Xeowyn Geschrieben 15. März 2009 Geschrieben 15. März 2009 Danke für den Tipp... Aus den Briefen wird hier doch aber die ganze Zeit zitiert. Bitte erst den Thread lesen, dann antworten. Wird gemacht - ich sage doch, ich über noch - und geobe Besserung! Xeowyn Zitieren
IndomielGalendeth Geschrieben 18. Juni 2009 Geschrieben 18. Juni 2009 (bearbeitet) Hey ihr alle =) Da ich die "Letters" noch nicht besitze, kann ich nur aus der mir vorliegenden Quelle zitieren: Was die tiefere Bedeutung oder "Botschaft" des Buches angeht, so hat es nach Absicht des Autors keine. Es ist weder allegorisch, noch hat es irgendeinen aktuellen Bezug. [...] Das zentrale Kapitel "Der Schatten der Vergangenheit" ist eines der ältesten Stücke der Erzählung. Es wurdegeschrieben, als aus den Vorzeichen für 1939 noch längst nicht die Gefahr einer unabwendbahren Katastrophe zu erkennen war; und von diesem Punkt aus hätte die Geschichte im wesentlichen den gleichen Fortgang genommen, auch wenn das Ünglück abgewendet worden wäre. Ihre Quellen sind Dinge, die mich seit langem beschäftigen und zum Teil auch schon niedergeschrieben waren, und der Krieg der 1939 begann, und seine Folgen änderten an ihr wenig oder nichts. Der wirkliche Krieg hat weder in seinem Verlauf noch in seinem Ausgang Ähnichkeit mit dem Krieg der Sage. Hätte er als Vorbild oder Leitfaden gedient, so hätte man sich des rings sicherlich bemächtigt und ihn gegen Sauron verwendet; und Sauron wäre nicht vernichtet worden, sondern unterworfen, und Barad-Dûr nicht zerstört, sondern besetzt. Saruman, wenn er schon nicht in den Besitz des Ringes gelangen konnte, hätte in den Wirren und Verätereien jener Zeit Gelegenheit gefunden, sich in Mordor die fehlenden Zwischenglieder seiner eigenen Ringforschung zu verschaffen; und bald hätte er sich selbst einen großen Ring geschmiedet, um den selbsternannten Beherrscher von Mittelerde damit herauszufordern. [...] Denkbar wären auch Deutungen gemäß den Vorlieben oder Ansichten derjenigen, die auf allegorische oder aktuelle Bezüge Wert legen. Doch die Allegorie in allen ihren Formen verabscheue ich von Herzen, und zwar schon immer, seit ich alt und argwöhnisch genug bin, ihr Vorhandensein zu bemerken. [...] Der Autor kann natürlich von der eigenen Erfahrung nicht völlig unberührt bleiben, aber der Vorgang, in dem der Kein einer Geschichte aus dem Boden der Erfahrung seine Nahrung zieht, ist äußerst verwickelt, und Versuche, ihn zu beschreiben, beruhen bestenfalls auf Mutmaßungen anhand unzureichender und mehrdeutiger Befunde. [...] Gewiss, wie bedrückend ein Krieg ist, kann nur der ganz empfinden, auf den dieser Schatten einmal gefallen ist. [...] Allerdings veränderte es (das Kapitel "Die Säuberung des Auenlands") sich mit Rücksicht auf die Figur Sarumans, so wie sie sich im Fortgang der Geschichte etwickelte, ohne dass- muss ich es eigens sagen?- irgendeine allegorische Bedeutung oder ein aktueller Bezug hinzukam. Dennoch ist es in gewissen Erfahrungen begründet,wenn auch nur entfernt ähnlichen ( denn die wirtschaftliche Lage war eine ganz andere) und viel weiter zurückliegenden. [...] J.R.R. Tolkien, der Herr der Ringe- Die Gefährten, Vorwort Seite 11+ 12 Ich glaube das Zitat sagt alles. Tolkien schließt nicht aus, dass der Weltkrieg seinen Schreibstil geprägt hat, aber er ist eindeutig gegen Allegorie und auch dagegen, dass seine ganze Geschichte vom Weltkrieg geprägt wurde. =) Bearbeitet 18. Juni 2009 von IndomielGalendeth Zitieren
Rübezahl Geschrieben 18. Juni 2009 Geschrieben 18. Juni 2009 (bearbeitet) Bitte das Thema des Threads beachten. Thema sind weder Allegorien (bitte nachschlagen, was eine Allegorie ist) noch WK II-Allegorien, sondern ob (und sicher in welcher Weise) a) Tolkiens Erfahrung des WK I das Werk beeinflusst hat oder ob b) Tolkien Gegenentwürfe zum WK I geschrieben hat. (Wobei ich die Frage noch immer nicht als Entweder-oder-Frage ansehe, während der Abschnitt "b)" sowieso als Teil des Abschnitts "a)" verstanden werden kann/muss.) Tolkien schließt nicht aus, dass der Weltkrieg seinen Schreibstil geprägt hat Ahaaa, genau *das* gehört zum Thema (auch wenn unklar bleibt, was du mit "Schreibstil" meinst). Wie oben schon zitiert, schrieb Tolkien an seinen Sohn gegen Ende des Zweiten Weltkriegs: "Deine Waffengattung ist natürlich, wie jeder weiß, der Augen und Ohren und ein bißchen Verstand hat, eine sehr schlechte, die vom Ruf einiger weniger tapferer Männer lebt, und wahrscheinlich steckst Du in einem ihrer übelsten Winkel. Aber alle großartig geplanten großen Dinge sehen aus der Froschperspektive so aus, obwohl sie in allgemeiner Hinsicht doch etwas leisten und ihren Zweck erfüllen - einen bösen Zweck, letzten Endes! Denn wir versuchen, Sauron mit dem Ring zu besiegen. Und (wie es scheint) wird uns das auch gelingen. Aber die Strafe ist, wie Du ja weißt, daß wir neue Saurons heranziehen und die Elben und Menschen langsam in Orks verwandeln. Nicht daß im wirklichen Leben alles so klar umrissen wäre wie in einer Erzählung, und wir haben ja auch von Anfang an nicht wenige Orks auf unserer Seite gehabt. [...] In all Deinen Leiden (von denen manche bloß körperlich sind) spüre ich ein Verlangen, Dein Gefühl für Gut und Böse, Schön und Scheußlich irgendwie zu äußern: es zu rationalisieren und nicht einfach vor sich hin schwären zu lassen. In meinem Falle sind daraus Morgoth und die History of the Gnomes erwachsen. Große Teile von den ersten Stücken dazu (und die Sprachen) - später aufgegeben oder absorbiert - wurden in schmutzigen Kantinen geschrieben, beim Unterricht im kalten Nebel, in Kasernen voller Flüche und Zoten, bei Kerzenlicht in den Rundzelten und manchmal sogar in den Gräben unter Beschuß. Natürlich war das nicht gut für Geistesgegenwart und praktischen Sinn, und ich war kein guter Offizier." (Brief Nr. 66 - - - An Christopher Tolkien, 6. Mai 1944) Da haben wir also erste Anknüpfungspunkte. Die halblebendigen, halbmechanischen Kreaturen, in deren Bäuchen Truppen transportiert werden wie in Panzern (vgl. "Lost Tales"), sind der nächste Schritt. Welche Beispiele gibt's noch? Der Thread-Eröffner fragt vor allem nach Beispielen aus dem "Herrn der Ringe". Also: In welcher Weise hat der Erste Weltkrieg das *Was* und das *Wie* der literarischen Gestaltung geprägt? Wo findet sich Aufarbeitung von Kriegserfahrung, eine Verarbeitung von Erlebtem? Wo findet sich ein Gegenprogramm zur Kriegserfahrung, eine Gegenreaktion auf Erlebtes? Welche Fragen wären zu stellen, um die beiden Kernfragen weiter aufzufächern? Bearbeitet 18. Juni 2009 von Rübezahl Zitieren
Aduidal Geschrieben 20. Juni 2009 Geschrieben 20. Juni 2009 Ich kann jetzt nur mal spontan einwerfen, was ich im HdR NICHT finde, nämlich eine tatsächliche Verarbeitung des Leids, den so ein grausam geführter Krieg mit sich bringt. Eigentlich sterben nur zwei wichtige Figuren wirklich, nämlich Boromir und Théoden. Wobei Boromir sich eher "opfert", um seinen Wahnsinn wieder gutzumachen und Théoden erlebt im Grunde einen "schönen" Tod, als er sich in die erlauchte Reihe seiner glorreichen Ahnen einreihen darf. Aber fies verwundete Kameraden? Der plötzliche Tod eines guten Freundes? Solche Dinge finde ich eher nicht. Natürlich kann man es auch so betrachten, dass Tolkien tatsächlich Probleme damit hatte, Figuren sterben zu lassen. Vielleicht auch gerade deswegen, weil es im wahren Leben so oft passiert. Damit will ich nicht sagen, dass im Ringkrieg keine Figuren sterben, aber zu schreiben, dass nach der Schlacht um Minas Tirith viele Leichen auf dem Pelennor liegen, ist etwas anderes, als wenn zum Beispiel Legolas vor Aragorns Augen von einem Schwert zerfetzt worden wäre (Peter Jackson hat im Film ja Haldirs Tod eingebaut). Ihr wisst, was ich meine. Mir ist mal ein Buch über den WWI in die Hände gefallen, wo viele Fotos von Kriegsverwundeten abgebildet waren. Danach hat man erstmal keinen Hunger mehr... Jetzt kann man natürlich sagen: "Tolkien Probleme mit Tod? Und was ist mit der ganzen Schlachterei und Meuchelei im Silmarillion?" Da bin ich der Ansicht, dass die recht distanzierte Schreibweise ein echtes Mitfühlen verhindert. Um wen habe ich da getrauert? Beleg Langbogen vielleicht... die meisten Tode waren einfach dramaturgisch "folgerichtig", aber spontanes, fieses Zuschlagen des Schicksals auf dem Schlachtfeld? Zitieren
Rübezahl Geschrieben 20. Juni 2009 Geschrieben 20. Juni 2009 (bearbeitet) Ich kann jetzt nur mal spontan einwerfen, was ich im HdR NICHT finde, nämlich eine tatsächliche Verarbeitung des Leids, den so ein grausam geführter Krieg mit sich bringt. Das ist einerseits interessant und gehört als Unterpunkt vielleicht zur zweiten Frage (mythischer Krieg als Gegenprogramm zum Weltkrieg?). Ergänzend könnte man dazu sagen: Im Kontrast zum psychologischen Modus des modernen Romans eignet dem mythologischen Modus eine relative Distanz, die das Geschehen als eine Art Tableaux über der Augenhöhe des Lesers abstellt. Manchmal könnte der Rezipient meinen, Tableaux vivants vor sich zu haben, lebende Bilder oder anders gesagt: Chimären aus lebendem Mensch und starrem Gemälde, Amalgame aus Prozess und Stase. Solche Effekte wären zurückzuführen auf den inhärenten Kontrast zwischen der Temporalität auf der Ebene der sich ereignenden Einzelhandlungen und der vom Schreiber angestrebten Atemporalität des Ganzen, die das Geschehen in den Bereich der Bildhaftigkeit verlegt. "Bildhaftes" ist nicht zum Miterleben da, sondern zum relativ nüchternen "Entschlüsseln" (wobei festgestellt werden muss, dass Mythen lediglich metaphorisch *erscheinen*, letztlich aber nicht "entschlüsselt" werden *können*). Andererseits sollte man sich die Frage nach einer "tatsächlichen Verarbeitung des Leids" genauer ansehen und überlegen, ob man nach einer solchen an allen in Frage kommenden Stellen gesucht hat. Ausgehend vom bemerkenswerten Erfolg des ewig jungen Peter Pan und von der Resonanz, auf die dieser in der Zeit des WK I traf, verortet John Garth die Eldar in der Verwandtschaft Pans. Die Sehnsucht nach Langlebigkeit erscheint hier (mit Bezug auf Shippey) als Reaktion auf Verlusterlebnisse: "It was Peter's perpetual youth that came closest to the mark during the Great War, when so many young men would never grow old; and Tolkien's Elves, forever in the prime of adulthood, hit the bullseye. As Tom Shippey notes, 'There is no difficulty in seeing why Tolkien, from 1916 on, was preoccupied with the theme of death ... . The theme of escape from death might then naturally seem attractive.' Much more robust than the airy miniatures of Victorian and Shakespearean fancy, the Eldar could shoulder the burden of these weightier themes. Their ancient roots in Germanic and Celtic myth, furthermore, made them apt symbols of timelessness in a twentieth-century epic about loss." (John Garth: Tolkien and the Great War. The Threshold of Middle-earth. London 2003, p. 298) Wobei dies um die Überlegung, dass Tolkien nicht nur Sehnsucht nach Todlosigkeit ausdrückt, sondern diese Todlosigkeit andererseits sehr kritisch reflektiert, zu erweitern wäre: Fast alle Figuren, die nach Todlosigkeit streben, *fallen*, werden zu Artgenossen Melkors und Saurons. Etc. Tolkien versucht zu sagen, warum "es schön wäre", aber auch, warum "es nicht geht". Darüberhinaus könnte man sich der Frage, ob allgemein ein Zusammenhang besteht zwischen Bindungsverlust und Wurzellosigkeit in der Gegenwart (Tolkien verlor nach den Eltern die Freunde) auf der einen Seite und einer verstärkten Suche nach Bindung und Wurzel in der Vergangenheit (Interesse an alten Sprachen, Etymologie etc.) auf der anderen, beispielsweise psychoanalytisch annehmen. Als Tangente dazu wären wiederum einige in sich gegensätzliche Eindrücke der meisten Rezipienten zu nennen: Die Erzählungen wirken auf die meisten an vielen Stellen tragisch und traurig, aber tröstend an anderen. Mit welchen literarischen Mitteln werden diese Effekte erzielt? Und noch ein *ganz* anderer Aspekt: Was ist mit den Leichen in den Totensümpfen, den mahnenden Überresten jahrtausendealter Schlachterarbeit, über die, wörtlich und übertragen, kein Gras wachsen will? Was ist mit den lebendig erscheinenden Felsen und Schatten im Ephel Dúath, im Schattengebirge, im Feindesland? Das Leid des Krieges wird dadurch nicht ausgedrückt, aber vielleicht der reine Horror des Krieges? In solchen Fällen lohnt es sich, ganz nah an den Text zu gehen, um zu sehen, *wie* Tolkien Leichen und Dunkelheit und alles, was damit zusammenhängt, literarisch gestaltet, um über viele Seiten bestimmte Atmosphären zu erzeugen. Allgemein will ich damit sagen, dass man, wenn man etwas auf der einen Ebene nicht vorfindet, das gleiche womöglich auf einer anderen Ebene des Kunstgebildes finden kann. So komplexe Themen lassen sich nur besprechen, wenn man zunächst einen breiten Überblick über viele mögliche Argumentationsschienen gewinnt. Brainstorming of possibilities, Aufspannen des Problemfelds. :anonym: Bearbeitet 20. Juni 2009 von Rübezahl Zitieren
Aduidal Geschrieben 21. Juni 2009 Geschrieben 21. Juni 2009 Du hast sicher recht mit der Feststellung, dass man bestimmte Themen - so auch den Tod - über das Gesamtwerk verteilt durchaus als Teilessenz erkennen kann. Nur ist eben nichts davon direkt mit tatsächlichen, alltäglichen Erlebnissen im WWI in Zusammenhang zu bringen. Beispiel Tod/Unsterblichkeit: Die Unsterblichkeit als solche ist zunächst einmal ein zutiefst christliches Thema. Die Frage nach einem Leben nach dem Tod ist DIE zentrale Frage des Christentums. Jesu ist demnach auferstanden, hat den Tod also überwunden. Das fließt ebenso mit ein. Was jetzt das Thema Tod im Silmarillion betrifft, so geht es doch vor allem um den natürlichen Tod. Im Krieg sterben sie alle gleichermaßen: Menschen, Zwerge, Elben, Hobbits etc. pp. Die Elben gehen dann zwar in Mandos' Hallen und Eru/die Valar haben eine gewisse Macht darin, den Tod eines Wesens aus Mittelerde für eine gewisse Zeit zu überwinden (Beren), aber von Mittelerde aus betrachtet sterben eben alle gleichermaßen. In einem Krieg geht es aber eher nicht um die Sterblichkeit im Sinne von "natürliche Lebensspanne eines Menschen", sondern um den frühzeitigen Tod durch Gewehrkugeln, Granaten, Panzerfäuste und Raketen. Das bedeutet natürlich nicht, dass Tolkiens Gedanken übder den Tod vom WWI nicht beeinflusst sind, aber ich sehe eben keine konkrete Entsprechung. Auch meine eigenen (bis jetzt noch wenigen) Schreibversuche haben den Tod zum Thema - obwohl ich nicht auf Kriegserfahrungen und Ähnliches zurückgreifen kann. Generell ist das ein Thema in sehr, sehr vielen Veröffentlichungen von welchem Autor auch immer. Deshalb sehe ich da das Alleinstellungsmerkmal bei Tolkien nicht so ganz. Dein Absatz zum mythologischen Modus erklärt schon ganz gut, was ich mit "distanzierter Schreibweise" meinte. Natürlich sind Tolkiens Geschichten vor allem mythologisch, was eben dazu führt, dass gerade der Tod gewisser Personen "folgerichtig" erscheint. Wenn man jetzt sehr kritisch da rangeht, könnte man auch sagen: klischeehaft. Ich habe ja schon einige Stimmen gehört, die meinen, dass zum Beispiel "Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin besonders toll sei, weil diese Aspekte da so nicht gegeben sind. Da sterben plötzlich liebgewonnenen Figuren, werden Opfer einer Intrige etc. pp. So etwas findet man bei Tolkien alles nicht. Mir persönlich hat es im HdR eigentlich nur bei Théodens Tod die Kehle zugeschnürt, ansonsten... dieses fiese, Gemeine "das ist einfach ungerecht" Gefühl habe ich bei Tolkien sehr, sehr selten. Vielleicht noch bei Túrin und Beleg, aber da ist es einfach schon wieder zu "mythologisch", "folgerichtig", nach bekannten Schemata abgehandelt. Hört sich jetzt kritischer an, als ich es meine. Denn: Ich selbst mag allzu realistische Plots eigentlich nicht. Ich will nicht wissen, wie ständig ein Familienvater geköpft und ein Edler Elb in Morgoth' Verliesen gefoltert wird. Da trifft es der Stalin zugeordnete Satz mit der Tragödie und der Statistik eigentlich recht gut. Es ist immer eine Frage, wie man etwas verkauft bekommt: "Titanic geht unter, 1000 Menschen sterben." Oder: "Leo und Kate verlieben sich ganz doll und blablabla und der arme Leo erfriert jämmerlich und Kate muss ihn in die Tiefe gleiten lassen..." Die Totensümpfe und die Felsen, die du ansprichst, bewirken bei mir auch keinen Horror. Erst Einzelschicksale geben solchen Dingen etwas wirklich Tragisches. Ein anonymes Heer von Geistern kann mich nicht erschrecken, aber das im Brunnen eingesperrte Kind in "The Ring"...*brr* Zitieren
Rübezahl Geschrieben 21. Juni 2009 Geschrieben 21. Juni 2009 [1] Das bedeutet natürlich nicht, dass Tolkiens Gedanken übder den Tod vom WWI nicht beeinflusst sind, [2] aber ich sehe eben keine konkrete Entsprechung. Auf [1] kommt es an, nicht auf [2]. Es besteht ja eben die Möglichkeit, dass die Erlebnisse aus der Zeit des WK I den Trigger für die Betonung der Todesthematik darstellten. Generell ist das ein Thema in sehr, sehr vielen Veröffentlichungen von welchem Autor auch immer. Deshalb sehe ich da das Alleinstellungsmerkmal bei Tolkien nicht so ganz. Ja, aber warum sollte es ein "Alleinstellungsmerkmal" geben? Es ist auch so, dass alle Autoren sich mal verlieben. Viele verarbeiten dieses Erlebnis dann auch mal literarisch. Bei Tolkien geht beispielsweise das Treffen zwischen Beren und Lúthien auf selbst erlebte Treffen mit Edith im Grünen zurück. Tatsache. So ist das. Mir persönlich hat es im HdR eigentlich nur bei Théodens Tod die Kehle zugeschnürt, ansonsten... dieses fiese, Gemeine "das ist einfach ungerecht" Gefühl habe ich bei Tolkien sehr, sehr selten. Vielleicht noch bei Túrin und Beleg, aber da ist es einfach schon wieder zu "mythologisch", "folgerichtig", nach bekannten Schemata abgehandelt. Geht man nach dem persönlichen Geschmack, kann der mythologische Modus für viele Einzelmenschen *gar nichts* ausdrücken, wenn er sie nicht anspricht. In englischer Folklore war die Farbe Grün ein Symbol für Fruchtbarkeit und Erneuerung, in keltischer Folklore ein Todessymbol. Wenn ich jetzt “Sir Gawain and the Green Knight” lese, spricht mich die Farbe in keiner Weise emotional an. Dennoch bedeutet sie das eine und das andere, ganz nüchtern, und ich habe dies ebenso nüchtern festzustellen und auf den sonstigen Inhalt zu beziehen. Die Totensümpfe und die Felsen, die du ansprichst, bewirken bei mir auch keinen Horror. Erst Einzelschicksale geben solchen Dingen etwas wirklich Tragisches. Ein anonymes Heer von Geistern kann mich nicht erschrecken, aber das im Brunnen eingesperrte Kind in "The Ring"...*brr* Was einen persönlich erschreckt, ist aber irrelevant. Es ist ja auch irrelevant, was man lustig findet, weil jeder über etwas anderes lacht. Wegen des englischen Understatements habe ich bei Tolkien noch nie gelacht, nichtsdestotrotz ist er voller Humor, den man ebenso analysieren kann wie das Wiener Stegreiftheater, über das ich mich auch noch nie totgelacht habe. Kurz: Thema ist hier der Einfluss des WK I, nicht der persönliche Geschmack in Sachen "Entertainment". Zitieren
Aduidal Geschrieben 21. Juni 2009 Geschrieben 21. Juni 2009 Auf [1] kommt es an, nicht auf [2]. Es besteht ja eben die Möglichkeit, dass die Erlebnisse aus der Zeit des WK I den Trigger für die Betonung der Todesthematik darstellten. Und woher willst du das wissen, wenn es gar keine offensichtliche Parallele zum WWI gibt? Wie gesagt: Ähnliche Thematiken greifen viele auf, die nie in einem Krieg gedient haben. Ja, aber warum sollte es ein "Alleinstellungsmerkmal" geben? Es ist auch so, dass alle Autoren sich mal verlieben. Viele verarbeiten dieses Erlebnis dann auch mal literarisch. Bei Tolkien geht beispielsweise das Treffen zwischen Beren und Lúthien auf selbst erlebte Treffen mit Edith im Grünen zurück. Tatsache. So ist das. Ja, aber nicht alle Autoren waren im WWI dabei. Das meine ich: Wie kann man mit voller Inbrust davon überzeugt sein, dass Tolkiens Werk auf jeden Fall vom WWI beeinflusst ist, wenn Werke anderer Autoren vor ähnlichen Symboliken triefen? Meiner Ansicht nach hat Tolkiens Werk viel mehr mit Mittelalter-Romantik, der Artussage, Beowulf etc. als mit dem WWI zu tun. Und dann kommt es auch wieder darauf an, wie groß der Einfluss ist: Wer sagt denn, dass Tolkiens Gedanken zum Tod mit seinen Kriegserfahrungen zu tun haben? Es kann gut sein, ist sogar wahrscheinlich, aber eine echte Parallele zum Krieg? Sehe ich eigentlich nicht zwingen. Geht man nach dem persönlichen Geschmack, kann der mythologische Modus für viele Einzelmenschen *gar nichts* ausdrücken, wenn er sie nicht anspricht. In englischer Folklore war die Farbe Grün ein Symbol für Fruchtbarkeit und Erneuerung, in keltischer Folklore ein Todessymbol. Wenn ich jetzt "Sir Gawain and the Green Knight" lese, spricht mich die Farbe in keiner Weise emotional an. Dennoch bedeutet sie das eine und das andere, ganz nüchtern, und ich habe dies ebenso nüchtern festzustellen und auf den sonstigen Inhalt zu beziehen. Du WEISST aber von der bedeutung von grün und kennst englischen Understatement-Humor. Aber du weisst nicht mit Sicherheit, welche Persönlichen Erfahrungen im Thema Tod und Krieg der Mittelerde-Werke stecken. Was einen persönlich erschreckt, ist aber irrelevant. Es ist ja auch irrelevant, was man lustig findet, weil jeder über etwas anderes lacht. Wegen des englischen Understatements habe ich bei Tolkien noch nie gelacht, nichtsdestotrotz ist er voller Humor, den man ebenso analysieren kann wie das Wiener Stegreiftheater, über das ich mich auch noch nie totgelacht habe. Kurz: Thema ist hier der Einfluss des WK I, nicht der persönliche Geschmack in Sachen "Entertainment". Du unterschätzt wieder sehr bedeutend den Rezeptionszusammenhang und den Umfang und die Art solcher Einflüsse. Es ist doch beinahe schon irrelevant, wenn Tolkiens Werke vom WWI beeinflusst sind, wenn man diese Zusammenhänge absolut nicht erkennen kann. Seine Werke enthalten derart überhöhte, mythische Fantasy, dass ein Zusammenhang zum schmutzigen, widerlichen WWI nicht erkennbar ist. Alles, was man dorthin interpretieren kann, ist, dass man de facto von Tolkiens Beteiligung am WWI weiss und sich dann ausmalen kann, dass natürlich persönliche Erfahrungen immer irgendwo eine Rolle spielen. Sie spielen aber meines Erachtens nicht annähernd eine so große, dass man von allem, was irgendwie mit Tod und Sterben und Krieg im HdR/im Sil zu tun hat, auf den WWI schließen kann. Dazu sind seine Werke einfach zu abstrakt. Wenn ich jetzt von einer Symbolik wüsste, die direkt auf den WWI hinweist, wie dein Beispiel mit der grünen Farbe, dann würde ich mir Gedanken machen. Wobei das dann immer noch nicht hieße, dass es irgendwelche Parallelen gäbe. Onkel Tolkien könnte da viel erzählen "Ja klar, ich musste die ganze Zeit an meine Kriegszeit denken!" (was er nicht getan hat) und trotzdem kommt es letzten Endes darauf an, ob diese Zusammenhänge erkennbar sind. Stell dir mal vor, man wüsste nichts von Tolkiens Dienst im Krieg, wer würde bei der Lektüre des HdR an den WWI denken - oder zumindest an ähnliche Erlebnisse aus anderen, grausamen Kriegen? Genau deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass du von diesem autor-biographischen Denken mal ein bisschen wegkommen musst. Ich habe mal ein Drehbuch nach einer Kurzgeschichte eines Freundes geschrieben: Er tiefgläubig ich Agnostiker. Er hat den fertigen Film dann seiner kleinen Gemeinde vorgestellt und Dinge dazu gesagt, die ich als Autor der (sehr stark veränderten!) Geschichte als Drehbuch nicht annähernd vertreten würde, weil bei mir da ganz andere Dinge reinfließen. Und trotzdem betrachtet er das so und so, obwohl er meinen Standpunkt kennt. Ich habe ein Symbol eingebaut (das in der ursprungsgeschichte nicht enthalten war!), das für mich ein abstraktes Hoffnungssysmbol ist, für ihn ist es sowas wie Jesus am Kreuz. Und wo ist da jetzt der Einfluss der Kirche? Natürlich ist der HdR nur von einem Autor geschrieben, aber ich hoffe, ich konnte damit verdeutlichen, was ich meine: Es ist alles Interpretationssache. Bestes Beispiel ist doch der alte Bombadil. da wird sich das Maul darüber zerrissen, was er diegetisch und extradiegetisch bedeutet und Tolkien weiss das eigentlich beides selbst nicht so recht. Vielleicht hat es für ihn auch zu unterschiedlichen zeiten Unterschiedliches bedeutet? Mir ist da einfach deine Denkweise zu statisch, x+y=z ist halt nicht immer gegeben. Zitieren
Rübezahl Geschrieben 21. Juni 2009 Geschrieben 21. Juni 2009 Auf [1] kommt es an, nicht auf [2]. Es besteht ja eben die Möglichkeit, dass die Erlebnisse aus der Zeit des WK I den Trigger für die Betonung der Todesthematik darstellten. Und woher willst du das wissen, wenn es gar keine offensichtliche Parallele zum WWI gibt? Wie gesagt: Ähnliche Thematiken greifen viele auf, die nie in einem Krieg gedient haben. Woher will ich was wissen? Wissen kann man nichts. Ich zitierte Tolkienexperten, die davon ausgehen, dass die Verluste im Leben der (oder einer der) Auslöser hinter der Todesthematik waren, um Wege aufzuzeigen, wie man an das Thema hier auch noch herangehen könnte, denn das war eine Antwort auf deinen Text vom 20. Juni, in dem du eine Verarbeitung von Kriegsleid nicht vorfinden konntest. Du wärst ja wahrscheinlich nur zufrieden, wenn Tolkien wie ein Teenager die am Kindesgrab weinenden Mütter aus den Oxforder Tageszeitungen nachbuchstabiert hätte. Ob die Tolkienexperten richtig liegen oder nicht, sagt uns nicht das Licht. Das müssen wir vielmehr im Selbststudium herausfinden. Man muss sich dann aber auch für das Thema interessieren. Ja. Und wie! Meiner Ansicht nach hat Tolkiens Werk viel mehr mit Mittelalter-Romantik, der Artussage, Beowulf etc. als mit dem WWI zu tun. Mit dem Mittelalter, mit Artus, mit Beowulf uuund mit der Moderne uuund mit dem Weltkrieg. Wie oben bereits von Alatariel zitiert: "A real taste for fairy-stories was wakened by philology on the threshold of manhood, and quickened to full life by war." (On Fairy-Stories) In diesem Thread geht es nun um die Einzelheiten, die damit zusammenhängen: Fairy-stories als Spiegel von Kriegserfahrungen, als Gegenprogramm oder sogar als beides. Du WEISST aber von der bedeutung von grün und kennst englischen Understatement-Humor. Aber du weisst nicht mit Sicherheit, welche Persönlichen Erfahrungen im Thema Tod und Krieg der Mittelerde-Werke stecken. Um all' das herauszufinden, sind ja wir Leser da. Du unterschätzt wieder sehr bedeutend den Rezeptionszusammenhang und den Umfang und die Art solcher Einflüsse. Es ist doch beinahe schon irrelevant, wenn Tolkiens Werke vom WWI beeinflusst sind, wenn man diese Zusammenhänge absolut nicht erkennen kann. Seine Werke enthalten derart überhöhte, mythische Fantasy, dass ein Zusammenhang zum schmutzigen, widerlichen WWI nicht erkennbar ist. Glucks! Siehe Teil 2 der Ausgangsfrage: Oder wollte Tolkien etwas Gegensätzliches zum WK I schreiben? Auch dann hätten wir Zusammenhänge zwischen Leben und Werk, die zwischen Verdrängung und Idealisierung pendeln könnten. Du bist dir hoffentlich dessen bewusst, dass sich eine ganze Forschungsrichtung mit den Wechselwirkungen zwischen Moderne und Mittelerde-Werk beschäftigt, oder? Alles, was man dorthin interpretieren kann, ist, dass man de facto von Tolkiens Beteiligung am WWI weiss und sich dann ausmalen kann, dass natürlich persönliche Erfahrungen immer irgendwo eine Rolle spielen. Sie spielen aber meines Erachtens nicht annähernd eine so große, dass man von allem, was irgendwie mit Tod und Sterben und Krieg im HdR/im Sil zu tun hat, auf den WWI schließen kann. Dazu sind seine Werke einfach zu abstrakt. Nichts dergleichen hat irgendwer behauptet. Du diskutierst gegen Strohmänner. Wenn ich jetzt von einer Symbolik wüsste, die direkt auf den WWI hinweist, wie dein Beispiel mit der grünen Farbe, dann würde ich mir Gedanken machen. Nun, die Panzer rund um Gondolin habe ich schon zweimal erwähnt. Die dürften sogar dir einen Einstieg ins Thema ermöglichen. Im Hobbit wird zudem die Existenz unserer Massenvernichtungswaffen auf die Orks zurückgeführt: "It is not unlikely that they [the Goblins = Orcs] invented some of the machines that have since troubled the world, especially the ingenious devices for killing large numbers of people at once, for wheels and engines and explosions always delighted them" (The Hobbit, Over Hill and Under Hill) Und man erinnere sich, wen Tolkien mit den Orks anspricht. Es gibt zu den Orks übrigens eine hervorragende Charakteranalyse von Shippey: Die Orks sind in etwa die, die einen Moralbegriff haben, von diesem Begriff aber keinen Gebrauch machen. Stell dir mal vor, man wüsste nichts von Tolkiens Dienst im Krieg, wer würde bei der Lektüre des HdR an den WWI denken - oder zumindest an ähnliche Erlebnisse aus anderen, grausamen Kriegen? Na, ich zum Beispiel. Beim ersten Lesen wusste ich damals so gut wie nichts über Tolkien. Aber bereits die Oppositionsstruktur Natur vs. Maschine machte klar, welche Referenz dahintersteckt und welche Arten von Krieg dem Autor durch den Kopf gegangen waren, womit er sich literarisch auseinandergesetzt hatte und dass ihm das 20. Jahrhundert ganz und gar nicht egal war. Genau deshalb bin ich nach wie vor der Meinung, dass du von diesem autor-biographischen Denken mal ein bisschen wegkommen musst. Schau mal auf das Thema. Schau dir das Thema an. Es ist ein autor-biographisches Thema. Wenn du damit Probleme hast, dann nimm dir doch ein Buch, setze dich unter eine Leselampe und entschwebe. Mir ist da einfach deine Denkweise zu statisch, x+y=z ist halt nicht immer gegeben. Du diskutierst schon wieder gegen Strohmänner. Hier geht es nicht um x+y=z, sondern um wichtige Aspekte der Text-Genese und um die Wechselwirkungen zwischen dem Werk und dem 20. Jahrhundert (moderne Ideen werden mythisiert, alte Mythen werden modernisiert, für ein Publikum im 20. Jahrhundert nutzbar gemacht; der Hintergrund dessen sind Lebenserfahrungen und Ansichten des Autors). Du kannst den Text für dich interpretieren, wie du willst, auch als reine Eskapismus-Vorlage, die man anguckt, ohne sich Gedanken zu machen. Völlig gleich. Zitieren
Aduidal Geschrieben 27. Juni 2009 Geschrieben 27. Juni 2009 Eigentlich habe ich lediglich geschrieben, dass ich keine Ähnlichkeiten zum Ersten Weltkrieg finden kann, wei er sich real darstellt - in all seiner Grausamkeit. Ja man kann natürlich überlegen, ob Tolkien davor "flüchten" wollte und seine idealisierte Version geschrieben hat. Genauso, wie wir Leser in seine Welt flüchten. Nur: Kann man jetzt 9/11 und wasweissich einen Einfluss auf meine zeitweilige "Flucht nach Mittelerde" zugestehen. Vielleicht, aber da echte Parallelen zu finden... wenn man den HdR als Gegenentwurf zu irgendetwas begreift, kann man da viele Dinge nennen. letztendlich ist Fantasy IMMER - zumindest zum Teil - ein Gegenentwurf zu irgendetwas oder eine andere Variante von Konflikten, die wir kennen. Es gibt dort Dinge, die es in der realen Welt nicht gibt. Da jetzt auf irgendetwas einen besonders prächtigen Einfluss zu finden... Ich wiederhole nochmal: Das ist Spekulation. Ich als Leser finde keine Ähnlichkeiten zum WWI. wenn das jetzt durch autobiographische Dinge behauptet wird... meinetwegen. Es bleibt für mich bei der Behauptung. Zitieren
Rübezahl Geschrieben 27. Juni 2009 Geschrieben 27. Juni 2009 Vielleicht, aber da echte Parallelen zu finden... wenn man den HdR als Gegenentwurf zu irgendetwas begreift, kann man da viele Dinge nennen. Kann man das? Ja, dann fang' doch mal an, u.z. fundiert. Wenn du keine Lust hast, dich mit den Themen hier auseinanderzusetzen, dann würde ich dich bitten, deine Problemflucht dort auszuleben, wo sie hingehört: unter der Leselampe. IMMER Schrei' nicht so. letztendlich ist Fantasy IMMER - zumindest zum Teil - ein Gegenentwurf zu irgendetwas oder eine andere Variante von Konflikten, die wir kennen. Binsenweisheit. Was Fantasy allgemein ist, ist hier nicht die Frage. Die Frage ist hier, wie das speziell bei Tolkien ist. Wie ist das nun speziell bei Tolkien, Orwell, Golding und Vonnegut? Shippey begegnet dem Vorwurf der Realitätsflucht mit der Arbeitsthese, dass viele der Wegbereiter des zeitgenössischen phantastischen Modus (ein Terminus, der nicht mit meinem Terminus des mythologischen Modus [s.o.] zu verwechseln ist) ihre aus den Kriegen gewonnenen Erfahrungen irgendwie mitteilen wollten, mal realistisch, mal phantastisch: "The problem with this [= Vorwurf der Realitätsflucht] is that so many of the originators of the later twentieth-century fantastic mode, including all four of those first mentioned above (Tolkien, Orwell, Golding, Vonnegut) are combat veterans, present at or at least deeply involved in the most traumatically significant events of the century, such as the Battle of the Somme (Tolkien), the bombing of Dresden (Vonnegut), the rise and early victory of fascism (Orwell). Nor can anyone say that they turned their backs on these events. Rather, they had to find some way of communicating and commenting on them. It is strange that this had, for some reason, in so many cases to involve fantasy as well as realism, but that is what has happened." (Shippey: Author of the Century, viii) Mit dem Mitteilungsbedürfnis liegt er goldrichtig, denn der Mythos war Tolkiens Sprache, die Symbolsprache, die Tolkien verwendete, um darüber zu sprechen, wie er die Dinge empfand: "I shall never write any ordered biography - it is against my nature, which expresses itself about things deepest felt in tales and myths". (Carpenter: Biography, p. 105) Davon ausgehend, legt Shippey den Fokus u.a. auf Tolkiens Bilder des Bösen. Sollte man mal lesen. Es ist recht interessant. Da jetzt auf irgendetwas einen besonders prächtigen Einfluss zu finden... Ich wiederhole nochmal: Das ist Spekulation. Studium. Ich würde es Studium nennen. Ansonsten müssten wir alle Beziehungen zwischen Werk und Mittelalter, Artus und Beowulf als Spekulation abtun. Mehr noch: Wir müssten uns dumm stellen und alle Wissenschaften als Spekulation abtun, weil wissenschaftliche Antworten die Fragen nie restlos klären, sondern immer zehn neue Fragen aufwerfen. Wäre das nicht so, gäbe es keinen wissenschaftlichen Fortschritt. Hätten wir einen Sophisten zu Gast, müssten wir auch die Tatsache, dass Sam ein Hobbit ist, als Spekulation bezeichnen. Haben wir aber nicht. Schwein gehabt. Ich als Leser finde keine Ähnlichkeiten zum WWI. *Du* als "Leser" vielleicht nicht. Allerdings gibt es zwei oder drei Menschen auf dieser Welt, die (sorry, is' so) mehr Ahnung von Obst und Gemüse haben und mitunter beim ersten Lesen sehen, dass Sam dem Putzer des englischen Soldaten nachempfunden ist. ("each officer had a batman, a servant who was detailed to look after his kit and care for him much in the manner of an Oxford scout. Through this, Tolkien got to know several of the men very well. Discussing one of the principal characters in The Lord of the Rings he wrote many years later: 'My "Sam Gamgee" is indeed a reflexion of the English soldier, of the privates and batmen I knew in the 1914 war, and recognised as so far superior to myself.'") [Carpenter. Biography, p. 89]) Zitieren
Aduidal Geschrieben 28. Juni 2009 Geschrieben 28. Juni 2009 (bearbeitet) Shippey mag einige Fantasy-Autoren finden, die vom Krieg beeinflusst sind. Was du aber implizit unterstellst, ist, dass es zwischen den Kriegen und deren Fantasy irgendeinen Kausalzusammenhang gibt. Das kann theoretisch sogar sein. Solange es allerdings nicht erkennbar ist, bleibt das - wie gesagt - Spekulation. Und dass ich biographisches Studium nicht als der Weisheit letzter Schluss betrachte, habe ich dir schon öfter klarzumachen versucht. Warum ich das hier für so problematisch halte, habe ich auch schon erläutert: Dass es nämlich den Kausalzusammenhang zu Massen an ähnlich gearteter Fantasy und Kriegserfahrungen nicht gibt, weil wohl die meisten Autoren keine haben. Mag sein, dass der Krieg Tolkien zur Realitätsflucht animiert hat, es gibt einfach keine erkennbaren Parallelen, die auch nur annähernd die Natur des WWI treffen, nur darum geht es mir. Das mit dem Batman mag sein. Wobei die Idee des beschützenden Sidekicks auch kaum WWI-exklusiv sein dürfte, auch wenn Tolkien dadurch davon erfahren hat. Davon abgesehen halte ich es nicht für besonders hilfreich, wenn du meinst, mich hier mit Kleinigkeiten wie der Großschreibung von zwei Wörtern als Betonung aufziehen zu müssen. Das kannste dir schenken. Bearbeitet 28. Juni 2009 von Aduidal Zitieren
Rübezahl Geschrieben 28. Juni 2009 Geschrieben 28. Juni 2009 Shippey mag einige Fantasy-Autoren finden, die vom Krieg beeinflusst sind. Was du aber implizit unterstellst, ist, dass es zwischen den Kriegen und deren Fantasy irgendeinen Kausalzusammenhang gibt. Wo ist der Unterschied zwischen "Beeinflussung" und "Kausalzusammenhang"? Das kann theoretisch sogar sein. Solange es allerdings nicht erkennbar ist, bleibt das - wie gesagt - Spekulation. Was muss ein Autor noch alles tun, damit etwas für dich erkennbar wird? Und dass ich biographisches Studium nicht als der Weisheit letzter Schluss betrachte, habe ich dir schon öfter klarzumachen versucht. Als "letzten Schluss der Weisheit" betrachte ich weder die biographistische und die psychoanalytische noch die systemtheoretische und die feministische Annäherung an einen Text. Vielmehr sind alle diese weltweit praktizierten Annäherungen Stufen auf der Treppe zur Weisheit. Warum ich das hier für so problematisch halte, habe ich auch schon erläutert: Dass es nämlich den Kausalzusammenhang zu Massen an ähnlich gearteter Fantasy und Kriegserfahrungen nicht gibt, weil wohl die meisten Autoren keine haben. Um die Massen der Groschenheftliteraten, die ohne Verstand von Tolkien und anderen abschreiben, die Idee des Phantastischen vollends trivialisieren und die allerniedrigsten Bedürfnisse nach Lendenschürzen und sekundären Geschlechtsmerkmalen befriedigen, geht es hier nicht, sondern um Tolkien. Mag sein, dass der Krieg Tolkien zur Realitätsflucht animiert hat Ist das eine partiell zustimmende Antwort auf meinen Text von gestern? Wenn ja: komisch, denn in dem sprach ich vom Gegenteil: nicht von einer Flucht vor der Realität mittels phantastischer Literatur, sondern (nach Shippey) von einer Kommunikation von Realität durch phantastische Literatur. es gibt einfach keine erkennbaren Parallelen, die auch nur annähernd die Natur des WWI treffen, nur darum geht es mir. Was ist "die Natur des WWI"? Kriegspropagandisten und sicher auch Ernst Jünger werden dir eine andere Antwort geben als Sanitäter und Pazifisten. Die Natur der Weltkriege sieht in den Kommunikationsbeiträgen immer anders aus, die Gestaltung dieser Natur richtet sich nach den Erfahrungen und Intentionen des Sprechers. Viele Tolkienexperten sind nun damit beschäftigt, Tolkien vom Vorwurf der Kriegspropaganda zu befreien. Deshalb studieren sie die Art und Weise, wie er die Sprache des Mythos einsetzt, um über Wirkliches zu sprechen. Davon abgesehen halte ich es nicht für besonders hilfreich, wenn du meinst, mich hier mit Kleinigkeiten wie der Großschreibung von zwei Wörtern als Betonung aufziehen zu müssen. Das kannste dir schenken. ^ Kann ihm mal jemand bestätigen, dass die durchgängige Großschreibung "Schreien" signalisiert und nirgendwo im Netz gemocht wird? Vielen Dank. Zitieren
Rübezahl Geschrieben 23. Juli 2009 Geschrieben 23. Juli 2009 WK I-Veteran Charles Carrington schreibt übrigens in seinen Kriegsmemoiren von einer romantischen Begeisterung für die Schlacht. Auf dem Schlachtfeld waren die Soldaten aufgeputscht, schwankten zwischen Angst und leidenschaftlicher Lust am Kampf: "Tolkien's even-handed depiction of war as both terrible and stirring is well matched by a comment from Charles Carrington (one of the beleaguered Warwickshires), who writes that, for the soldier in the midst of mortal danger, 'There was an arguing realism, a cynical side to one's nature that raised practical objections and suggested dangers, and against it there strove a romantic ardour for the battle that was almost joyful.'" (John Garth, Tolkien and the Great War, p. 299) Garth versteht die Wechsel zwischen Pathos und Ernüchterung bei Tolkien als Nachahmung des typischen Schlachterlebnisses. Gerade der gehobene Stil sei dazu geeignet, so ein Erleben einzufangen: "Túrin, 'sick and weary' after the fray, illustrates the frequent sequel to such ardour - the resurgence of reality. But high diction, which sets Tolkien so far apart from the classic trench writers, expresses perfectly a psychological truth of war they tend to neglect. In all its enormity and strangeness, combat could induce what Carrington calls the 'exaltation of battle...an elevated state of mind which a doctor might have defined as neurosis'; he says he was 'uplifted in spirit'." (Ibid.) Zudem stellt Verlyn Flieger in A Question of Time eine Verwandtschaft ("a deep but unmanifest connection"; Garth, p. 297) zwischen der Desillusionierung der Nachkriegszeit und Faerie fest und verweist auf die Entfremdung des Sprechers im Gedicht "The Sea-bell". "The Sea-bell" beschreibt einen bösen Traum des Kriegsheimkehrers Frodo als Symptom seiner Wunden, die als rationalisierte Abbilder nicht-fiktionaler Kriegstraumata gelesen werden können (nicht müssen, können). Tolkien verbindet dort also den keltischen Mythos des Wanderers, der nach seiner Rückkehr aus dem Elbenreich keinen Halt mehr in der Welt findet, mit dem Krieg. Dies als weitere Lektürehinweise, für den Fall, dass es hier irgendwann doch noch Leute geben wird, die sich für das Thema interessieren. Man braucht für Shippey, Garth, Flieger und andere keinen Ph.D., nur Interesse. ;-) Zitieren
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