Elda Geschrieben 12. Mai 2009 Geschrieben 12. Mai 2009 Hallo liebe Geschichtenfreunde! Ich habe vorhin eine kleine Kurzgeschichte geschrieben, die den Titel "Die Zeit verrann" trägt. Der Titel ist nicht sehr aussagekräftig, aber das soll er auch gar nicht sein. Ich werde euch kurz den Hintergrund zu dieser Geschichte erläutern. Eine gute Freundin von mir hat vor einigen Monaten begonnen, ein Werk zu schreiben, das ich persönlich für sehr gut befinde. Sie hat die Charaktere sehr ausgearbeitet und hat beim Schreiben immer das weitere Vorgehen der Charaktere im Kopf. Wir haben vor einigen Wochen nun einen Buchclub gegründet, den "Club der mittellosen Schriftsteller" (nicht ganz ernstzunehmender Titel ). Wir treffen uns einmal in der Woche, um uns die Neuerungen an unseren Geschichten vorzulesen, zu besprechen und zu verbessern. Die Idee dazu stammt von mir, als ich die GTL-Diskussion um "The Notion Club Papers" verfolgt habe. (Den Thread findet ihr hier!) Letzte Woche habe ich nun den Vorschlag gemacht, eine kleine "Hausaufgabe" einzuführen, die wie folgt funktioniert: Einer der Mitglieder (momentan sind wir noch nur zu zweit, aber das ist ja kein Hindernis) schlägt einen Einzeiler vor, zum Beispiel "Die Sonne scheint" oder "Als Marius aufwachte, wusste er nicht, wo er war." Sätze also, aus denen theoretisch enorm viel entstehen kann, je nachdem, was man sich darunter vorstellt. Die Mitglieder schreiben dann von einander unabhängig eine ein- bis zweiseitige Geschichte, die diesen Satz thematisiert, mit ihm beginnt oder ihn zum Titel hat. Im Rahmen dieser Aufgabe ist dieser Text heute Mittag entstanden. Diesen literarischen Erguss möchte ich euch nicht vorenthalten, da ihn eine Freundin von mir gelesen und für gut befunden hat. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen Euer Eldanor! Textübung: „Die Zeit verrann“ Marie saß am Fenster und starrte hinaus. Die Welt schien zu weinen. Es regnete in Strömen, der Himmel war einheitlich grau, ohne dass die Sonne irgendwo hindurchscheinen konnte. Es ist, als wüsste der Himmel, wie schlimm es hier ist, dachte Marie bei sich. Sie hing ihren trübsinnigen Gedanken nach. Schulaufgaben- das interessierte sie kaum mehr. Andere konnten sich ruhig damit befassen, doch sie fühlte sich momentan einfach nicht aufnahmefähig für Hypotenusen und AcIs. Und was Robespierre nun wieder getan hatte, war ihr wirklich egal. Der Kerl ist schließlich tot, dachte sie nur. Marie hatte ihre Gedanken an einem anderen Ort. An einem Ort, der jenseits ihrer Welt war. Bei Gabriel. Gabriel war ein Engel. Marie hatte es immer gewusst. Als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte, wusste sie schon, dass er ein ganz besonderer Mensch war. Wie er sie hielt, wie er mit ihr sprach. Was sie für ihn empfand. Was er für sie empfunden haben mochte. Sie hatten stundenlang gemeinsam verbracht, hatten in Bibliotheken gesessen, von einsamen Hügeln Sterne beobachtet, Kirchen und Friedhöfe bei Nacht besucht. Es war nicht immer legal gewesen, doch es war etwas besonderes. Gabriel war ein Engel. Doch die Welt hatte Marie ihre Liebe nicht gegönnt. Oder vielleicht war der Drecksack auch nur besoffen gewesen, als er ihren geliebten Engel angefahren hatte. Was fährt man denn bitte einen LKW ohne Licht um 2 Uhr morgens? Marie spürte, wie erneut Tränen über ihre Wangen liefen. Sie konnte, wollte sie nicht zurückhalten. Es war ihr egal. Gabriel war wichtig. Der LKW-Fahrer war verschwunden. Gabriel hatte sie auf ihrem Handy angerufen, bevor er den Krankenwagen gerufen hatte. Vielleicht war das der Grund, warum er immer noch auf der Intensivstation lag. Marie saß auf dem Stuhl im Wartesaal und weinte. Und hoffte. Und fürchtete. Und betete sogar. Das hatte sie seit Jahren nicht getan. Doch es fühlte sich so gut an. So richtig. So hilfreich. Marie hatte Angst um Gabriel. Also saß sie in diesem Wartesaal und betete. Lieber Gott, dachte Marie, ich habe Angst. Du musst Gabriel helfen. Sie kam sich albern vor, aber auch so hilflos. Und das Vater Unser wollte sie nicht beten. Das war zu katechetisch. Sie war keine überzeugte Gläubige, aber sie musste ihre Gedanken an irgendjemanden richten. Und wer sonst war schon für sie da? Gabriel wäre für sie da gewesen. Aber jetzt musste sie für ihn da sein. Und wenn es eine Gott gab, würde er auch für Gabriel da sein. Gabriel war ein Engel. Marie wartete und betete. Die Zeit verrann, doch niemand kam, um sie in den Arm zu nehmen, ihr zu sagen, dass alles gut sein würde. Es kam auch niemand, um ihr sein Beileid auszusprechen, doch man hatte nichts mehr tun können. Die Hölle ist die Ungewissheit, dachte Marie, sich an ein Buch erinnernd, das sie mal gelesen hatte. Es war eine Todesqual, nicht zu wissen, ob ihr geliebter Engel noch um sein Leben kämpfte, ob er sicher war, oder vielleicht...Marie wagte es nicht, den Gedanken auszuformulieren. Sie zitterte am ganzen Körper, als sie versuchte, diese düsteren Gedanken zu vertreiben. Und sie weinte. Und wartete. Und betete. Und nichts geschah. Die Zeit verrann. Marie spürte, dass ihr Körper nach Schlaf schrie, doch ihr Geist war unruhig. Niemals, und wenn das bequemste Bett der Welt auf sie gewartet hätte, würde sie schlafen können. Nicht, bevor sie nicht wusste, was nun war. Und wenn der schreckliche Fall wirklich eintrat, vor dem sie solche Angst hatte? Würde sie je wieder ruhig schlafen können? Würde sie wieder lachen können, Freude empfinden? Würde sie wieder lieben können? Und leben? Würde es noch einen Sinn haben, ohne Gabriel, ohne den Einzigen, dem sie immer vertraut hatte, der sie vor Allem beschützt hatte, der für sie da gewesen war, wenn es ihr schlecht ging, zu dem sie gehen konnte, wenn ihre Eltern wieder einmal gestritten hatten? Ihre Eltern, die wahrscheinlich nicht einmal wussten, wo sie war, geschweige denn, dass sie Gabriel gekannt hätten. Die hätten ihn nie verstanden, mit seinen dunklen Shirts und seinem Mantel, und seiner Musik und seinen Freunden und seiner Einstellung. Sie hätten nie verstanden, was sie an ihm so sehr geliebt hatte. Halt, was denkst du denn da, schalt Marie sich selbst. Was sie an ihm so liebte. Sie war nie verstanden worden, nie geliebt worden. Sie hatte nur wenige Freunde, die weit weg wohnten und mit denen sie nicht oft reden konnte. Gabriel hatte sie zufällig kennengelernt, auf einem Celtic Frost- Konzert. Sie hatten sich wunderbar verstanden, und Nummern ausgetauscht. Sie hatten sich verliebt. Und hatten niemandem von einander erzählt. Die Zeit verrann, und Marie wurde immer müder. Doch sie konnte nicht einschlafen. Es war einfach zu wichtig, zu erfahren, was mit ihrem Engel geschehen war. Oder noch geschehen würde. Es wurde draußen bereits hell, als sich die Türen der Intensivstation endlich öffneten, und ein junger Arzt heraustrat. Er sah Marie an, und ging direkt auf sie zu. Marie sprang auf die Beine und rannte ihm entgegen. „Wie geht es ihm? Oh bitte, sagen Sie mir, wie es ihm geht!“ Der junge Mann hob beschwichtigend die Hände. „Er ist erst einmal stabilisiert, aber es könnte besser um ihn stehen. Er hat viel Blut verloren, hat innere Blutungen erlitten und mehrere Prellungen und Brüche. Ein Jammer, dass er erst noch mit Ihnen sprach, bevor er uns rief. Wären wir früher vor Ort gewesen, hätten wir ihn viel besser behandeln können. Jetzt ist er sehr schwach, und noch nicht außer Lebensgefahr. Wir müssen die Blutungen weiter beobachten.“ „Kann ich mit ihm reden?“ Marie spürte, dass ihre Knie weich waren. Der Arzt bedachte sie mit einem sehr ernsten Blick. „Er ist noch nicht ansprechbar. Er liegt im Koma, und wir wissen nicht, wann er wieder aufwachen wird.“ Marie wurde blass, was schwierig schien angesichts der Tatsache, dass sie schon vorher ausgesehen hatte wie ein Bettlaken. Sie spürte, wie die Tränen wiederkehrten. „Er wird doch wieder gesund? Um Gottes Willen, sagen Sie mir bitte, dass er wieder gesund wird!“ Marie verzweifelte. Doch nicht ihr geliebter Engel! Der Arzt versuchte, sie zu beruhigen, doch sie hörte ihn gar nicht. Sie schloss die Augen, spürte die heißen Tränen auf ihrem Gesicht. So setzte sie sich wieder in den Wartesaal. Der junge Arzt hatte ihr einen heißen Kakao gebracht, den sie dankbar entgegen nahm, und eine warme Decke, in die sie nun eingemummt auf dem Stuhl saß. Und wartete. Und betete. Und hoffte. Und fürchtete. Die Zeit verrann. Und Marie wartete auf ihren Engel. Die Hölle ist die Ungewissheit. Und ein Wartesaal. Zitieren
Johannes Geschrieben 12. Mai 2009 Geschrieben 12. Mai 2009 Hallo liebe Geschichtenfreunde! Wir haben vor einigen Wochen nun einen Buchclub gegründet, den "Club der mittellosen Schriftsteller" (nicht ganz ernstzunehmender Titel ). Wir treffen uns einmal in der Woche, um uns die Neuerungen an unseren Geschichten vorzulesen, zu besprechen und zu verbessern. Wunderbar, ich beneide euch. Wie bei Tolkien, stimmt. Sowas wollte ich auch schon lange mal machen, aber leider kenne ich in meinem Freundeskreis (und näheren Umkreis) keine Personen, die selbst schreiben, sich mit Literatur befassen (vor allem Fantasy) und nur wenige, die gerne lesen. Das mit der "Hausaufgabe" finde ich auch nicht schlecht. Ich hab damals auf unserer 10 - stündigen Busfahrt nach England verschiedene Mitschüler nach beliebigen Wörtern gefragt (jeder sollte ein Wort sagen, das ihm gerad einfällt) und dann habe ich diese irgendwie in eine Kurzgeschichte eingebunden. Mal themengewichtig, mal nur am Rand einer unwichtigen Beschreibung. Hat auf jeden Fall die Zeit verkürzt. Aber jetzt zu der Geschichte. Vorweg, deine Freundin hat Recht, sie ist dir gut gelungen. Ich dachte zuerst an eine "übersinnliche" Geschichte, da Marie dem Erzengel Gabriel begebnet ist, aber dann stellt sich (nach und nach) heraus, dass er nur "ihr Engel" ist. Hat sich das der Autor so vorgestellt? Und was Robespierre nun wieder getan hatte, war ihr wirklich egal. Der Kerl ist schließlich tot, dachte sie nur. Marie hatte ihre Gedanken an einem anderen Ort. An einem Ort, der jenseits ihrer Welt war. Bei Gabriel. Das könnte man vielleicht anstreichen. Was sie für ihn empfand. Was er für sie empfunden haben mochte. Sie hatten stundenlang gemeinsam verbracht, hatten in Bibliotheken gesessen, von einsamen Hügeln Sterne beobachtet, Kirchen und Friedhöfe bei Nacht besucht. Es war nicht immer legal gewesen, doch es war etwas besonderes. Gabriel war ein Engel. Man könnte schon denken, dass er ein Engel ist, aber dann hat mich gleich die Stelle überrascht, dass sie auch illegale Sachen zusammen unternommen haben. Ist doch so unengelhaft. Schön. Geht das noch weiter? Würde ich persönlich nicht dazu raten, weil man meistens nicht so toll anknüpfen kann, bzw. dann eine andere Wirkung herüberbringt. Aber lesen würde ich eine Fortsetzung natürlich auch. Bin gespannt, ob ich noch mehr von eurem Buch-Club zu hören/zu lesen bekomme. Zitieren
Elda Geschrieben 12. Mai 2009 Autor Geschrieben 12. Mai 2009 (bearbeitet) Danke schonmal für die Antworten. Freut mich ja, dass das Werklein so gut ankommt. Diese Geschichte wird definitiv nicht fortgesetzt. Das ist beabsichtigt. Jeder darf sich selbst denken, wie es ausgehen könnte für Marie und Gabriel. Dass man erst denkt, dass Gabriel tatsächlich ein Engel (im mythologischen Sinne) ist, ist auch beabsichtigt, ja ich hab extra mal nichts gesagt, weil ich wissen wollte, ob jemand wirklich im ersten Moment an einen Engel denkt. Das ist mir offenbar gelungen. @Ordwergar: Das könnte man vielleicht anstreichen. Was genau würdest du da anstreichen? Zu "unengelhaft": Sicherlich ist dir aufgefallen, dass die beiden sich auf einem Celtic Frost-Konzert kennengelernt haben. Celtic Frost sind eine Death Metal Band. Marie will Gabriel ihren Eltern verheimlichen, weil sie glaubt, dass er mit seiner Einstellung, Musik etc. ihnen nicht genehm sein könnte. Klärt das ein bisschen seine Engelhaftigkeit nach objektiven Kriterien auf? Freut mich wirklich, dass es euch gefällt. Wenn ihr wollt, poste ich nächste Woche dann ein neues Stück. Dieses Mal bin ich dran, einen Satz auszusuchen. Hat jemand vielleicht einen konkreten Vorschlag, über den er gerne lesen würde? Grüße Eldanor Bearbeitet 12. Mai 2009 von Eldanor Zitieren
Johannes Geschrieben 12. Mai 2009 Geschrieben 12. Mai 2009 @Ordwergar: Das könnte man vielleicht anstreichen. Was genau würdest du da anstreichen? Das was ich bei dem Zitat rot markiert habe und zwar im Bezug auf das Denken. Es ist zwar jetzt nur ein kleiner "Fehler", aber wenn man genau darüber nachdenkt, darf sie ja soviel über Robespierre denken, da ihre Gedanken ja an einem ganz anderen Ort sind, und zwar ziemlich stark eben bei Gabriel. Und was Robespierre nun wieder getan hatte, war ihr wirklich egal. Der Kerl ist schließlich tot, dachte sie nur. Marie hatte ihre Gedanken an einem anderen Ort. An einem Ort, der jenseits ihrer Welt war. Bei Gabriel. Dass man erst denkt, dass Gabriel tatsächlich ein Engel (im mythologischen Sinne) ist, ist auch beabsichtigt, ja ich hab extra mal nichts gesagt, weil ich wissen wollte, ob jemand wirklich im ersten Moment an einen Engel denkt. Das ist mir offenbar gelungen. Ja, gute Idee. Sowas kann man von Eldanor erwarten irgendwie . Zumindest hab ich so gedacht, wie das der Autor wollte, hehe. Zu "unengelhaft": Sicherlich ist dir aufgefallen, dass die beiden sich auf einem Celtic Frost-Konzert kennengelernt haben. Celtic Frost sind eine Death Metal Band. Marie will Gabriel ihren Eltern verheimlichen, weil sie glaubt, dass er mit seiner Einstellung, Musik etc. ihnen nicht genehm sein könnte. Klärt das ein bisschen seine Engelhaftigkeit nach objektiven Kriterien auf? Ja, das ist mir schon auch aufgefallen. Nur die Stelle, die ich herausgegriffen hatte mit dem illegal war die erste, die mich dazu bewegt hat, Gabriel als "normalen" Menschen anzusehen. (obwohl er ja für sie immernoch der ganz außergewöhnliche Mensch ist). Hab vermutet, dass Celtic Frost sowas in die Richtung ist und gleich mal ein Stück auf youtube angehört. Außerdem erwähnst du ja noch schwarze Kleidung, Musik und Freunde, ... Da sollte es dann einem schon klar werden. Freut mich wirklich, dass es euch gefällt. Wenn ihr wollt, poste ich nächste Woche dann ein neues Stück. Dieses Mal bin ich dran, einen Satz auszusuchen. Hat jemand vielleicht einen konkreten Vorschlag, über den er gerne lesen würde? Mich würde mal was von dir aus dem Mittelalterbereich interessieren. Das Thema/den Satz kannst du dir selbst raussuchen, ob realitätsnah oder Fantasy, ob normales Stadtleben oder Belagerung einer Festung, ... Soll aber kein Muss sein, aber ich denke Mal, wenn ihr das jede Woche macht kommen doch schnell einige Geschichten zusammen, von denen mir bestimmt viele gefallen werden. Weiter so. Zitieren
Elda Geschrieben 20. Mai 2009 Autor Geschrieben 20. Mai 2009 Hallo liebe Leute, die zweite Kurzgeschichte ist fertig. Ich habe sie, auf Wunsch Ordwergars, ins mittelalter angesiedelt, sie könnte aber rein theoretisch auch in einer Fantasy-Zeitepoche spielen. Ich weiß nur noch nicht, ob ich sie einfach hier posten oder dafür einen eigenen Thread öffnen soll, da es ja genau genommen mit der obigen Geschichte nichts zu tun hat. Ich warte einfach mal eure Meinungen ab, bevor ich sie poste Liebe Grüße Eldanor der Schreibwütige Zitieren
Murazor Geschrieben 20. Mai 2009 Geschrieben 20. Mai 2009 Ich bin gespannt sie zu lesen. Ein eigener Thread wäre wohl besser. Zitieren
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