängern der Frankfurter Schule, die geopolitische Parallelen zum Europa des 20. Jahrhunderts ziehen, anhand derer sie Tolkien dann genüßlich strukturellen Rassismus vorwerfen. Daß diese Anklagen haltlos sind, wissen wir nicht erst seit dem berühmten Ausspruch des Professors: „Im echten Leben findet man die Orks immer auf beiden Seiten.“.

Dennoch läßt sich nicht abstreiten, daß Tolkien innerhalb des Legendariums ein bestimmtes Volk mit besonderer Bevorzugung behandelte. Und damit meine ich natürlich die Eldalië.
Nicht nur in der deutlich elaborierteren Ausarbeitung der elbischen Sprachen zeigt sich das ungewöhnlich starke Engagement ihres Erfinders. Tatsächlich sind alle anderen Bewohner Mittelerdes nur dazu da, um die Besonderheiten der Eldar herausstellen zu können.

Das ist aus literarischer Sicht auch dringend notwendig, denn das Elbenhafte ist zu flüchtig, um es direkt in Worte fassen zu können. Wie jedes gute Mysterium ist das elbische Wesen nicht greifbar und zerbricht schon, wenn man es nur zu benennen versucht.
Um beschreiben zu können, was mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben ist, konzipierte der Professor ein System ethnischer Gegensätzlichkeiten, dessen Ausdruckskraft in seiner Indirektheit liegt. Die unterschiedlichen Naturells der Völker Mittelerdes dienen einzig und allein dem Zweck, dem Leser die unaussprechliche Aura der Elben zu vermitteln.
So betont die Kleinbürgerlichkeit der Hobbits die aristokratische Haltung der Elben. Die rohe, industriëlle Technokratie der Orks kontrastiert mit der sanften Naturverbundenheit der Eldar und den trivialen Sorgen der kurzlebigen Menschen und Zwerge steht die exaltierte Ewigkeit der Erstgeborenen gegenüber.

Auf der anderen Seite machen Valar und Maiar die Elben wiederum nahbarer und menschlicher, weil diese ein noch tieferes Geheimnis verkörpern. Und nur dem Wirken Melkors verdanken wir es, die Leidensfähigkeit der Eldar kennen zu lernen, die ihre Geschichte so schön tragisch macht.

Somit hat Herr Dunderklumpen recht, wenn er darauf hinweist, daß sich die mythische Aura im Silmarillion und in den nüchternen Annalen nur begrenzt manifestieren kann. Das Überirdische ist ohne die Vermittlung durch die Hobbits nicht erkennbar. Darum kann man Neulingen nur davon abraten, das Silmarillion für den Einstieg in Tolkiens Welt zu wählen. Der poëtische Zauber der Elben entsteht erst in der Wahrnehmung derer, die über diese Geschöpfe (oder ihre Äpfel) staunen können.

Fast tut es mir ein bißchen Leid für die Rohirim, Onodrim und Periannath, aber letztendlich spielen alle anderen Völker Mittelerdes nur supporting roles, um die Elben in Zeit und Raum zu verorten. 

  • 7 Monate später...
Geschrieben (bearbeitet)

Noch mal zurück zu Saeros und der These Nelkharts, daß es ihn aufgrund seines für einen Elben unwürdigen Todes so nicht gegeben hat:
 
Vielleicht hat es ihn doch so gegeben. Die nun entscheidend folgende Komponente ist niemand geringeres als Turin Turambar (Untergang Glaurungs & Morgoth Bauglirs, und der als einziger zu einem Vala aufstieg).
Turin Turambar wurde von Morgoth Bauglir persönlich verflucht und hat sehr viele ihm mehr oder weniger nahestehenden Personen mit in den Abgrund gerissen (siehe Nargothrond, Niniel, Kleinzwerg Mim & die Geächteten, die Siedlung der Waldmenschen, Beleg Langbogen und auch Saeros). Daher frage ich mich, ob Saeros möglicherweise durch die Aura und den Fluch, der auf Turin lastet, derart unwürdig sterben konnte (nebenbei starb Beleg auch nicht gerade sehr ästhetisch).
Saeros war von sich aus schon ein arroganter und gräulicher Elb, sodaß er womöglich wegen seiner Charakterzüge durch Turins Fluch von seiner Ebene der Poesie und Ästhetik heruntergeholt werden konnte, vom Wesen der Eldar ( ! ) getrennt wurde und die menschliche Profanität annahm, sodaß er erst dadurch, daß er nicht mehr zu den Eldar gehörte, auf diese Art & Weise den Tod finden konnte. 
Turins Fluch traf auf einen Elb, der sich nicht dem elbischen Anstand entsprechend verhielt und sozusagen den Fluch (unwissentlich) herausforderte. Auch gräuliche und 'falsch' handelnde Elben wie Feanor, Thingol, Maeglin, Feanors Söhne etc. fanden den Tod.
Insofern war es vielleicht doch keine Fehlinterpretation der >poetischen Wahrheit durch Tolkien.

Bearbeitet von raukothaur
Geschrieben (bearbeitet)

Alle Achtung, raukothaur! Ich bin beëindruckt. Du bist echt ziemlich gerissen. Ich fürchte, mit Deinem beachtlichen sadistischen Einfallsreichtum hättest Du einen viel teuflischeren Melkor abgegeben, als den, den der Professor uns ausgemalt hat.
Ein Profanisierungsfluch! Wie genial! Eine Verwünschung, die das Opfer ent-eldarisiert und zum lächerlichen Tölpel macht. Donnerwetter! Darauf ist nicht mal der Dunkle Herrscher von Udûn gekommen.

Gute Idee – besonders die Herleitung über den Unheil inkubierenden Turambar. Aber ich glaube: Nein!
Zwischen Melkor und der Eldalië besteht eine Art Gentlemen´s Agreement, das besagt: Gut, ich verwüste Eure Reiche, säe Zwietracht in Euren Reihen, erschlage Eure Helden und verstümmle Eure Körper. Aber ich zaubere Euch keine Dumbo-Ohren an den Kopf, ich hexe Euch keinen fiesen Schluckauf und ich verwende auch keine eingespielten Lacher, wenn ich Euch verhöhne.
Denn das ist einfach nicht mein Stil.

Bei all seiner Niedertracht besitzt selbst Melkors Grausamkeit eine gewisse Würde. Morgoth ist Teil des poëtischen Gesamtgefüges, aus dem er nicht ausbrechen kann. Auch Sauron ist eine Art Fashion-Victim seiner düsteren Ästhetik und baut sich lieber imposante Kathedralen des Bösen, als in verlotterten Ork-Slums zu residieren. Die können nicht anders: In Tolkiens Welt ist selbst die Hölle zur Schönheit verdammt. Das ist es, was Ilúvatar dem trotzigen Ainu damals sagen wollte, als er versuchte, mit seinen Metal-Riffs alles durcheinander zu bringen.

Du vermischst noch gerne die Kategoriën Moral und Ästhetik miteinander, wenn Du schreibst: „Auch gräuliche und 'falsch' handelnde Elben wie Feanor, Thingol, Maeglin, Feanors Söhne etc. fanden den Tod.“ Solange sie nur tragisch genug sind, sind Tode hoch elbisch.


Ein Slapstick-Fluch wäre wohl das Schlimmste, was Melkor Arda hätte antun können, denn damit hätte er das chaotische Böse in eine Meta-Ebene gebracht und dem Roman selber geschadet. Aber in dieser Dimension hatte der Dunkle Herrscher Gott sei Dank niemals den geringsten Einfluß.

Bearbeitet von Nelkhart
Geschrieben

Ich bin umso mehr beeindruckt. Du hast sofort verstanden, worauf ich hinaus wollte und meinen Einfall widerlegt. Auch fand ich leider den Begriff "Profanisierungsfluch" nicht, der sehr gut umschreibt, was ich mir vorstellte.

 

Deine Argumentation klingt sehr einleuchtend und daß Morgoth Bauglir höchstpersönlich an die Würde und Poesie Ardas gebunden ist, ist ein sehr interessanter Aspekt, dem ich auch nur zustimmen kann. Unwürdige & entpoetesierende Flüche wie bei Harry Potter z. B. gibt es in Mittelerde nicht.


Also war Saeros doch nur ein Übertragungsfehler:

Vermutlich hätte er einen eleganteren Weg gewählt und uns auf die Quellenlage verwiesen. Er hätte uns in Erinnerung gerufen, daß Bilbo das Silmarillion geschrieben hat und daß das Rote Buch der Schönkinds nicht mal mehr vorliegt, sondern nur Abschriften von Abschriften von Abschriften. Schwer zu sagen, ob der Fehler Bilbo oder Findegil oder irgendeinem unachtsamen Schreiberlein späterer Tage unterlaufen ist.
Aber wir können sicher sein, daß Tolkien seine Freude daran gehabt hätte, aus der Ungereimtheit eine Bereicherung für sein Werk werden zu lassen.

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Allmählich begreife ich die Tragweite Deiner Interpretation des Profanisierungsfluchs. Die ganze Zeit über habe ich die Verheerung dieser bösen Verwünschung nur innerhalb des Buches betrachtet – aber nicht außerhalb. Der Gedanke ist genauso verrückt wie faszinierend: Möglicher Weise ist es Morgoth irgendwie gelungen, Tolkiens poëtische Sensibilität zu stören und dadurch Einfluß auf die Niederschrift zu nehmen.

Jostein Gaarder und Michael Ende haben uns gezeigt, daß literarische Figuren ein verblüffendes Eigenleben entwickeln können, wenn sie ihre eigene fiktive Existenz entdecken. Im Fall einer solchen Erkenntnis fühlt sich ein Protagonist verständlicher Weise nicht mehr an den für ihn vorgesehenen Plot gebunden und macht fortan nur noch, was er will.

 

Auch Tolkien hatte seine literarischen Figuren nie völlig unter Kontrolle. Sie waren autonom genug, um ihn immer wieder überraschen zu können. Aus einem werkgeschichtlichen Kommentar wissen wir, daß z.B. das Auftauchen Streichers in Bree ein regelrechter Schock für den Professor war.

Was ist, wenn Melkor bei weitem mächtiger geraten ist, als von seinem Erfinder beabsichtigt? Möglicher Weise ist der ultimative Querulant Morgoth nicht nur in der Lage gewesen, Ilúvatars Schöpfung zu ruïnieren, sondern auch das Werk Tolkiens.
Das hieße, daß die Verfluchung Húrins auf mehreren Ebenen gewirkt hätte: Im Buch bescherte sie Túrin und seinen Angehörigen unsägliches Leid. In unserer Welt aber verleitete sie Tolkien dazu, den stilistisch fragwürdigen Auftritt Saeros´ zu ersinnen.

 

Die psychologische Wechselbeziehung zwischen Autoren und ihren Protagonisten ist nach wie vor ein großes Mysterium. Kann eine Figur so boshaft sein, daß es ihr gelingt die Geschichte zu verderben, in die sie gehört? 

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