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Die Insel der Schatten


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Geschrieben (bearbeitet)

Hallo an alle!

Ich habe in den letzten Wochen/ Monaten etwas zusammengeschrieben, das alle früheren von mir hier hinein gestellten Geschichten an Länge und vielleicht auch an Handlungstiefe übertrifft.

Ich habe in der Zeit nach dem Abitur oft nachgedacht, ob ich ernsthaft versuchen sollte meine Finanzen während des Studiums durch schriftstellerische Betätigung aufzubessern.

Damit ich erfahre, ob so ein Vorhaben klug oder aber völlig wahnsinnig wäre, habe ich diese Geschichte hier geschrieben. Sie ist nicht dafür bestimmt, dass sie einem Verlag angeboten wird.

Sie ist nur dafür da, dass andere Leute meine schriftstellerischen Fähigkeiten beurteilen können und auch dafür, dass ich die Phantasiewelt in meinem Kopf weiterentwickeln konnte.

Wegen dieser Zielsetzung bitte ich inständig um eure Feedbacks. Scheut nicht vor Kritik zurück, wenn ich sie verdiene. Wenn ich Schund zusammengeschrieben habe, dann beurteilt mich auch so. Ich will nicht Tage in meinen Semesterferien mit Schreiben verbringen, wenn die Ergebnisse dann von den Lektoren ohnehin zerrissen werden.

Seid offen und ehrlich zu mir, darum bitte ich euch.

Die Geschichte handelt von den Irrfahrten eines Helden namens Duor aus dem Volk der Alburgen.

Der eine oder andere dürfte sich daran erinnern, dass ich den Namen dieses Volkes schon einmal verwendet habe, vielleicht fallen demjenigen auch Ähnlichkeiten zu anderen Werken wie dem "Zwerg im Tann" auf.

Aber Mirhin und die Zwerge kommen in dieser Erzählung nicht vor, denn das ist eine ganz eigene Geschichte.

Inspiration kam von der Wikingerzeit und den drei ersten Uhtred- Romanen Bernard Cornwells, die ich in letzter Zeit in englischer Sprache verschlungen habe. Dennoch kommen viele phantastische Elemente in der Geschichte vor und ich nenne sie eine Fantasy- Geschichte.

Ich werde sie häppchenweise reinstellen.

Zum Schluß

Viel Spaß beim Lesen.

Diese Geschichte erzählt von Duor Haldar, dem großen Helden der Alburgen, der auf vielen Fahrten für die Freiheit seines stolzen Volkes von der Macht des Reiches Nodgard kämpfte, große Siege errang, schwere Niederlagen erlitt, der verehrt und gedemütigt wurde.

Die Alburgen waren ein Reitervolk, das die Weiten der Großen Lande besiedelte, aber nach langen Kriegen zu einem großen Teil unter die Herrschaft Nodgards gezwungen wurde. Ein Teil des Volkes konnte sich allerdings im bergigen Hordland behaupten, doch dieser Teil war uneins und zersplittert.

Ein anderes, mit den Alburgen verwandtes Volk, hatte sich nach diesen auch in den Großen Landen angesiedelt. Dies waren die Visingen, Meister der Seefahrt auf dem großen Weltmeer, die wegen ihrer Raubzüge bei anderen Völkern verhasst waren. Die Visingen kamen von den kalten Nordinseln, von denen einst auch die Alburgen gekommen waren, und angelockt von Beute und fruchtbarem Land waren sie über das Meer gekommen, um eine Reihe von Reichen zu gründen: Husbran, Gaelgamar, Ortholog, Scruthan und die größte Niederlassung, das neue Visland. In ihrem Schatten stand das Volk der Gorden.

Zur Zeit der Erzählung hatte sich die Macht Nodgards immer weiter über die Großen Lande ausgedehnt und zeigte den Visingen ihre Grenzen auf. Scharen visingischer Krieger suchten darum andere Wege zu Ruhm und Reichtum und fanden sie unter den Bannern ehrgeiziger neuer Kriegsherren, die nicht davor zurückscheuten auch gegen andere Visingen zu kämpfen.

Der berühmteste dieser Kriegsherren jener Zeit wurde Cathaer genannt. Er war der Sohn des visingischen Königs im kleinen Reich Hascamad und war von dort vertrieben worden. Einige Jahre danach fiel er im neuen Visland ein und wurde gefürchtet für seine Grausamkeit und seine Rücksichtslosigkeit. Auch von dort wurde er vertrieben und segelte mit seinem Gefolge nach Westen.

Dort lagen im Weltmeer die sturmumtosten Westinseln und die größte von ihnen hieß Insel der Schatten. Auch hier hattens sich Visingen angesiedelt und ihr Fürst war Rothgyr, der gute Beziehungen zum Reich von Husbran pflegte.

Sechs Monate nach Cathaers Fahrt nach Westen verließ noch ein anderes Schiff die Küste des neuen Vislands und nahm den Kampf gegen das winterliche Meer auf.

Die Insel der Schatten

Erster Teil: Wintersturm

Die Planken stöhnten unter den Schlägen der Wellen.

Es war, als hätten sich die finsteren Götter der Meere gegen das kleine Schiff verschworen, sie peitschten es mit Wind und Wasser. Schnee fiel neben Regen und eisige Brocken fielen in das Wasser und auf das Schiff, wo sie krachend auf dem Holz aufschlugen. Aber das Schiff gab nicht auf und die Segler weigerten sich auch nur das Segel einzuholen. Sie wollten sich nicht der seltenen Gnade der dunklen Wassermassen anvertrauen, lieber hielten sie ihr Schicksal in den eigenen Händen. Und so tanzte das kleine Schiff ständig auf den Wellenbergen, rauschte in die Täler hinab und stand dann wieder auf den schäumenden Bergen, als wäre es ein Habicht, der gegen den Sturm anflog und dennoch nicht fiel.

Ein grauhaariger alter Mann klammerte sich an den Rand, streckte seinen linken Arm darüber und begann dann Beschwörungen in den Wind zu rufen, während seine langen grauen Haare im Wind flatterten und sein dunkler Mantel schon vor Nässe troff.

Duor beobachtete den Mann, wie er zu den Göttern um ein Ende des Sturms betete. Die Götter würden dem Mann kein Ende des Sturms geben, dessen war sich Duor sicher. Es war Winter und die Stürme gehörten zu diesen Meeren wie die kurzen Tage und die langen Nächte, in denen die Seeleute nicht wussten, wohin sie trieben, da keine Sterne zu sehen waren, und nur hoffen konnten weiter in die richtige Richtung zu segeln. Er hatte das Treiben der Mächte, die von den Menschen göttlich genannt wurden, schon oft genug aus der Nähe erlebt, um nicht mehr auf sie zu hoffen.

Duor half das Salzwasser mit einem Holzeimer aus dem Rumpf des niedrigen Schiffs zu schütten. Er tat das mit ständig gleichen Bewegungen und viel Kraft. Er trug einen dichten Mantel und seine Kapuze verdeckte das blonde Haupthaar. Hinter ihm, ständig in Griffnähe, lag sein großes Schwert. Dieses Schwert nannte er Feuerbann und es war sein bester Freund auf dieser Reise, aber auch keine Hilfe, denn gegen die Kraft des Weltmeeres konnte er mit blankem Stahl nichts ausrichten. Er schüttete Wasser über Bord und wartete, was ihm das Schicksal brachte. Lange hatte er versucht es zu beherrschen oder zumindest zu erfahren, aber auf seinen vielen Irrfahrten hatte er irgendwann gelernt, dass er klein und unwürdig war seinen eigenen Weg zu kennen.

Dieses Schiff war das Beste, das er jemals gesehen hatte. Und gut war es durch seine Besatzung, diese zehn völlig durchnässten und verschnupften Männer in schmutziger Kleidung und triefenden Bärten. Es waren Visingen, sie gehörten zu einem Volk, dem das Meer eine von den Göttern gegebene Heimat war. Keine anderen Menschen stürzten sich so bereitwillig in den Kampf gegen die Wut des Meeres wie diese. Aber selbst für Visingen waren diese zehn herausragend, denn es war Winter und die meisten anderen wären lieber in Ashargathan getötet worden als diesen Kampf gegen den salzigen und kalten Tod auf dem nördlichen Weltmeer aufzunehmen.

Er, Duor Stulgardson, war keiner von ihnen. Er war Alburge, gehörte damit zu einem anderen Volk, das mit den Visingen nah verwandt, mit ihnen aber durch mehr Feindschaft als Freundschaft verbunden war. Seine Heimat war kein Schiff auf dem wilden Meer, seine Heimat bestand aus grünen Wiesen, hohen, glitzernden Bergen und den weiten Grasebenen, auf denen die Pferde weideten. Und dennoch war er an diese Visingen gebunden worden, sie waren diejenigen unter allen Gestalten auf dieser ihm feindlichen Erde, die er noch am ehesten seine Freunde nennen konnte. Einige ihrer eigenen Herrscher wollten seinen Tod und seine alten Feinde in Nodgard hatten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, so groß, dass man dergleichen in keinem Drachenhort finden konnte. Aber diese Visingen hielten zu ihm. Sie hatten denselben Willen zur Freiheit von Nodgard, der ihn seit achtundzwanzig Jahren durch alle bekannten Länder wandern und einen aussichtslosen Kampf führen ließ, so aussichtslos wie der Kampf des Schiffes gegen das Meer, der aber trotzdem noch nicht verloren war.

Und nun waren sie alle auf dem Weg zu einer sicheren Zuflucht, wenn es eine solche noch gab. Sie wussten nicht, ob es für alle derselbe Ort sein würde. Die Visingen wollten am liebsten unter ihresgleichen bleiben und sich in einem der drei westlichen Reiche ihres Volkes, Husbran, Gaelgamar oder Ortholog ansiedeln oder sich irgendeinen Ort in der Wildnis, vielleicht eine einsame Insel, suchen, wo sie vor ihren Feinden sicher sein konnten, deren Einfluss schon ihr ganzes Volk durchdrang. Duor hingegen wollte zu seinem eigenen Volk zurück. Oft hatte es ihn verachtet, verhasst und verstoßen, aber auch verehrt, unterstützt und bejubelt. Es war sein selbst gewähltes Schicksal für sein Volk zu kämpfen und daran hielt er fest. Er wollte nach Hordland, in das letzte freie, wenn auch zerstrittene und herrscherlose Reich der Alburgen. Er hatte schon zuvor oft überlegt dorthin zu gehen, aber für ihn hatte es oft wie ein Fluchtversteck für einen geschlagenen Freiheitskämpfer ausgesehen. Nun war es für ihn der letzte Ort, wohin er noch gehen konnte.

Das ständige Schaukeln des Schiffes machte das Gehen fast unmöglich. Ein Vising kämpfte sich an Duor heran, wobei er sich an den Tauen festklammerte. Er war völlig durchnässt, aber trotzdem grinste er.

„Was ist, Harsta?", schrie Duor gegen das Heulen des Windes an. „Warum grinst du?"

„Wären wir in Ashargathan geblieben, könnte jemand unseren heldenhaften Tod bezeugen.", schrie Harsta.

„Und darum grinst du?"

„Der Ruf unter den Lebenden ist nicht wichtig. Im Tod werden wir Helden sein."

Harsta grinste weiter. Das war eine Freude am nahen Tod, den man nur bei den Seefahrern fand, deren Herz mit dem unergründlichen Meer verschmolzen war. Innerlich sehnten sich viele nach einiger Zeit nach einem schönen Tod im Meer und Harsta war einer von diesen Seefahrern. Das Meer war sein Zuhause wie das seiner Brüder und seines Onkels, die dieses Schiff segelten. Aber Duors Zuhause war es nicht, seine Heimat war das feste Land, dort wollte er sterben. Wenn das Schiff kenterte und sie dem Tod geweiht waren, wollte er zumindest noch einen letzten Kampf gegen die Ungeheuer der Tiefsee erleben und mit Blut an Feuerbanns Klinge zu seinen Ahnen gehen. Doch selbst wenn ihm ein solcher Tod nicht vergönnt war, würde er zumindest mit Menschen sterben, die zu seinen treuen Gefährten geworden waren.

Zusammen hatten sie in Ashargathan versucht den visingischen König dort zu ermorden. Der König hatte für viel Gold ein Bündnis mit Nodgard geschlossen und dem Schwarzen Tor tausende Krieger als Hilfstruppen versprochen. Dafür hätte er sterben müssen, aber der Mordanschla gelang nicht und nun waren sie alle zusammen auf der Flucht in ein freundliches Land, das es hoffentlich noch irgendwo gab.

„Land!", schrie einer.

Duor drehte sich um. Tatsächlich, hinter den tosenden Gebirgen aus dunklen Wellen sah er eine graue Erhebung. Es war eine Anhöhe über dem Meer, grau, von Flecken von Schnee gesprenkelt und von Schleiern heller Nebel umgeben.

„Was ist das für ein Land?", schrie er zu Harsta.

Harsta rührte sich nicht, sondern starrte mit seinen blassblauen Augen zu der Anhöhe hin. Er war blass, seit drei Tagen kämpften sie mit schlechtem Wetter, die Anstrengungen und die schlechte Verpflegung hatten Spuren hinterlassen. Aber immer hatte er Zuversicht gezeigt, Harsta lächelte am meisten von allen. Aber nun zeichnete sich Besorgnis auf seinem Gesicht ab. Er sagte etwas, aber es war zu leise und Duor beugte sich vor, um ihn besser zu verstehen.

„Das ist die Insel der Schatten.", brüllte Harsta.

Duor drehte sich noch einmal zu der Höhe hin. Das war also die Insel der Schatten. Die Seeleute erzählten oft von ihr. Sie war eine der größten Westinseln, die irgendwo im Weltmeer lagen und mit Schiffen im Sommer gut erreichbar waren, von denen man aber nicht viel hörte, weil sie einfach weit abgelegen waren. Von dieser einen Insel, der Insel der Schatten, wusste Duor, dass sie seit einiger Zeit von Visingen besiedelt war. Die Heimat dieses Volkes, das alte Visland, gebar immer neue Menschen, die alle Wege auf der Suche nach Land befuhren. Selbst hier also lebten Visingen. Diese Insel hatten sie nie erreichen wollen, offenbar hatte sie der Sturm sehr weit vom Festland abgetrieben. Hier allerdings wurde das Wetter langsam ruhiger.

„Können wir dort an Land gehen?", fragte er. „Da gibt es doch sicher einen Hafen."

„Vielleicht gibt es da noch einen Hafen.", antwortete Harsta mit Blick auf das Land. Noch immer zeigte sich kein Lächeln auf seinem Gesicht, dabei konnte er wieder leiser sprechen, da das Heulen des Windes nachgelassen hatte und es stattdessen einfach nur in Strömen regnete.

„Wieso soll es keinen mehr geben?"

„Cathaer soll hierhin gesegelt sein."

Duor bekam ein ungewohnt flaues Gefühl im Magen, was bisher der ganze Sturm nicht geschafft hatte. Er kannte zwar Cathaer nicht, hatte aber genug von ihm gehört und gesehen, um ihn nicht zu mögen und sogar etwas wie Furcht vor ihm zu empfinden. Cathaer war ein Vising und ein Kriegsherr mit dem Banner eines Drachen, einer Flotte und einer Schar von bewaffneten Gefolgsleuten. Vor drei Jahren war er in dem größten Siedlungsgebiet seines Volkes auf der anderen Seite des Meeres, dem neuen Visland, erschienen und hatte eine Spur von Tod und Verwüstung hinterlassen, bis man ihn vor einem halben Jahr wieder verjagte. Danach wurde er noch einmal in Scruthan gesehen, einem kleinen, Nodgard tributpflichtigen, Königreich von Visingen am Meer, wo er geplündert hatte.

„Ich dachte, er wäre wieder ins alte Visland gesegelt.", sagte Duor.

„Seine Flotte wurde auf dem Weg hierhin gesehen.", erzählte Harsta.

Dann war er auf der Suche nach leichter Beute und Land, wo er seine Wunden lecken konnte, gewesen, dachte sich Duor. Es musste nicht bedeuten, dass Cathaer auf der Insel der Schatten war, aber es verhieß auf jeden Fall nichts Gutes für diesen Ort. Wahrscheinlich hatte Cathaer zumindest geplündert und war mit Schiffsrümpfen voll von Sklaven und Vorräten weitergesegelt. Er konnte aber auch auf der Insel geblieben sein, um hier zu überwintern. Duor hatte in anderen Gegenden gesehen, was ein Besuch Cathaers bedeuten konnte. Dieser Mann war ein wahnsinniger Mörder mit ständigem Blutdurst und sein Gefolge bestand aus Gesetzlosen, die unter anderen Visingen nicht mehr leben konnten.

„Es wäre besser nicht an Land zu gehen.", meinte er dann.

„Das kannst du kaum entscheiden. Der Wind frischt wieder auf.", sagte Harsta.

Die Wellenberge wuchsen wieder, der Wind wurde schärfer und kälter und Duor sah in der Ferne einen dunklen Schatten zwischen den grauen Wolken. Die Insel der Schatten kam näher.

Zweiter Teil: Räuberruhe

Gölc hatte sich in den Resten eines geplünderten Dorfes ein gemütliches Lager eingerichtet. Zusammen mit zwölf anderen Kriegern von Cathaers Horde, zehn Schafen und zwölf Pferden durfte er dort überwintern. Im Dorf waren nur noch zwei Frauen und drei Kinder geblieben, mit denen die Besatzer gut auskamen. Gölc wohnte jetzt in der kleinen und dunklen, aber warmen Halle. Er hatte sie vom vorigen Herrn übernommen, der im Kampf gegen Gathaers Krieger gefallen war. Die Zeit der Kämpfe war vorbei, nun ruhten sich die Räuber aus dem Osten aus, die Insel der Schatten hatte einen neuen Fürsten und zu seinem Gefolge gehörte der fünfzigjährige Gölc. Er war ein leicht untersetzter Mann mit schon grau gewordenem Bart, der sich in seinem neuen Dorf recht wohl fühlte, denn er hatte hier lieber seine Ruhe als in der Siedlung Sculdafar in der Nähe seines unberechenbaren Herrn zu sein.

Unterhalb von Gölcs Dorf war das Meer. Die Insel war hügelig und die Höhen fielen steil ab zum Meer, manchmal bildeten sie dabei hohe Klippen. Diese Stellen wurden von Seefahrern gemieden und auch die Felsen vor der Küste, die bei Flut unsichtbar unter der Wasseroberfläche lagen, machten die Insel zu einem gefährlichen Reiseziel. Wer dort draußen Schiffbruch erlitt, musste fast sicher sterben und oft sah man von den Klippen aus zwischen den dunklen Wellentürmen die Flossen und gestachelten Rücken der Meerestiere, die auf glücklose Seefahrer warteten.

Gölcs Aufgabe war es im Süden der Insel einen langen Strand unter den Hängen zu bewachen. Dieser Strand aus Kies und grobem grauem Sand bot bei Ebbe, wenn die Untiefen sichtbar waren, gute Möglichkeiten an Land zu gehen. Darum musste Gölc in regelmäßigen Abständen mit seinen Männern aus dem Dorf und den Strand entlang reiten. Sein Herr fürchtete wohl, dass hier feindliche Schiffe an Land gingen. Er selbst hatte die Insel vor fünf Monaten im Sturm erobert und hatte Angst, dass ihm ein anderer Eindringling die Beute wieder abnahm.

Gölc verließ seine warme kleine Halle nur sehr ungern für diese Ritte an den Stränden. Immer wenn er aus dem von einem kleinen Herdfeuer gewärmten Raum ins Freie trat, schlug ihm der scharfe Wind des tobenden Meeres ins Gesicht und ließ ihn zittern. Ging er weiter zwischen den strohgedeckten Langhäusern hindurch über den festgefrorenen Boden bis zum Rand des grasigen Abhangs, sah er unter sich eine Hölle aus Wasser. Alle Kraft des Weltmeeres schien gegen dieses Eiland zu peitschen, die Wellen waren höher als Häuser, unter ihren grauen Massen verbargen sich Untiefen und Schlimmeres; Sturmböen und Schauer aus Schnee und Regen gingen auf die tosende Wasserfläche nieder. Das war keine Zeit, in der ein Feind seine Krieger auf diese Insel bringen konnte. Die finsteren Meeresgötter schützten Cathaers Eroberung besser als es Waffen tun konnten. Kein feindliches Schiff konnte die Insel der Schatten erreichen, ohne zu kentern, in Strudeln zu versinken oder an den Klippen zu zerschellen.

Und Gölc meinte daher auch, dass seine Aufgabe hier eher nutzlos war. Niemand würde im Winter versuchen die Insel der Schatten anzugreifen. Nur im Sommer herrschten gute Bedingungen für Schifffahrt. Cathaer war im Herbst gekommen und das war ein großes Wagnis gewesen, denn schon die Herbststürme drohten seine Flotte zu vernichten. Gölc hatte sich auf einem der wackligen, frisch gebauten Schiffe befunden und oft gedacht, er müsste sterben. Aber sie hatten die Insel erreicht zu einer Zeit, als dort niemand einen Angriff erwartete, und sie im Sturm genommen.

Allerdings glaubte Gölc schon lange nicht mehr, dass Cathaer wirklich eine Landung von Feinden über diesen Strand während der Wintermonate befürchtete. Der neue Fürst der Insel misstraute vielen seiner Hauptleute, vor allen denjenigen, die sich ihm ohne Not angeschlossen hatten und ein ihnen ergebenes Gefolge hatten. Gölc gehörte zu Narycs Gefolge, der sich Cathaer im neuen Visland angeschlossen hatte. Diesem Naryc hatte er die Treue geschworen und Cathaer misstraute allen, deren Treueeid nicht ihm selbst galt. Gölc glaubte, dass er darum die sinnlose Aufgabe bekommen hatte den Strand zu bewachen, nur damit er weit weg war von Sculdafar und seinem Herrn, der in der Nähe der Siedlung seinen Sitz hatte.

Murrend ging Gölc seiner Aufgabe nach. Also stand er von dem mit Fellen gewärmten Sitz in der kleinen Halle auf, trat in die Kälte und ging in den Stall, wo die zwölf Pferde altes Heu fraßen. Die Pferde waren klein und struppig. Gölcs eigenes Pferd stammte von der Insel, es war eine schwarze, wunderschöne Stute. Sie hatte dem vorigen Herrn dieses Dorfes gehört, den er in der Schlacht mit der Streitaxt getötet hatte. Nun gehörte die Stute ihm und er hatte sie Whondabris, Schneegang genannt. Er sattelte sie, führte sie aus dem Stall, ihm schlug der Schneeregen ins Gesicht, er stieg in den Sattel und ritt zusammen mit vier Gefährten los.

Ihr gewöhnlicher Weg führte an Klippen, Schneebedeckten Weiden und Kiesstränden vorbei. Die einzige Gefahr, die es auf der Insel für die neuen Herren vielleicht noch gab, waren in die Hügel geflohene Aufständische, wie sie jetzt hießen, schlecht bewaffnete Siedler, die Cathaers Sieg überlebt hatten. Aber vermutlich war das letzte Dutzend von ihnen schon zerrieben worden, erfroren oder verhungert. Hier gab es noch nicht einmal Wölfe oder Bären, höchstens einige verwilderte Hunde. Es gab große Adler, die manchmal Schafe und angeblich sogar Menschen angriffen, aber über dieser Insel kreisten sie kaum noch. Hier war es so sicher und für ihn als einen Eroberer so gemütlich, dass er sich sogar vorstellen konnte dauerhaft auf dieser Insel zu bleiben. Aus diesem Dorf konnte mit einigen Bewohnern mehr ein ganz angenehmer Platz werden. Außerdem hatte er sich in die schönste der drei Sklavinnen verliebt und sie war seine Frau geworden. Sie hieß Thira und er war jeden Tag aufs Neue von ihr hingerissen, auch wenn ein Teil von ihm wusste, dass sie nur mit ihm schlief, weil er sie durchfüttern konnte. Dennoch liebte er sie inbrünstig. Er hatte schon einige Kämpfe überstanden und wollte lieber mit Thira in einer schönen Halle als auf einem kalten Acker mit einem Schwert im Leib sterben.

Nicht alle seine Krieger dachten so. Die Hälfte von ihnen, nämlich vor allem die jüngeren, wollten gerne weiterziehen und anderswo nach Beute und Land suchen. Gölc konnte das verstehen, immerhin war die Insel der Schatten nicht das schönste und fruchtbarste Land, das man sich vorstellen konnte. Die Winter waren lang und die Sommer kurz. Hier hatten sie nur gute Aussichten als Bauern bis an ihr Lebensende einige Schafe über die von stoppeligem Gras bewachsenen Weiden zu treiben und jeden Winter zu hoffen, dass die Vorräte reichten. Die meisten hätten wohl mehr Gefallen an der Insel gefunden, wenn sich für jeden eine schöne Frau gefunden hätte. Die drei Frauen im Dorf waren vor den ersten Angreifern in die Hügel geflohen und irgendwann halb verhungert mit ihren Kindern ins Dorf zurückgekommen, wo Gölc und seine Männer sie aufgenommen hatten. Cathaers Krieger hatten nach ihrem Sieg auf der Insel ein Gemetzel angerichtet und die überlebenden Siedler zu Sklaven gemacht. So waren die übrigen Bewohner des Dorfes verschwunden.

Gölc bedauerte, dass so viele Bewohner der Insel wie Vieh abgeschlachtet worden waren. Es wurden vor allem Frauen für die Männer gebraucht, damit ihnen das Leben auf der Insel leichter fiel. Mehr als die Hälfte der Siedler hatte die Eroberung der Insel wohl nicht überlebt. Darum wurde Cathaer schon jetzt „der Blutige" genannt. Gölc hätte sich über das viele vergossene Blut vielleicht weniger geärgert, wenn die Erschlagenen von einem fremden Volk gewesen wären, aber die Siedler waren Visingen wie die neuen Herren auch. Dieser Stamm hatte die Insel irgendwann erobert und dauerhaft besiedelt, nun waren diese Siedlungen zu einem großen Teil von Cathaers Horde verwüstet worden. Er und seine zweitausend Krieger waren mit Schiffen an den Kiesstränden gelandet, waren durch die Insel marschiert und hatten ohne vorher an den Fürsten Forderungen zu stellen einfach gebrannt und geplündert, was sie auf ihrem Weg vorfanden. Der Fürst war von dem Angriff überrascht worden, er hatte nur geringe Kräfte sammeln können und war in einer blutigen Schlacht vernichtet worden. Sein Verbündeter war ihm zu spät zu Hilfe gekommen und selbst geschlagen worden, Cathaer hatte ihn von Jagdhunden fressen lassen. Wie Wölfe waren Cathaers Krieger über die Insel hergefallen. Nun saßen sie in ihren neu eroberten Höhlen, leckten ihre Wunden und langweilten sich.

Dann riss ein Brüllen Gölc aus seinen Gedanken.

Die Pferde wieherten vor Angst, scheuten und ein Krieger wurde aus dem Sattel geworfen. Gölc dachte zuerst an Feinde, aber da war kein Kriegsgeschrei. Er sah nur die schneebedeckten Hänge, die Klippen und die unruhige See. Gerade herrschte Flut und der Strand war sehr eng geworden.

„Ein Schiff!", schrie der jüngste Krieger.

„Nur Geisterschiffe fahren im Winter.", sagte ein älterer.

Gölc strengte seine Augen an und dann sah er wirklich ein Schiff. Es war ein kleiner Segler, der dort auf den hohen Wellen dem Ufer näher kam und wirklich ausgezeichnet gesteuert werden musste, denn bei so einem Wetter trauten sich selbst die meisten visingischen Seefahrer, die besten der Welt, nicht auf das Meer.

Aber dann erschrak er. Er hörte ein Brüllen und sah einen Drachen. Es war ein tiefer Schatten, der zwischen den tief hängenden Wolken deutlich hervortrat, dem Schiff näher kam und angriff.

„Weg hier!", brüllte er und riss sein Pferd herum. Er brauchte es nicht anzutreiben, denn es galoppierte von der eigenen Angst angetrieben den Hang hinauf. Bei den anderen war es ebenso. Der eine abgeworfene Krieger sprang hinter einem anderen auf ein Pferd. Der Sturm tat sein Übriges und trieb sie wie mit Peitschen aus Regen und Schnee weiter, während hinter ihnen der Drachen brüllte und ein Krachen zu hören war. Schließlich kamen sie auf dem Höhenzug an.

Da war das Brüllen verstummt und es waren nur noch das Prasseln des Regen und das Aufschlagen der Wellen an die Klippen zu hören. Gölc drehte sich schnell atmend wie gehetzt um und hatte die Hand am Schwertgriff, obwohl er wusste, dass seine Waffen gegen einen Drachen kaum etwas ausrichten konnten, zumal wenn es ein Flugdrache war. Manchmal krochen Meerdrachen aus dem Wasser und ins Landesinnere. Sie konnte man einkreisen und töten, wenn man eine Menge erfahrener Männer bei sich hatte, aber gegen einen fliegenden Drachen konnte man nicht gewinnen.

Aber den Drachen sah er gar nicht mehr. Es war still geworden. Er sah nur dunkle Flecken auf den Wellen und erkannte dabei Teile eines zerschmetterten Schiffes.

„Der Drache ist tot.", sagte einer.

„Ein Drache kann nicht tot sein.", erwiderte Gölc.

„Sie haben ihn erschlagen oder erschossen."

„Wie denn? Von einem Schiff aus?", raunzte Gölc. Noch immer hatte er Angst.

„Aber er ist tot."

Irgendwann war er überzeugt, dass dem Drachen irgendetwas zugestoßen sein musste und sie ritten wieder den Hang hinunter, wobei sie das weggelaufene Pferd wieder einfingen. Langsam nährten sie sich dem Kiesstrand und dabei spürte Gölc sein Herz bis zum Hals schlagen. Er war kein Held, war es noch niemals gewesen, und die mögliche Nähe eines Drachens erschrak ihn zutiefst. Er wäre am liebsten in seinem Dorf am Golwar geblieben, wo der Wind immer zärtlich mit dem Schilf am Ufer des schönen Flusses spielte. Nur weil er Naryc die Treue geschworen hatte und seine Eide immer hielt, hatte er seine Heimat verlassen. Er mochte die vielen Märsche, die Seereisen und die Schlachten nicht. Er hasste es sehen zu müssen, wie Freunde und Feinde getötet oder verwundet wurden und dann zuckend und blutend ihrem Ende entgegen gingen. Darum wäre er auch am liebsten wieder ins Dorf geritten, aber ein böses Schicksal hatte ihn zum Anführer dieser fünf Männer gemacht, also musste er sich tapfer zeigen.

Am Strand lagen schon zersplitterte Schiffsplanken, auf den Wellen trieben weitere Trümmer. Er sah kurz einen Arm auftauchen und weiter hinten einen Mann mit Kopf nach unten im Wasser treiben. Er hatte erwartet, dass das Schiff zerstört wurde, es hatte nicht anders kommen können.

„Der Drache!", schrie ein Krieger und Gölc erschrak.

Er sah einen schuppigen grauen Körper, aber dieser Körper trieb im Wasser und hing an dem aus dem Wasser ragenden Mast.

Er war verblüfft. „Das Wasser ist hier seicht.", sagte er dann. „Wir suchen nach Überlebenden."

Angst hatte er, große Angst, dass der Drache nicht tot oder da irgendeine andere Zauberei im Spiel war. Aber er zwang sich seine Angst zu besiegen und trieb Whondabris ins Wasser hinein. Das Wasser war sehr kalt und die Stute zitterte, aber sie gehörte zu den zähen Rössern des Nordens und ging weiter hinein. Überall waren abgesplitterte Plankenteile und Seile. Mindestens die Hälfte des Schiffes war zu kleinem Treibgut verarbeitet worden. Whondabris scheute vor einem Mann, der auf dem Rücken mit weit aufgerissenen Augen im Wasser schwamm und eine Blutspur hinter sich her zog, denn ihm fehlten die Beine und ein Teil des Rumpfes. Zumindest rührte sich der Körper des Drachen nicht und langsam begann Gölc wirklich zu glauben, dass er tot war, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, wie die Seefahrer, die wohl schon alle tot waren, das geschafft haben könnten.

„Hier ist einer, der lebt!", rief ein Krieger.

Gölc war verblüfft. Er konnte nur ein Stück Kleidung an einer Planke sehen, aber wenn ihm zugerufen wurde, dass einer überlebt hatte, dann musste es wohl so sein.

„Holt ihn raus!", befahl er.

Der Reiter trieb sein Pferd tiefer in die Wellen hinein, bis seine Stiefel im Wasser hingen, dann beugte er sich vor und zog einen Körper auf den Rücken des Tieres. Er machte kehrt und ritt wieder auf das Ufer zu.

„Es ist ein Krieger!", sagte er, als er wieder auf festem Boden war.

Der Mann sah mehr tot als lebendig aus, als er auf dem Schnee abgelegt wurde und anfing Wasser hervor zu würgen. Die Krieger sammelten sich um ihn. Er war totbleich, würgte und rührte sich danach nicht mehr, aber er lebte, es waren keine Wunden zu erkennen und er atmete. Er konnte kein Fischer oder Händler sein, das Kriegerleben war ihm anzusehen. In seiner Rechten hielt er noch immer ein großes mit zähem rotem Blut verklebtes Langschwert. Unter seinem schmutzigen Mantel trug er eine Rüstung, wie sie keiner aus Gölcs Gruppe je auch nur gesehen hatte. Ein Panzer schimmernd wie mattes Silber aus Plättchen bedeckte seinen Oberkörper und darunter war ein feines Kettenhemd, das von den Ellbogen bis knapp zu den Knien reichte. Sogar seine Beine, Füße und Unterarme waren von Schienen geschützt.

„Wir nehmen ihm alle seine Sachen ab und bringen ihn ins Dorf.", befahl Gölc. „Keiner rührt ihn oder seine Sachen an. Wir werden ihn später zum Fürsten bringen."

Als sie ihn bis auf seine durchnässte Hose und sein ebenso durchnässtes Hemd entkleidet hatten, nahm er seinen eigenen warmen Mantel und umhüllte den Fremden damit. Er nahm es gerne in Kauf auf dem Rückweg zu frieren, denn vor diesem Mann empfand er große Ehrfurcht. Er war ein Drachentöter.

Cathaer, Kriegsherr und neuer Fürst der Insel der Schatten, hatte seit drei Tagen einen neuen Barden, der ihn unterhielt. Seine Männer hatten den dünnen und weißhaarigen Alten mit den tiefblauen Augen irgendwo in den Hügeln aufgelesen, wo er sich anscheinend versteckt gehalten hatte. Er gehörte zum Volk der Gorden, sprach aber fließend die Sprache der Visingen und konnte auch in dieser Sprache singen und dichten, während er auf einer alten Harfe spielte. Cathaer hatte einen großen Bedarf an Unterhaltung, denn die Tage in Sculdafar waren zuletzt recht langweilig geworden. Alle seine Feinde auf dieser kargen Insel waren vernichtet, die Beute eingesammelt und rauschende Feste gefeiert worden. Seit fünf Monaten verrotteten vor der Halle auf einem Spieß aufgesteckt die Köpfe von Rothgyr, dem besiegten Fürsten der Insel, und von Aruc, dem Königsbruder aus Husbran, der als Verbündeter von Rothgyr hier ebenfalls besiegt worden war. Jetzt fand deren Überwinder nicht einmal mehr neue, schöne Frauen, um seine Langeweile in diesen kalten Wintertagen zu vertreiben. Ein Dutzend Barden hatte er schon aus der Halle verjagt, weil ihm ihre Lieder nicht mehr gefielen, einen sogar auf dem Platz davor aufspießen lassen, weil er zu einer schlechten Zeit einen falschen Laut getroffen hatte. Dieser Neue aber übertraf alle diese Tölpel und Cathaer lauschte ihm immer wieder wie gebannt.

Als er eines Morgens die Halle betrat, meinte er seit seiner Ankunft auf der Insel schon mindestens zwei dutzend Kinder gezeugt zu haben. Er hatte keine Frauen nach alter Sitte geheiratet, eine Ehe hätte ihn zu sehr eingeschränkt. Stattdessen vertrieb er sich die Zeit mit den Sklavinnen seines Haushalts und den Frauen seines Gefolges. Als er eintrat, wurde es in der Halle sofort still. Der Boden und die Söller zu beiden Seiten waren voll von Gefolgsleuten, die aßen oder gerade aus einem langen Schlaf aufgewacht waren. Das waren fast alle Männer seines engsten Gefolges, die meistens schon mit ihm aus der Heimat ausgezogen waren, mit ihm gekämpft und sich irgendwie bewährt hatten. Dazu kamen noch einige Diener, denen er erlaubte in der Halle zu speisen. Mit dabei waren immer einige Frauen, deren Aufgabe es war die hier schlafenden Männer zu beglücken, weil man sie hier gefangengenommen hatte und Cathaer seinen Männern etwas gönnen wollte. Oft herrschte hier ein großes Getümmel, da in Sculdafar einfach nicht genug Häuser waren, um Teile der Leute wegzuschicken. Aber sobald Cathaer erschien, herrschte Stille wie auf einem Friedhof. Oft genug war er schon wütend geworden und hatte Untergebene, die ihn erzürnt hatten, einfach niedergeschlagen und getötet. Aber diesmal war er nicht schlechter Stimmung.

„Wo ist Tithar?", fragte er.

Er war wohl nicht da. Nur seine Harfe lehnte an einen kleinen Schemel vor dem Thron. Der Hauptmann der Leibwachen schickte drei seiner Männer hinaus, damit sie nach dem alten Barden suchten. Er entschuldigte sich, aber Cathaer schüttelte nur den Kopf.

Oft war er mit sich unzufrieden, dann meinte er zu wenig Land und Beute erobert zu haben. Manchmal, eher selten aber meinte er es doch schon recht weit gebracht zu haben. So dachte er jetzt. Er war Herr der Insel der Schatten, konnte sich Fürst, eigentlich auch König nennen, sich auf ein bewaffnetes, ihm ergebenes Gefolge verlassen, die Beute hatte ihn reich gemacht und sein Vorgehen bei der Eroberung berühmt. Sogar dort, woher er gekommen war, im alten Visland, sprach man seinen Namen sicher schon nur noch mit Ehrfurcht aus. Er hatte schon vor seiner Abreise über das Meer viel dafür getan, so hatte er seine halbe Sippe ausgelöscht, um Herr eines eigenen starken Gefolges zu werden, bis ihn sein Onkel und die anderen Könige aus dem Land gezwungen hatten.

Nidrá, Narbe, wurde er oft genannt und er hatte nichts dagegen. Sein längliches Gesicht mit dem dünnen strohblonden Bart und dem kahl rasierten Kopf war von einem Schwerthieb mit einer von der linken bis zur rechten Backe reichenden Narbe verunstaltet worden. Sein eigener Bruder hatte damals versucht ihn zu töten und war selbst gestorben. Diese Narbe zeigte, dass man ihn als Kämpfer fürchten, ihn meiden oder ihm gehorchen musste. Rücksicht war ihm fremd, das hatte er damals gezeigt. Ein Seher hatte ihm vor langer Zeit vorausgesagt ein in der ganzen Welt berühmter König zu werden. Darum hatte er nach dem qualvollen Tod seines Vaters nach der Krone im Land Hascamad gegriffen. Schließlich war er verjagt worden, hatte ein Heer von Gefolgsleuten und Gesetzlosen aus verschiedenen Gegenden gesammelt und war schließlich auf der Insel der Schatten gelandet. Und nun wusste er nicht so recht, ob er damit zufrieden sein sollte.

Irgendwann öffnete sich die Tür zur Halle und drei Leibwächter kamen mit einer gebückt gehenden, in einen verschneiten Rentierpelz gehüllten Gestalt hinein. Die Wächter mussten die Tür gegen den eisig kalten Schneesturm wieder zustemmen, während der Barde auf einen dünnen Stab gestützt auf Cathaer zu hinkte und sich leicht verneigte.

„Hast du dich in den Hurenhäusern rumgetrieben, alter Mann?", fragte Cathaer.

„Nein, bei den Pferden. Früher bin ich immer gerne geritten, aber jetzt bin ich ein hinkender alter Krüppel.", antwortete Tithar.

„Erzähle mir etwas von der alten Zeit."

„Etwas mit Pferden?"

Cathaer musste grinsen. Dann nickte er.

Tithar setzte seine alten, wie verschrumpelt aussehenden Fingern an die Harfensaiten und begann ihnen dann langsam Laute zu entlocken, die sich zu schönen Klängen verbanden und die Zuhörer träumen ließen.

Rithir ging Rösser fangen

Von seinem Vetter Vandra

Manche schöne Mähre hatte

Der im strohgedeckten Stall,

Danach hungerten Hengste

Auf Rithirs weiten Weiden…"

Cathaer musste lächeln. „Das ist ein sehr alter Stoff aus Visland, den ich schon oft gehört habe. Aber du scheinst daraus ein eigenes neues Lied gemacht zu haben. Warst du schon einmal im alten Visland, Tithar?", fragte er.

Tithar unterbrach das Lied und nickte. „Ja, einige Jahre. Ich war Walfänger bei König Gulham und bin dann mit Surg dem Einhändigen auf Raubfahrt gegangen. Dann war ich auch im neuen Visland auf der anderen Seite des Meeres, wo die weggezogenen Sippen eine neue Heimat gefunden haben."

„Spiel weiter.", befahl Cathaer.

Tithar gehorchte und spielte weiter. Er war wirklich ein ausgezeichneter Barde, dachte sich Cathaer, und es war ein Glück, dass er nicht wie die vielen anderen Alten getötet und dann den Raben überlassen worden war. Dieses Harfenspiel und der Gesang dieser alten Stimme stimmten ihn ruhig. Er kannte selbstverständlich den Ausgang der Geschichte. Rithir raubt seinem Vetter nicht nur dessen zehn schwarze Stuten, sondern auch dessen schöne Braut Lida. Es kommt zu einer Fehde zwischen Rithir und Vandra. Rithir und Lida fliehen auf Stonscöl, dem besten aller Hengste, einem Spross einer geraubten Stute. Sie werden von Boros aufgenommen, dem Gott der wilden Tiere. Von ihm wird Rithir zu Wettkämpfen gegen Menschen und wilde Tiere herausgefordert. Auf Stonscöl gewinnt er sie alle und Boros gibt ihm das Gonsdhorn, mit dem er die Pferde rufen kann. Damit zieht er wieder in den Kampf gegen Vandra und kann mit dem Gonsdhorn Boros' Rösser von Wasser und Eis rufen, mit denen er seinen Vetter verjagt und zuletzt noch König wird. Es war eine schöne alte Geschichte aus einer Zeit, als die Visingen noch nicht zum Volk der Seefahrer geworden waren und dort eine andere Berufung gefunden hatten. Aber es erinnerte auch daran, dass in jedem seefahrenden Visingen auch ein guter Reiter und Freund der Rösser steckte.

Irgendwann zuckte er zusammen, als er, obwohl er nur noch halbwach war, bemerkt hatte, dass die Geschichte nicht den altbekannten Verlauf nahm. „Was singst du da, Alter?", unterbrach er den Barden. „Er hat Lida doch nicht Boros zum Pfand für das Horn hinterlassen, es wurde ihm geschenkt!"

Tithar lächelte leicht. „Diese Art der Geschichte habe ich auf Surgs Schiff von einer Hure gehört."

Das gefiel Cathaer und er musste lachen. „Hurengeschichten können mir gefallen. Sing weiter, alter Mann!"

Und Tithar sang. Seine Erzählung wurde nun viel blutiger als die Geschichten, die Cathaer früher gehört hatte. Er ließ Rithir rauben, brandschatzen, morden und die Frauen seiner Gegner zu seinem Vergnügen nehmen, die Ernten verbrennen und seine Feinde in die Wälder jagen. Er ließ Rithir seine Fehde so führen, wie es in Visland während der langen Hungersnöte üblich gewesen war. Die Visingen hatten es sich angewöhnt Gefangene nur dann zu machen, wenn sie diese auch ernähren konnten. Im alten Visland waren die Winter immer sehr hart und die Ernten karg. Viele Kriege wurden nicht um Frauen oder Silber, sondern um Vorräte geführt und wer verlor, starb oft den Hungertod, während sich seine Feinde in seinen Dörfern eingenistet hatten. Darum waren auch viele Visingen über das Meer gefahren und hatten sich in den großen grünen Landen dort eine neue Heimat gesucht. Dort gab es viele visingische Siedlungen an den Küsten und den Flüssen. Eine Gegend, die leicht zu erreichen war und wo sich besonders viele Siedler niedergelassen hatten, wurde seit einigen Jahren das neue Visland genannt. Dorthin reisten jedes Jahr viele mutige, abenteuerlustige Krieger auf der Suche nach Beute und Frauen, aber auch einfache Bauern, die sich nach Böden sehnten, aus denen die Gerste leichter wuchs und bessere Ernten brachte. Aber das Töten vieler Feinde bei schlechten Vorräten war noch immer üblich.

„Das gefällt mir.", lachte Cathaer. „Aber das hast du nicht von einer Hure, Alter, sondern von einem Krieger. Nun sing weiter."

Tithar fuhr fort und dehnte die Erzählung aus. Nun trank Rithir den Bruder seines Vetters unter den Tisch, entmannte ihn, schlitzte seinen Bauch auf und hängte ihn dann vor Vandras Haus an einen Baumstamm, wo der seinen Bruder langsam sterben sehen musste. Cathaer hatte es mit dem Sohn seines eigenen Onkels Cathoas ähnlich gemacht, als er mit dem um die Krone in Hascamad kämpfte. Sein Vater Cathair war unter merkwürdigen Umständen qualvoll gestorben und sofort dachte man an einen Giftmord. Cathaer hatte es eilig gehabt seinen Herrschaftsanspruch durchzusetzen und zog vom ersten Tag an eine Blutspur hinter sich her. Niemand aus der Verwandtschaft unterstützte ihn, denn man hielt ihn für den Giftmörder. Er war es nicht, auch wenn ihm der Tod seines Vaters, der sich ständig nur betrunken und befressen hatte, gelegen gekommen war. Aber er hasste es, wenn man in seiner Gegenwart von seiner Sippe in Hascamad redete, denn immer schwang in den Reden der stille Vorwurf mit der alleinige Schuldige für die vielen Morde zu sein. Es stimmt, er hasste seine Sippe, aber er wollte nicht als der Mörder gelten.

Vielleicht wollte er solche Vorwürfe nicht gelten lassen, weil sie zu einem guten Teil stimmten. Cathaers Ehrgeiz war es immer ein eigener, starker, unabhängiger und gefürchteter Herrscher zu werden, ein Herrscher, der mehr war als die Kleinkönige im alten Visland, die über kaum mehr als ein paar Äcker geboten. Als ihm sein Bruder Cathair nicht weichen wollte, half er mit dem Schwert nach und bekam dabei die Narbe über sein Gesicht. Seinem Onkel Cathos begegnete er in der Schlacht, die der nicht überlebte. Cathaer konnte gut reden und zog junge, von seinem Vater enttäuschte und nach Ruhm gierende Krieger auf seine Seite. Aber dann wurde er in einer letzten Schlacht von seinem anderen Onkel Cathoas und dessen Verbündeten geschlagen. Er musste Hascamad über das Meer verlassen, nahm aber hunderte Gefolgsleute mit und gewann noch hunderte mehr dazu bei Raubzügen entlang der Küste bis nach Husbran. Zuletzt wurde er gejagt wie ein toller Hund und musste über das Meer segeln, ins neue Visland. Dort gewann er ein Heer und Verbündete, mit denen er plünderte und mordete, bis man ihn auch von dort verjagte. Aber er ging nicht mittellos, hatte noch immer über zweitausend Krieger und eine Flotte und er suchte nach einer anderen Beute. Er fand schließlich die Insel der Schatten und nahm sie sich.

Tithars Lied beruhigte ihn jetzt nicht und seine Gedanken zogen ihn fort von der Erzählung des alten Barden. Er dachte an die Demütigungen in Hascamad, wie man ihn gejagt und verspottet hatte, wie ihn die Sippe verflucht hatte und wie man gesagt hatte, er werde in der Ferne verfaulen, aber weder reich noch mächtig werden. Sie hatten ihn immer missachtet. Unterschätzt hatten sie ihn. Die ganze Welt war mit ihm verfeindet, selbst seine Gefolgsleute neigten zu Verrat und nur Schrecken und Silber hielten sie treu, aber er würde sich gegen die ganze Welt durchsetzen. Er würde der mächtigste Vising aller Zeiten werden und diese kleine Insel war nur der Anfang. Er würde dafür sorgen, egal wie stark die Widerstände sein würden. Er würde seine Feinde das Fürchten lehren und grausam alle Verräter aus dem Weg schaffen, damit ihm niemand mehr im Weg stand.

Die Tür wurde mit einem Ruck aufgestoßen und das Lied unterbrochen. Mit plötzlicher Wut fuhr Cathaer hoch und griff nach seinem Schwert, als ein grauhaariger Krieger mit verschneitem Mantel in die Halle trat. „Was?", brüllte er und jeder in der Halle bis auf den Barden zuckte erschrocken zusammen.

Der Mann fiel sofort auf die Knie. „Ich bin Gölc von der Südküste, Herr.", stammelte er. Hinter ihm traten weitere drei Krieger ein und fielen, als sie Cathaers Wut bemerkten, ebenfalls auf die Knie.

„Was willst du?", zischte Cathaer, stand auf und ging auf den Mann zu. Seine stillen Gedanken hatten ihn wütend gemacht und nun war dieser

Gölc stammelte irgendwas, das Cathaer nicht verstehen konnte. Er schritt an den Bänken vorbei und die Anwesenden machten voller Furcht den Weg frei, als er sich den vier Männern näherte, die in seine Halle eingedrungen waren.

„Wir bringen einen Gefangenen!", rief dann einer von Gölcs Begleitern.

Cathaers linker Mundwinkel zuckte. Gefangene wurden immer wieder gemacht, Schiffsbrüchige und in die Hügel geflohene Feinde waren es immer. Er wurde wütend, wenn man ihn wegen solcher Nichtigkeiten störte. „Was für einen Gefangenen?", zischte er und seine Leibwächter sammelten sich mit Speeren hinter ihm.

„Er ist nicht von unserem Volk.", antwortete Gölc, ein untersetzter älterer Krieger mit schon grau gewordenem Bart.

„Von welchem dann?" Cathaer war wütend, dass man ihm seine Zeit stahl.

„Er ist Alburge."

Cathaer hob die Augenbrauen. Einen Alburgen hatte er hier wirklich nicht erwartet. Man fand diese Leute fast nur auf dem Festland, wo sie sich vor ewigen Zeiten angesiedelt hatten und die Erzfeinde der dorthin gezogenen Visingen waren. Sie galten als tapfere Krieger und gute Reiter, aber nicht als Seefahrer.

„Und er hat einen Drachen getötet.", ergänzte Gölc.

„Was?", fragte Cathaer. Nun war er wirklich überrascht. „Redest du wirr?"

„Ein Flugdrache hat sein Schiff vor der Küste angegriffen. Er hat ihn getötet und als einziger überlebt." Die Worte kamen wie eine Schwemme aus dem Mund des verängstigten Gölc, der Cathaer irgendwie an ein fettes graues Frettchen erinnerte. Aber was er sagte, weckte die Neugierde des Kriegsherrn, darum ließ er den Mann fortfahren: „Wir haben ihn zum Strand gezogen und in unser Dorf gebracht. Da war er bewusstlos. Wir hatten Angst vor ihm, Herr, denn er musste ein großer Krieger sein. Er hatte nämlich eine Rüstung, so eine gute hatte ich vorher noch nie gesehen und meine Männer auch nicht. Wir haben ihn in ein Bett gelegt und gepflegt, aber wir haben ihm die Rüstung und die Waffen abgenommen."

„Ist er hier?", unterbrach Cathaer den Wortschwall.

Gölc sah betreten aus. „Nein, Herr. Ich will euch erklären warum, wenn Ihr erlaubt: Ich habe dann einen Boten zu Sithroc geschickt, der in Agasdarf seinen Sitz hat. Sithroc hat uns befehlen lassen, dass wir den Alburgen zu ihm brachten. Der war inwischen wieder stärker geworden und ich habe ihm gesagt, dass er zu Eurem Hof geladen wurdet. Das hat er geglaubt und ist einfach mitgeritten."

„Warum hast du so etwas erzählt?", zischte Cathaer. „Du Lügner erzählst falsche Sachen in meinem Namen!"

„Ihr hättet den Fremden doch sicher ohnehin hierher holen lassen.", erklang dann Tithars schöne Stimme neben ihm.

Cathaer nickte. Dabei hatte er schon vorgehabt diesem stammelnden Mann vor ihm mit dem Schwert den Schädel einzuschlagen und es kam nicht oft vor, dass er seine Meinung auf das Anraten fremder Leute hin änderte. Aber er wollte ja wissen, was geschehen war, auch wenn ihn dieser Mann vor ihm wütend gemacht hatte. „Was dann, Gölc?", fragte er dann.

„Sithroc hat befohlen den Alburgen zu fesseln und unter ein Joch zu legen, Herr. Er meinte, der Fremde wäre ein feindlicher Eindringling und müsste bestraft werden.", erzählte Gölc weiter. „Aber dann hat sich der Alburge gewehrt, hat Sithroc das Schwert aus der Scheide gezogen und dann sieben von unseren Leuten erschlagen, bis wir ihn überwältigen konnten. Sithroc ist deswegen auch tot. Der Fremde wurde in Agasdarf mit Ketten an einen Pfahl gefesselt und jetzt müssen wir wissen, was Eure Befehle sind.", sagte er und klappte den Mund zu wie ein Frosch, dessen Quakvorstellung geendet hatte.

Cathaer dachte kurz nach. „Nimm ein Dutzend Männer von meiner Leibwache mit und schaff den Alburgen hierher, aber als Gast meiner Festtafel.", befahl er. Dann drehte er sich um, ging wieder zu seinem Thron und setzte sich hin, um in finsteren Gedanken zu versinken.

Duor emfand nur Wut.

Dieses Gefühl unterdrückte den Schmerz, der überall in seinem frierenden Körper nach Wärme schrie. Der Gedanke daran ein Schwert in die Hand zu bekommen oder auch nur ein festes Stück Holz und damit diese Wachen abzuschlachten, die ihn mit festen Tauen an diesen im Freien stehenden Pfahl gefesselt hatten, ließ ihn vergessen, dass er seine Füße und Finger schon nicht mehr spüren konnte. Die Wut ließ ihn die Zähne so fest zusammenbeißen, dass sie nicht klapperten und seinen Schmerz nicht verrieten.

Duor Haldar war seiner Rüstung und seiner Waffen beraubt. Er trug nichts bis auf seine Hose, sein Hemd und seine Stiefel. Sein langes blondes Haar war voll von dicken Schneeflocken und seine breiten Schultern waren bedeckt davon. Die Fesseln drückten ihn gegen den Pfahl aus Eibenholz, der in der Mitte eines großen Dorfes stand. Der Pfahl war kalt wie Eis, Duor musste die Kälte des von Raufrost bedeckten Holzes von seinen Fersen bis zum Hinterkopf spüren, er musste auch die Blutergüsse an seinem Gesicht und überall sonst an seinem Körper fühlen, aber der Schmerz war überdeckt von seiner Wut auf diejenigen, die ihm das angetan hatten.

Er sah sie nur wenige Schritte von ihm entfernt, wie sie sich um ein prasselndes Lagerfeuer kauerten. Es waren fünf Männer mit Speeren und Äxten, die ihn bewachten, den Mann, der sieben von ihresgleichen erschlagen hatte, die noch immer unbeerdigt auf den Schneebedeckten Wiesen lagen, weil der Boden zu hart gefroren für menschliche Spaten geworden war. Ausgeburten des visingischen Volkes! Söhne einer Hure, die sich von einem Ziegenbock reiten ließ! Gefesselt hatten sie ihn, dabei hatte er ihnen nichts getan. Sein Schiff war einfach gegen die Küste dieser von den Göttern verlassenen Insel getrieben worden, er hatte gegen einen Drachen kämpfen müssen, war ohnmächtig geworden und diese Missgeburten hatten ihn einfach verraten und zu fesseln versucht. Er hatte sich gewehrt, als sie ihn umringten. Sieben von ihnen hatte er mit einem von ihren eigenen Schwertern erschlagen, darunter auch den geifernden Hurensohn, der sie anführte. Aber er war noch immer leicht benommen gewesen von dem Kampf mit dem Drachen, hatte einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen und sich dann an diesen Pfahl gefesselt wiedergefunden.

Voller Wut starrte er diese fünf Männer zwischen siebzehn und fünfundzwanzig Jahren an, die ihn in ihrer rauen Sprache verspotteten, aber doch Angst vor ihm hatten, diesem Mann von vierzig Jahren, der kräftiger war als jeder einzelne von ihnen und schon ungezählte Feinde im Kampf erschlagen hatte. Hin und wieder ging einer zu ihm hin und reichte ihm einen Krug mit heißer Suppe, die er nur trank, damit ihn die Wärme am Leben hielt, denn er wollte leben, um Rache zu nehmen an diesen von Schweinen und räudigen Kötern. Sie genossen es ihn leiden zu sehen, hatten aber Angst vor ihm. Wenn er nur frei wäre und ein Schwert hätte, würden sie jaulend wie erschrockene Hunde fliehen.

Mit einem der schmierigen Hurensöhne hatte er sich unterhalten können. Der Vising war sturztrunken gewesen und hatte von den großen Siegen seines Herrn Cathaer geprahlt. Seitdem wusste Duor, was auf dieser Insel geschehen war. Cathaer war völlig überraschend mit seinen Kriegern an Land gegangen, hatte Rothgyr, den Fürsten dieser Insel, und Aruc, dessen Verbündeten aus Husbran, besiegt, getötet und war danach über die Siedler hergefallen wie ein Wolf über Schafe. Mehr als die Hälfte der Bewohner hatten das Gemetzel hier wohl nicht überlebt. Duor hatte noch von keinem anderen Kriegsherrn gehört, der ohne Not so viel Blut von Wehrlosen vergossen hätte, besonders wenn es keine Fremden waren. Wo die Visingen einfielen, floss Blut. Wenn sie siegten, wurde fast jeder, der sich ihnen entgegenstellte, erschlagen. Nutzlose Alte und Krüppel wurden von ihnen getötet. Wer nützlich war, gefangene Männer, Frauen und gesunde Kinder, wurde versklavt. Plündernde Visingen zogen immer Scharen von Sklaven mit sich. Aber hier war es anders, hier war ohne Not mehr getötet worden als man es von irgendeinem anderen Ort kannte. Auf der Insel der Schatten musste ein Wahnsinniger gewütet haben und Duors gewaltige Wut richtete sich auch auf ihn, denn wo unschuldiges Blut geflossen war, egal ob von Alburgen, Visingen oder sonst jemandem, musste er wütend werden, auch weil dann so viele Erinnerungen an seine eigene Kindheit aufkamen, an die Erlebnisse, die ihn hierher getrieben hatten, weil sie ihn zu seiner langen Reise getrieben hatten, die hier vielleicht in Eis und Schnee ihr Ende finden sollte.

Dritter Teil: Dunkler Zauber

Es war furchtbar kalt, aber Fyrc ging auf die Jagd und mit ihm stampften drei von seinen Männern in die Wälder. Nichts mochte Fyrc lieber als die Jagd und hier wollte er damit nicht aufhören. Überall wo er bisher gewesen war, egal an welcher Küste des Weltmeeres, hatte er gejagt und seine Beute war jedes Tier, das er finden konnte, und wenn es keine Tiere gab, dann ließen sich oft genug Menschen fangen, die auch einen Wert hatten. Er gehörte zu den Männern, die sich Cathaer schon im alten Visland angeschlossen hatten und darum bevorzugt wurden. Er war seinem Herrn immer treu gewesen, darum war er nun Herr in einem großen Dorf in den Höhen und durfte nach Herzenslust jagen gehen.

Die mit Bögen und Spießen bewaffnete Schar ging leise durch die dunklen Hügelwälder oberhalb der Küste. Hier gab es Schweine und schwarze Hirsche. Die schwarzen Hirsche waren kleiner und struppiger als ihre Verwandten in anderen Ländern und sie waren sehr scheu und schnell. Die Schweine waren nichts anderes als verwilderte Nachfahren von Hausschweinen, die von den Siedlern von jenseits des Meeres hierhin gebracht worden waren. Auf der Insel der Schatten fanden sich nun viele Tiere, die es auch anderswo gab, aber diese Gegend hatte dennoch ganz besondere Eigenheiten. Königliches Ansehen winkte einem Jäger, der einen der riesigen Donneradler erlegen konnte. Solche Tiere fand man nur auf dieser Insel und einigen anderen kleineren Flecken inmitten des Weltmeeres. Sie ähnelten Adler, hatten aber ein schwarzgraues Gefieder und waren sehr viel größer als alle Adler, die man sonst kannte. Donneradler konnten tagelang über der Erde fliegen, oft rissen sie Schafe, manchmal sogar achtlose Menschen, und fraßen sie auf. Man sah sie nicht oft, aber doch oft genug. Diese Tiere wurden gefürchtet und gejagt. Mit Bögen konnte man sie abschießen, aber nicht jeder Schütze schaffte es einen dieser riesigen Tiere zu treffen, wenn sie durch die ständigen Sturmwinde flogen als wären sie eins mit dem kalten Wind.

Fyrc liebte es hier zu jagen. Seit der Befriedung der Insel hatte er die meiste Zeit nur gejagt. Im Winter gab es hier für einen Krieger sonst nichts zu tun und die Wälder und Hügel im Inneren der Insel waren schön. Seine alte Heimat, aus der fortgezogen war, bestand nur aus flachen Wiesen und Birkenwäldern, wo er sich irgendwann gelangweilt hatte. Wegen eines Streits um Land nach dem Tod seines Bruders war er zum Gesetzlosen geworden und hatte seine Heimat mit einigen Gefoglsleuten auf einem Schiff verlassen und sich Cathaer angeschlossen. Er war als Krieger mit dem Schwert so gut wie als Jäger mit dem Bogen. Aus den Raubzügen seines Herrn hatte er Nutzen gezogen, sein Haushalt war voll von der Beute, die ihm Cathaer gelassen hatte: Elfenbein von Walrössern und Walen, Pelze von weißen und silbergrauen Füchsen, silberne Münzen und Bernstein, dazu Sklaven. Vierzig Sklaven gehörten ihm jetzt, darunter sieben Frauen, mit denen er sich die einsamen Winternächte vertrieb und wohl schon einige Kinder gezeugt hatte. Wie Cathaer meinte er, dass die Ehe die Strafe für sesshafte und feige Männer war, die Vielweiberei mit gefangenen Frauen hingegen das schöne Vorrecht der Eroberer.

Eine kurze Bewegung im Geäst ließ ihn anhalten und seinen Männern ein Zeichen geben. Es war ein wunderschöner schwarzer Hirsch mit stolzem weißem Geweih, der zwischen den Bäumen stand und Rinde von den Ästen fraß. Fyrc lächelte, dieser Hirsch war wunderbar. Er hatte das Recht als erster zu schießen und legte langsam, sorgfältig, fast fürsorglich einen Pfeil an die Sehne, richtete den Bogen auf und spannte ihn langsam, sodass jede Sehne seines rechten Armes das Zittern der Sehne spürte.

Dann flog der Pfeil und Fyrc wollte sich verfluchten, denn der Hirsch sprang weg.

„Er ist verwundet, Herr!", sagte einer der Jagdbegleiter. „Den holen wir noch ein."

Sie liefen den Hang zu der Stelle, wo der Hirsch gestanden hatte, hinauf. Als sie keuchend oben ankamen, sahen sie ihn nicht, dafür aber rote Bluttropfen auf dem alten Schnee.

„Bei Boros!", zischte Fyrc. „Den lassen wir nicht entkommen. Weiter!"

Sie folgten den Abdrücken der Hirschhufen weiter durch den lichten Wald aus Fichten und Birken. Es fiel kein Schnee, stattdessen ging nur ein leichter, aber wie immer kalter Wind und der Himmel war voll von dunklen grauen Wolken. Das Laufen hielt die Jäger warm und sie waren in dicke Pelzmäntel gekleidet. Die Visingen wurden dafür gefürchtet, dass sie sich nur selten von der Kälte abschrecken ließen. Sie waren ein Volk der Kälte, auch wenn viele von ihnen vor der Kälte in wärmere Länder flüchteten. Fyrc war nun vom Jagdeifer befallen, der Hirsch war verwundet und würde ihnen nicht entkommen können, sondern laufen und laufen, bis er schwächer wurde und sie einen Schwarm von Pfeilen in seinen schönen Körper schießen konnten.

Aber der Hirsch hatte noch genug Kraft, um weit zu rennen, weit genug, um sie in eine Gegend zu locken, die sie nicht kannten. Irgendwann fühlten sich auch Fyrc dicht eingepackte Beine müde an und als er an einer Gruppe in den Boden versenkter Steine vorbei kam, rutschte er aus und fiel auf ganzer Länge hin.

Fluchend rappelte er sich wieder auf. „Unglückssteine!", schimpfte er.

Es waren dunkle Blöcke von Steinen, die nicht von den Kräften der Wildnis geschaffen zu sein schienen. Sie waren kantig und mussten einmal in einer festen Ordnugn an diesem von Fichten bewachsenen Hang gestanden haben. Irgendwelche Zeichen waren darauf eingeritzt, von denen aber mittlerweile fast nichts mehr zu erkennen war, zu sehr hatten Frost und Wärme daran gearbeitet. Man mochte diese Steine nicht, sie hießen Unglückssteine, da in ihrer Nähe immer wieder Ungeschick geschah, wie Fyrc diesmal selbst bewiesen hatte. Er hoffte, dass ihm diese Steine nicht auch noch die Jagd auf diesen schönen Hirsch verdarben.

Und sie wurde ihm verdorben, aber auf besondere Art. Er entdeckte Menschenspuren. Seine Gefährten blickten ihm verwundert nach, als er stehen blieb, nach links schaute und dann über Abdrücken von zwei Paaren von Menschenfüßen stand. Sie kennzeichneten einen Pfad.

„Ist von uns sonst noch jemand hier?", fragte er.

Seine Gefährten schüttelten die Köpfe.

Fyrc starrte auf die Spuren. In seinem Kopf kämpfte er gegen die Verlockung weiter den Hirsch zu jagen, aber diese Spuren waren von Menschen, die erst vor kurzem hier vorbei gegangen waren.

„Zwei Menschen, einer ist wohl eine Frau.", sagte einer der Jäger, der Spuren sehr gut lesen konnte.

Fyrc nickte. „Dann begeben wir uns jetzt auf Sklavenjagd."

Sie fanden ihre Beute in einem kleinen Tal. Dort lagen zwei Hütten um die Reste eines Köhlermeilers herum. Die vier Männer näherten sich den Hütten langsam. Zwei Kinder in zerlumpter Kleidung saßen dort an einem kleinen Feuer. Irgendwann schrie eines von den beiden auf und dann rannten die Jäger ins Tal herunter. Schreiend stoben die Kinder weg und ihnen folgten noch drei andere Gestalten aus den zwei Hütten, drei Frauen, die nun das Wild für die Jäger waren. Diese Frauen und Kinder gehörten zu den Visingen, die sich nach Cathaers Einfall versteckt hatten, um nicht in die Sklaverei zu geraten. Diese zwei Köhlerhütten waren auch so gut wie unmöglich zu bemerken, da das Tal eng und abgelegen war. Nun hatte aber ein böser Gott die Jäger zum Versteck dieser Menschen geholt.

Am anderen Ausgang des Tals stolperte eine Frau. Die anderen Flüchtlinge drehten sich um und wollten ihr helfen, aber da holten die Jäger auf und sie flohen. Die Frau wollte weiterlaufen, aber da griffen schon harte, kalte Hände nach ihren Armen, Beinen und ihrem Rücken und hielten sie am Boden fest. Sie schrie und versuchte zu entkommen, während die Männer lachten. Dann wurde sie mit einem Ruck umgedreht. Sie war sehr schön, hatte lange, feste blonde Haare und ein Gesicht mit hübschen Sommersprossen und tiefbraunen Augen.

Sie war die schönste Frau, die Fyrc jemals gesehen hatte, so schön, dass sie die Braut eines Königs sein konnte. Er war so hingerissen, dass er sich sofort auf sie legte und seine Hose öffnete.

„Lasst sie mir!", knurrte eine Stimme.

Fyrc und seine Gefährten drehten sich überrascht um und sahen wenige Schritte neben ihnen einen Reiter.

Er saß auf einem schnaubenden schwarzen Hengst. Er trug einen dicken Mantel aus Fuchsfell und darunter ein Lederwams. Er war wohl nicht mehr als fünfunddreißig Jahre alt, hatte aber schon ein hageres, ausgezehrtes Gesicht mit grauen Strähnen im schütteren Haar und einschüchternd dunklen Augen. Eine goldene Kette am Hals und ein Langschwert in einer prächtigen Scheide verrieten, dass er kein einfacher Mann war.

Auf Fyrc machte er zumindest genug Eindruck, dass er von der wimmernden und weinenden Frau abließ, seine Hose schloss und sich aufrichtete. „Wer seid Ihr?", fragte er.

„Ich heiße Scrasbor.", antwortete der Reiter. „Gebt mir die Frau."

„Warum?", empörte sich Fyrc. „Ich bin von mindestens demselben Stand wie Ihr und das ist meine Beute, eine von denen, die sich in den Hügel vor uns versteckt halten."

Er sagte das, aber aus irgendeinem Grund hatte er vor diesem Reiter auf seinem schwarzen Hengst Angst. Vielleicht waren es die dunklen Augen, die ihm diese Angst einjagten und ihm sagten, dass dieser Mann gefährlich war. Dabei war er nur einer, sie hingegen waren vier und hatten Speere, Bögen und Pfeile oder kleine Beile an den Gürteln.

„Weil sie mir zusteht.", zischte der Reiter und obwohl er damit eigentlich nichts gesagt hatte, war es doch so bestimmt gesagt worden, dass Fyrcs Angst größer wurde.

„Woher kommt Ihr?", fragte Fyrc und ein leichtes Zittern mischte sich in seine Stimme.

Der Reiter lächelte böse. „Von jenseits des Meeres. Und jetzt gebt mir die Frau."

„Ein Schatten.", flüsterte einer von Fyrcs Jägern und er selbst zitterte. Aber das war ein Reiter aus Fleisch und Blut, keiner von den Schattengestalten, von denen man sagte, dass sie die Geister der Toten waren, die weiter über die Insel wanderten, wonach diese Insel ihren Namen hatte. Er hatte diese Erzählungen als Ammenmärchen abgetan, aber nun glaubte schon ein Teil von ihm, dass dieser Reiter ein Schatten war. Die Frau sah zum Reiter hoch, zitterte und griff nach Fyrcs Hand, der gerade eben noch mit offener Hose auf ihr gelegen und ihr Kleid hochgezogen hatte. Aber Fyrc hatte jetzt mehr Angst um sich selbst als um seine schöne Beute.

„Warum?", fragte er den Reiter noch einmal.

„Weil sie einen schönen Körper und ein hübsches Gesicht hat."

„Ihr könnt sie haben, wenn wir mit ihr fertig sind und Ihr einen anständigen Preis bezahlt.", entgegnete Fyrc, aber er klang nicht überzeugend.

Das Gesicht des Reiters verzog sich, zuerst sah es wie eine Grimasse aus, dann wurde daraus ein schiefes Grinsen. Er griff in seinen Mantel, dann hob er die Hand und zehn silbern funkelnde Münzen flogen heraus, die vor Fyrc im Schnee landeten. Fyrc griff nach den Münzen und klaubte sie mit seinen von der Kälte roten Fingern aus dem Schnee.

Dann nickte er schwach.

Der Reiter grinste. Die Frau schrie, aber Fyrcs Männer griffen nach ihr, rissen sie hoch und warfen sie dem Reiter zu. Der packte sie am Kleid, das Pferd schnaubte, er riss sie mit unerwartet großer Kraft hoch und legte sie vor sich über den Sattel. Er drückte seinem Pferd die Fersen in die Seiten, dann galoppierte der Hengst mit dem lachenden Reiter und der wimmernden Frau davon.

Und Fyrc konnte die zehn Silbermünzen nicht in seiner Hand halten, sie fielen ihm aus den zitternden Händen heraus zu Boden und lagen dort im kalten Schnee.

Cathaer war lange guter Laune gewesen, aber das war nun vorbei, sogar mit seinem Barden Tithar war er unzufrieden. „Diese Erzählung gefällt mir nicht.", schimpfte er. „Dein Harfenspiel und deine Art mit deiner alten Stimme zu singen sind gut, aber die Erzählung gefällt mir nicht."

Tithar hob die Augenbrauen. Er hatte wohl den Geschmack seines Herrn nicht ganz getroffen. Er hatte Rithir weiter gegen seinen Vetter Vandra kämpfen und dabei morden, brennen und vergewaltigen lassen. Vandra war mit blutendem Körper eine Klippe hinunter gestürzt worden und unter Rithirs Augen langsam gestorben. Rithir hatte nur noch mit den geraubten Frauen geschlafen und darüber seine geliebte Lida völlig vergessen. Darum brachte er Boros das Gonsdhorn nicht zurück und der Gott nahm Lida darum mit in die dunklen Wälder hinter den Pforten in die jenseitige Welt. Als Rithir der Sklavinnen müde geworden war, verzweifelte er und wollte sich selbst von der Klippe stürzen, unter der sein Vetter gestorben war.

„Es kann doch nicht sein, dass er unter den Sklavinnen keine fand, die so viel wie Lida wert war.", sagte Cathaer. Er saß auf seinem Thron, hatte gerade Gerstenbrei gegessen und war schlechter Stimmung, dass die Geschichte anders verlaufen war als erwartet.

„Wie hätte die Geschichte denn weitergehen sollen?", fragte Tithar und ließ seine Finger über die Harfensaiten streichen.

„Irgendwie anders." Er lehnte sich zurück und dachte nun selbst über ein anderes Ende der Geschichte nach. „Wie wäre es…", sagte er und verstummte dann wieder, um nachzudenken. Der alte Barde wartete geduldig und schließlich fiel Cathaer etwas ein: „Rithir fordert Boros zum Kampf heraus und der Gott kommt mit seinem Heer aus wilden Tieren. Und dann kommt es zu einer Schlacht und Rithir treibt den Gott in seine dunklen Wälder zurück, erbeutet Lida und macht sie zu seiner Hauptfrau."

Tithar nickte langsam. „Das wäre eine Möglichkeit."

„Wir Visingen mögen keine Geschichten, die in Tränen enden. In Blut und Wein sollen sie enden."

„Wo Blut fließt, fließen auch Tränen.", meinte Tithar.

Cathaer schüttelte den Kopf. „Sicher ist es so. Aber wenn genug Blut fließt, gibt es später keinen mehr, der Tränen vergießt."

Die Halle war fast ganz leer bis auf drei Leibwächter, die in ihren Rüstungen am Ausgang saßen und dösten. Cathaer saß auf seinem Thron mit Wolfsfellen und vor ihm saß Tithar auf einem Schemel mit seiner Harfe und die beiden redeten leise miteinander.

„Habt Ihr darum so viele von den Leuten hier töten lassen?", fragte dann Tithar.

Cathaer hatte mit dieser Frage nicht gerechnet, denn sie war dreist und er war nicht mehr gewohnt, dass jemand in seiner Halle solche Fragen zu stellen wagte. Er wusste zuerst nicht, was er darauf antworten sollte, aber er war nicht in der rechte Stimmung, um jemanden wie diesen doch sonst so wunderbar spielenden Barden zu bestrafen.

„Auch.", antwortete er dann leise und fügte hinzu: „Diese Insel ist karg und die Vorräte müssen für die Krieger reichen."

„Also habt Ihr töten lassen, damit die Vorräte reichen."

Cathaer nickte. Es entsprach vielleicht nicht ganz der Wahrheit, er hatte immerhin auch so viel Blut fließen lassen, damit sich sein Schreckensruf weiter verbreitete, denn daran fand er Gefallen. Aber das erzählte er nicht gerne. „Wie hättest du an meiner Stelle gehandelt, Tithar?"

Tithar antwortete nicht sofort. „Wollt Ihr hier bleiben?", fragte er dann.

Das war keine Antwort auf Cathaers Frage gewesen, aber Cathaer wurde darum nicht wütend. Vor guten Barden hatte er immer Achtung empfunden, solange ihre Harfenklänge gut und ihre Lieder aufheiternd oder spannend waren. Und Tithar konnte er beides nicht absprechen.

„Die Krieger wollen Beute machen, sie sind nicht geschaffen worden um Schafhirten oder Fischer zu werden.", sagte er und zum Teil war das der Grund, wieso er hier nur überwintern wollte. Tatsächlich konnte er selbst am allerwenigsten mit der Herrschaft über diese kalte, karge Insel zufrieden sein.

Eine Seitentür wurde geöffnet und ein Hühne mit zu Zöpfen geflochtenem braunen Bart- und Haupthaar trat ein. Er trat neben Tithar und verneigte sich vor Cathaer.

„Mein Fürst, Herr!", brummte er.

„Was ist, Scolf?"

Der Hühne richtete sich auf. Er hieß Scolf, Sohn eines anderen Scolf und stammte aus dem neuen Visland. Seit zwei Jahren war er Cathaers Hauptmann und ein guter Gefolgsmann, denn er hatte sich bisher in jedem Kampf bewährt. Darum trug er auch einen kostbaren goldenen Halsschmuck. Cathaer wusste, dass Scolf nahezu unersetzbar war. In der Schlacht flüchteten die Feinde oft lieber vor ihm als mit einem solchen Hühnen zu kämpfen. Und Scolf war treu, solange er gut entlohnt wurde. Cathaer erinnerte sich, wie Scolf zu ihm gestoßen war, mitten in einer Schlacht in einer flachen Grasebene im Süden gegen die Visingen von Fulcand, als Scolf auf der Gegenseite stand und dann einfach die Seiten wechselte, weil er bei seinem alten Herrn keinen großen Lohn für das Kämpfen zu erwarten hatte und sich bei Cathaers plünderndem Haufen bessere Aussichten auf Reichtum versprach. Seit dieser einen Schlacht am Meer hatte Scolf in fünf anderen Schlachten gekämpft und sich immer bewährt.

„Wir haben einen Schatzhort gefunden.", brummte Scolf. Er brummte immer. Noch nie hatte ihn jemand mit hoher Stimme reden hören.

„Einen Schatzhort?", fragte Cathaer.

„Ja, er muss Rothgyr gehört haben."

„Wo?"

„Hinter dem Pferdestall, Herr. Ein Sklavenkind hat zugesehen, wie der Schatz vergraben wurde, und es jetzt ausgeplappert."

Cathaer stand auf. Die Aussicht Schätze einheimsen zu können hatte ihn schon immer aufgeputscht. „Ihr habt ihn nicht angerührt, oder?"

„Nein, nur die Truhe geöffnet, um zu sehen, was drinnen ist."

„Nur eine Truhe? Was ist drinnen?"

„Reine Silbermünzen."

„Aha. Davon haben wir schon sehr viel, aber ein wenig mehr kann ja nicht schaden."

„Und da drinnen ist noch eine Hand."

Nun war Cathaer überrascht.

Irgendwann ergab sich Ilid ihrem bösen Schicksal. Sie hatte geweint, den fremden Reiter um Gnade angefleht, versucht sich vom Pferd zu werfen, aber er hatte sich nicht erweichen lassen und sein eiserner Griff um ihre Hüfte, der sie auf dem Widerist des schwarzen Hengstes hielt, kein einziges Mal gelockert. Zuletzt weinte sie nur noch. Der schwarze Hengst setzte seinen Weg zu einem Ziel, das Ilid nicht kannte, unermüdlich fort, es schneite und die Kälte fraß sich in Ilids vom Hunger und vom vergeblichen Kampf geschwächten Körper.

Sie hatte gekämpft und dennoch versagt. Dabei hatte man sie einmal die tapfere Ilid genannt, an die sich kaum ein Bursche im Dorf heran wagte, obwohl man sie sehr schön nannte, weil sie drei starke Brüder hatte und selbst heftige Schläge austeilen konnte. Vor einem Monat hätte Ilids Hochzeit mit einem kecken strohblonden Bräutigam stattfinden sollen, aber es war alles anders gekommen.

Ihr Vater war tot, ihre drei Brüder waren tot, ihr Bräutigam war tot, ihre Schwagerin, deren kleiner Sohn, ihre beste Freundin und ihre eigene kleine Schwester waren gerade noch entkommen, aber sie war zur Sklavin geworden, zum Besitz eines Mannes, den sie nicht kannte, den sie fürchtete und auf dessen Pferd sie nun über die Insel reiten musste. Sie hatte den Reiter angeschrien und gefragt, wohin er sie brachte, aber er hatte nicht geantwortet und war stur weiter geritten. Die Kälte und der Schnee schienen ihm nichts anhaben zu können. Sie wünschte sich den Tod.

Ihr ganzes Leben war zerstört. Sie hatte keine Sippe mehr, die sie beschützen konnte, sie hatte versagt und bald würde sie sicher zur Hure gemacht werden wie die vielen anderen Frauen. Bald würde ihre Ehre dahin sein. Was sie dann für ein Leben erwartete, war schlimmer als der Tod. Sie war siebzehn und die Schande konnte noch sehr lange andauern. Es fehlte nur noch, dass sie den letzten Weg ging und den frierenden und wimmernden Körper hinter sich ließ.

Ohne eine Sippe war sie als Frau ohne Wert. Ihre Sippe war tot und sie konnte sie nicht rächen. Alles hatte sich gegen sie gewandt. Vor einem Vierteljahr noch war sie rundum glücklich gewesen, sie war schön, bewundert, geachtet und auf dem Weg einen wunderbaren Mann zu heiraten, denn sie sogar noch liebte.

Sie erinnerte sich an den Tag, an dem sich ihr Schicksal zu ändern begonnen hatte. Ein Reiter sprengte ins Dorf, er war völlig erschöpft und was er sagte, erschrak jeden. Feinde waren auf der Insel eingefallen, ihr Anführer hieß Cathaer, ein gefürchteter Kriegsherr mit einer nach Blut und Silber lechzenden Horde entwurzelter, gesetzloser Krieger, deren Beute nun die Insel der Schatten werden sollte. Sie waren so überraschend an der Küste aufgetaucht, dass Fürst Rothgyr nur ein kleines Aufgebot zusammentrommeln konnte, das Cathaers Haufen hoffnungslos unterlegen war und von ihm gnadenlos niedergemacht wurde. Angst brach aus, aber es gab noch Hoffnung, denn aus dem verbündeten Husbran sollte der Königsbruder Aruc kommen. Aber Aruc kam um zwei Tage zu spät und sein geringes Gefolge wurde zersprengt und vernichtet. Danach schwärmten Cathaers Krieger in großen Scharen aus, um zu plündern und zu morden, was ihnen leicht viel, denn das Rückrat der Verteidigung der Insel war zerbrochen und den Eindringlingen konnten sich nur noch verstreute Bauernkrieger ohne Führung entgegen stellen. Schnell brannte die ganze Insel und innerhalb einer Woche wurde Cathaer zum unangefochtenen Herrn über sie.

Irgendwann tauchte dann ein Haufen von Kriegern auf den Hügeln über Ilids Dorf auf. Die Frauen und Kinder sollten fliehen und die Männer stellten sich den Feinden entgegen, wobei sie den Tod fanden. Ilid, ihre kleine Schwester, ihre Schwägerin, ihre Freundin und ihr kleiner Neffe fanden im Wald zwei verlassene Köhlerhütten und hofften mit ihren Vorräten solange durchhalten zu können, bis Hilfe kam. Hilfe kam nie und zuletzt hungerten sie. Wenn nicht die Feinde gekommen wären, wäre Ilid irgendwann zusammengebrochen und gestorben, denn nie hätte sie ihren Stolz überwunden und hätte sich als Sklavin von den Mördern ihrer Sippe ernähren lassen. Und nun war sie doch eine Sklavin geworden.

Der Schmerz, der ihren ganzen Körper durchdrang, hatte sie so sehr taub gemacht, dass sie eine Weile brauchte, um zu fühlen, wie sie von der eisernen Hand des Reiters gepackt und zu Boden geworfen wurde und im Schnee aufschlug. Wimmernd lag sie da, Schnee haftete an ihrem Kleid, sie fror und noch mehr Schnee fiel. Ihr Blick wanderte über die Umgebung, aber zum Teil nahm sie die grauweißen Hügel, die Klippen und das in der Ferne rauschende Meer gar nicht richtig wahr. Neben ihr hielt der schwarze Hengst schnaubend an und hart traten die Füße des Reiters auf den vereisten Boden.

„Steh auf!", zischte der Reiter.

Als sie nur weiter auf dem Boden lag und leise wimmerte, gab er ihr einen schmerzhaften Tritt und sie rollte einen Hang hinunter.

Irgendwo endete das Rollen über den kalten Schnee, das Eis, das tote Gras und die harten Steine. Sie fühlte nur Schmerz und ihr Kopf tat furchtbar weh. Wie ein Kind kauerte sie sich zusammen. Der Reiter trat neben sie. Sie hob ihren Kopf, gegen dessen Wände der Schmerz schlug, und sah neben sich den Eingang zu einer kleinen, verwahrlosten Hütte und den Fuß eines langen Hanges.

Der Reiter ging an ihr vorbei und trat durch die morsche Tür in die kleine Hütte ein.

Ilid sog die kalte Luft ein, richtete sich zitternd auf und lief.

Schnaubend tauchte vor ihr der schwarze Hengst mit angelegten Ohren auf. Er versperrte ihr den Weg, stieg, die Zähne blank und mit nach ihr schlagenden Hufen. Schreiend fiel Ilid um, die Vorderhufe schlugen auf dem Boden auf und sie kroch zitternd weg. Der Reiter trat wieder aus der Hütte. Sein Gesicht war ausdruckslos, in seiner linken Hand hielt er einen Beutel, in seiner rechten einen alten tönernen Krug.

„Hier!", sagte er und warf den Beutel hin. Er öffnete sich, Brot und gesalzener Lachs lagen vor ihr im Schnee.

„Was wollt Ihr von mir?", schrie sie, obwohl sie sich doch schon gewiss war, was er von ihr wollte, nämlich dasselbe wie die anderen Männer, die als Eroberer auf diese Insel gekommen waren.

„Iss!", zischte der Reiter und Ilid bekam Angst. Er ging an ihr vorbei und streichelte den schnaubenden, unruhigen Hengst.

Beim Anblick des Essens schrie Ilids hungriger Magen nach Nahrung, so sehr, dass ihr Stolz aufgab, sie die Hände nach dem Essen ausstreckte und das Brot und den gesalzenen Lachs gierig wie ein Raubtier in sich hinein fraß. Es war kein gutes Essen für Friedenszeiten, aber ein Festmahl für eine ausgehungerte junge Frau. Sie kümmerte sich nicht um den Reiter, der hinter ihr stand und den Hengst streichelte, während sie aß.

Aber irgendwann verminderte sich ihre Gier nach Essbarem und sie aß langsamer, langsam genug, um sich einmal genauer umzuschauen. Der letzte Bissen lag zwischen ihren Zähnen, als sie diesen Ort erkannte, erschrak und aufstand.

Der Reiter stand jetzt ganz nahe hinter ihr. „Trink!", sagte er.

Sie drehte sich um und blickte in das ausgezehrte Gesicht dieses Mannes. Sie starrte in die Augen, die so anders aussahen als die lüsterner Männer vor einer wehrlosen Frau. Und sie starrte auf den alten Tonkrug, den er in seiner Rechten hielt.

„Trink!", sagte er noch einmal.

Ilid sah sich noch einmal um und sie zitterte. „Das ist der alte Berg!", sagte sie dann mit vor Furcht hoher Stimme.

Der Reiter verzog keine Miene, aber ihre Angst wurde größer. Sie ahnte, dass er nicht vorhatte, an ihr seine Fleischeslust zu befriedigen, sondern etwas Schlimmeres zu tun. Ihre Augen wanderten über den Berghang, über die verkrüppelten Fichten, die dort wuchsen, und die vielen Unglück bringenden Steine, deren Reste in Reihen standen und an das Grauen erinnerten, das unter diesem Boden lag. Dieser Berg wurde gemieden, den Kindern wurden Alptraumgeschichten über ihn erzählt, er war der eine Ort auf der Insel der Schatten, den ein Vising nicht freiwillig betrat, wenn er schon einmal erfahren hatte, was dort angeblich geschah.

„Trink!", zischte er mit bedrohlicher Stimme.

Sie schüttelte den Kopf. Hier wurden Seelen verloren und sie wollte die ihre behalten.

Sie rannte.

Wieder galoppierte der schwarze Hengst mit vom Wahnsinn weißen Augen heran und seine Hufen zwangen sie zurück.

Der Reiter packte sie, sie wehrte sich, er schlug sie, riss ihren Kopf zurück und führte den Krug an ihre Lippen.

Dann war sie nicht mehr.

Inzwischen hatte auf der Insel der Schatten die Nacht begonnen und völlige Dunkelheit gebracht.

Sie hatten den gefangenen Alburgen vom Pfahl abgebunden und in die kleine Halle von Agasdarf gebracht, damit er nicht erfror. Liebend gerne hätten sie zugelassen, dass sich die Kälte langsam seines ganzen Körpers bemächtigte und ihn in die jenseitige Welt führte, aber Gölc hatte eindringlich befohlen, dass der Gefangene nicht sterben durfte, bevor von Fürst Cathaer Anweisungen kamen. Nun hatten sie ihn in der Halle neben dem Sitz des Dorfherrn an eine der zwei Holzsäulen dort gefesselt. Dort wurde er von zehn Kriegern mit Speeren und Schwertern bewacht. Gölc hatte den Eindruck, dass diese Männer vor dem Gefangenen mehr Angst hatten als er vor ihnen.

Als er mit seinen Begleitern und den zwölf grimmigen Leibwächtern aus Sculdafar zurückkehrte, war ihm so erbärmlich kalt, dass er meinte am Sattel festgefroren zu sein. Sein Auftritt vor Fürst Cathaer war erbärmlich gewesen, aber er hatte das tun müssen. Wenn ein Fremder die Insel betrat, musste jemand dem Fürsten Bericht erstatten und er hatte keinen einfachen Krieger schicken können. Jetzt, wo Sithroc tot war, unterstanden ihm die Männer in Agasdarf und er hoffte, dass sie keinen Unsinn getrieben hatten.

Der Gefangene lebte. Als Gölc und die anderen Krieger fröstelnd die Halle betraten, warf ihnen der Alburge einen so bösen Blick zu, dass Gölc zusammenzuckte. Wenn dieser Mann nach dem Kampf mit dem Drachen nicht ohnmächtig geworden wäre, hätte Gölc es wohl niemals geschafft ihn hierher zu bewegen. Dieser Kerl war zwar älter als die vielen jungen Krieger in der Halle, aber dennoch ein Bulle von Mann und jedem hier überlegen. Vielleicht wäre es besser gewesen ihn noch am Strand zu töten, dachte Gölc, aber er hatte zu große Ehrfurcht vor einem Mann, der einen Drachen getötet hatte, als dass er so etwas wirklich aus eigenem Antrieb getan hätte. Dieser Gefangene war ein Held, fand er, also verdiente er auch eine würdige Behandlung, wie er sie bisher auf dieser Insel nicht empfangen hatte.

„Willst du etwas zu essen?", fragte er den Mann, dessen Blick noch immer einschüchternd war. Gölc sprach dabei Alburgisch, das er noch aus seiner alten Heimat kannte, obwohl sein Gefangener gezeigt hatte, dass er die visingische Sprache auch einigermaßen beherrschte. „Brot, Fisch, Fleisch? Willst du Bier?", fragte er weiter.

Der Gefangene hob die Augenbrauen. „Bring mir Brot.", sagte er.

Gölc nickte und rief nach Brot. Eine junge Frau holte frisches, weiches Brot und reichte es dem Alburgen, der nicht danach greifen konnte, aber gierig danach biss. Die Frau hatte Angst vor dem Mann und die Krieger beobachteten ihn misstrauisch mit den Händen an den Waffen. Es war verständlich, denn er hatte sieben von ihnen erschlagen, darunter Sithroc, der befohlen hatte ihn unter ein Joch zu fesseln, was Gölc sehr dumm fand.

„Wer bist du?", fragte Gölc. Er wollte es wissen, weil er neugierig war, was das für ein Held sein konnte.

Der Mann blieb eine Weile stumm. „Folrec", knurrte er dann.

Gölc nickte. „Was hat dich hierhin getrieben, Folrec?"

„Ich wollte niemals hierhin.", lautete die geschmatzte Antwort.

„Was dann?"

Folrec biss ein großes Stück Brot aus dem Laib. „Dein Herr schickt dich, oder?", schmatzte er.

Er wollte sich also nicht unterhalten. „Fürst Cathaer schickt mich, ja.", antwortete Gölc.

„Ich will ihn sehen und erfahren, ob er sich zu Recht einen Fürsten nennt.", sagte Folrec.

Er war sehr selbstbewusst für einen an eine Holzsäule gefesselten Mann, der umgeben war von bewaffneten Bewachern. Aber er hatte eigentlich auch allen Grund dazu. Gölc hatte gesehen, wie er von Kriegern umgeben deren Anführer Sithroc aus der Scheide gerissen und es dann wie wild um sich geschwungen hatte. Auch vor so etwas empfand er Ehrfucht. Und um Sithroc war es nicht schade, Gölc hatte ihn nie gemocht und Sithroc hatte ihn oft gedemütigt.

„Er will dich sehen.", sagte er. „Fürst Cathaer lädt dich zu seiner Tafel ein. Er will von dir hören, wer du bist, was dich hierher getrieben hat, wohin du wolltest, und noch viel mehr, denn du scheinst ein weit gereister Mann zu sein."

Folrec nickte schwach. „Da hast du wohl recht, Gölc."

Gölc wusste nicht, ob es gut oder schlecht war, wenn der Gefangene ihn jetzt mit seinem Namen ansprach.

„Du bist sein Gast.", fuhr er fort. „Also werden wir deine Fesseln lösen."

„Warum?", fragte Folrec.

„Weil du einen Drachen getötet hast und er mit dir reden will."

Folrec nickte und kaute das Brot.

„Wir werden dir deine Fesseln lösen und dir ein Pferd geben.", sagte Gölc. „Dann werden wir mit dir morgen nach Sculdafar reiten."

Gölc trat näher an den gefesselten Alburgen heran. „Aber ich will nicht, dass du dann noch mehr von meinen Männern tötest, Folrec.", sagte er leise. „Ich löse deine Fesseln und gebe dir ein Pferd, wenn du mir schwörst, dass du mit uns nach Sculdafar kommst und uns keine Schwierigkeiten machst. Wenn du das nicht schwörst, töte ich dich hier uns jetzt.", sagte er und klang dabei entschlossener als er war.

Folrec sah Gölc lange wortlos an und die Frau mit dem Brot entfernte sich.

„Ich werde dir keine Schwierigkeiten bereiten, Gölc.", sagte er dann. „Ich schwöre es."

Gölc atmete erleichtert auf, dann ging er hinter die Säule und löste die Knoten der Fesselseile, wobei blankes Entsetzen in die Gesichter der Bewacher trat.

Cathaer war die Sache unheimlich.

Die Hand musste über ein Vierteljahr in der Truhe verschlossen unter der Erde gelegen haben, aber er erkannte keine Verwesung an ihr. Er stand hinter dem Pferdestall im Licht der Fackeln neben dem in Schwerstarbeit in den gefrorenen Boden gegrabenen Loch und starrte in die Truhe hinein. Dort lag auf mindestens tausend reinen Silbermünzen die Hand. Er hielt seine Fackel näher an sie heran und das Stück Fleisch und Knochen sah dunkel aus im Schimmer des matten Silbers.

Das war einst die rechte Hand eines Mannes gewesen. Sie war sauber vom Arm abgetrennt worden. Ihr Besitzer musste recht alt gewesen sein, vielleicht fünfzig Jahre, wenn sich das Alter anhand einer seit einem Vierteljahr in einer Truhe liegenden Hand überhaupt abschätzen ließ, woran Cathaer zweifelte. Sie lag mit der Handfläche nach oben, eingeknicktem Daumen und den seitlich liegenden anderen Fingern da und sie sah überhaupt nicht verwest aus. Es waren auch keine Spuren von Blut zu erkennen, als hätte man sie irgendwo aufgehängt und ausbluten lassen.

„Wenn das ein Streich ist", rief er in die Runde der versammelten und Fackeln tragenden Krieger „dann schneide ich dem, der das gemacht hat, alles ab, was ich abschneiden kann, nicht nur eine Hand!"

Die Gesichter der Krieger waren versteinert, aber es sah nicht so aus, als ob das ein Streich wäre.

„Weiß irgendwer irgendwas von dieser Hand?", fragte er.

Es wurden nur Köpfe geschüttelt.

„Woher wusste der Sklavenjunge davon?", fragte Cathaer.

„Er hat gesehen, wie die Truhe vergraben wurde.", brummte Scolf. „Vor einem Jahr."

„Vor unserer Ankunft auf der Insel?"

Scolf nickte.

Irgendwie kam in Cathaer Neugierde auf und er packte den Daumen der abgetrennten Hand. Er war weder warm noch kalt und fühlte sich einfach nur schlaff und leblos an. Durch die Menge ging ein Schaudern, als er sie aus der Truhe nahm und hochhielt. Ihm war das Ganze nicht geheuer. Es hatte noch nicht einmal die Leichenstarre eingesetzt, also konnte es kaum ein Scherz sein.

„Weiß sonst irgendwer etwas von dieser Hand?", fragte er mit lauter Stimme.

Niemand antwortete.

Dann wollte er sie so schnell wie möglich loswerden. Er warf sie Scolf zu, der sie mit einem Zucken auffing.

„Das muss Zauberei sein. Verbrenn sie!", befahl Cathaer. „Die Truhe bringt ihr mir in die Halle!"

Scolf nickte und ging durch die Menge der zurückweichenden Krieger zum nächsten Lagerfeuer.

Cathaer kehrte in die Halle zurück. Dort saß noch immer Tithar und dachte sich wohl ein neues Lied aus.

„Unheimliche Dinge geschehen auf dieser Insel.", sagte Cathaer, als er sich wieder auf seinen Thron setzte.

„Sie heißt sicher nicht ohne Grund Insel der Schatten.", meinte Tithar.

„Warum eigentlich?", wunderte sich Cathaer zum ersten Mal in seinem Leben. Die Zeit, als er Fragen über alles und jeden gestellt hatte, war schon lange vorbei, aber das wollte er jetzt wissen, denn die Hand war ihm unheimlich, auch wenn sie jetzt sicher zwischen brennenden Fichtenholzscheiten verbrannte und vor der Halle einen süßlichen Geruch von brennendem Fleisch verbreitete.

Tithar zuckte mit den Achseln. „Das weiß ich nicht genau, Herr.", sagte er.

„Aber in den Hügeln gibt es oft eigenartige Erscheinungen.", meinte Cathaer.

„Daran kann es liegen. Doch auf dieser Insel liegt auch ein eigenartiger Zauber. Viele Menschen, die hier auch nur kurz bleiben, verändern sich. Sie werden grausamer, zorniger, oft werden sie gebrochen, aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der hier stärker geworden wäre."

Cathaer war nicht dumm und zum Teil verstand er, was der alte Barde damit wohl meinte. Auf dieser Insel konnte man nicht groß werden, sie war klein und karg und konnte nicht viele Menschen ernähren, erst recht keinen großen König mit Heer und Hof. Wer sich auf dieser Insel als dauerhafter Herrscher niederließ, zehrte von dem, was diese Insel gab, und war zu schwach, um seinen Feinden zu widerstehen, so wie Rothgyr ihm nicht hatte widerstehen können mit seinem Aufgebot aus wenigen guten, erfahrenen Kriegern und einer Ansammlung unfähiger bewaffneter Bauern, Fischer und Hirten. Vielleicht hätte sich Rothgyr länger behaupten können, wenn sein Freund Aruc aus Husbran, mit dessen Tochter er seinen Sohn verheiraten wollte, früher zu Hilfe gekommen wäre. Wenn man sich hier niederließ, wurde man schwach.

Eine Weile schwiegen sie beide. „Hast du eigentlich Rothgyr besungen, Alter?"

Tithar zögerte mit der Antwort. „Wenn er es wollte, dann habe ich ihn besungen, Herr."

„Was hast du denn besungen?", wollte Cathaer wissen und er wusste, dass dem Alten diese Fragen unangenehm waren. Aber sicher hatte Tithar seinen toten Gegner besungen, sonst hätte er auf dieser Insel als alter, zu keiner schweren Arbeit mehr taugender Mann kaum überlebt.

„Seinen Sieg über die aufständischen Gorlen, die ihm den Fürstenthron streitig machten."

Cathaer nickte. Die Kleinfürsten, die man hier Gorlen nannten, waren auf dieser Insel immer sehr mächtig gewesen. Wer hier Fürst werden wollte, hatte sich immer gegen diese Adeligen durchsetzen müssen. Er selbst musste das nicht mehr, denn er hatte keine Gorlen am Leben gelassen. Nun hatten die Siedlungen neue Herren und noch schien Treulosigkeit unter ihnen nur verdeckt vorzukommen.

„Und was hast du da besungen?", fragte er.

Tithars Gesicht blieb ausdruckslos. „Ich musste übertreiben, Herr. In der Schlacht gegen drei aufständische Gorlen erschlug er vier Feinde und ich machte daraus fünfzig. Das gefiel ihm sehr."

Und diese Antwort gefiel Cathaer. „Wie wird man also mich besingen?"

„Bei Euch muss man nicht viel übertreiben.", meinte Tithar. „Aber die Barden werden kaum erzählen, dass Ihr bei der Landung hier zweitausend Krieger unter Eurem Banner hattet. Daraus werden sicher zweihundert."

Diese Antwort gefiel Cathaer nicht, denn sie sagte ihm, dass sein Sieg noch ruhmreicher hätte ausfallen können.

„Das Töten der Unbewaffneten werden sie vermutlich auslassen.", sagte Tithar noch.

Cathaer schüttelte den Kopf. „Das will ich aber nicht.", sagte er. „Das sorgt für den nötigen Schrecken, der jedem guten Eroberer vorausgehen muss. Also besing meine Grausamkeit, alter Barde!"

Tithar zögerte kurz, dann stimmte er ein Lied über Cathaers Grausamkeit an. Es war, als hätte er seit Monaten daran gearbeitet, denn die Wörter troffen vor Blut, Eiter und Tränen. Und Cathaer hörte aufmerksam zu, denn er wollte, dass man später keine schlechten Lieder über ihn sang.

Gölc hatte am Vortag befohlen, dass der tote Drache aus dem Meer gezogen wurde, bevor er noch verfaulte oder von den Gezeiten weggetrieben wurde. Eine Schar von Sklaven und über diesen Befehl schimpfenden Kriegern hatte das tote Ungeheuer, das zum Glück im seichten Gewässer an unter dem Wasser liegenden Felsen festhing, zerteilt und mit Seilen aus dem kalten Meer gezogen. Dann hatten sie dem Drachen den schweren Kopf abgetrennt und auf einen Pferdekarren verladen. Nun war der Kopf zusammen mit zwei Säcken voll Drachenkrallen und -Stacheln in Agasdarf in der Halle, wo man den Kopf eingewickelt hatte, weil einige Krieger den bösen Blick des Untieres nicht ertragen konnten. Cathaer hatte zwar nie befohlen, dass man ihm diese Dinge brachte, aber Gölc fand es doch klüger ihm noch einen Beweis zu bringen, dass vor der Insel wirklich ein Flugdrache getötet worden war und der Alburge das getan haben musste. Cathaer war immer sehr misstrauisch und er wollte sich nicht seinem Argwohn aussetzen aussetzen.

Folrec war die ganze Nacht hindurch ungefesselt geblieben. Die Wachen in der Halle hatten in seiner Nähe wohl kein Auge geschlossen und auch Gölc hatte nicht wirklich gut geschlafen, aber der Alburge hatte sich an seinen Schwur gehalten und keine Schwierigkeiten gemacht. Er hatte wohl auch keinen guten Grund Schwierigkeiten zu machen, denn er konnte die Insel kaum wieder verlassen, solange jedes Schiff an den Stränden bewacht wurde und das Meer so von Stürmen gepeitscht wurde, dass sich kaum Seeleute für eine Überfahrt irgendwohin finden lassen würden. Dennoch fing Gölc an Folrec für seine Aufrichtigkeit und seine Tapferkeit zu schätzen. Die sieben Visingen, die ihn unter das Joch zwingen wollten, waren auch ein wenig verräterisch vorgegangen und Sithrocs Tod bedauerte er wirklich nicht.

Zum Frühstück wurde Gerstenbrei aus Holzschüsseln geschlüft. Die Wachen sahen von der Müdigkeit völlig verkratzt aus, aber Folrec war munter und schlang den Brei herunter.

„Hast du eine Frau, Gölc?", sagte Folrec irgendwann und Gölc war so überrascht, dass er beinahe seine Schüssel fallen gelassen hatte.

„Sie ist tot. Jetzt habe ich hier eine neue. Sie ist sehr schön.", antwortete Gölc langsam. „Bist du verheiratet, Folrec?"

„Ich war dreimal verheiratet und alle meine Frauen sind tot."

„Bist du von adeliger Herkunft?", wollte Gölc wissen.

Folrec schüttelte den Kopf. „Ich bin ein guter Krieger.", antwortete er.

„Das ist besser als edle Vorfahren.", meinte Gölc.

Sie löffelten weiter den Gerstenbrei.

„Wir brechen dann bald mit dem Kopf und den anderen Säcken zu Fürst Cathaer auf.", sagte Gölc.

Folrec nickte und Gölc meinte, dass er sich wohl seinem Schicksal ergeben hatte.

„Wie ist Cathaer?", fragte Folrec dann.

„Ein Scheusal.", sagte Gölc leise. „Aber er belohnt seine Gefolgsleute für ihren Kriegsdienst und damit ist er ein guter Herr."

Folrec nickte. Er war mit dem Gerstenbrei fertig.

Schließlich standen sie auf und verließen die Halle. Folrec hatte Schwierigkeiten beim Gehen und Gölc vermutete, dass er Frostbeulen an den Füßen hatten. Auch an den Händen hatte er Frostbeulen bekommen während der langen Zeit am Pfahl. Gölc hatte das Anbinden in der Kälte als Strafe für den Tod der sieben Krieger befohlen, aber nicht gewollt, dass der Gefangene so lange dort gehalten wurde. Er war erstaunt über die Widerstandskraft seines Gefangenen. Die meisten anderen wären am Pfahl erfroren, auch wenn man ihnen heiße Suppe gegeben hätte.

Sie traten auf den Platz vor der Halle, wo noch immer der Pfahl stand. Cathaers grimmige Leibwächter saßen schon in ihren Sätteln und ein halbes Dutzend von Gölcs eigenen Leuten sollte auch mitreiten, dazu kam dann noch der Karren. Ein Krieger hielt für Gölc und Folrec die Pferde bereit. Sein Gesicht war beim Anblick des Alburgen ausdruckslos genug, um seine Angst zu verraten.

„Wo sind meine Sachen?", fragte Folrec.

„Auf dem Wagen. Aber ich will sie dir noch nicht zurückgeben.", antwortete Gölc.

„Dein Pferd?" Folrec zeigte auf Whondabris, die ihn neugierig ansah.

Gölc nickte und nahm Whondabris' Zügel.

„Ein schönes Pferd.", sagte Folrec, als er in den Sattel seiner eigenen struppigen braunen Stute stieg.

„Sie ist kleiner und langsamer als die Pferde deines Volkes."

„Trotzdem ist sie ein schönes Pferd.", sagte Folrec und Whondabris schnaubte leise.

Vierter Teil: Lange Schatten

Zuerst empfand Fyrc nur Furcht und er zitterte beim Gedanken an den Reiter auf dem schwarzen Hengst, die zehn Silbermünzen konnte er gar nicht anrühren. Er kauerte sich in seinem erbeuteten Haus in seine Felldecken und wollte den Gedanken an den Reiter verdrängen. Irgendwann in der kalten Nacht konnte er einschlafen und als er aufwachte, empfand er Wut. Er setzte sich an die Kante des langen mit Heidekraut unterlegten Flachbetts und starrte in die Glut des kleinen Herdfeuers im Raum, wobei seine Wut durch die Hitze noch geschürt wurde. Er war ein geachteter Gefolgsmann von Fürst Cathaer, hatte sich in vielen Kämpfen gegen viele Feinde bewährt, war Anführer eines eigenen Haufens von wilden Kriegern, besaß nun ein eigenes Dorf mit viel Land und war reichlich mit Beute versehen worden. Er konnte diese Schmach, die noch dazu drei seiner Männer bezeugen konnten, nicht einfach ertragen, ohne dass sein Ansehen irgendwann Schaden nehmen und ihn dem Gelächter der Leute aussetzen würde. Neben der Bettkante lag ein kleiner lederner Beutel auf dem einfachen Erdboden. Er öffnete ihn und ließ die zehn Silbermünzen auf den Boden fallen. Reine Silbermünzen mit dem Zeichen eines Zwergenherrschers waren es, aber sie schienen ihm kein würdiger Preis für dieses wunderschöne Mädchen zu sein. Er war betrogen worden, zischte er in sich hinein, er war in Schande gebadet worden und musste nun seinen Ruf wiederherstellen.

Er stand auf und ging durch den düsteren Raum vorbei an den schlafenden Sklaven und den zwei Wächtern. Er öffnete die Tür und trat in die Kälte der Dämmerung. Der Schneefall hatte in der Nacht aufgehört, aber die dichte Wolkendecke ließ das Land nicht hell, sondern nur düster und grau werden. Im Dorf, das aus sieben Langhäusern bestand, rührte sich nichts, bis auf ihn war noch niemand wach, nicht einmal die Tiere rührten sich. Ihm war kalt, außer Hemd, Hose und Stiefeln wärmte ihn nichts, aber er ging geradewegs zum kleinen Bach, der leise, geduldig und von seiner Wut nichts wissend durch das Dorf plätscherte. Davor kniete er nieder, tauchte seine beiden Hände in das stechend eiseskalte, an den Rändern geforene Wasser und stürzte es in sein Gesicht. Er genoss die reinigende Kälte des Wassers, das langsam seine Wangen hinunter strömte und auf der pickligen Haut schon zu Eis zu gefrieren schien. Das wiederholte er ein-, zwei-, dreimal, dann stand er auf und ging in sein Haus zurück. Er kehrte in voller Rüstung zurück. Er trug Kettenhemd, einen Helm mit einem Gesichtsschutz, der ihn wie einen Bären aussehen ließ, ein Lederwams, einen großen Rundschild, einen langen Speer, eine Axt am Rücken und ein Schwert an der Seite. Als er in der Mitte des Dorfes stand, schlug er den Speerschaft gegen den Schild und weckte jeden im Dorf auf. Seine Krieger kannten diese Klänge, sie bedeuteten Arbeit. Sofort rannten Fyrcs Gefolgsleute schlaftrunken aus den Langhäusern.

„Scoboth, Drug, Vasan, Scöl und Madrun!", rief Fyrc. „Ihr macht euch bereit. Wir reiten jetzt und finden den Hurensohn, der mir das Mädchen gestohlen hat. Der Rest bewacht das Dorf. Wir werden seine Spuren suchen und wenn wir sie nicht finden, reiten wir von einem Dorf zum anderen, bis wir ihn irgendwo auf dieser Insel gefunden haben. Und wenn wir ihn gefunden haben, schlitzen wir ihm den Bach auf."

Die angesprochenen Männer kehrten sofort um und rannten wieder in die Häuser zurück, um sich ihre Rüstungen und Waffen zu holen. Bald kamen sie mit Kettenhemden, Speeren, Schilden und Äxten wieder heraus und drei andere Krieger holten aus den Ställen die struppigen kleinen Pferde, mit denen sie den Mann, der ihren Herrn beleidigt hatte, jagen wollten. Die fünf Reiter sahen in voller Bewaffnung zum Fürchten aus und mit ihnen wollte Fyrc die Fehde, die er jetzt begann, zu einem blutig schönen Ende bringen, das seine Ehre wiederherstellen würde.

Gegen Mittag erreichten sie Sculdafar. Die Wolkendecke war dünn geworden und an einigen Stellen brach sogar die Sonne durch und die dicken Schneedecken auf den Strohdächern glitzerten dabei. Als Duor mit Gölc und den anderen Bewaffneten den Ort betraten, waren überall Bewaffnete zu sehen, auf den Erdwällen hinter den Palisaden, am Rand des Weges und auf dem Platz vor Cathaers Halle. Sie trugen Speere, Rundschilde, Äxte und einige, was seltener war, Schwerter. So gastlich dieser Ort auch sonst sein mochte, hier wurde Duor klar gezeigt, wer hier das Sagen hatte.

Duor hatte sich seinem Schicksal wohl oder übel fügen müssen. Er sah keine Möglichkeit von dieser Insel zu entkommen, solange das Meer unruhig war und sich keine Seefahrer in die Fluten wagten. Wenn er es geschafft hätte seinen Begleitern und Bewachern zu entkommen, hätten sie ihn gejagt wie einen Hund und schließlich getötet. Also blieb ihm nichts anderes übrig als zu Cathaer zu reiten und mit diesem Menschen zu plaudern in der Hoffnung, dass er so irgendwie von dieser Insel weggkam und ihn niemand erkannte. Er war keiner von den Menschen, die in großer Gefahr anfingen zu zittern, was aber nicht hieß, dass er keine Angst hatte. Es gab in allen möglichen Ländern Menschen, die ihn kannten oder zumindest seine Taten zu erzählen wussten, die diesen Visingen wohl kaum gefallen konnten. Zu oft und zu erfolgreich hatte er schon gegen visingische Seeräuber, Plünderer und Mörder gekämpft. Er hatte auf seinen vielen Reisen schon den einen oder anderen Vising kennen gelernt, mit dem man sich zusammen betrinken und dabei Spaß haben konnte, aber er bezweifelte sehr, dass Cathaer so ein Vising war. Er hatte gesehen, was dieser Mann auf seinen Raubzügen in Duors Heimat angerichtet hatte und er hoffte, dass er nicht die Beherrschung verlor und diesen Blutsäufer angriff.

Cathaer war nicht zu sehen. Der Eingang von Rothgyrs Halle, in der nun dessen Mörder saß, war geschmückt mit Runenzeichen und langen Zähnen von lichtscheuen Wesen aus den Tiefen des Meeres, die sich spitz und bedrohlich aus der Wand zu bohren schienen. In der Mitte des Platzes vor der Halle steckten zwei Köpfe auf den Spitzen zweier mit den stumpfen Enden in den Boden gerammter Speere. Seit fünf Monaten steckten die Köpfe dort schon und die Verwesung hatte an ihnen gearbeitet, bis die Reste geforen. Die Augen und der größte Teil der Haut fehlten beiden, aber an beiden Schädeln hingen noch Haare. So behandelte Cathaer der Vising seine besiegten Gegner. Einer dieser zwei Köpfe hatte einst Rothgyr gehört, der Fürst dieser Insel war, der andere hatte Aruc gehört, dem Bruder des Königs von Husbran. Der linke Kopf musste Aruc gehört haben, denn daran hingen noch rotbraune Haare. Im Königshaus von Husbran gab es viele Rothaarige.

Eine Reihe von Leibwächtern in Kettenhemden und mit Maskenhelmen bewachte den Eingang zur Halle. Als Duor abgestiegen war, stoben die Leibwächter zur Seite und öffneten die zwei Flügel der Pforte. Duor erkannte nicht viel bis auf einen dunklen, nur von einem kleinen Herdfeuer beleuchteten Raum, der so viel dunkler war als das blendende Weiß draußen. Er atmete tief ein und ging dann auf die Halle zu, wobei ihm ein ganzes Gefolge bewaffneter Visingen und Gölc folgten.

Seine Augen gewöhnten sich nur langsam an den dunklen Raum. An den Seiten standen einige Wachen, die Wände waren geschmückt mit Hirschgeweihen, Fellen, Zähnen von fleischfressenden Walen und Bannern. In der Mitte des Raumes kam Duor dann eine Gruppe von Visingen entgegen.

„Das ist er.", sagte einer der Leibwächter.

Duor erkannte Cathaer sehr schnell an der berühmten hässlichen Narbe, die sich über dessen ganzes Gesicht zog. Ansonsten war Cathaer eine dünne Gestalt, die kleiner als Duor war, aber dennoch sofort einschüchternd wirkte. Er trug einfache Kleidung, aber die Männer um ihn verhielten sich durchweg ehrerbietig. Cathaer musterte Duor, nickte und grinste.

„Wie heißt du überhaupt?", fragte er mit raspelnder Stimme.

„Folrec.", antwortete Duor. „Furlocs Sohn."

Cathaer nickte. Neben Duor erschienen vier Männer, die den Sack mit dem Drachenkopf trugen.

„Was ist das? Öffnet ihn!", befahl Cathaer.

Die Träger setzten den Sack ab und öffneten ihn dann. Der Drachenkopf kam zum Vorschein, länglich, grau, von Stacheln übersät und mit halb geschlossenen schwarzen Augen. Dieser Kopf war einmal knapp vor Duors Kopf gehangen, da aber mit einem weit aufgerissenen Maul voller scharfer gelber Zähne und mit einem Brüllen, das Duor für eine Weile taub gemacht hatte.

Cathaer grinste. „Wo hast du ihn getroffen?", fragte er.

„Am Hals.", antwortete Duor.

„Hat ein Schlag gereicht?", wollte Cathaer wissen. Dieses Narbengesicht war neugierig.

„Ja."

Cathaer nickte anerkennend, dann schwieg er eine Weile und betrachtete den Drachenkopf, während die meisten Krieger die Halle wieder verließen und hinter Duor die Tür geschlossen wurde. Duors Augen schweiften durch die Halle, in der sich Cathaer eingenistet hatte, der Mann, der jetzt bewundernd um den Kopf herum ging, während seine Männer still standen und nicht wagten sich zu rühren. Duor fiel ein bärbeißig aussehender Hühne mit goldenem Halsschmuck auf, der größer als er selbst war und ein guter Krieger sein musste. Allein unter diesen Gestalten wünschte er sich nichts sehnlicher als ein Schwert, eine Axt oder zumindest ein langes Brotmesser.

„Unter meinen Vorfahren ist auch ein Drachentöter.", sagte Cathaer schließlich.

„Ah.", sagte Duor nur, denn etwas Anderes fiel ihm nicht ein.

„Er hieß Gylc, Gylc der Drachentöter. Schon einmal von ihm gehört, Folrec?"

„Leider nein."

Vielleicht hätte er besser Ja gesagt, denn Cathaers Gesicht verzog sich kurz zu einer Grimasse. „Das ist verständlich, denn er hat seinen Drachen im alten Visland getötet. Es war ein Meerdrache. Hast du schon einmal gegen so einen gekämpft?"

„Nein.", antwortete Duor, aber er hatte es sehr wohl, eigentlich schon zweimal, wobei er einen der zwei Drachen getötet hatte, als der sein Floß auf dem Aglas angriff. Er war dem Alter entwachsen, in dem er sich all seiner Taten gerühmt hatte, denn er hatte gelernt, dass Prahlerei oft eher schadete als nützte. Nun kannte man kaum einen Menschen an diesen Gestaden des Weltmeeres, der mehr Ungeheuern in den letzten Jahren das Fürchten gelehrt hatte als Duor Stulgardson, der Held der Alburgen, der sich schon mindestens zwei Könige der Visingen zu Todfeinden gemacht hatte und auch ansonsten genug Feinde hatte, die viel dafür zahlen würden, dass sein eigener Kopf genauso in deren Hallen lag wie der Drachenkopf in dieser hier.

Cathaer betrachtete weiter wie hingerissen den Kopf und Duor hatte den Eindruck, dass er mehr erzählen müsste, um sich nicht unnötig in Verdacht zu bringen. „Ich kannte einen alten Krieger, der gegen vier Drachen gekämpft und einen davon getötet hatte. Er hat mir gesagt, worauf es ankommt."

„Wie hieß der Krieger?"

„Gurd Gurdsdan, er war Gorde."

„Nie von ihm gehört."

Das überraschte Duor nicht, denn einen Gurd Gurdsdan hatte es nie gegeben.

„Tithar, du bist doch Gorde, hast du schon einmal von Gurd Gurdsdan gehört?", fragte Cathor und drehte sich zu einem alten, dünnen, grauhaarigen Mann mit Harfe und dunklem Mantel hin.

Duor gefror beinahe das Blut in den Adern.

Der Alte runzelte die Stirn. „Ich glaube schon. Aber er hieß Gord Gordsdan."

„Aha, wie fast jeder dritte unter euch Gorden."

Duor wusste nicht, was er davon halten sollte, machte aber ein entspanntes Gesicht und entschloss sich noch ein wenig mehr zu erzählen.

„Er hat mir gesagt, dass fast alle Drachen, wenn sie nicht uralt sind, Schwachstellen an der Unterseite haben. Und der hier war nicht besonders alt."

„Mein Vorfahr Gylc hat seinen Drachen von vorne mit einem Speer erstochen, obwohl das Biest Feuer gespuckt hat."

Duor fand, dass so etwas nahezu unmöglich war, sagte aber lieber nichts.

„Ich hoffe, dass ich auch einmal eine Gelegenheit bekomme mit einem Drachen zu kämpfen.", fuhr Cathaer fort.

Duor hoffte auch, dass Cathaer eines Tages mit einem Drachen kämpfen durfte.

„Gerade wegen meines Vorfahrens. Man muss tun, was man kann, um seiner Ahnen gerecht zu werden."

Duor fragte sich, was für widerliche visingische Stinker Cathaer auf diese Weise zu seiner Lebensführung veranlasst hatten.

„Folrec, du bist ein Alburge und gehörst damit zu unseren Feinden, aber das heißt hier nichts. Auf den Inseln im Weltmeer gelten andere Gesetze und wer hier solche Taten vollbringt" -Cathaer deutete auf den Drachenkopf- „ist bei uns immer hoch angesehen. Darum bitte ich dich, dass du mit mir an meiner Tafel speist."

„Gerne.", sagte Duor. Er hatte Hunger.

Vor Cathaers Thron war schon eine Tafel bereitgestellt worden, zu der man noch einige Bänke hinzufügte. Zusätzliche Feuer wurden entzündet. Cathaer setzte sich an das Ende der Tafel. Hinter Duor tauchte der Hühne mit dem goldenen Halsschmuck auf und wies ihm mit einer Handbewegung den Platz rechts neben Cathaer. Es war ein schöner Holzstuhl, wunderbar weich gemacht durch ein Rentierfell. Duor gegenüber setzte sich der alte gordische Barde hin, der Tithar genannt wurde. Neben Tithar setzten sich Visingen mit struppigen Bärten und reichlich Goldschmuck an Armen, Händen und Hälsen, die wohl Cathaers nähere Gefolgsleute sein mussten. Der Hühne setzte sich nicht, sondern blieb hinter Duor stehen. Zu Duors Überraschung wurde Gölc der Platz rechts neben ihm zugewiesen, obwohl er keinen besonders hohen Rang zu bekleiden schien und auf ihn keinen so widerlichen Eindruck machte wie die meisten anderen Visingen, besonders nicht wie Cathaer.

„Was verschafft mir die Ehre?", fragte Gölc in die Runde.

Cathaer warf ihm mit halb geschlossenen Augen einen eisigen Blick zu und Gölc verstummte sofort. Neben ihn setzte sich ein stämmiger Mann mit goldenen Ohrringen, rotem Haar und gebrochener Nase, den Gölc wohl von irgendwoher kannte, denn sie fingen gleich an leise miteinander zu reden.

Gleich darauf betraten Frauen mit langen blonden Zöpfen den Raum und brachten Essen und Trinken. Duor roch würzigen Met und dann stellte eine der hübschen Frauen einen mit Met gefüllten Trinkschädel zu ihm auf den Tisch. Jeder bekam einen mit Met gefüllten Trinkschädel. Gölc nahm den seinen mit einem leichten Seufzen an.

Dann brachten die Frauen silberne Teller mit Messern und dann ein Brett mit einem Hügel von gebratenem Fleisch, von dem sich jeder ein fettes Stück nahm. Duor starrte hungrig auf das riesige Stück Fleisch auf seinem Teller, aber er wartete lieber, denn Cathaer erhob sich zu einem Trinkspruch.

„Auf Folrec den Drachentöter!", rief er in die Runde und dutzende Kehlen erwiderten den Trinkspruch, um dann den Met hinunter zu stürzen. Duor führte den Trinkschädel ebenfalls an den Mund und trank. Er wusste nicht, aus wessen Schädel er da gerade so wunderbar schmeckenden Met trank, aber der Besitzer konnte kaum mehr sein Einverständnis verweigern. Also trank er.

Nach dem Met stürzten sich die Männer auf das Fleisch. Duor hielt das riesige Stück mit seiner Hand, auf der noch immer die Spuren von Frostbeulen zu sehen waren, fest und schnitt mit viel Kraft ein Stück ab. Dann führte er es zum Mund und biss herzhaft hinein. Er war überrascht, wie fest und nahrhaft es war.

„Das ist Walfleisch.", schmatzte er überrascht. „Ungesalzen auch noch!"

„Ja.", sagte Cathaer. „Frisch aus dem Meer. Der alte Scuri unten in Balhars hat den Wal heute früh erlegt. Ich kenne keinen besseren Seefahrer. Er wagt sich sogar zu dieser Jahreszeit immer wieder auf das offene Meer, um Wale zu jagen oder Handel zu treiben."

Der Wal schmeckte sehr gut. Oft bekam man so etwas nicht zu essen. Duor wusste, was für ein gefährlicher Kampf gewonnen werden musste, um einen Wal zu fangen. Wütende und verletzte Wale konnten ganze Schiffe versenken und ihre Jäger töten. Darum wagten nicht viele Seefahrer Wale zu jagen, zu viele kamen dabei ums Leben. Darum waren Walfänger immer vorsichtige Leute.

Nach ein wenig Nachdenken biss er herzhaft hinein.

Fyrc und seine fünf Krieger ritten von Dorf zu Dorf und hatten dabei wenig Erfolg. Niemand hatte den Reiter und das Mädchen gesehen und niemand wusste, wer hinter dem Namen „Scrasbor" streckte. Dabei konnten Fyrc sowie Scaboth, Drug und Madun, die ihn alle gesehen hatten, das Aussehen des Mannes recht gut beschreiben. Aber niemand hatte diesen Namen jemals gehört oder einen so aussehenden Mann jemals gesehen, was Fyrc immer wütender machte.

„Er ist ein wohlhabender Krieger und reitet einen schwarzen Hengst!", schimpfte er vor einem Dorfherrn, der neben ihm in der Schlacht gekämpft hatte und sich nicht an Scrasbor erinnern konnte. „Er gehört sicher zum Gefolge von Fürst Cathaer."

„Du bildest dir etwas ein, Fyrc!", erwiderte der Dorfherr. „Hör auf mit dieser dummen Suche, bevor der Fürst darauf aufmerksam wird. Er wird es nicht mögen, wenn du seinen Frieden auf dieser Insel brichst."

Fyrc spuckte wütend vor den Mann hin und galoppierte mit seinen Männern davon. Er war noch wütender also vorher und entschlossener das schöne Mädchen und diesen Reiter, dessen richtiger Name wohl gar nicht Scarsbor hieß, zu finden.

Am Nachmittag erreichten sie Balhars. Es lag am Fuß der Steil zum Meer abfallenden, für den Schiffsbau baumfrei geschlagenen Hügel an einem langen Kiesstrand, wo ein Dutzend Schiffe für den Winter auf dem Trockenen lagen, während nur ein kleines, schmales Schiff auf den Wellen schaukelte. Balhars bestand aus etwa zwei Dutzend Langhäusern und einem Haufen von Hütten, die über den ganzen Strand verteilt waren. Es war einer der größten Orte auf der Insel, hier lebten etwa fünfhundert Menschen und die allermeisten von ihnen waren Sklaven. Nach Cathaers Sieg über Rothgyr waren die meisten Visingen auf der Insel zu Sklaven geworden und ein Teil war schon an Händler verkauft worden, die hier mit ihrer frisch erworbenen Ware überwinterten und auf bessere Zeiten für die Schifffahrt warteten. Der Ort hatte keine Befestigungen außer denjenigen, die sich gegen die menschliche Ware der Händler richtete, sodass Fyrc und seine fünf schwer bewaffneten Krieger einfach zum Strand hinunter und dann nach Balhars hinein reiten konnten. Hier wehte ein sehr kalter, salziger Wind vom Meer her und zwischen den Häusern trieben sich einige Frauen und Kinder herum.

„Wir durchsuchen hier alles!", befahl Fyrc seinen Männern, als sie im leichten Galopp eine Gruppe von spielenden Kindern auseinander jagten und Netze nähende Frauen davon trieben. Sie teilten sich und ritten zwischen den Hütten und Häusern hindurch. Geschrei erhob sich, als die fünf Reiter in Balhars erschienen. Die meisten hier hatten noch viele frische Erinnerungen an das erste Auftauchen von Cathaers Horden und viele versteckten sich.

Fyrc und Drug hielten vor einem Langhaus und Fyrc stieg ab. Die Tür flog auf und ein Mann mit einem dicken Knüppel stürmte heraus, aber sein Angriff endete schnell, als Drug mit seiner Axt den Knüppel zerschlug und ihm Fyrc mit viel Kraft in den Bauch schlug, woraufhin der Mann ächzend zusammensackte. Fyrc ging in das Langhaus hinein und sah sich einer erschrockenen Frau und zwei verängstigten Kindern gegenüber, von denen aber keiner denen ähnlich sah, die er suchte. Wütend verließ er das Haus, gab dem stöhnenden Mann noch einen Tritt in den Hintern, stieg wieder auf sein Pferd und ritt weiter.

Die Leute liefen vor ihnen weg und sie ritten weiter in die Siedlung hinein. Niemand brachte eine Gegenwehr zustande, die höchstens Knüppel tragenden Männer flohen ebenso wie ihre Frauen und Kinder. Sie waren Fischer und gefragte Seeleute, die Cathaer für seine Schiffe brauchte und denen er nicht die Freiheit genommen hatte, dafür aber alle Waffen, mit denen sie sich gegen die fünf Reiter mit ihren stählernen Klingen zur Wehr hätten setzen können. Dann kamen Fyrc und seine Männer zu einem großen Sklavenhof, einer großen bewachten Palisadeneinzäunung, in deren Mitte Sklaven in verwahrlosten Hütten hausten. Als sie vor den Eingang kamen, eilten fünf Männer ohne Rüstungen, aber mit Speeren und Messern herbei. Das waren die Bewacher der Sklaven.

„Weg von hier!", rief einer von ihnen. Fyrc drückte seinem Pferd in die Seiten und es galoppierte auf die Männer zu. Der Rufer wurde in den Dreck gestoßen, einem schlug Scaboth seinen Schild an den Kopf. Dann suchten sie alle das Weite. Sie gehörten nicht zu Cathaers Gefolge, kamen zu einem Teil von der Insel und waren dann irgendwie dem Gemetzel entkommen, oder waren mit den Händlern hierher gekommen und wurden dafür bezahlt, dass sie wehrlose und schwache Sklaven bewachten, aber nicht, damit sie gegen schwer bewaffnete Reiter kämpften, von denen sie nicht wussten, ob sie vielleicht in Cathaers Auftrag handelten.

Vasan schlug die Tür zum Hof auf und sie ritten hinein. Hier lebten mindestens hundert Sklaven, eine riesige Menge, meist Frauen und Kinder und einige gefesselte Männer, schlecht ernährt, halb verhungert, in zerschlissener Kleidung, mit Narben und Blutergüssen auf der Haut, von Krankheiten befallenen Körpern und leeren Augen, mit denen sie die Reiter ängstlich und manchmal teilnahmslos anstarrten. Fyrc und seine Krieger suchten die Menge nach dem Gesicht des Mädchens ab, das sie hier am ehesten vermuteten. Die Wächter standen am Rand hinter der Einzäunung und beobachteten die Reiter aus sicherer Entfernung. Hier fanden die Reiter kein bekanntes Gesicht und ritten wieder heraus.

Auf der anderen Seite des Hofes fanden sie zwei Dutzend gefesselte Männer, deren Bewacher sich davon machten. Manche von den Burschen schienen wirklich zu glauben, dass die Reiter zu ihrer Befreiung gekommen wären. Fyrc scherte sich überhaupt nicht um diese ganzen Sklaven. Er hätte vielleicht eine ganze Menge von ihnen rauben können, aber daran dachte er gar nicht. Er wollte nur das schöne Mädchen und den Mann, der seine Ehre beschädigt hatte.

Ein fetter Mann mit dünnem blondem Bärtchen und drei andere mit Peitschen und Knüppeln traten vor ihnen aus einem Langhaus.

„Wer seid ihr?", schrie der fette Sklavenhändler, dessen Kulleraugen vor Wut aus ihren Höhlen traten. Er richtete seinen dicken Zeigefinger auf Fyrc. „Dazu habt Ihr kein Recht!"

Fyrc richtete die Spitze seines Speers auf den Raum zwischen Brust und Hals des fetten Mannes, dorthin, wo eigentlich ein Hals sein sollte. Der Mann zuckte zusammen und Fyrcs Begleiter schlossen auf, woraufhin die Gehilfen des Sklavenhändlers das Weite suchten.

„Du hast sie ihm abgekauft!", zischte Fyrc. Dieser Sklavenhändler war einfach so widerwärtig, dass er es getan haben musste.

„Was? Von wem? Wen?", stammelte der Händler.

„Schönes junges Mädchen, schöne feste Brüste, lange Beine, Sommersprossen, langes blondes Haar, braune Haare!", rief Fyrc.

„Wollt Ihr eine? Ich kann Euch schöne Mädchen verkaufen!", sagte der Händler.

„Du hast sie gekauft!", schrie Fyrc. „Von einem Mann auf einem schwarzen Hengst, sieht wohlhabend aus, dünn und ausgezehrt und einfach widerwärtig, noch schlimmer als du es bist! Er nannte sich vor mir Scrasbor."

Die Kulleraugen des Sklavenhändlers traten noch weiter hervor und er schwitzte trotz der Kälte fürchterlich. „Ich verstehe nicht, Herr!"

Die anderen Reiter setzten ihre Suche fort. Ein Bewacher trat ihnen entgegen und wurde von Scöl und Madrun zusammengeschlagen. Er bettelte um Gnade, aber sie schlugen weiter auf ihn ein. Der Sklavenhändler hatte Angst und versuchte zurückzugehen, aber er konnte nicht entkommen, Fyrcs Pferd war schneller und sein Speer erst recht.

„Ich habe von keinem solchen Mann Ware gekauft!", jammerte der Händler. „Meine letzten Einkäufe habe ich vor einem Monat gemacht, aber nur von Suld und Baröll, den beiden Gefolgsleuten des Fürsten."

Die Wut kochte in Fyrc. Er wollte das schöne Mädchen zurückhaben und den Halunken, der es genommen hatte, bestrafen. Sonst nichts. Dieser Händler widerte ihn an und stand ihm im Weg, aber ein Funken von Voraussicht sagte ihm, dass es dumm wäre jetzt jemanden zu töten. Er sah sich kurz um. Weitere gefesselte Sklaven saßen am Strand. Scöl, Madrun und Drug ritten auf ein Langhaus zu, vor dem das einzige noch im Wasser liegende Schiff angebunden war. Die Tür öffnete sich und drei Männer stürmten heraus. Jeder von ihnen trug eine Art von Speer mit Widerhaken, mit denen sie wohl Wale aufspießten. Die drei Reiter wurden überrascht, Madruns Pferd scheute und er fiel auf den Kies, wo ihm der Angreifer seine Waffe an den Hals hielt.

Ein Bogen surrte und ein als Warnung gedachter Pfeil landete im Kies. Mindestens ein Dutzend Männer mit Speeren und Äxten näherten sich den Reitern und mit ihnen kamen vier Bogenschützen. Fyrc sah, dass er hier nicht länger umher reiten konnte, wie er wollte. Sie wollten ihn aus ihrer stinkenden Siedlung jagen. Aber er war nicht bereit zu gehen, solange noch möglich war, dass der elende Scrasbor das schöne Mädchen an einen dieser widerlichen Händler verkauft hatte. Er zeigte den Bewaffneten, dass er dem dünnbärtigen fetten Händler eine Speerspitze an die Kehle hielt, woraufhin sie vorsichtiger wurden. Die Männer aus dem Langhaus schlossen sich ihnen an, aber einer von ihnen hielt noch immer Madrun am Boden fest, womit Fyrc einen seiner Reiter verloren hatte.

„Was soll das, Fyrc?", rief ein rotnasiger Axtträger mit Wolfsfellmantel.

„Ich wurde von Fürst Cathaer geschickt!", entgegnete Fyrc.

„Das bezweifle ich."

„Er oder einer von seinesgleichen", rief Fyrc und sein Herz schlug vor Wut gegen den Hals- „hat einem Mann auf einem schwarzen Hengst, der sich vielleicht Scrasbor nennt, ein wunderschönes Mädchen abgekauft, das mir dieser Scrasbor gestohlen hat."

„Hast du dieses Mädchen hier gefunden?", fragte ein anderer Krieger, den Fyrc ebenfalls kannte. Auch er stand hoch in Cathaers Achtung und verdiente sicher viel Silber durch den Sklavenhandel. Er musste nun Acht geben, damit er nicht als Verbrecher dastand.

„Nein.", antwortete er.

„Du Narr!", rief die Rotnase. „Dann ist sie vielleicht gar nicht hier!"

„Nenn mich keinen Narren!", brüllte Fyrc und drückte die Speerspitze unter das Doppelkinn des Sklavenhändlers, das anfing zu bluten.

„Wie sieht das Mädchen aus?", fragte der Krieger. „Dann können wir dir vielleicht helfen!"

„Sie ist wunderschön, hat langes blondes Haar, Sommersprossen und dunkelbraune Augen. Jeder Mann hier würde sie haben wollen und mir wurde sie gestohlen!", rief Fyrc. Seine Reiter stellten sich neben ihm in einer Reihe auf und hielten sich bereit zu kämpfen, auch wenn es nicht so aussah, als ob sie leicht gewinnen würden.

Einige Männer lachten leise, als Fyrc das Mädchen beschrieb und das machte ihn noch wütender.

„Ich töte ihn!", schrie er und meinte damit den fetten Händler, der anfing erbärmlich zu zittern. „Und ich kann noch einmal hierher kommen, dann aber mit dreißig oder sogar fünfzig Kriegern!"

„Lass das!", knurrte der Krieger. „Sonst kämpfen wir und weder du noch deine fünf Leute hier werden diesen Winter überleben. Hat irgendwer ein solches Mädchen gesehen?", fragte er die Runde.

Fyrc sah nur Kopfschütteln und wurde noch wütender, aber auch ein wenig verzweifelt. Er wollte dieses wunderschöne Mädchen, dieses Bild einer Göttin aus Fleisch und Blut, und er wollte seine Rache.

Aber dann hörte er eine kleine fiepende Stimme. „Ich habe einen Reiter und eine Frau gesehen.", sagte ein kleines Mädchen, das sich in den Haufen von bewaffneten Männern verloren hatte.

„Was? Wo? Wann?", fragte Fyrc, begeistert von der Hoffnung zu erlangen, was er so sehr begehrte.

„Am alten Berg!", sagte das kleine Mädchen und wies mit ihrem Arm den Hügel hinauf. „Ich musste dort Brennholz sammeln."

„Wann?", brüllte Fyrc und war dabei so laut, dass das kleine Mädchen vor Angst zurückging. Ein Bewaffneter hielt das Mädchen fest.

„Wann?", fragte er.

„Gestern abend.", sagte es leise und voller Angst.

Fyrc nickte. So etwas hatte er hören wollen. „Lasst uns gehen! Wir reiten jetzt zum alten Berg."

Keiner von den Bewaffneten rührte sich, sie sahen ihn nur merkwürdig an. Aber Madrun wurde freigelassen und taumelte zu seinem Pferd zurück.

„Wir reiten!", befahl Fyrc noch einmal.

„Tut das nicht, Herr!", sagte da jemand.

Fyrc sah sich um. Ein alter Mann mit grauem Schnurbart und runzeliger, gebräunter Haut hatte gesprochen. Er gehörte zu den dreien, die aus dem Langhaus gekommen waren und sah Fyrc eindringlich an. „Tut das nicht, Herr, am alten Berg geschehen böse Dinge."

„Erzähl mir keine Ammenmärchen!", knurrte Fyrc.

„Wir haben in der Nacht von dort helle Lichter gesehen, aber nicht von Feuer.", sagte der Alte.

„Du hältst mich auf!", schrie Fyrc den Alten an. „Wir reiten zum alten Berg!"

Und sie wendeten, trieben ihre Pferde vom Schritt in den Galopp und verließen den Sklavenhafen, während die Schatten auf der Insel länger wurden.

Fünfter Teil: Ein götterwürdiges Fest

Bei Walbraten allein blieb es nicht, die Dienerinnen tischten auch noch Fleisch von schwarzen Hirschen, Rebhühnern und Schweinen, sogar helles Weizenbrot, weichen Käse, mit Dickmilch vermengte Erbsensuppe und Pilze, dazu kamen dann noch Eistrauben, schwer zu beschaffende Leckereien, die man noch dazu mit Honig versüßt hatte. Und die ganze Zeit flossen Met, Bier und Obstwein in die Hälse, sodass ständig gesungen und noch mehr gegrölt wurde. Der selbsternannte Fürst der Insel scheute weder Kosten noch Mühen, um seinen besonderen Gast und sein eigenes Gefolge so zu bewirten, dass sich später sicher ein Barde fand, um dieses wunderbare, den Göttern würdige Fest des Fürsten Cathaer zu besingen.

Cathaer ließ den Barden Tithar ein leises, gemütliches Lied mit der Harfe spielen. Duor trank und aß eifrig mit. Was er hier bekam, war seine beste Mahlzeit seit vielleicht einem Jahr oder sogar noch mehr Zeit. Er brach nur langsam und stockend Visingisch, verstand aber die meisten Witze, die hier zum Besten gegeben wurden und lachte selbst heftig mit.

Auch Cathaer lachte mit, aber Duor bemerkte, dass sich der selbsternannte Fürst der Insel sich beim Essen und Trinken ein wenig zurückhielt und seine stahlgrauen Augen ständig durch die feiernde Runde wanderten. Und er stellte Fragen über Fragen an seinen alburgischen Gast, der sich Folrec nannte.

Und Duor erzählte von Folrec. Ein wenig von den Sachen, deren sich Folrec brüstete, war vielleicht übertrieben, aber es sorgte für Erstaunen und noch mehr Gelächter. Er war nicht adelig, seinen Vater kannte er überhaupt nicht, seine Mutter war Magd im Haushalt von Fürst Bilgar gewesen, in dessen Leibwache er dann irgendwann eintrat und sich auch bewährte. Dann starb der Fürst und einer seiner Hauptleute wurde dessen Nachfolger. Folrec hatte dessen Tochter geschwängert und musste das Weite suchen, woraufhin er schließlich zu einem Söldner wurde, der in insgesamt zwölf Heeren anheuerte, dreimal durch Beuteanteile wohlhabend wurde und seinen Reichtum genauso oft verlor, einmal durch Raub, einmal durch Verrat und ein letztes Mal durch eine Frau. Folrec zog also durch die Großen Lande und lernte so viele Leute kennen, glücklich wurde er aber nur einmal, als er eine große Liebe fand, die dann aber im Krieg starb, woraufhin er weiterziehen musste und schließlich ins neue Visland kam, wo er aber kein Auskommen fand, denn König Grisla von Ashargathan mochte keinen Alburgen in seine Dienste aufnehmen. Aber Folrec konnte nicht als einfacher Bauer leben, denn er war ein Krieger und konnte sich nicht vorstellen, auf andere Art ein Auskommen zu verdienen. Da hörte er in einer Hafenschänke vom Reich Gaelgamar, das von Visingen westlich des Windkapps gegründet worden war, und meinte, dort sei am besten Silber zu verdienen. Also stieg er in Ashargathan auf ein Schiff und segelte westwärts.

„Und Eure Rüstung und Waffen?", fragte Cathaer dann. „Sie sind ein wenig zu edel für einen einfachen Söldner."

Duor schwieg eine Weile, denn ihm fiel nicht gleich ein, wie Folrec an die teuren Sachen gekommen war. Er bemerkte, dass um ihn herum fast jeder schwieg und auf eine Antwort wartete, also meinte er, dass es besser wäre ihnen eine zu bieten, die seine anfängliche Verlegenheit am besten erklären konnte.

„Ich habe in Ashargathan mit einem anderen um eine Hure gekämpft.", sagte er und die Zuhörer rissen die Augen auf. „Und dabei habe ich ihn getötet. Bei ihm fand ich diese Sachen."

Dann herrschte kurz Schweigen, das beendet wurde, als Cathaer anfing vor Belustigung zu lachen. „Du bist geflohen, Folrec, weil du im neuen Visland jemanden ermordet hast.", lachte er und die Runde stimmte mit ein. Nur Gölc sah mehr verwirrt als belustigt aus, aber er hatte auch schon viel getrunken und sah entsprechend aus.

„Und die anderen Leute auf deinem Schiff waren also auch Verbrecher, Diebe, oder?", fragte Cathaer und seine grauen Augen blitzten auf, was Duor nicht gefiel.

„Das waren alles Visingen. Sie hatten ein Handelsschiff überfallen und geplündert. Dann wurde in Ashargathan einer von ihren Leuten erkannt und gefangen genommen. Darum wollten sie den Hafen schnell verlassen."

„Darum sind sie also mitten im Winter gesegelt.", ergänzte Cathaer die Erklärung und sah scheinbar in Gedanken zur Hallendecke, während der Barde weiter spielte und kaum aufsah, was Duor so nicht gefiel, denn der Barde erinnerte ihn an irgendwen.

„Und wo hast du Gord getroffen?", fragte Cathaer dann mit einem Seitenblick auf den Barden.

„In Ashargathan. Er war zum Krüppel geworden und wollte im Frühjahr mit dem erstbesten Schiff wieder über das Meer fahren, woher er gekommen war.", antwortete Duor und hoffte, dass er sich nicht verdächtig machte.

„Kannst du das so bestätigen, Tithar?", fragte Cathaer.

Er traut mir nicht, dachte Duor.

Aber Tithar nickte knapp, während er weiterspielte. „Gord Gordsdan hat seine Heldentaten vor einer halben Ewigkeit vollbracht. Dann schloss er sich dem Gefolge von Scöl Scalfarcson an. Aber im Kampf gegen Ungeheuer hatte er wohl mehr Glück als gegen Menschen, wenn er nun zum Krüppel geworden ist."

Duor nickte und atmete leise erleichtert auf. Vielleicht gab es Gord Gordson wirklich und er hatte unglaubliches Glück gehabt oder der Barde hatte einen guten Grund seinem Herrn die Unwahrheit zu erzählen. Auf jeden Fall musste er wachsam bleiben.

Er hatte schon eine Menge gegessen und noch mehr getrunken, aber der Met löste seine Zunge nicht so wie er es bei anderen Leuten tat. Er beherrschte sich auch im Suff, während andere anfingen alles nur Erdenkliche auszuplaudern und sich schnell verdächtig machten. Nie hatte er die in vielen Kämpfen erworbene Tapferkeit abgelegt, immer behielt er seine Umgebung im Auge. Besonders wenig gefiel ihm dabei der Hühne mit dem Halsschmuck, der noch immer unbewegt hinter ihm stand. Er bewachte ihn und folgte ihm sogar, wenn er pinkeln ging. An der Seite dieses Hühnens hing ein breites Schwert und Duor zweifelte nicht, dass er damit umzugehen wusste, denn er hatte seinen kostbaren Halsschmuck wohl kaum verdient, indem er Cathaer als Diener aufwartete.

„Erzähl mir mehr von den Ländern, die du besucht hast, Folrec.", sagte Cathaer dann ein wenig leiser, sodass ihn nicht jeder hörte.

„Was denn?", fragte Duor.

„Alles. Die Bräuche der Menschen, wie die Könige herrschen und wie die Krieger kämpfen. Und vor allem will ich, dass du mir erzählst, wo es viel Beute zu holen gibt. Hör mich an, Folrec, ich muss solche Dinge wissen. Und wenn du sie mir sagen kannst, ist es gut so, denn ich brauche Wissen über alle Dinge außerhalb dieser Insel.", sagte Cathaer und seine Stimme wurde dabei leise, sodass sich Duor vorbücken musste, um ihn bei dem ganzen Lärm in der Halle zu verstehen. „Ich werde nicht auf ewig auf dieser kargen Insel bleiben und meine Krieger wollen hier nicht zu Schafhirten und Heringfischern werden."

Duor nickte, er verstand. Cathaer suchte nach neuen Gegenden, über die er herfallen konnte wie ein Wolf über Schafe. Er würde kein ganzes Jahr mehr auf der Insel der Schatten bleiben. Er hatte hier zweitausend Krieger unter seinem Befehl, die Beute wollten und ihr Besitz auf dieser Insel reichte ihnen sicher nicht. Umso weniger reichte er Cathaer, der nun wissen wollte, wo es sich am meisten lohnen würde überraschend mit seinen Schiffen an der Küste zu erscheinen und Siedlungen in prasselnde Scheiterhaufen zu verwandeln. Und Duor sollte ihm nun dabei helfen.

Es kostete ihn Mühe, sich bei den vielen Ländern, die er als Duor besucht hatte, sich an die wenigen zu erinnern, die Folrec der Söldner durchreist hatte. Der Met wirkte, aber nicht so gut wie bei anderen Trinkern. Also fing er an zu erzählen und bemühte sich die Dinge genau so zu schildern, dass Cathaer mit seiner Horde von Gesetzlosen irgendwann an eine Küste segelte, wo sie nichts als Pfeile und Speere erwarteten.

Der rothaarige Mann mit den goldenen Ohrringen neben Gölc war Naryc, dem er die Treue geschworen hatte, mit dem er aus dem neuen Visland zu Cathaer gekommen war und der im Rang eigentlich über ihm stand, sodass er sich sehr wunderte, warum er näher am Fürsten saß als sein Herr. Naryc war älter als Gölc, aber seine Haare waren noch immer feurig rot und nur seine Falten im Gesicht zeigten, dass er nicht mehr der Jüngste war. Gölc gehörte gerne zu Narycs Gefolge, denn Naryc war ehrlich, ehrenwert und er achtete immer auf gleiche Behandlung seiner Gefolgsleute. Er war der Sohn von Narvac, einem berühmten visingischen Kriegsherrn, der die Alburgen bekriegt hatte und dabei sehr reich und mächtig geworden war. Nach dem Tod seines Vaters hatte sich Naryc nur einen Teil des Erbes sichern können und hatte darum eine blutige Fehde mit dem Visingenkönig von Fulcand begonnen. Als Cathaer dann im neuen Visland erschien, um zu morden und zu plündern, hatte sich Naryc ihm angeschlossen, um sein Erbe zu erkämpfen. Aber er hatte nur sein Schicksal an Cathaer gebunden und war mit ihm aus seiner Heimat verjagt worden. Nun war er einer von Cathaers wichtigen Gefolgsleuten, denn ihm folgten über zweihundert Krieger. Aber das Verhältnis zwischen ihm und Cathaer war nie sonderlich gut gewesen und der neue Fürst der Insel hatte darum Naryc gezwungen sein Gefolge auf verschiedene Orte auf der Insel zu verteilen und sich selbst ständig in Sculdafar aufzuhalten, wo er leicht überwacht werden konnte.

Die schlechte Laune war Naryc deutlich anzumerken, als er aufgestanden war, um sich mit Gölc abseits von Cathaer nahe dem Ausgang zu unterhalten. „Er ist von Misstrauen wie zerfressen.", sagte er. „Und ich weiß nicht, wie ich ihm meine Treue beweisen soll. Ich hätte ihm nicht meine Meinung sagen sollen, als er die vielen Siedler töten ließ."

Gölc nickte. Er hatte Narycs Entschluss sich Cathaer anzuschließen immer für eine Fehlentscheidung gehalten. Die beiden waren einfach zu verschieden, Naryc war gutmütig und offen, Cathaer war herrschsüchtig, misstrauisch und oft genug auch hinterhältig. Aber Naryc hatte damals das Erbe seines Vaters nicht aufgeben wollen und sich darum Cathaer angeschlossen.

„Dann wäre es besser, im Frühjahr die Insel zu verlassen und irgendwohin zu segeln, Herr.", meinte Gölc.

Naryc schüttelte den Kopf. „Ich fürchte mich vor Cathaers Wut. Er würde das als Verrat auffassen und seinen Leuten befehlen uns alle zu töten. Ich werde also mitsegeln und hoffen, dass er mir irgendwann eigenes Land gönnt, wo ich in Ruhe leben kann. In meine alte Heimat kann ich auch kaum mehr zurückkehren."

Das war Narycs große Schwäche. Er fand nur selten den Mut Bindungen zu lösen. Er schreckte vor jedem offenen Streit mit Cathaer zurück und darum hatte er sich auch von ihm so schlecht behandeln lassen. Sein Gefolge war auf verschiedene Dörfer verteilt worden, wo es besser überwacht werden konnte, und Naryc selbst musste in Cathaers Nähe sein, wo dessen Leute ihn ständig beobachteten.

„Ich würde mit euch kommen."

Naryc lächelte schwach. „Ich dachte, dir gefällt es hier so gut."

„Ich habe Euch die Treue geschworen, Herr, und diesen Eid erfülle ich. Ich mag diese Insel und hier habe ich eine wunderschöne Frau, die ich liebe, aber meinen Eid, den ich Euch gegeben habe, halte ich. Und von Cathaer halte ich nicht viel, er ist ein Scheusal und diese Insel kann für mich nur ddann richtig schön sein, wenn er hier nichts mehr zu sagen hat. Ich will meine Frau an meiner Seite haben, aber nicht in Cathaers Reich sterben, sondern an einem schönen Ort."

„Gölc, du hast schon immer von einem Götterhimmel auf Erden geträumt.", sagte Naryc. „Aber den gibt es für uns nicht. Wenn wir sterben, dann einsam und in großer Kälte."

Gölc wollte das Gespräch gerne fortsetzen, aber der viele Met zeigte Wirkung und er musste pinkeln, darum verabschiedete er sich und schwankte aus der Halle. Der Met machte ihn ein wenig benommen, aber zumindest spürte er draußen vor der Halle die eisige Kälte der einbrechenden Nacht nicht mehr so sehr. Sogar seine Angst war ein wenig geschwunden, aber nicht völlig. Er hatte Naryc noch fragen wollen, warum er einen Ehrenplatz in der Nähe des Fürsten bekommen hatte. Er hatte nicht mehr als eine Handvoll Kämpfer unter seinem Befehl und er hatte in den vielen Kämpfen bisher nie mehr gemacht als das, was von ihm erwartet wurde. Vielleicht hielt es der Fürst ja für eine kleine Heldentat, dass er sich nach dem Auftauchen des Schiffs mit seinen Männern ins Meer gewagt hatte, obwohl der Drache ja noch am Leben sein konnte.

Es schneite nicht, aber der Himmel war wie fast immer bewölkt. Seit seiner Ankunft auf der Insel hatte Gölc nur wenige Sonnentage erlebt, darunter gar keinen ohne dicke graue Wolken irgendwo am Himmel. Und wie immer war es kalt. Er wunderte sich überhaupt nicht, dass unter den Kriegern viel geredet wurde, wohin man im Frühling segeln sollte. Viele von den Männern waren überhaupt nicht zu Arbeiten als Ackerbauern, Fischer oder Schafhirten geeignet. Ein großer Teil von ihnen bestand aus ehemaligen Gesetzlosen und wurzellosen Söldnern. In der alten Heimat hatte sich Cathaer ja nicht als verlässlicher und gütiger Herr gezeigt. Als man ihn aus dem Land jagte, folgten ihm viele Krieger nur auf die Schiffe, weil sie die Rache der Sieger fürchteten. Als Cathaer dann im neuen Visland auf der anderen Seite des Meeres erschien, waren die Häfen dort voll von beschäftigungslosen Söldnern, die nichts zu tun hatten, weil sich der Machtbereich Nodgards ausdehnte und darum die Raubzüge entlang der Flüsse zu einem Ende gekommen waren. Diese nach Beute und Frauen dürstenden Krieger saugte Cathaer mit seinen Versprechen auf wie ein trockener Schwamm das Wasser. Und auch wenn man ihn dann wieder davon jagte, war seine Streitmacht auf zweitausend Krieger angewachsen, die gefüttert werden wollten, weswegen sich Cathaer nach neuem, leicht zu erobernden Land umsah, dass er dann auch auf der von Visingen besiedelten Insel der Schatten fand. Aber diese Insel konnte weder Cathaer noch seinen Kriegern dauerhaft genügen.

Die Scheißlöcher waren alle besetzt, also musste Gölc wie viele andere gegen die Wand der Halle pinkeln, in der die anderen Trinker gerade feierten, grölten, sangen und lachten. Und während er dort an der Wand stand und das Gefühl der Befreiung genoss, hörte er hinter sich laute Stimmen.

Er drehte sich und sah, wie sich zwei von den überall herumstehenden Wachen neben einem Lagerfeuer mit einem wie verwirrt auf sie einredenden Mann stritten. Gölc wunderte sich, worum es da gehen mochte, und der Met machte ihm die Entscheidung leicht hinzugehen und sich in den Streit einzumischen. Im Feuerschein glänzten die Kettenhemden und die Speerspitzen der Krieger und der wie verwirrt redende Mann wurde in seiner Erscheinung auch vom Feuer gut beleuchtet. Und er sah tatsächlich aus wie ein Betrunkener oder ein Wahnsinniger oder beides gleichzeitig. Ein zerschlissener Fellmantel hing über seine Schultern und er trug ein mit Blut bekleckertes Hemd. Er hatte auch eine alte Wunde an der linken Schläfe, sah unterkühlt aus und fuchtelte wild mit den Händen herum, als er auf die Wachen einredete.

„Ich habe sie doch gesehen, habe sie doch gesehen, ich muss ihn sprechen…", stammelte er und die Wachen verloren sichtlich die Geduld mit ihm.

„Verschwinde und denk nicht daran unseren Herrn auf seinem Fest zu belästigen.", schnauzte ihn einer der beiden an.

„Was ist denn los?", mischte sich Gölc ein.

„Wer bist denn du?", fragte ihn einer der Krieger.

„Ich bin Gölc Gölgarson und bin einer der Gäste."

„Misch dich nicht ein, Gölc Gölgarson, wir haben hier einen anderen Betrunkenen, der wirres Zeug redet!"

Gölc schnaubte wütend. Er war kein Trottel, der sich hier herumbefehlen ließ. „Wer bist du?", fragte er den Mann mit der verletzten Schläfe, der ihn mit zitternden Augen anstarrte.

„Ich bin Madrun, Herr!", schrie er fast. „Die haben meinen Herrn Fyrc getötet, die haben ihn getötet!"

„Meinst du etwa uns, Lügner?", knurrte ein Krieger.

„Die Schatten haben ihn getötet, Herr, am alten Berg. Wir waren dort und haben das Mädchen gesucht und den Mann auf dem schwarzen Pferd, der sich Scrasbor nannte.", redete Madrun und sah dabei wirklich aus wie auf den Kopf gefallen. Vielleicht hatte er sich auch so seine Schläfenverletzung geholt.

„Du hast zu viel getrunken!", sagte ein Krieger. „Geh zurück zu deinen Leuten."

„Die sind tot, die Schatten waren das.", stammelte Madrun.

„Ich schicke dich auch zu den Schatten, wenn du uns weiter behelligst!"

„Vielleicht…", unterbrach ihn Gölc.

„Verschwinde, Säufer!", knurrte der Krieger. „Ich kenne dich nicht. Wenn du mir etwas befehlen könntest, würde ich dich kennen. Also hau ab! Und du!" Er zeigte mit dem Finger auf Madrun. „Verschwinde du auch, sonst tun wir das, was wir mit verwirrten Stotterern immer gerne machen. Aber danach wärst du noch dümmer."

Gölc drehte sich schon enttäuscht um, denn hier hatte er wirklich nichts verloren. Dann schrie hinter ihm Madrun: „Lasst mich durch!"

Bevor Gölc verstand, was überhaupt geschah, war ein Handgemenge entstanden. Madrun stürmte gegen die zwei Krieger an, riss einen um, dann schlug ihm der andere seinen Speerschaft an die Stirn und dann sein Knie in die Magengrube.

„Hurensohn!", brüllte der zu Boden gegangene Mann, stand wieder auf und gab Madrun einen Schlag auf den Kopf, was den schon taumelnden Madrun in das brennende Lagerfeuer hinein stürzen ließ. Er jaulte vor Schmerz auf, aber sein Gegner stieg noch nach, drückte ihm seinen Stiefel auf die Brust und hielt ihn im prasselnden Feuer fest. Madruns panische Schreie ließen Gölc erzittern, aber der andere Krieger half noch ihn im Feuer festzuhalten.

„Scher du dich weg!", raunzte der Krieger Gölc zu.

Und Gölc verließ den Platz, floh fast vor den gellenden Schreien in den Lärm der Halle, wo er sie nicht hören konnte.

Cathaer ließ seine Augen nicht von Duor, der immer mehr erzählen musste. Er erzählte von den Pferdezuchten der Alburgen, den dunklen Wäldern, den vielen kleinen Häfen an den großen, breiten Flüssen, von den weiten Grasebenen und den hohen Bergen. Immer wieder hakte Cathaer nach, damit er mehr von den Reichtümern der Siedlungen und ihren Verteidigungen erzählte. Und Duor erzählte, ließ hier und da bewusst wichtige Dinge weg, aus Städten ohne Mauern wurden schwer befestigte Siedlungen und Flüssen voller Stromschnellen wurden auf ganzer Länge befahrbar. Wenn irgendwo in einem von allen Menschen gemiedenen Flussbett ein Ungeheuer lauerte, wurde daraus ein Schwarm von Aalen. Er schluckte eifrig Met und Obstwein, aber er wusste, was er wollte. Wenn Cathaer schon entschlossen war einen neuen Kriegszug zu unternehmen, sollte er ein erbärmliches und blutiges Ende finden.

Cathaer hörte ihm gespannt zu. Er hatte nun auch schon eine Menge getrunken, aber diese Spannung verließ ihn nie.

„Tithar!", rief er seinem Barden zu. „Spiel etwas, das mich an Blut und schöne Frauen erinnert!"

Der alte Barde nickte und dann spielten seine Finger ein Lied, das aus den uralten Kriegsgesängen der Visingen stammte, die als erste plündernd und mordernd an den Küsten der Großen Landen eingefallen waren. Cathaer hörte eine Weile zu und beugte sich dann zu Duor vor.

„Wo, Folrec, würdest du an meiner Stelle einfallen, wenn du so viele Länder kennst?", fragte er.

Duor war ein wenig verblüfft von dieser Frage, aber Cathaer lehnte sich nicht zurück, sondern wartete auf eine Antwort. Also musste er ihm eine geben, auch wenn er viel nachdenken musste.

„Bracastal.", sagte er dann.

Cathaer verzog sein Narbengesicht zu einem bösen Grinsen. „Nein. Bracastal gehört zum Einflussgebiet von Nodgard."

„Und?", fragte Duor.

„Folrec … Wie hieß noch einmal dein Vater?"

„Sturgad"

„Folrec Sturgadson, ich meide alle Gebiete, wo Nodgard etwas zu sagen hat. "

„Das muss schwer sein. Nodgard dehnt seine Macht immer weiter aus."

Cathaer nickte. „Sein Vormarsch verändert die ganze Welt. Wir Visingen schrecken vor einem Kampf mit Nodgard zurück. Wir fallen dort ein, wo die Verteidigung schwach ist und wo die Herren des Landes am besten noch untereinander zerstritten sind. Wo aber Nordgards Sendboten herrschen, stoßen wir auf Festungen und stets kampfbereite Heere. Darum haben unsere Raubzüge in deiner alten Heimat ja nahezu aufgehört. Und darum konnte ich ein so großes Heer sammeln. Diese ganzen Burschen hier können ja nur kämpfen, aber gegen Nodgard wagen sie es nicht, sie wollen auch nicht für Nodgard kämpfen, denn dann würde man sie ja unter die Peitschen der Zuchtmeister zwingen. Da war ich ihre einzige Möglichkeit. Fürs erste will ich Nodgard nicht mehr weiter verärgern, wie ich es in Scuthan gemacht habe, als ich leider Futter für die Überfahrt beschaffen musste."

Duor nickte langsam. Irgendetwas mahnte ihn zur Vorsicht. Vielleicht lag es daran, dass Cathaer so lange geredet hatte wie noch nie zuvor an einem Stück.

„Also muss ich mir ein Land suchen, wohin Nodgard noch nicht seine Fühler ausgestreckt hat."

Gölc kam wieder herein, er sah ein wenig verwirrt aus und wollte wohl etwas sagen, aber Cathaers Blick ließ ihn still bleiben und wieder nach seinem Trinkschädel greifen.

„Erzähl mir von Hordland.", sagte Cathaer dann.

Duor blieb ruhig, aber diese Frage war nicht gut.

„Es ist ein karges, kaltes und windiges Bergland, in dem der Winter lange dauert.", sagte er dann.

Cathaer lächelte schief. „Du willst nicht davon erzählen, oder, Folrec?", sagte er mit einem Zischen. „Das kann ich gut verstehen, es war auch voraussehbar. In Hordland leben Alburgen, oder? Der letzte große Teil deines Volkes, der noch nicht unter der Knute Nodgards steht."

Duor sagte nichts dazu. Er bemerkte, dass der Barde ihnen zuhörte. Dabei spielte er weiter die Klänge dieses einen wilden Kriegsliedes. Dieses Lied besang die Stärke und den freien Willen der Visingen, den Willen, der die Gier nach Land, Gold und Sklaven ausdrückte. Nicht ein jedes visingisches Herz sang dieses Lied, Gölc war diese Gier wohl recht fremd, aber genug hatten sie verinnerlicht. Und der eine, den diese Gier von allen Visingen dieser Zeit wohl am meisten ausfüllte, saß nun Duor gegenüber.

„Du wolltest nach Gaelgamar segeln, Duor.", fuhr Cathaer fort. „Du bist ein Söldner, einer von den heimatlosen Gestalten, die immer dorthin ziehen, wohin sie der leicht zu erreichende Wohlstand lockt. Irre ich mich oder liegt Gaelgamar in Hordlands Nachbarschaft?"

„Ja, dort liegt es." Duor wünschte, er hätte etwas Anderes erzählt. Aber es war zu spät.

Cathaer grinste wieder. „Gaelgamar ist nur eines von drei visingischen Reichen in Hordlands Nähe. Wir Visingen sind wie Wölfe, Folrec. Wir riechen verletzbare Beute. Und Hordland ist verletzbar, denn die Alburgen dort sind zerstritten und im Osten werden sie von Nodgard bedrängt. Doch arm sind sie nicht, der Handel mit den Zwergen bringt ihnen viel Silber ein. Und nun will ich diese Reichtümer in die Hände bekommen, bevor mir jemand anders zuvorkommt."

Duor nickte und unterdrückte den Drang zu schlucken. Dieses Scheusal wollte in Hordland einfallen. Er war wahnsinnig genug und gerissen zugleich, um das zu tun. Zu den vielen Feinden, denen die letzten freien Alburgen gegenüber standen, sollte jetzt noch Cathaer hinzu kommen. Duor überlegte, ob es nicht am besten wäre, nach dem vor ihm liegenden Fleischmesser zu greifen und damit diesem Vising die Kehle durchzustechen.

Cathaer lächelte nun ständig und das gab seinem Narbengesicht einen Ausdruck von Wahnsinn. „Wir werden segeln, sobald es das Wetter zulässt. Einen Monat wird das dauern, vielleicht noch länger. Aber wir werden segeln. Und dazu brauche ich gute Krieger. Viele von denen, die mit mir hier gelandet sind, sind nicht mehr als bewaffnete Strauchdiebe, die gegen einen Rothgyr gut kämpfen konnten, vor stärkeren Gegnern aber sicher weglaufen. Ich brauche Krieger, die wissen, wie man kämpft, solche wie dich."

Nun musste Duor schlucken und Cathaer verzog sein Fratzengesicht ständig zu einem Lächeln.

Der Gölc genannte Vising stand auf, um noch einmal pinkeln zu gehen. Dabei lief er an einem Leibwächter vorbei, der auf Cathaer zuging. Der erwartete ihn in aller Ruhe, während Folrec in Schweigen versunken war. Gölc wurde beobachtet, ebenso Naryc, dafür hatte Cathaer gesorgt. Cathaer traute Gölc nicht, dessen Treue Naryc und nicht ihm selbst galt und der sich so gut mit dem Alburgen Folrec verstand, der auch nicht zufällig auf diese Insel gekommen war.

„Herr!", sagte der Leibwächter und verneigte sich.

Cathaer winkte ihn heran. „Was ist?", fragte er gelangweilt.

„Beim Wasserholen vor der Palisade wurden zwei Frauen getötet.", berichtete der Mann. „Wir wissen nicht, wer das getan hat, aber er hat sie furchtbar verstümmelt."

„Da hat sich wohl einfach jemand einen Spaß gegönnt.", sagte Cathaer und zuckte mit den Achseln. Ihn kümmerte das nicht. Sein Gefolge war voll von ehemaligen Gesetzlosen, von denen wiederum viele aus ihrer Heimat fliehen mussten, weil sie Frauen vergewaltigt oder auch ermordet hatten. Solange sich niemand von Bedeutung für die Bestrafung des Täters einsetzte, sah er auch keinen Grund etwas zu tun.

„Aber Herr.", fuhr der Krieger fort. „Jetzt wurde einer von den Wachen am Nordtor tot aufgefunden. Einfach so, mit denselben Wunden. Und Fyrc wurde gefunden mit vier von seinen Leuten. Sie liegen tot in der Nähe des alten Berges."

Cathaer atmete die rauchige Luft der Halle tief ein. So etwas überraschte ihn nicht wirklich, er hatte so etwas für wirklich möglich gehalten. Es überzeugte ihn, dass er auch hier wieder von Feinden umgeben war, die ihn weder auf dieser Insel noch überhaupt am Leben haben wollten. Und diese Feinde hatten wohl Verbündete unter seinen eigenen Leuten gefunden. Er musste handeln.

„Verdreifacht die Wachen an den Palisaden.", befahl er mit rauer Kehle. „Weckt hier jeden, der keinen Grund hat zu schlafen. Streifen sollen die Gassen sichern."

„Ja, Herr.", sagte der Krieger und entfernte sich.

„Ergars!", rief Cathaer nun.

Ergars stand von der Tafel auf und näherte sich. Er war ein stämmiger Mann mit nur einem Auge und großer Treue gegenüber seinem Herrn. Er hatte Cathaer schon gedient, als der noch Königssohn in Hascamad war. Und immer hatte sich Cathaer auf seinen treuen und zu jeder Schandtat bereiten Ergars verlassen können. Er war anders als die vielen Hauptleute, die erst viel später zu Cathaer gestoßen waren. Er war verlässlich und es gab keine Sippe und keine Heimat, wohin er zurückkehren konnte, denn er war ein Mörder der schlimmsten Art. Seine einzige Heimat lag im Dienst für seinen Herrn.

„Ja, Herr?", brummte Ergars.

Cathaer stand auf und führte ihn ein wenig von der Tafel weg, sodass niemand anders mehr zuhören konnte.

„Ergars, ich möchte, dass du für mich einige Verräter aus dem Weg schaffst.", sagte Cathaer.

„Wen?", knurrte Ergars.

Cathaer musste nachdenken. Es gab in seinem engeren Gefolge einige Leute, die er nicht mochte, aber nicht jeder von ihnen musste ein Verräter sein. Aber er konnte auch keinen Verräter am Leben lassen. Und die Leute, die er nicht mochte, konnte er ohnehin ersetzen. Allerdings wollte er sich noch bescheiden halten, die Feinde unsicher machen und einschüchtern, noch nicht voll zuschlagen, solange er nicht wusste, wie viele und wer sie wirklich waren.

„Baröll, Scutha, Foroc, und Darg."

Ergars schwieg kurz. „Das sind aber eine Menge Verräter."

„Naryc kommt noch hinzu. Wenn mir noch andere einfallen, rufe ich dich. Schaff sie unauffällig aus dem Weg."

Ergars nickte und ging auf den völlig betrunkenen Foroc zu, um sein Werk zu beginnen.

Und Cathaer setzte sich wieder. Seine Feinde hatten sich gegen ihn verschworen. Er wusste nicht, wer genau die Verschwörer waren, wusste nur, dass sie selbst die Macht und keine Unterordnung unter ihn, Cathaer, wollten. Seit seinem Aufbruch aus dem neuen Visland, wenn nicht schon seit längerer Zeit, verschwor man sich gegen ihn. Die ganze Welt stand gegen ihn und Gefolge fand er nur durch Silber und Furcht. Aber er blieb ruhig und geduldig. Cathaer hatte in den langen Jahren der Verbannung und der Kämpfe vor allem die kaltblütige Geduld erlernt. Darum ließ er noch nicht gegen alle wahrscheinlichen Verschwörer zuschlagen, sondern nur ihren Anführer und fünf Mitverschwörer aus dem Weg schaffen, um Angst zu verbreiten, denn sobald Angst aufkam, würden die ersten Feinde abfallen und ihm den Rest verraten. Irgendwo da draußen wartete ein Haufen von bewaffneten Verrätern, um auf irgendein Zeichen in Sculdafar einzufallen, den Ort in einem Überraschungsangriff zu nehmen, ihn zu töten und dann Naryc zum Fürsten der Insel zu machen. Sicher gehörte Gölc zu den Verschwörern, denn er hatte Naryc die Treute geschworen. Sithroc, der Gölc hatte überwachen sollen, war tot, Folrec hatte ihn erschlagen. Also konnte auch Folrec gut zu den Verschwörern gehören. Doch Cathaer wollte nicht gleich gegen alle Feinde zuschlagen, vor allem wollte er noch mehr herausfinden und sich mit Folrec unterhalten. Wenn Naryc erst tot war und diese Verräter die Wachsamkeit des Herrn der Insel bemerkten, würden sie sich wieder in der Dunkelheit zerstreuen.

Tithar hatte sein Spiel unterbrochen, um ein wenig zu essen und zu trinken. Und Cathaer begann wieder mit Folrec zu reden. Jeder Mensch hatte seinen Preis, so wie Scolf, der einst gegen ihn gekämpft hatte und dann übergelaufen war, weil er Cathaers Diensten reich werden konnte. Und Cathaer wollte nun Folrec kaufen, ob der Alburge nun ein Feind und ein Verschwörer war oder nicht. Er versprach ihm ein Königreich in Hordland, denn er hatte die gewaltigen Fähigkeiten dieses Mannes schon auf den ersten Blick erkannt. Und er brauchte starke Verbündete und Gefolgsleute zumindest für eine Weile, bis er ihrer wieder entbehren konnte.

Sechster Teil: Silber, Fleisch und Feuer

Vor der Halle roch es süßlich nach verbranntem Fleisch und Gölc tat sich schwer bei diesem Geruch sein Geschäft zu erledigen. Er meinte auch von zwei Männern der Leibwache beobachtet zu werden und das gefiel ihm gar nicht. Merkwürdige Dinge ereigneten sich auf dieser Insel und er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Das Gefühl der Bedrohung konnte er nicht loswerden. Er fragte sich, ob derjenige, der sich Madrun nannte, nur getötet wurde, weil er den Wachen nicht gefiel.

Es war kalt wie immer und an den Öffnungen der Halle flimmerte die Luft im Kampf zwischen Wärme und Kälte. Er fühlte die Wirkung der Trinkerei ganz deutlich, aber irgendetwas ließ ihn trotzdem wachsam sein. In den Gassen vor der Halle sah er zweimal mehr Bewaffnete als vorher und von fern hörte er das Aufstampfen von Stiefeln. Die Krieger schienen hier keine richtigen Aufgaben zu haben, sondern nur zu warten und das gefiel Gölc nicht. Die anderen Gäste der Feier, die zum Pinkeln die Halle verlassen hatten, sahen diese Helme und Kettenhemden tragenden Männer nicht an.

Das Lagerfeuer war nicht weiter geschürt worden, es glomm nur noch und war verlassen. Denn dort lag Madrun, tot. Der Met brachte Gölc dazu dort hinzugehen und im schwachen Licht der Glut einen Blick auf den toten Körper zu werfen, der von den zwei Kriegern mit Kopf und Schultern in die Flammen gedrückt worden war. Madruns Gesicht war nicht mehr zu erkennen, die ganze obere Hälfte seines Oberkörpers war verkohlt und entstellt, aber unter der schwarzen Schicht war noch hellrotes Fleisch zu sehen.

Der Anblick ließ Gölc alles, was er getrunken, gegessen und noch nicht verdaut hatte, in den Schnee erbrechen. Die Bewaffneten beobachteten ihn dabei, aber sie lachten nicht wie sonst üblich.

Und in der roten Glut lag eine Hand.

Gölc erschauderte. Zwischen zwei noch glühenden Scheiten lag eine Hand mitten zwischen den rot leuchtenden Holzstücken, aber sie war vom Feuer völlig unberührt. Es war die Hand eines älteren Mannes, vor dem Handgelenk vom Arm geschlagen, aber ohne Spuren von Blut und vom Feuer unberührt. Das konnte nicht sein, Gölc wusste nun, dass Zauberei im Spiel sein musste. Selbst die Glut hätte an dieser Hand Spuren hinterlassen, wenn es eine Hand wie jede andere wäre. Und der tote Madrun hatte noch beide Hände.

Das Erbrechen hatte Gölcs Geist ein wenig geklärt und er entschied als erstes eine der Huren aufzusuchen.

In der Halle waren Huren bei solchen Festen immer damit beschäftigt volltrunkene Gäste zu vergnügen und außerhalb der Halle standen auch einige käufliche Frauen in der Kälte. Zu einer von ihnen ging er und verschwand mit ihr in die völlige Dunkelheit in einem Durchgang zwischen zwei Stallgebäuden.

„Wieso heißt dieser Ort Insel der Schatten?", fragte Gölc.

Die Hure, eine Frau von vielleicht achtzehn oder siebzehn Jahren mit leuchtend rotem Haar und Pickeln im Gesicht, war selbst schon heftig angetrunken und darum verwirrt, als Gölc sie gar nicht um des üblichen Geschäfts wegen anging.

„Warum willst du das wissen?", flüsterte sie mit leicht lallender Stimme. Sie kam wohl aus der Halle und hatte dort viel zu trinken bekommen. Aber Gölc konnte ihre Augen sehen und erkannte darin Angst.

„Sag es mir.", zischte Gölc, aber die Frau starrte ihn nur an. Er kramte zwei Silbermünzen aus seiner Lederbörse und gab sie der Frau.

Sie schwieg noch eine Weile und Gölc überlegte, ob er Gewalt anwenden sollte. Er fühlte genug Gefahr, um das zu tun.

Dann sprach sie: „Weil auf dieser Insel ein alter Fluch liegt.", sagte sie langsam. „Es sind alte Geschichten und viele glauben sie nicht."

„Das schert mich nicht!", sagte Gölc. „Erzähl sie mir!"

„Die Schatten sind die Geister der hier Verstorbenen, die Seefahrer, die das Unglück hatten hier zu zerschellen. Sie gehen hier um, um jeden zu töten und zu quälen, den sie finden."

„Davon habe ich bisher wenig bemerkt."

„Es heißt, dass der Fluch aufgehoben wurde. Hier war irgendwann mal ein Zauberer oder ein Gott, ich weiß es nicht, meine alte Großmutter hat mir diese Sachen erzählt und ich kann mich nicht richtig erinnern."

„Erzähl mir, was du gehört hast."

Aber sie fing an zu schluchzen, hemmungslos an zu schluchzen. Es war wohl die Erinnerung an ihre Großmutter, die diese Frau zum Weinen brachte, vielleicht auch einfach ihr Schicksal, eine Sklavin und Hure geworden zu sein. Die Huren in Sculdafar wurden behandelt wie Dreck und jeder durfte sich ihrer bedienen und sie behandeln wie sie wollten, denn sie waren Kriegsbeute, die Cathaer für sich beanspruchte und dann gegen Silber seinen Männern zur Verfügung stellte. Dieses Schicksal war viel schlimmer als das der Frauen, die den Eroberern in den Dörfern dienen mussten, so wie Gölcs neue Frau, von denen er sich nur das nahm, was nach altem Brauch sein Recht war und die er auch anständig behandelte, weil er sie liebte. Auf dieser Insel war so unerträglich viel Schande.

„Es tut mir leid.", zwang er sich zu sagen. „Aber nun muss ich wissen, was das für ein Fluch ist."

„Der Zauberer hat die Insel verflucht, weil er erschlagen wurde.", sagte die Frau mit fest gewordener Stimme. „Und sein Grab liegt hier irgendwo auf der Insel."

„Der alte Berg.", hörte sich Gölc sagen. „Er wird gemieden wegen der Unglückssteine."

„Vielleicht liegt er dort begraben." In der Stimme der Frau war nun kein Lallen oder Stammeln zu hören, sie sprach frei und wie von einem Entschluss getrieben zu Gölc, den sie für einen Freier gehalten hatte. „Aber seine Hand wurde abgetrennt und in Silber gelegt, wodurch der Flucht gebrochen wurde."

Ein Schaudern befiel Gölc, ein Schaudern gegen eine tiefere Kälte als die der Nacht.

„Wie heißt du?", fragte er dann.

„Surid", antwortete die Frau und brach in Tränen aus.

„Surid, ich werde versuchen dich freizukaufen.", sagte Gölc, der sein eigenes Versprechen kaum verstand.

„Nein, das wirst du nicht können.", sagte Surid und fing an zu schluchzen. „Mein Onkel wollte mich freikaufen, aber Cathaer lässt ihn nicht. Er will, dass ich eine Hure bin."

Sie musste also mit einem Mann von hohem Rang verwandt sein, dem Cathaer auf möglichst grausame Art schaden wollte, indem er dessen Nichte als Hure für seine eigenen Männer hielt, dachte Gölc.

„Ich werde trotzdem sehen, was ich für dich tun kann.", sagte er und ging wieder zur Halle zurück. Die schluchzende Hure ließ er in der Dunkelheit zurück. Er hatte nun etwas erfahren, dass er unbedingt hatte wissen wollen, obwohl er nur unbestimmt geahnt hatte, dass diese Frage von großer Wichtigkeit sein konnte.

Als er an den schweigenden Kriegern vorbei schritt, sah er, wie zwei von ihnen einen um sich schlagenden Mann in den Schatten der Halle zerrten und ihm dort einer die Kehle durchschnitt. Keiner rührte sich, als der Mann blutete, gurgelte und dann stumm wurde. Gölc stand noch eine Weile am Lagerfeuer beim toten Madrun und ging dann in die Halle zurück. Als er an den Reihen von grölenden Zechern vorbei ging und sich seinem Sitz näherte, stand Cathaer gerade auf, um mit einer sehr schönen Frau mit blondem Haar, Sommersprossen, braunen Augen, Schneefuchsfellmantel und goldenem Halsband durch eine Tür bei seinem Thron den Raum zu verlassen.

Sein Ekelgefühl wurde Gölc nicht los. In einer ledernen Tasche seines dicken Fellmantels lag die Hand.

Es war nun tief in der Nacht, das Fest dauerte bei prasselnden Feuern an und das Gefühl der Bedrohung in Duor wuchs.

Auf dieser Insel gab es nur einen einzigen Menschen, dem er zu vertrauen wagte, nämlich Gölc, auch wenn hier Vertrauen sehr gefährlich sein würde. Aber mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf meinte er in diesem Vising einen guten Menschen gefunden zu haben, mit dem er offen reden konnte.

Gölc musste bei den Huren gewesen sein, denn er war lange weg gewesen. Als er nun zurück kam, verließ Cathaer gerade mit dieser verführerisch schönen Frau die Halle. Sie war einfach durch den Raum auf Cathaer zugegangen, hatte ihm einige Worte zugeflüstert und sie waren zusammen gegangen. Fast alle Augen in der Halle hatten sich in Richtung dieser Frau umgedreht und jeder einzelne von ihnen wünschte sich wohl nicht mehr als dass die Huren in Sculdafar genauso schön wären. Nur Duor war nicht hingerissen worden von ihrer Schönheit, das Gefühl der Bedrohung hatte ihn zu sehr eingenommen, als dass in ihm jetzt noch Raum für Lust gewesen wäre. In den vielen Jahren hatte er gelernt, dass auch Frauen sehr gefährlich sein konnten.

Lange hatte Cathaer auf ihn eingeredet und ihm viel versprochen für seine Gefolgschaft. Wenn Cathaer in Hordland einfiel, könne er, Folrec, doch König über die unterworfenen Alburgen werden, solange er sie nur ruhig halte und zuverlässig Tribute zahle. Ein eigenes Reich könne König Folrec dann haben, irgendwo in Hordland, mit oder ohne visingische Besatzung und die Höhe der Abgaben ließe sich ja noch verhandeln. Duor hatte hartnäckig gesagt, dass er sich das noch überlegen müsste, er hätte einen guten Freund in Hordland und den wollte er nicht in der Schlacht erschlagen müssen, aber trotz dieser Worte hatte das lange Gespräch mit einem Fratzenlächeln Cathaers geendet.

Gölc setzte sich, griff nach seinem Trinkschädel, zog die Hand dann aber wieder zurück und löffelte Erbsensuppe, wobei er die Hälfte verschüttete. Er dachte an irgendetwas anderes.

Es wurde gegrölt, mit den Trinkschädeln auf irgendwelche Dinge angestoßen und auf den Söllern beiderseits der Tafel vergnügten sich halb besinnungslose Männer offen mit Huren. Es wurden alte Trinklieder gesungen und Knaben spielten dazu auf Flöten, aber der alte Barde Tithar beteiligte sich nicht daran, er saß da und nippte an seinem Schädel. Einige Gäste waren verschwunden und nirgendwo zu sehen, wahrscheinlich setzten sie die Feier draußen fort. In dem Getümmel blieben an den Seiten der Halle die schwer gepanzerten Leibwächter ungerührt stehen und auch der Hühne hinter Duor rührte sich nicht, was ihm ein unangenehmes Gefühl im Rücken gab.

Der alte grauhaarige Barde setzte den Trinkschädel ab, sein Blick wanderte über die Tafel und blieb dabei an Duor und Gölc hängen.

„Sie werden euch töten.", sprach er leise und er sprach auf Alburgisch. „Euch beide."

Dann verstummte der Barde und lehnte sich wieder wie dösend zurück, als wäre nichts gewesen. Duor sah aus den Augenwinkeln die Verwirrung des Hühnen. Gölc verschüttete den Rest seiner Erbsensuppe und erbleichte. Duor hoffte, dass der Hühne kein Alburgisch verstand und nicht schlau genug war, um den ungefähren Sinn der Worte in der mit dem Visingischen verwandten Sprache zu erkennen.

Duor kannte den Barden nicht, aber er sah keinen guten Grund der Warnung nicht zu folgen. Cathaers Ruf sagte genug. Irgendeinen Grund bildete sich dieser Widerling sicher ein, warum er Folrec und einen seiner eigenen Leute töten lassen wollte.

„Du brauchst Silber.", sprach Gölc auf einmal mit hastiger Stimme auf Visingisch.

„Wofür Silber?", wunderte sich Duor, der gerade an alles andere als schön glänzendes Silber gedacht hatte, viel eher schon an sein Leben.

„Wie der Barde gesagt hat, solltest du dem Fürsten ein Geschenk aus Silber geben, damit er sich leichter überzeugen lässt dir hier eine bedeutende Stellung zu geben, Folrec. Der Fürst liebt das Silber. Silber öffnet uns hier immer neue Türen."

Was das sollte, verstand Duor nicht, aber das Gerede schien irgendeinen hintergründigen Sinn haben zu müssen.

„Viel Silber?", fragte er.

„Sehr viel.", antwortete Gölc und kaute mit zitternder Hand an einem Stück Weizenbrot.

„Aber er ist doch schon sehr reich.", wunderte sich Duor und drehte sich ganz zu Gölc um, wobei er auch den Hühnen im Blick hatte, dessen Verwirrung sich wieder gelegt zu haben schien, denn die Erzählung vom Silber schien für ihn erhellend zu sein.

„Er ist reich, aber wie jeder Herrscher braucht er immer mehr. Er hat ja in der Zukunft viel vor.", sagte Gölc, der sowohl zu Folrec als auch zum Hühnen sprach, der sich zwar nicht mehr sichtbar regte, aber jedes Wort mithörte.

„Hast du Silber?", fragte Duor.

„Vielleicht. Hier in Sculdafar gibt es noch einen Hort, von dem der Fürst nichts weiß. Er ist sehr groß und gut versteckt. Wir sollten das Silber aus dem Hort holen, solange er noch mit der schönen Frau beschäftigt ist."

„Dann brechen wir auf!" Duor erhob sich. „Wohin?"

„Es ist der Hort meines Herrn Naryc. Ich muss ihn erst fragen. Wo ist er denn? Vermutlich außerhalb der Halle…"

Duor nickte und sie brachen auf, schnellen Schrittes gingen sie auf den Hallenausgang zu, vorbei an Männern, die halbnackt auf dem Tisch saßen und grölten, und solchen, die mitten auf dem Weg saßen und in Metlachen schnarchten. Zwei Gäste stritten sich um ein vielleicht fünfzehnjähriges schreiendes Mädchen und versperrten dabei dem Hühnen den Weg.

„Wo sind meine Waffen?", flüsterte Duor auf Alburgisch.

„Dort!", antwortete Gölc und zeigte auf die Hallenecke rechts vom Ausgang, wo einige Säcke lagen und davor drei Leibwächter mit Speeren auf Schemeln saßen. „Aber die sind jetzt weniger wichtig als mein Herr Naryc, der uns noch am ehesten hier rausschaffen kann. Er hat wirklich Silber und damit kann man vielleicht an einem Tor die Wachen bestechen."

Duor tat sich schwer an den Säcken mit seiner von Zwergenmeistern geschmiedeten Rüstung, seinem Schwert Feuerbann und den drei schon schläfrigen Leibwächtern vorbei zu gehen, aber seine Rüstung und sein Schwert waren ihm nicht wichtiger als sein Leben. Also ging er mit Gölc, in der Hoffnung, dass dieser untersetzte Vising wirklich sein Freund und Verbündeter geworden war und auch einen Weg aus Sculdafar und von der Insel kannte.

Cathaer war hingerissen von dieser Frau. Er hatte mit vielen Frauen geschlafen, aber jede einzelne von denen wurde von dieser einen übertroffen. Sie war einfach gekommen, um ihn zu beglücken, einfach freiwillig, aber Cathaer hatte bei ihr den Rausch der gewaltsamen Eroberung nicht vermisst. Sie unterwarf sich willenlos und schien nur den einen Wunsch zu haben ihm zu dienen, was er fast schon unheimlich fand.

Und sie war geschickt worden. Von einem Mann, der sich hier in Sculdafar aufhielt und über diese junge Frau mit Cathaer ein wundersames Geschäft abgeschlossen hatte.

Folrec war Duor, Duor Haldar, wie ihn die Alburgen nannten, Duor der Held. Er war der große, berühmte Freiheitskämpfer des Alburgenvolkes gegen Nodgard, das ihn schon im neuen Visland gejagt hatte und nun mit Cathaer einen Tausch abgeschlossen hatte. Duor gegen gewaltige Mengen an Gold und Silber und, selbstverständlich, die junge Frau, die sich jetzt in Cathaers Bett räkelte. Der Sendbote des Schwarzen Tores in Sculdafar wollte sich nicht mit einem toten Duor zufrieden geben, sondern ihn lebend seinen Meistern bringen, damit die an ihm ihre Rache üben konnten. Duor sollte gefesselt mit einem Schiff zum Hafen von Bracastal gebracht werden, wo Nodgards Truppen warteten.

„Muss er den lebend übergeben werden?", fragte er die wunderschöne nackte Frau, ein wenig enttäuscht, dass das Vergnügen durch diese geschäftliche Sache unterbrochen wurde.

„Wenn du ihn tot bringst, bekommst du nur den halben Preis.", sagte sie uns küsste ihn. In ihren tiefbraunen Augen brannte ein rotes Feuer. Diese Frau war entweder die teuerste Sklavin der Welt oder ein völlig willenlos gewordenes Geschöpf, das an Cathaer ihre Pflicht erfüllte. Aber Cathaer scherte sich nicht, ob sie das freiwillig tat oder nicht.

Er stand auf und kleidete sich wieder an. Er hatte Duor, als er noch Folrec war, auf seine Seite ziehen und zu einem abhängigen König von Hordland machen wollen. Dieser Mann hatte einen Drachen getötet und das hatte ihn, Cathaer, der sonst immer allergrößtes Misstrauen gegen alle Menschen hegte, beeindruckt.

Er hatte von Anfang an geahnt, dass mit dem Alburgen etwas nicht stimmte. Darum hatte er auch Gölc auf den Stuhl in seiner Nähe gesetzt. Gölc sah nicht aus wie jemand, der im Suff seine Geheimnisse lange für sich behalten konnte und Gölc war der Untergebene von Naryc, dem großen Widersacher in Cathaers eigenen Reihen, der sicher der Kopf der Verschwörung war oder gewesen war, denn jetzt lag er sicher irgendwo da draußen tot im Dreck.

Naryc hatte sich gegen ihn, Cathaer, verschworen, und hatte sich mit den Feinden im alten wie im neuen Visland und bei den Alburgen verbündet. Darum war Duor hierher gekommen, denn einen besseren Mörder konnte man nicht finden, wenn man Cathaer aus dem Weg schaffen wollte. Duor hatte wirklich einmal einen Drachen getötet oder schon mehrere, die Geschichten, die man in den Hafenschänken über ihn erzählte, sagten nie immer dasselbe, aber er hatte sicher keinen vor der Insel getötet. Der Drachenkopf, die Klauen und die Zacken stammten aus einem anderen Land und Duor hatte sie bei sich gehabt, als er hier an Land ging und von Gölc dem Verschwörer empfangen wurde. Mit der Geschichte einen Drachen getötet zu haben konnte man Cathaer, den Nachkommen eines Drachentöters, nämlich beeindrucken, und da Duor seinen wahren Namen nicht verraten durfte, hatte er ihm weiß machen müssen, er hätte als Folrec der Söldner einen Drachen vor der Insel getötet, damit er als Gast aufgenommen wurde und eine Gelegenheit bekam Cathaer zu töten. So war es geplant worden, aber es sollte nicht gelingen.

Er trat wieder in die Halle, wo sich das Fest inzwischen in eine Ansammlung von halb besinnungslosen Säufern verwandelt hatte. Er sah Ergars, wie er gerade mit Darg redete, um ihn aus der Halle zu holen und dort unauffällig in eine andere Welt zu schaffen. Er winkte Ergars zu sich, der sofort folgte. Dabei fiel Cathaer auf, dass weder Duor noch Gölc oder Naryc in der Halle waren und das gefiel ihm nicht.

„Wo ist Naryc?", fragte er Ergars.

„Er ist pinkeln gegangen. Draußen sind Leute, die ihn erwartet haben. Er ist jetzt sicher tot."

„Und Duor?"

„Duor?"

„Folrec. Er nennt sich Folrec, aber er ist Duor Haldar, von dem du sicher schon gehört hast.", sagte Cathaer und überging dabei Ergars' Verwunderung. „Wo ist er? Und wo ist der kleine Hurensohn Gölc?"

„Ich weiß nicht.", sagte Ergars.

Dafür bekam er einen harten Schlag mit der flachen Hand und fiel hin.

„Finde ihn. Fessele Duor und schneide Gölc die Kehle durch! Beeil dich! Und wenn du schon dabei bist, scaff mir Bodrar, Rudo, Suld, Ascam und Rurd aus dem Weg!", zischte Cathaer. Ergars eilte aus der Halle und Cathaer setzte sich wieder hin, um in seinen Trinkschädel zu starren und finstere Gedanken auszubrüten.

„Lasst das! Weg mit der Klinge!", brüllte der Hühne.

Narycs Atem ging schnell, seine Arme wurden ihm von zwei Männern hinter dem Rücken festgehalten, während ein dritter seinen Kopf herunterdrückte und sein Schwert an die Kehle hielt.

„Warum?", brüllte der dritte Mann zurück.

„Er hat einen Silberhort!", schnaubte der Hühne und ging auf die drei Männer zu. Sie gehörten zu Cathaers Leibwache und trugen Maskenhelme, Kettenhemden und Schwerter und sie waren von den drei anderen Gestalten, darunter dem Hühnen, überrascht worden.

„Bleib wo du bist!", schrie der dritte Mann und hielt sein Schwert auf den Hühnen zu. „Ergars hat uns das befohlen und Ergars befiehlt nur, was Cathaer will."

„Er soll sagen, wo das Silber ist!", knurrte der Hühne. Er war wütend und seine riesige rechte Hand lag am Griff seines großen Schwertes. „Silber?", stöhnte Naryc, aus dessen Gesicht Blut tropfte.

Gölc hoffte, dass die erlogene Geschichte von dem Silber Naryc das Leben retten würde. Aber das musste nicht so kommen.

„Wer bist du überhaupt?", zischte ein Leibwächter und meinte den Hühnen.

„Ich bin Scolf!", knurrte der Hühne. „Lasst ihn los oder ich schlage euch die Köpfe ab!"

„Scolf? Ich sehe dein Gesicht nicht."

Kein einziges Gesicht war zu erkennen und Gölc hatte seinen Herrn nur durch dessen Schmerzensschreie gefunden. Sie standen alle in der völligen Dunkelheit hinter der Halle, wo keine Fackel Licht brachte. Es war ein guter Ort für einen unauffälligen Mord. In einer anderen Gasse waren zwei Huren zu sehen und von irgendwoher kamen Schreie.

„Und wer sollen die anderen sein?", schrie ein anderer Leibwächter und meinte damit Gölc und Folrec, die abseits standen.

„Jetzt lass ihn los!", brüllte der Hühne.

„Der hat dich doch nur bestochen!", schrie der Leibwächter mit dem Schwert.

Das ließ im Kopf des Hühnen einen Faden reißen. Er riss mit einer gewaltigen Bewegung sein großes Schwert aus der Scheide und traf Blut verspritzend das Gesicht des Leibwächters, dessen Schwert in hohem Bogen wegflog. Die anderen Leibwächter rissen Naryc zurück, einer zog sein Schwert und stach es in Narycs Brust, gleich darauf schlug der Hühne diesem zweiten Leibwächter den Hals durch und stürzte sich auf den dritten. Er hielt mitten in der Bewegung an, denn Folrec schlug ihm mit dem Schwert des ersten Leibwächters in die linke Kniekehle, was den Hühnen brüllen und nach hinten zurückfallen ließ. Folrec schlug sofort mit dem Schwert zu, Gölc schlug dem verwirrten dritten Leibwächter mit der Faust ins Gesicht und Folrec schlug sein Schwert auf den Kopf des Mannes.

Dann waren sie alle tot, alle bis auf Folrec und Gölc. Die drei Leibwächter, der Hühne und Naryc lagen tot auf dem gefrorenen Boden neben der Holzwand der Halle, aus der ein ständiges Grölen und Lachen zu hören war. Gölc dankte für die Dunkelheit, denn er hasste es schlimm zugerichtete Tote zu sehen.

„Du kannst gut kämpfen.", konnte er nur zu Folrec sagen.

„Ich bin Duor Stulgardson, auch Duor Haldar genannt.", sagte Folrec dann.

Gölc musste schlucken, denn den Namen kannte er und jetzt konnte er sich über nichts mehr wundern.

„Hat uns jemand beobachtet?", fragte Folrec, der zu Duor geworden war.

Gölc blickte sich um. Sie waren umgeben von geschlossen aneinander stehenden Nebengebäuden der Halle. Die Gestalten in einiger Entfernung schienen sie nicht beachtet zu haben und das Grölen der Feiernden schien das Brüllen der Streitenden und das Schreien der Sterbenden überdeckt zu haben. Weiter waren von irgendwo Schreie zu hören.

„Das sind die Schatten.", sagte Gölc.

„Wer?", fragte Duor, der gerade die im Dunkeln liegenden Toten durchsuchte.

„Ein Fluch wurde über diese Insel ausgesprochen und jetzt wirkt er wieder. Verstorbene gehen jetzt als Schatten um. Sie töten jeden, den sie finden."

„Wie?"

Gölc verstand die Frage nicht. „Ich weiß nicht. Aber sie sind da."

„Nein. Warum jetzt?", fragte Duor. Er wühlte an den Kettenhemden herum.

„Ein Mann ist hierher gekommen und hat geschrien, dass da draußen Schatten umgehen. Sie kommen vom alten Berg."

Duor verharrte und schwieg kurz. „Davon habe ich gehört."

„Du hast davon gehört?"

„Ich habe mich schon in vielen Hafenschänken herumgetrieben und schon viele Alte Geschichten erzählen gehört. Auf dieser Insel saß einmal ein dunkler Herrscher. Er wurde ermordet aber mit seinen letzten Atemzugen sprach er einen solchen Fluch aus. Darum schlug man ihm die Schwurhand, mit der er das getan hatte, ab, damit der Fluch seine Wirksamkeit verliert.", sagte Duor und zog anscheinend einem Leibwächter das Kettenhemd aus. „Warum soll der Fluch wieder wirksam sein?"

Gölc hatte Angst. Er wollte nicht hier sein im Schatten der Halle, in der ein Scheusal herrschte, in der tiefsten Nacht auf einer verfluchten Insel, auf der mörderische Schatten wandelten und bei einem Haufen Erschlagener, unter denen auch sein eigener Herr war, an dem er gehangen hatte wie an einem guten Freund und Onkel in einem.

„Die Hand wurde in Silber gelegt. Nur so verlor der Fluch seine Wirksamkeit."

„Kann gut sein. Ein Weiser hat mir erzählt, dass Silber so etwas bewirken kann."

„Eine Hure hat mir das erzählt."

„Ah!" Duor dachte kurz nach, denn riss er dem toten Leibwächter das Kettenhemd vom Leib. „Für Hurenspielchen bleibt jetzt keine Zeit. Zieh das Kettenhemd und den Helm hier an. Dann siehst du wie einer von ihnen aus. Da klebt jetzt viel Blut dran, aber du kannst ja sagen, dass du einen Auftrag von Cathaer hattest."

„Warum?"

„Wir müssen hier raus. Ich muss in die Halle, denn ich brauche mein Schwert. Mit meinem Schwert kann ich mich mit dir bis zum Meer durchschlagen und in Balhars den Walfänger Scuri finden, der das Meer auch im Winter befahren kann. Dann bringe ich ihn dazu uns beide von dieser Insel wegzubringen und dann schlagen wir uns zusammen nach Hordland durch, wo wir vor Cathaer sicher sein werden."

Nach Hordland sollte er also, in das bergige Land der Alburgen, wo man gefangene Visingen häutete und an Bäume nagelte. Aber zusammen mit Duor Haldar war das sicher besser als auf der Insel der Schatten zu bleiben. Jetzt, wo sein Herr Naryc tot war, hatte Gölc endgültig jede Heimat verloren und musste eine neue finden.

„Aber du willst in die Halle?", stammelte er.

„Das ist gefährlich.", gab Duor zu und zog jetzt einem zweiten Leibwächter das Kettenhemd aus. „Da drinnen herrscht keine Ordnung. Ich kann es schaffen. Am besten wäre es, wenn du mitkämst. Cathaer schläft gerade mit dieser blonden Schönheit, also werden wir vermutlich den ganzen Rest der Nacht nichts mehr von ihm sehen und er wird uns wohl nicht erkennen, wenn wir da hinein gehen. Hast du diese Frau eigentlich vorher schon einmal gesehen?"

„Nein."

„Das ist nicht gut. Welche Frau schläft schon freiwillig mit diesem Ungeheuer? Sie muss verhext sein."

„Von wem?"

„Zieh das Kettenhemd und den Helm an, Gölc. Ich weiß nicht von wem. Vielleicht ist es ein Schattenherr."

„Wie? Einer von denen da draußen?", fragte Gölc, als er sich das Kettenhemd anzog, wobei seine Finger von dem Blut schmierig wurden.

„Nein, ein Schattenherr ist etwas anderes. Das sind dunkle Zauberer. Solche Leute werden von Nodgard geschickt. Ich hatte schon mit mehr als einem von ihnen zu tun. Sei froh, dass du noch keinem begegnet bist."

Gölc zitterte. Ob es an den Schattenherren, an dem kalten Eisen des Kettenhemdes und des Helms oder an dem Geruch von frischem, noch warmem Blut lag, wusste er nicht.

„Wir brauchen Pferde.", sagte er dann.

„Wo bekommen wir welche?", fragte Duor.

„In den Ställen. Whondabris, meine Stute, ist auch dort."

„Dann gehen wir jetzt erst einmal in die Halle und ich hole meine Sachen.", sagte Duor. Sein Kettenhemd glänzte im schwachen Licht. „Und wenn ich meine eigene Rüstung und Feuerbann habe, bleibt uns zu hoffen, dass ich, mein Schwert und viel Mut reichen, um lebend nach Balhars zu kommen."

„Hoffen wir es."

„Dann los."

Sie marschierten mit klimpernden Kettenhemden los.

„Duor, ich habe die Hand.", sagte Gölc dann.

Duor blieb verblüfft stehen. „Du hast die Hand?"

Gölc nickte und zeigte auf seinen Mantel.

„Behalt sie dort.", sagte Duor dann leise. Von vorne waren Schmerzensschreie zu hören. „Vielleicht nützt sie uns irgendwann."

An der Ecke zur Vorderseite der Halle traten sie wieder ins Licht. Es fing wieder an zu schneien und es sah nach einem Schneesturm aus, denn dünne Flocken wirbelten herum und gingen dann in Schauern auf den von Fackeln und Lagerfeuern erleuchteten Platz nieder. Sie hörten Menschen brüllen, schreien und grölen. Irgendein ruppiger Kriegsgesang wurde angestimmt. Ein Toter lag auf dem Boden.

Sie liefen in eine Gruppe von fünf Leibwächtern hinein, die einen blutenden Mann mit sich führten. Gölc erkannte in dem blutenden Mann den wackeren Rurd. Er stöhnte leise. Die fünf Leibwächter blieben verblüfft stehen, als vor ihnen Gölc und Duor auftauchten. Sie erkannten sie nicht, aber Gölc war klar, dass sie mit ihren blutbeschmierten Rüstungen nicht gut aussahen.

„Unserer hat sich gewehrt.", knurrte Duor. „Viel Spaß mit eurem hier."

Die Männer mit den Maskenhelmen bedankten sich und dann marschierten sie mit Rurd vorbei, der nicht mehr versuchte sich zu wehren, sondern nur noch zuckte. Gleich würde er tot sein und Gölc fühlte sich elend. Rurd war ein guter Mann und er stammte aus derselben Gegend wie er selbst.

„Warte!", sagte er vor dem Halleneingang. „Es gibt da noch jemanden, den ich mitnehmen will. Eine Hure."

„Soll das ein Scherz sein?", zischte Duor und dabei war seine Stimme so einschüchternd böse, dass Gölc zurückzuckte.

„Ich habe es ihr versprochen.", sagte er dann aber.

Duor sagte nichts, sondern starrte ihn nur an. Rauch und flimmernd warme Luft entstoben aus der halb geöffneten Tür. Zwei Männer prügelten sich dort, bis einer im Schnee lag.

„Dann gib mir den Helm.", sagte er mit Enttäuschung im Gesicht. „Viel Zeit haben wir nicht."

Gölc gab ihm den Helm und sie trennten sich. Duor ging an dem Mann, der gerade den am Boden Liegenden niedergeschlagen hatte und sich nun irgendetwas lallend an die Tür lehnte, vorbei und trat in die Halle ein. Gölc ging über den Platz, vorbei an dem Toten. Cathaers Helfer bemühten sich nicht einmal mehr um Verborgenheit, diesem Mann hier war wohl einfach eine Axt in den Bauch geschlagen worden und dann hatte man ihn hier verbluten lassen, während nur wenige Schritte entfernt Krieger an den prasselnden Lagerfeuern miteinander plauderten, sich frierende Huren an die Häuserwände kauerten und Betrunkene grölten. Gölc hoffte, dass sie ihn alle für einen Leibwächter Cathaers hielten. Er hoffte, dass er noch nicht gesucht wurde. Zwei andere Leibwächter trieben einen wimmernden Sklavenjungen, der vielleicht um Brot gebettelt hatte, mit Ruten weg und riefen Gölc irgendetwas zu. Er schüttelte nur den Kopf und suchte Surid. Er hatte ihr versprochen sie von hier wegzubringen und dieses Versprechen wollte er halten. Weder Lust noch Liebe hatten ihm zu diesem merkwürdigen Versprechen gebracht, denn seine große Liebe war in seinem Dorf an der Südküste und er hoffte bei Thira bleiben zu können.

Sein Blick blieb kurz an den Schädeln von Rothgyr und Aruc hängen, deren leere Augen ihn erfreut anzusehen schienen, als er, der Cathaer jetzt verriet, über den Platz ging. Seit den großen Siegesfeierlichkeiten war er nicht mehr in Sculdafar gewesen und die Sitten hier erschraken ihn nun. Es stimmte wirklich, Cathaers Zuneigung galt nicht den ehrlichen Kriegern, sondern den bewaffneten Gesetzlosen, die sich nicht um Recht uns Sitte scherten und nur vor solchen Schandtaten zurückschrekten, die Cathaer selbst stören konnten. Bei einem anderen Feuer lag noch ein Toter, ein magerer Sklave, den die Bewaffneten aus irgendeinem Grund mit Knüppeln totgeschlagen hatten. Und sogar hier trieben es Betrunkene offen mit den Frauen. Das alles widerte Gölc so an, denn für so ein Leben war er nicht geschaffen. Das Leben, das er sich wünschte, war das eines Bauern auf seinem eigenen Hof mit einer schönen Frau und lieben Kindern. Als Teil von Cathaers Horde würde er so etwas niemals erreichen. Hoffentlich gelang es ihm Thira noch mitzunehmen, wenn er es überhaupt schaffte von der Insel zu entkommen. Er stieß in seiner Verwirrung mit einem schwarzhaarigen Mann zusammen, der sich aber nicht beschwerte, wohl weil Gölc mit seinem blutigen Kettenhemd wie zu jeder Schandtat bereit aussah. Er hoffte, dass Duor nicht erkannt und aufgegriffen wurde.

Irgendwann fand er Surid. Sie wurde von zwei Betrunkenen bedrängt und Gölc musste sein Schwert ziehen, damit sie von ihr abließen.

„Ich bringe dich weg von hier.", sagte er.

Sie sagte nichts und nickte nur. Er wunderte sich ständig, warum er versprochen hatte sie von hier wegzuholen. Auf der ganzen Insel gab es hunderte, wenn nicht tausende junge Frauen mit einem ähnlichen Schicksal, aber dieser einen hatte er versprochen sie zu retten und er hielt seine Versprechen.

„Wir gehen zu den Ställen.", erklärte er, als sie möglichst unauffällig zwischen den Betrunkenen hindurch gingen und ihnen der Schnee ins Gesicht fiel. Die Hallentüren waren noch immer halb offen und die warme Luft flimmerte dort wie in einem Glutofen. Aber Duor ließ noch immer auf sich warten. Gölc betete zu allen Göttern, dass er raus kam, denn an diesen Alburgen, der unter den Visingen so verhasst war, hing nun sein eigenes Schicksal.

„Wer ist dein Vater?", fragte er, aber sie blieb stumm und fasste nur seine Hand.

Sie kamen zu den Ställen. In der Nähe war das Lagerfeuer, in das Madrun gedrückt worden war, schon verloschen. Schnee hatte sich auf den verkohlten Leichnam gelegt. Duor ließ sich noch immer nicht blicken. Zwei Wachen mit Speeren standen vor dem Eingang. Gölc wollte vermeiden mit ihnen in Berührung zu kommen, denn sie stellten vielleicht lästige Fragen, die er nicht beantworten konnte. Also ging er mit Surid erst einmal um den Stall herum und kam zur dunklen hinteren Seite. Vor der Wand des Stalles war ein großes Loch, das jemand unter großen Anstrengungen in den gefrorenen Boden gegraben haben musste.

„Dort haben sie eine Truhe mit Silber ausgegraben.", sagte Surid matt.

Gölc nickte. In der Truhe hatte sich sicher nicht nur Silber befunden.

Er hatte große Angst, dass Duor nicht kam. Und er kam noch immer nicht. Also beschloss Gölc erst einmal in den Stall hinein zu gehen und die Pferde zu holen. Wenn Duor niemals herauskommen sollte, konnte er dann immer noch versuchen allein mit Surid aus Sculdafar zu entkommen.

Dann sah er einen Schatten.

Er drückte seine Hand auf Surids Mund und drückte sich mit ihr gegen die Holzwand des Stalles. Es war ein Schatten, eine dünne menschliche Gestalt, die aussah wie zerfließende Dunkelheit. Im Halbdunkel war er schwach zu sehen, wie er an der Wand eines Langhauses stand und sich nicht rührte. Er fühlte Surids Zittern. Er selbst zitterte. Das war kein Mensch, sondern ein Schatten, der in Sculdafar zwischen den Menschen umher streifte und das nur tat um zu töten. Gölc und Surid drückten sich an die Stallwand. Von drinnen war das Schnauben eines Pferdes zu hören. Sie waren umzingelt von Ungeheuern, solchen, die menschlich waren, und solchen, die einst menschlich gewesen waren. Nur wussten diese Ungeheuer nicht, dass ihre Beute unter ihnen war und hoffentlich bemerkten sie die Beute auch nicht. Eine Frau huschte ein Stück weiter durch die Gasse und murmelte etwas. Irgendwo wieherte ein Pferd und ein Kind weinte. Der Schatten aber rührte sich nicht und dann verschwand er.

Gölc nahm die Hand von Surids Mund und atmete tief durch. Dann warteten sie beide eine Weile und gingen dann die Wand entlang weiter, blieben vor dem Häuserdurchgang, in den der Schatten verschwunden war, kurz stehen und starrten hinein, aber dort war nur Dunkelheit und ein Schatten war nicht zu erkennen. Mit bis zum Hals schlagendem Herz gingen sie weiter bis sie ganz nahe beim Eingang waren und die zwei Wächter miteinander reden hörten. Es ging um Frauen.

Dann war von der Halle Waffengeklirr zu hören und Gölc wusste, dass nichts gelungen war. Stattdessen zog er sein Schwert und stürzte sich um die Ecke auf die zwei Wächter.

Er hörte, wie Duor in der Halle kämpfte, brüllte und Cathaers Männer ihn verfluchten. Bewaffnete rannten durch das Schneegestöber über den Platz vor der Halle, um Cathaers Männern zu helfen. Gölc kämpfte gegen die zwei völlig überraschten Wächter. Dem ersten, der an die Wand lehnte, stach er die Klinge in den Bauch, dem zweiten, der auf einem Schemel neben einem Feuer saß, schlug er die Speerspitze ab und dann schlug er auf seinen Kopf ein, bis der Mann tot am Boden lag. Er sah sich um. Von irgendwo anders war noch Waffengeklirr zu hören, die Krieger an den Palisaden wurden von den Schatten angegriffen. Niemand von den ein Stück weiter entfernt sitzenden, völlig betrunkenen Männern hatte bemerkt, wie er die zwei Wächter erschlagen hatte. Er rannte mit Surid in den Stall hinein. Mindestens zwei Dutzend Pferde standen dort zu beiden Seiten hinter zwei hölzernen Zäunen, sahen die Eindringlinge im Dunklen verdutzt an oder aßen Heu.

„Whondabris!", rief er und ein Pferd wieherte.

Er hatte sein schönes Pferd gefunden, das er nicht in Sculdafar zurücklassen wollte. Er hastete an dem rechten Holzgatter entlang, wobei er seinen Weg ertasten musste, bis er die Öffnung gefunden hatte, stieß den Riegel auf und holte Whondabris, deren völlig dunkle Gestalt er bei dem schwachen Licht irgendwie fand, und noch zwei andere Pferde. Er konnte die Tiere im Dunkeln kaum sehen, hoffte aber, dass sie kräftig genug waren, um Surid und vielleicht auch Duor bis nach Balhars zu tragen. Neben der Tür hingen Zaumzeuge, Zügel und Sättel. Hastig, aber geübt legte er den Tieren die Dinger an und Surid half ihm dabei, als hätte sie das schon immer getan.

Als er draußen ankam und fast über die zwei Toten stolperte, sah er Duor aus der Halle heraus rennen.

Er hielt in seiner Linken einen Sack über seiner Schulter, in der wohl die Rüstung sein musste, und in der Rechten sein großes, langes Schwert, das im Licht der Fackeln aus der Halle feurig schimmerte. Er trug noch immer das blutige Kettenhemd, aber den Helm hatte er verloren, vielleicht auch absichtlich weggeworfen, um seine Feinde wissen zu lassen, wen sie da zu erschlagen versuchten. Und seine Feinde kamen mit Speeren, Äxten und Schwertern aus der Halle und von draußen. Er wehrte sich, teilte Hiebe aus, Gegner fielen blutend zu Boden und dabei stieß er wütende Flüche in der Sprache seines Volkes aus.

Dann sah Gölc den Schattenherrn.

Es war der schwarzhaarige Mann, mit dem Gölc vorher zusammengestoßen war. Er war gekleidet wie ein ranghoher Vising und trat mit langsamen Schritten aus der Menge der Gaffer, der Huren, Sklaven und Betrunkenen heraus. Dann richtete er seine Hände in einer langen geschwungenen Bewegung auf Duor, öffnete den Mund und sprach dunkle Worte in einer Sprache, die Gölc noch nie zuvor gehört hatte. Seine dünnen Finger bildeten ein Dreieck und darin glomm aus dem Nichts rotes Feuer auf.

Duor schlug gerade einen von hinten gekommenen Angreifer nieder, als er den Zauberer und das rote Feuer sah. Die Angreifer aus der Halle sahen es auch und blieben verwirrt stehen, während Duor sich zur Seite warf.

Der Eingang der Halle ging in einer plötzlichen Feuersbrunst auf. Brennende Menschen liefen schreiend umher, sterbende menschliche Fackeln krümmten sich, Schnee ging auf das entsetzliche Schauspiel nieder und Gölc galoppierte auf Whondabris mit gezogenem Schwert auf den Zauberer zu.

Der Schattenherr wurde von dem plötzlichen Angriff überrascht, stieß mit Whondabris Flanke zusammen und fiel in den Schnee, aber Gölcs Schwerthieb verfehlte ihn. Als der Mann im Schnee lag, verzog sich sein Gesicht mit sich verengenden Augen und gebleckten Zähnen zu dem eines Ungeheuers, er zog sein Schwert und wollte angreifen, als Whondabris wiehernd nach ihm stieß und er sich wegrollen musste. Er wollte noch einmal angreifen, sah sich um, aber dann erschrak er, denn Duor stürmte auf ihn zu.

Wie ein von den Toten gekommener Held der Vorzeit stürzte sich Duor in den Kampf und schlug mit Feuerbann und einer erbeuteten Streitaxt nach dem Zauberer, der sich mit seinem Schwert wehrte, zischend hin und zurück sprang und dabei Verwünschungen in seiner dunklen Sprache ausstieß. Aber gegen Duor konnte er nicht viel ausrichten, er war schwächer und langsamer, seine Flüche halfen ihm nicht. Den ersten Schlag von Feuerbann konnte er mühsam abwehren, der Streitaxt wich er knapp aus, den dritten Schwerthieb wehrte er ab, dann schlug Duor so kräftig mit der Streitaxt zu, dass sie sich mit dem Schwert des Zauberers verhakte und Duor seinem Gegner das Schwert aus den Händen riss. Der Zauberer stieß einen Schrei von Wut und Angst aus, wendete sich zur Flucht und dabei zerriss sein sich verändernder Körper seine Kleider, als er sich in ein haariges Untier verwandelte. Mit einem hasserfüllten Brüllen warf Duor das Schwert des Zauberers weg und seinem Gegner die Axt hinterher. Knirschend traf die Streitaxt den halb verwandelten Mann in den Rücken, jaulend blieb der Schattenherr stehen und fiel in menschlicher Gestalt halb entkleidet hin.

Duor starrte seinen toten Gegner kurz wie ungläubig an, dann rannte er zu dem dritten reiterlosen Pferd hin. „Weg hier!", rief er und stieg in den Sattel.

„Ich kenne den Weg!", sagte Gölc und trieb die schnelle Whondabris an. Zusammen mit Duor und Surid stürmte er durch die Gassen. Bewaffnete wie unbewaffnete Menschen sprangen den galoppierenden Pferden aus dem Weg. Eine kleine Gruppe von Bewaffneten versuchte sie vergeblich einzuholen, während Cathaers Halle von den Flammen aufgezehrt wurde und sich Schatten zwischen den Häusern bewegten. Das Tor, zu dem sie ritten, war geöffnet. Zwei Dutzend Krieger standen dort und wurden von den drei Reitern überrascht. Duor trieb sein Pferd an und stürmte in wildem Galopp in die Menge der Wachen, auf die er mit Feuerbann einschlug, bis fünf von ihnen tot am Boden lagen und der Rest verängstigt den Weg frei machte. Als sie die Befestigungen von Sculdafar hinter sich gelassen hatten und im verschneiten Land verschwanden, fing Duor an zu jubeln.

Siebter Teil: Gewinn und Verlust

Cathaer tat etwas, das er sonst nicht über sich bringen konnte. Er gestand sich selbst gegenüber ein, dass er sich geirrt hatte. Das auch vor seinen Leuten einzugestehen war nicht nötig, denn sein Gefolge stand nicht aus Achtung und Liebe, sondern aus Furcht und Gier hinter ihm. Und darum konnte er vor anderen keinen Irrtum eingestehen. Was geschehen war, zwang ihn nun aber, gegenüber sich selbst einen Fehler zu bekennen.

Niemand hatte versucht Sculdafar im Sturm zu nehmen. Naryc und die anderen hatten sich nicht für diesen Tag gegen ihn verschworen. Und Duor war wohl rein zufällig auf diese Insel gekommen.

Nun brannte seine Halle lichterloh. Dank Duor und der Dummheit des Sendboten Nodgards hatte er durch das Schwert und das Feuer fast vierzig Gefolgsleute verloren. Viele der Brandopfer waren zu betrunken gewesen, um noch vor den Flammen zu fliehen. Einige hatte Duor außerhalb der Halle und einige in der Halle erschlagen. Zu den Toten gehörte auch Scolf, dessen Tod Cathaer wirklich schade fand. Er war hinter der Halle zusammen mit dem toten Naryc und drei toten Leibwächtern gefunden worden. Scolf war immer zu dumm gewesen um wirklich seinen eigenen Herrn entmachten zu wollen, stattdessen hatte er einfache Aufgaben, die nicht zu viel Schläue erforderten, immer gewissenhaft und mit der üblichen Grausamkeit erfüllt.

Mit der Halle hatte er eine wunderbare Schlafstätte mit einigen hübschen Sachen verloren. Drei andere Häuser hatten auch Feuer gefangen, aber der schwere Schneesturm hatte wenigstens verhindert, dass ganz Sculdafar in Asche verging, die die Schätze waren gerettet worden.

Tiefer saß die Demütigung. Duor, Gölc und irgendeine mit ihnen reitende junge Frau waren ihm entkommen. Dazu kam noch, dass in Sculdafar jetzt Panik herrschte. Statt bewaffneter Verräter waren nun lautlose Schatten seine Feinde, die allein in dieser Nacht innerhalb der Palisaden etwa zwanzig Menschen umgebracht hatten. Nun fürchtete Cathaer ernsthaft, dass der uralte Fluch, der auf dieser Insel lag und nun wieder wirksam war, ihn mit seinem ganzen Gefolge vernichten würde, bevor er diesen Ort über das Meer wieder verlassen konnte.

Die junge Frau, die gestern einfach durch die Halle gegangen war, um mit ihm zu schlafen und ein Geschäft abzuschließen, war wie verwandelt. Sie kauerte heulend und wimmernd an einer Wand und rührte sich nicht. Der Zauber, mit dem sie wohl belegt war, musste erloschen sein. Vielleicht lag es daran, dass vor der niedergebrannten Halle jetzt ein toter Schattenherr aus Nodgard im Schnee lag, wie ihm die Leute berichteten. Ein wenig Anerkennung gegenüber Duor empfand er angesichts des toten Schattenherrn doch, fand Cathaer. So jemanden ins Jenseits zu befördern war eine ganz anständige Leistung. Cathaer bewunderte Duor sogar ein wenig dafür, wie der Alburge in die Halle eingetreten, dort von den Wachen in ein Gespräch verwickelt worden und aufgeflogen war, sich aber trotzdem aus der Halle hatte herauskämpfen können. Trotzdem hatte Duor ihn gedemütigt und verdiente darum den Tod.

Dummerweise war Tithar verschwunden. Der alte Barde war wohl in der Halle verbrannt wie die vielen anderen, denn sonst hätte man ihn sicher irgendwo gefunden. Obwohl der alte Mann mit dem großen Wissen um alle möglichen Dinge fehlte, hatte Cathaer noch vor Tagesanbruch in Erfahrung bringen können, wie man den Fluch vielleicht aufheben konnte. Seine Leute hatten dazu fast jeden Sklaven, der in Sculdafar ein gewisses Alter hatte, nach den alten Geschichten über diese Insel befragt. Jetzt wusste Cathaer, dass die abgeschlagene Hand, die hinter dem Pferdestall gefunden worden war, mit Silber eingedeckt werden musste, wenn man die Wirksamkeit des Fluches verhindern wollte. Die Hand war ja auch in einer Truhe mit Silbermünzen gefunden worden.

Als ihm ein Leibwächter berichtete, die Hand sei nirgendwo zu finden, auch nicht in dem Lagerfeuer, in das sie von Scolf geworfen worden sei, spaltete ihm Cathaer mit seiner Axt den Kopf. Aber irgendwer musste die Hand bei sich haben und für Cathaer kamen nur Duor, Gölc und die junge Frau in Frage. Darum verließ er in der beginnenden Dämmerung, als der Schneesturm nachgelassen hatte, Sculdafar mit zweihundert bewaffneten Reitern, um die drei Feinde zu jagen, zu töten und ihnen die Hand abzunehmen, und mit einem Sack voll Silbermünzen. Cathaer war ein guter Jäger, ob er nun Menschen jagte oder Tiere. Nun spürte er, dass seine Beute die Insel noch nicht verlassen hatte, auf der bis vor kurzem noch ein Schneesturm getobt hatte und auf der Schatten umher gingen.

In Balhars herrschte noch immer panische Angst unter den Bewohnern, den Sklaven wie den Freien, auch wenn jetzt der Tag anbrach und die Zeit der Schatten damit endete. Aber die Nacht würde bald wiederkommen und sie dauerte im Winter immer sehr lange, während die Tage nur kurze Lichtzeiten und meist so dunkel wie Frühlingsdämmerungen waren. Der Sturm hatte auf dem Meer getobt und auf ständigen Schneefall auf die Siedlung niedergehen lassen, während die Schatten kamen, lautlos und nur selten zu erkennen. Fünf Menschen waren in dieser Nacht von ihnen getötet worden, die sich außerhalb der Häuser herumgetrieben hatten. Zwei Sklaven waren in einem Ausbruch von Panik von den Bewachern erschlagen worden. Feuerlicht schien die Schatten ein wenig abzuschrecken, also hatten sich die meisten Bewohner von Balhars um große Feuer geschart und gehofft, dass es die Schatten, die in den dunklen Ecken von Häuserdurchgängen und unter den Hängen manchmal schwach zu erkennen waren, fernhielt. Aber mit einfachen Waffen konnte man die Schatten wohl nicht töten, eines ihrer fünf Opfer hatte das versucht. Wenn man nicht bald ein Mittel gegen diese Wesen fand und der Fluch fortbestand, würde es Balhars im nächsten Winter sicher nicht mehr geben.

Scuri der Walfänger wollte nicht auf Wunder warten und auf den Schutz durch Fürst Cathaer vertraute er ohnehin nicht. Er hasste die Leute, die seit fünf Monaten über die Insel herrschten. Zu seinem Glück hatten sie ihn leben lassen weil er ein so guter Seemann war, der beste auf der ganzen Insel, vielleicht sogar der beste unter allen Visingen, sagten die Leute. Man sagte, einer von Scuris Vorfahren sei eine Meeresgöttin und vielleicht stimmte das auch, denn das wilde Meer war seine Heimat und bisher hatte noch kein noch so mörderischer Sturm seine wackligen Boote kentern lassen können. Scuri, sagte man, hielt jedes Boot und jedes Schiff aufrecht und das bei jedem Wetter. Weil er ein so guter Seemann war, verziehen ihm die Leute auch seine stets eigenbrötlerische und verschlossene Art.

Verschlossen war er in der Tat und diesmal hatte er seine Entscheidung die Insel zu verlassen auch alleine getroffen. Sein Schiff war klein und schmal. Seine Frau, Seine zwei Söhne, die ihn irgendwann als die besten Seefahrer der Insel übertreffen würden, wenn sie das nicht schon getan hatten, ihre Frauen, seine zwei Enkeltöchter, seine drei Freunde und seine zwei Gehilfen mit ihren Frauen und Kindern waren benachrichtigt worden und sie hatten niemandem sonst erzählt, dass Scuri die Insel verlassen wollte. Hätten sie es getan, wäre das Boot von Flüchtlingen überrannt worden und schließlich unter ihrer Last gesunken. Scuri waren ohnehin fast alle Menschen zuwider. Das Überleben wollte er nur denen gönnen, die er schätzte, und denen, auf die diese Leute nicht verzichten konnten.

Im Morgengrauen verließen die neunzehn Menschen leise und unauffällig die Feuerstellen, an denen die anderen Bewohner der Siedlung, darunter die gefesselten Sklaven, in Mäntel gehüllt und eng aneinander gedrängt schliefen. Die meisten hatten die ganze Nacht hindurch kein Auge geschlossen und erst beim ersten Morgenlicht dem Verlangen nach Schlaf nachgegeben. Gerade da verließen die neunzehn die Insel und wurden von niemandem bemerkt. Sie nahmen nur das mit sich, was sie für eine Überfahrt in das Visingreich von Husbran unbedingt brauchten. Gerstenbrot, getrockneten Fisch, gesalzene Dickmilch, einige alte Äpfel und Fässer mit Dünnbier und Wasser mussten als Verpflegung reichen. Zwei Zinntöpfe würden in der Ferne für das Kochen reichen. Sonst nahmen sie nur noch die wenigen Silbermünzen mit, die ihnen Cathaer gelassen hatte. Scuri mochte der beste Seemann aller Zeiten sein, aber er hatte Angst, dass zu viel Gewicht sein Boot hinunter ziehen würde. Andere Seeleute beschwerten den Rumpf ihrer Schiffe eigens um die Schiffe in gefährlichen Gewässern ruhiger zu halten. Scuri hingegen wollte wenig Lasten haben, denn wo er wenig beschwert war, war er der Meister.

Sie wateten durch das kalte, schäumende Wasser. Das Schiff war über lange Taue an Pflöcke am Kiesstrand festgebunden. Diesmal würden sie die Knoten an den Pflöcken nicht lösen können. Sie stiegen auf das Schiff und Scuris Söhne, die am meisten Kraft hatten, halfen ihrem schon nicht mehr ganz starken Vater, ihrer Mutter und allen anderen auf das große Boot, das unter dem ungleichmäßig verteilten Gewicht eine starke Schlagseite bekam, sich aber aufrecht im Wasser hielt. Schließlich zerschnitt Scuri zum ersten Mal in seinem Leben die Seile, die das Schiff am Land festhielten, mit einem Messer und löste nicht die Knoten. Dann wurde der Anker vom schlammigen Grund gezogen, das graue Segel gehisst und die sechs anderen kräftigen Männer an Bord setzten sich an die langen Riemen und fingen an zu rudern.

Grau und dunkel war diese Dämmerung und nicht anders als der düstere Himmel war das Meer. Welle um Welle schlug gegen den Bug, wie um es an Land halten zu wollen. Aber die Ruderer brachen die Kraft der mächtigen grauen Wellen und gaben dem Schiff die Kraft sich durch Schneisen in den Fluten den Weg auf das offene Meer zu bahnen, während die Insel der Schatten, eine dunkle Kette von Hügeln und Hängen, immer kleiner zu werden begann. Weiter draußen würde der Nordwind genug Kraft aufbringen, dass das Segel die Ruderarbeit ersetzen konnte.

Scuri hielt das Steuer fest und sicher in der Hand. Er spürte die Launen der Fluten in jedem noch so kleinen Zittern des Holzes so gut wie er sie im Kräuseln der Wellen, dem Wolkenzug und dem Flug der Seemöwen erkannte. Wellenpfeil hatte er sein Boot genannt und so war sie auch. Scuri liebte diese Planken, dieses Steuer und dieses Segel mehr als seine graue und schweigsame Frau. Dieses Boot gab ihm Freiheit und er liebte seine Freiheit. Früher hatte man ihm oft angeboten Steuermann oder sogar Führer eines großen Schiffes zu werden. Sogar noch Fürst Rothgyr hatte ihn auf eines seiner wenigen Kriegsschiffe holen wollen. Aber Scuri hatte sich immer verweigert. Er steuerte dieses Boot, fing damit Fische oder kleinere Wale, segelte manchmal zum Handeln in die Ferne und war glücklich damit, denn so war er auf seinem Gebiet ein unbestrittener Meister.

Er hoffte, dass man ihn so in Husbran annehmen würde. Immerhin war Husbran ein visingisches Königreich, gute Seeleute wurden dort geschätzt und er kannte dort einige Leute, immerhin war er ja einige Male dort gewesen, um Salz, Fische, Tierhäute und andere kleine Sachen zu tauschen. Aber er wusste nur zu gut, dass sich die Leute überall schwer taten einen Fremden in ihre Gemeinschaften aufzunehmen, der sie in einer wichtigen Kunst allesamt übertraf. Scuri empfand keinen Neid und auch keine Gier außer nach dem immer wieder aufs Neue berauschenden Erlebnis des Kampfes gegen die hohe See. Die anderen Menschen hingegen waren voll von Neid und Gier.

Die Insel der Schatten war hinter ihm schon zu einem dunklen, bedrohlichen Streifen geworden, als Scuri jemanden bemerkte, den er nicht kannte. Er hatte ihn überhaupt noch nie gesehen und er war sich unsicher, ob er ihn überhaupt auf das Boot hatte steigen sehen. Es war ein alter, dünner Mann mit eingefallenen Wangen, weißem Haa, sehr faltigem Gesicht und tiefblauen Augen, der in einen Mantel aus Rentierpelz gehüllt inmitten der anderen Leute an den Mast lehnte und in der Rechten einen langen dünnen Stab hielt. Der alte Mann schien weit in die Ferne zu blicken, denn sein Blick schien durch den verwunderten Scuri zu gehen, ohne ihn aber zu bemerken. Scuri überlegte noch eine Weile, ob er diesen Alten vielleicht doch kannte, denn unbemerkt kam bei so wenigen Leuten sicher kein Fremder an Bord, er kratzte sich am Kopf, aber er erkannte ihn nicht.

„Du!", rief er schließlich. „Wer bist du?"

Die anderen Menschen im Boot drehten sich verwundert zu dem Alten am Mast um und ihre Gesichter waren so, als sähen sie ihn auch alle zum ersten Mal. Der Alte sah Scuri nun unmittelbar an und seine tiefblauen Augen schienen von undurchdringlicher Tiefe zu sein.

„Nenn mich Tithar.", sagte er schließlich mit klarer Stimme.

„Tithar, wer bist du und was hast du auf meinem Boot zu suchen?", fauchte Scuri nun. Er war wütend, dass sich ein Fremder auf sein Schiff, sein kostbares Gefährt geschlichen hatte. Alle anderen schauten den Alten nun auch an, aber der blieb ungerührt.

„Mir gefällt dieses Boot.", sagte Tithar dann. „Und vor allem gefällt mir der Steuermann. Du bist der beste auf allen Meeren, sagt man, und ich glaube das. Du befährst das Weltmeer selbst jetzt im Winter, obwohl es noch heute Nacht gestürmt hat. Und du wirst Husbran sicher erreichen. Du wirst auch jedes weiter entfernte Ziel erreichen, denn du bist der Beste."

Das schmeichelte Scuri zwar, aber dennoch stieg Wut in ihm auf. „Du hast uns bespitzelt und dich auf dieses Schiff hier geschlichen! Ich bringe meine Sippe und meine Freunde nach Husbran, keine alten Schmarotzer!"

„Nur einen alten Schmarotzer.", erwiderte der Alte ganz ruhig und seine Finger spielten um den Stab.

„Scuri, Scea! Werft ihn über Bord!", schrie Scuri seinen zwei Söhnen zu, die von ihren Ruderbänken aufstanden und sich an den Tauen festhalten auf den Alten zugingen. Aber Tithar gab dem jüngeren Scuri mit seinem dünnen Stab einen sehr schnellen und sehr schmerzhaften Schlag auf die Hand, die den jungen Mann aufschreien und beinahe ins Wasser fallen ließ.

„Du wirst mich nach Husbran bringen.", sagte der Alte, während sich der jüngere Scuri die wunde Hand rieb und Scea verwirrt stehen geblieben war. „Und du wirst noch einmal umkehren zur Insel der Schatten und an einem anderen Strand drei Freunde von mir aufnehmen- und ein Pferd!"

„Du bist wahnsinnig!", brüllte Scuri. „Völlig wahnsinnig! Wir werden dich weder durchfüttern noch andere Leute mit einem Pferd mitnehmen. Wir bringen dich um und werfen dich in das Meer."

Die anderen Leute auf dem Schiff, die Männer, Frauen, die zwei Großmütterchen und die Kinder starrten den Alten in dem Rentierfellmantel nur verwirrt an. Keiner von ihnen wollte Tithar wirklich umbringen und dann ins Meer werfen, aber er machte ihnen Angst. Auf Scuris Drohung hin blinzelte er nur und schlug das Ende seines Stabs dann auf die Planken.

Ein tiefer Ruck ging durch das Schiff, Wasser spritzte hinein, manche schrien, Scuri fiel um und schlug mit dem Hinterkopf schmerzhaft auf die Planken. Als er sich mit dröhnendem Kopf wieder aufrichtete, lehnte Tithar noch immer vollkommen ruhig und unbewegt an den Mast, aber den anderen stand Angst ins Gesicht geschrieben und Scuris Enkeltöchter wimmerten leise.

„Du bist kein Mensch!", sagte Scuri leise.

„Ich atme, schlafe und ich werde auf deine Kosten essen und trinken. Das muss dir reichen.", sagte Tithar.

Scuri zitterte. Das konnte nicht sein. Das war einer der finsteren Götter der Meerestiefen, der sich da auf sein Boot geschlichen hatte und es nun zu versenken drohte. Aber das Meer war nun wieder ruhig. Es rauschte tief und ruhig und ließ Wellenpfeil nur leicht schaukeln. Scuri befuhr seit fünfzig Jahren die Meere, war in Gegenden gekommen, die noch nie zuvor ein Vising gesehen hatte, und hatte Wesen gesehen, wie sie sonst nur in den Alpträumen der Menschen vorkamen. Aber so etwas hatte er niemals erlebt.

„Dreh um und fahr zum Schafstrand.", sagte Tithar. „Fahr dorthin und du wirst drei Menschen, zwei Männer und eine Frau, und ein Pferd finden. Alle vier wirst du an Bord lassen, egal was geschieht."

Scuris Zähne klapperten und nie war ihm etwas bedrohlicher gewesen als diese unerschütterliche Ruhe dieses Mannes am Mast. Gerade die tiefste Stille zeigte auf der See immer das Nahen großen Unheils an. Er wollte ihn runter von seinem Schiff haben und dann in Ruhe mit seinen Leuten nach Husbran segeln und sich dort neu ansiedeln.

„Ich kann doch kein Pferd an Bord lassen. Das ist ein kein großes Schiff.", beharrte er. „Ein Pferd kann scheuen, kann um sich schlagen. Die dünnen Planken werden das nicht aushalten, wenn wir in einen Sturm kommen."

Tithar blieb ruhig. „Dreh um, fahr zum Schafstrand, nimm die drei Leute und das Pferd an Bord und fahr nach Husbran.", sagte er. „Das Pferd wird dir keine Schwierigkeiten bereiten und an diesem Meer scheitert vielleicht jeder andere Seemann, aber nicht du, auch wenn du ein Pferd an Bord hast. Dreh um und du wirst es nicht bereuen.", sagte er leise und schwieg dann.

Scuri saß an seinem Steuer, betrachtete den ruhigen Alten und er musste die Zähne zusammenbeißen, damit sie nicht klapperten. Er richtete ein stummes Gebet an die freundlichen Götter hinter den finsteren Wolken und dann drehte er um.

Gegen den Wind kämpfte sich Wellenpfeil nordwärts. Balhars war wieder als ein dunkler Fleck an dem langen grauen Strand zu erkennen und sie segelten weiter vorbei an grauen, schroffen Hängen und schneebedeckten Wiesen. Die Insel sah so friedlich aus wie sonst auch immer und Scuri wünschte sich, dass er doch dort bleiben könnte, wo sein Vater geboren worden war, sein Großvater geboren worden war und wo sich sein Urgroßvater, angeblich der Sohn einer Meeresgöttin, einst angesiedelt hatte. Scuri hatte lange gehofft hier sterben zu können, aber hier wollte er nicht bleiben, solange Cathaerc und seine Leute hier herrschten und statt der guten alten Sitten Grausamkeit und Faustrecht herrschten. Er war kurz davor zu weinen, als er in der Ferne den alten Berg sah. Er konnte auch nicht auf dieser Insel bleiben, solange der schreckliche Fluch wirksam war.

Dann flachte sich das Land ab und sie kamen zum Schafstrand. Es war einfach nur sehr flaches Land, die flachste Gegend der Insel, höchstens einige niedrige Hügel waren zu erkennen und die Gezeiten schlugen hier weit aus. Hier wuchs das beste Gras und hierhin wurden immer am liebsten die Schafherden getrieben. Im Sommer waren die Wiesen bis zu den Hügeln saftig grün, jetzt aber war alles von weißem Schnee bedeckt.

Tithar machte mit seinem unheimlichen Stab ein Zeichen und widerwillig steuerte Scuri sein Schiff näher zum Land hin. Es gab hier einige gefährliche Felsen knapp unter dem Meeresspiegel, darum wagten es die meisten Seefahrer nicht diese Küste anzusteuern, aber Scuri kannte jede tückische Untiefe rund um die Insel. Sicher glitt Wellenpfeil auf den flachen Strand zu.

Von dort war Geschrei zu hören und je näher Wellenpfeil dem Land kam, desto mehr Angst bekam Scuri, denn er sah dunkle Gestalten, die sich schnell bewegten, und das Geschrei kündete von Hass und Todesschmerzen.

Zwei Menschen, ein grauhaariger Mann in einem Kettenhemd und Pelzmantel und eine Frau, standen bis zu den Knien im kalten Wasser und sahen zum Strand zurück. Dort waren Reiter, mindestens hundert, vielleicht doppelt so viele. Eine große Gruppe von vielleicht fünfzig Reitern war schon nah am Kiesstrand und eine viel größere Schar näherte sich sehr schnell von den Hügeln. Ein Mann allein stand den fünfzig Reitern gegenüber. Seine Rüstung glänzte sogar im schwachen Licht dieses Wintertages und mit seinem Schwert teilte er wuchtige Hiebe aus. Ein Reiter stürzte getroffen aus seinem Sattel, ein Pferd ging mit zerschlagenem Kopf zu Boden und begrub seinen Reiter unter sich. Schon mindestens fünf tote Pferde lagen im Schnee und wohl noch mehr tote Reiter, denn einige herrenlose Pferde trabten vom Strand weg und beobachteten im Schnee stehend das blutige Treiben. Die Reiter griffen den einzelnen Mann nicht mehr mit voller Wucht an, sondern sie fürchteten sich von ihm und hielten sich nun nach Möglichkeit von seinem blutigen Schwert fern. Sie wagten auch nicht abzusteigen und zu Fuß gegen ihn anzutreten, auch wenn ihr Gegner dann keine Möglichkeit gehabt hätte auf die leicht verwundbaren Pferde einzuschlagen.

Feiglinge, dachte Scuri, eine Bande von Gesetzlosen waren Cathaers Männer, die Angst bekamen wie getretene Köter, sobald sich ihnen ein ernsthafter Gegner in den Weg stellte, und war es auch nur einer gegen fünfzig. Aber wenn die Köter verstärkt wurden und ihr Anführer bei ihnen war, fielen sie über ihre Beute her, bissen sich fest und ließen sie nicht los. Als sich Suric die von den Hügeln näher kommende Schar näher ansah, hatte er keine Zweifel, wer diese Reiter anführte und ein kalter Schauer überfiel ihn.

„Das ist Cathaer!", schrie er. „Weg hier!

Er zuckte zusammen, als plötzlich Tithar neben ihm stand. „Cathaers Reiter haben keine Bögen, sondern nur Speere und von denen kannst du dich fern halten. Du musst nur nah genug heran, um die drei aufzunehmen."

Scuri musste aus unerklärlichen Gründen kichern, während seine Ruderer verwirrt zu ihm hinsahen. „Das ist Cathaer. Der Mann da hinten ist schon tot. Und dein Pferd sehe ich nicht!"

Tithar machte eine Kopfbewegung zum Land hin. Der im Meerwasser watende Mann im Kettenhemd brüllte mehrmals aus voller Kraft „Whondabris! Whondabris!" und eine weit links abseits im Schnee stehende schöne schwarze Stute hob den Kopf, setzte sich in Bewegung und galoppierte am Strand entlang.

Der Mann in der schimmernden Rüstung schlug noch einen anderen unvorsichtigen Reiter aus dem Sattel, dann galoppierte die schwarze Stute in den Reiterhaufen hinein und trabte an den Schwertkämpfer heran, der sich um den Hals klammerte und in einer schnellen Bewegung in den Sattel warf. Die Reiter schrien auf vor Wut, als die Stute mit weit ausholenden Schritten auf den Strand galoppierte und die Reiter hinter sich ließ. Die zwei Menschen im Wasser wateten näher an das Schiff heran, bis ihnen die Wellen bis zur Brust schlugen, während der Schwertkämpfer auf der Stute in das Wasser hinein galoppierte und eine weiß schäumende Furche in den Wellen hinter sich her zog.

„Die denken noch, wir hätten hier Bogenschützen an Bord.", sagte Tithar und meinte damit die Gruppe der Reiter, die am Wasser angehalten hatte und das kleine Schiff beobachtete. „Näher ran, damit wir die drei und das Pferd aufnehmen können."

„Was liegt dir so viel an der Stute?", knurrte Scuri, für den das keinen Sinn machte.

„Tu es einfach!", sagte Tithar und nun hatte seine Stimme eine Schärfe, die sehr überzeugend war.

„Näher ran! Der Rest holt das Segel ein, der Wind treibt uns ja weg!", rief Scuri seinen Leuten zu und mit einer Mischung aus Erstaunen und Angst gehorchten die Männer. Scuri steuerte sie mit sicherer Hand dorthin, wovor er sich fürchtete. Der Schwertkämpfer hatte nun zu den zweien, die im Wasser wateten, aufgeschlossen, aber alle drei waren immer noch ein gehöriges Stück von Wellenpfeil entfernt und viel weiter konnten sie nicht entgegenkommen. Dann erreichte die größere Reiterschar den Strand und nun war sich Scuri sicher, dass die drei es nicht schaffen konnten. Unter den Reitern sah er einen mit prunkvollem Maskenhelm und erkannte Cathaer, der einen prächtigen Mantel aus Weißfuchsfell und eine mit viel Gold geschmückte Rüstung trug. Kein anderer Krieger auf der ganzen Insel sah so aus. Cathaer brüllte seine Krieger an und dann ritten sie alle in die Fluten hinein mit ihrem Anführer vorneweg.

Das war er, der Mann, der so viele Menschen aus seinem eigenen Volk auf seinem Gewissen hatte, wenn es dieses denn gab. Und nun regte sich in Scuri bei Cathaers Anblick ein unerwarteter Trotz. Er wollte diesem Mann, den er monatelang mit frischem Walfleisch und Fisch versorgt hatte, einmal richtigen Schaden zufügen.

„Schneller!", brüllte er seine Leute an. „Rudert! Rudert!"

Tithar stand stumm und ruhig neben ihm, aber sein Blick richtete sich ständig auf die drei Menschen und das Pferd, denen sich die gewaltige Menge von bewaffneten Reitern näherte, von denen einige Wurfspeere hatten. Die Reiter kamen bedrohlich schnell näher, schneller als gut war, obwohl die Ruderer alles gaben. Nun waren sich die Reiter sicher, dass an Bord des großen Bootes keine Bogenschützen waren, und näherten sich ihrer Beute schneller.

„Kannst du nicht irgendwas zaubern?", wandte sich Scuri an Tithar.

Tithar hob nur eine Augenbraue. „Nein!", sagte er nur.

Scuri starrte den Alten verwundert an und wusste nicht was er sagen sollte, als Cathaer als erster seinen Speer warf, der knapp neben der schwarzen Stute im Wasser aufplatschte. Die Beute versuchte dem Schiff noch näher zu kommen, wobei der Mann im Kettenhemd und die Frau nun schwimmen mussten. Der Schwertkämpfer streckte seine schimmernde Waffe drohend in Richtung seiner Jäger aus, aber die antworteten nur mit höhnischem Spott. Noch ein Speer wurde geworfen, verfehlte sein Ziel aber auch knapp.

„Wir werden von ihren Speeren aufgespießt!", rief ein Ruderer.

„Rudert einfach!", rief Scuri und wusste selbst nicht was ihn zu diesem Wahnsinn trieb.

Und die Männer ruderten tatsächlich überraschend stark, fast wie besessen, obwohl Wellenpfeil Cathaers Reiterhorde mit ihren mörderischen Wurfspeeren immer näher kam. Und Wellenpfeil bewegte sich, glitt auf einer Welle schneller voran und Scuri riss das Steuer herum, um Cathaers fliehender Beute die Steuerbordseite des Schiffs zum Hineinsteigen zu bieten. Dabei waren die Reiter schon so nah, dass es für die drei Menschen und erst recht für die schwarze Stute kaum Hoffnung gab auf das Schiff zu kommen.

„Hurensohn!", brüllten einige Reiter.

„Kindermörder!", brüllte Scuri und gleich darauf flog ein langer Speer an seinem Kopf vorbei. Das konnte nicht gelingen, seine Leute setzten sich Cathaers Speeren aus, vielleicht schafften es die Reiter sogar schwimmend das Boot zu erreichen, dabei hatte die Besatzung nur dünne Harpunen und Knüppel. Der Schwertkämpfer schien sogar schon die Flucht verloren zu geben und wendete die Stute, um sich seinen Feinden zu stellen. Der Mann im Kettenhemd hingegen, der dem Schiff am nächsten war, erreichte es in einigen kräftigen Schwimmzügen und griff nach den Planken. Der jüngere Scuri gab dem Mann seine Hand und half ihm aus dem Wasser zu kommen. Dann drehte sich der Mann noch einmal um.

„Ich habe die Hand!", brüllte er und wiederholte den Ruf noch einmal mit hustender Stimme und einem trotzigen Grinsen im Gesicht. „Ich habe die Hand!"

Scuri sah, wie Cathaer die Hand hob und an den Zügeln seines Pferdes riss. Die riesige Reiterhorde kam mit vor Kälte zitternden, bis über die Beine im eiskalten Wasser stehenden und Dampf ausatmenden Pferden in den schäumenden Wellen zum Stehen.

„Zeig sie mir!", schrie Cathaer mit seiner raspelnden Stimme, die bisher immer Tod und Tränen verheißen hatte.

Der Mann im Kettenhemd kletterte in das Boot, griff in seinen Mantel und hielt dann zu Scuris Entsetzen eine abgetrennte menschliche Hand heraus, die Hand eines älteren Mannes, nicht verwest, nicht blutend, nur schlaff, nass und mit glänzender Haut.

Gölc wusste, dass er mit diesem vor langer Zeit abgetrennten Körperteil etwas besaß, mit dem er sein eigenes Leben und das von Duor, Surid und Whondabris retten konnte. Surid schwamm nach Luft schnappend und zitternd auf das Boot zu. Duor saß auf der starken Whondabris und hielt noch immer Feuerbann hoch, um seinen Feinden zu zeigen, was sie erwartete. Aber nun, da ihr Anführer da war, würden sich Cathaers Reiter nicht mehr so dumm und feige anstellen. Sie hatten nun Speere und einige hatten auch Wurfäxte und waren nahe genug an ihrer Beute, um sie damit hinzurichten, vielleicht auch das Schiff zu übernehmen. Das konnte Cathaer befehlen und Gölc konnte das mit der widerlichen Hand verhindern, die zwischen seinen Fingern hing, die selbst vom eisigen Wasser so kalt waren wie die toten Finger, die sie leicht zitternd umklammerten. Gölc zitterte vor Angst und Kälte, ihm war schwindelig, er war kurz davor zu erbrechen und das senkrecht zur Wellenrichtung gerichtete Boot schaukelte furchtbar, aber Gölc hielt sich aufrecht im Wissen, dass er jetzt Stärke zeigen musste gegenüber dem Mann, den er von ganzem Herzen verabscheute, dem er aber dennoch lange gedient hatte. Seinen Dienst bereute er zutiefst und nun wollte er diese Schande abtragen.

Cathaer nahm seinen vom Goldschmuck glitzernden Maskenhelm ab und sein hagerer Glatzkopf mit der hässlichen Narbe und dem dünnen blonden Bart kam zum Vorschein. Und dieses Fratzengesicht grinste böse. „Wir haben mindestens fünfzig Speere.", sagte er und deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf seine Reiter, die Gölc grimmig ansahen. „Und wir haben Wurfäxte. Gölc, du warst vielleicht ein anständiger Vising, bevor du zum Verräter an deinem Herrn wurdest, aber es wird mir Spaß machen dich sterben zu sehen."

„Du kannst dich selbst sterben sehen!", brüllte Duor und schwenkte Feuerbann in Cathaers Richtung, der aber sein Fratzengrinsen behielt.

„Wir wollen doch nicht übermütig werden, Folrec, Sohn von Furloc und Sturgad, der seinen Vater nicht kennen will.", raspelte Cathaers Stimme.

Surid stieg auf das Boot. Neben ihr hielt Gölc die Hand weiter hoch. „Ich kann auch übermütig werden, Cathaer, Cathairs Sohn.", sagte er und strengte sich an ebenfalls etwas wie ein Grinsen zu zeigen. „Cathaer, Bruder von Cathair dem Jüngeren, Neffe von Cathos und Cathoas und Vetter von vielen anderen, die durch dein Schwert gestorben sind.", rief er und der Anblick von Cathaers Gesicht, das sich beim Hören der Namen seiner angeblich oder wirklich von ihm ermordeten Verwandten und seines überlegenen Onkels böse verzerrte, ließ aus seinem falschen Grinsen ein echtes werden.

„Lass das!", zischte Cathaer.

„Du hast sie alle ermordet, oder?", fragte Cölc spitz. „Auch deinen Vater? Mit Gift, habe ich gehört."

„Nein!", brüllte Cathaer nun und riss den Speer eines anderen Reiters an sich. „Ein Speer in der Brust lässt dich vielleicht aufhören zu lügen!"

Gölc trat zurück, sprang auf die andere Seite des schwankenden Schiffes, hielt sich an einem Tau fest und stieg auf den Rand der Planken. Die Fluchhand des dunklen Zauberers, der einst auf der Insel der Schatten geherrscht hatte, hielt er jetzt noch höher.

„Dann höre ich auf zu lügen, aber diese Hand fällt ins Meer, das hier schon recht tief ist!", rief er.

„Ich kann danach fischen lassen!", zischte Cathaer.

„Es ist jetzt zu kalt, um dort jemanden tauchen zu lassen. Finden wirst du sie nicht vor dem Frühling und bis dahin bist du tot und dein Gefolge wird auch tot sein."

Cathaer beugte sich mit einem noch böseren Fratzengrinsen im Sattel nach vorne. „Und mit mir sterben alle auf dieser Insel, auch die Siedler, die ich am Leben gelassen habe, die Frauen, die Kinder, auch die schöne Sklavin, die du zur Frau genommen hast. Sie heißt Thira, oder?"

Gölc konnte sein Grinsen nicht aufrecht erhalten.

„Halt den Mund, Hurensohn!", brüllte Duor.

„Wäre das nicht schade um die vielen Unschuldigen?", fuhr Cathaer fort und ließ das letzte Wort auf seiner Zunge zergehen. „Aber bevor die Schatten mich und meine Leute umbringen, werden wir uns alle an Thira dafür rächen, was du getan hast, Gölc."

„Das wirst du nicht wagen!", schrie Gölc, der von dieser Bosheit zittern musste.

„Sei ruhig!", zischte Surid. Sie sprang an Gölc heran und entriss ihm die kalte Hand. Mit vor Wut zusammengebissenen Zähnen und von Hass lodernden Augen stellte sie sich ein Stück von Gölc entfernt an den Rand und hielt die Hand nur am Zeigefinger über die glucksenden dunklen Wellen. „Geh weg von hier, Cathaer!", schrie sie.

Cathaers Gesicht verdüsterte sich. „Du ähnelst ja deinem Vater. Schade, dass ich ihn von den Hunden fressen lassen musste, nachdem er erstens um zwei Tage zu spät kam und dann auf dem Schlachtfeld so erbärmlich versagte.", sagte er leise und fast unhörbar, aber Surid zitterte vor Wut.

„Lass diese Spielchen!", rief Duor.

„Ihr Vater war Aruc! Aruc, der seinem Freund Rothyr helfen wollte, weil er sie hier mit seinem Sohn verheiraten wollte!", sagte Cathaer. „Und ihr Onkel ist Surgod, der König von Husbran."

Nun erst fielen Gölc beim Anblick von Surids nassen roten Haaren die roten Haare an Arucs totem Schädel auf, der auf einer Speerspitze vor Cathaers Halle steckte. Er hatte nun wirklich Angst, dass Surid die Hand fallen ließ, damit Cathaer von den Schatten getötet und sein ganzes Gefolge ausgelöscht wurde, auch wenn dabei Unschuldige starben. Dieser Mann hatte ihren Vater ermordet und sie zur Hure seiner Männer gemacht, um ihren Onkel in Husbran zu demütigen. Vielleicht hatte die Schande sie so sehr zugerichtet, dass sie lieber starb als ihren Schänder leben zu lassen. Er wusste nicht, was Cathaer dazu brachte sie noch zusätzlich zu demütigen. Dieses Scheusal empfand wohl einfach Genuss an der Angst und der Wut seiner Feinde.

Duor dachte wohl dasselbe. „Lass die grausamen Spielchen, Cathaer! Zieh dich und deine Krieger zurück! Ich sehe deine Pferde, sie zittern vor Kälte. Ein Viertel von den Tieren wird nicht mehr länger als eine Woche leben.", sagte er.

Cathaer lächelte nicht mehr, stattdessen schien er Duor, Gölc und Surid zu mustern. „Gebt mir die Hand!", sagte er. „Dann lasse ich euch ziehen."

„Gib ihm die Hand!", riet Gölc Surid, aber sie biss weiter die Zähne zusammen und zitterte. Gölc fürchtete, dass sie bei ihrem Zittern die Hand ungewollt ins Wasser fallen ließ.

„Warum sollte ich ihm trauen?", zischte sie und Tränen rannen ihre Wangen herunter. Sie wusste wohl selbst nicht, was sie wollte.

„Willst du sterben? Gib ihm die Hand!", sagte Duor. Unter ihm zitterte die tapfere Whondabris auch heftig.

„Warum?", fragte sie.

„Gib ihm die Hand, Surid.", sagte jemand. Gölc sah sich um und erkannte den alten Barden Tithar, der auf einen dünnen Stab gestützt neben dem Steuermann stand.

Cathaers rechter Mundwinkel zuckte. „Ah, der Verrat wurde wohl lange geplant.", sagte er, als er seinen Barden sah.

„Kein wirklicher Verrat, Cathaer.", entgegnete Tithar ruhig. „Ich habe ihr nur geholfen zu überleben."

Cathaer bleckte die Zähne, dann deutete er auf die Hand. „Du hast dafür gesorgt, dass sie ausgegraben wurde."

Langsam nickte Tithar. „Und ich habe auf deine Gier nach Silber und deiner Angst vor Zauberei vertraut. Aber ich hatte leider keinen Erfolg."

„Warum soll ich ihm trauen?", unterbrach Surid mit zittriger Stimme das Gespräch.

„Dann gib die Hand Duor und er gibt sie dann Cathaer.", sagte Tithar.

Surid zitterte schlimmer als zuvor. Sie kämpfte mit sich selbst, kämpfte gegen den Durst nach Rache für die unzähligen Demütigungen, für die betrunkenen, stinkenden Gesetzlosen, die sie an ihren Körper lassen musste, für die Schande zu einer Hure gemacht worden zu sein und dafür so behandelt worden zu sein, dass sie irgendwann aufgegaben hätte, vielleicht schon vor langer Zeit, wenn man ihr nicht geholfen hätte.

Dann trat sie vor und gab die Hand Duor.

Die Hand eines vor langer Zeit verstorbenen dunklen Zauberers lag in Duors eigener und kurz schien es so, als würde der Alburge unter den Blicken der Seeleute, seiner Gefährten und seiner Feinde in Gedanken versunken das Gewicht des toten Fleisches abschätzen zu wollen, denn er bewegte es leicht auf und ab. Dann trieb er Whondabris auf Cathaer zu.

Cathaers Miene war steinern, als ihm das tote Ding angeboten wurde. Und seine Miene veränderte sich auch nicht, als er es nahm und in eine Tasche an seinem Gürtel stopfte.

„Ich habe große Achtung vor Drachentötern.", sagte er dann. „Aber wenn wir uns das nächste Mal begegnen, Duor Haldar, wirst du das nicht überleben."

Dann zuckte Duor mit den Achseln. „Wir werden uns wiedersehen, Cathaer, vielleicht in Hordland oder auch an einem anderen Ort. Aber ich werde nicht durch deine Hand oder die eines der Leute sterben. Das wäre ein wunderschöner Tod, der Tod eines ehrenvollen Kriegers. Aber mir wurde vorhergesagt, dass mein Tod nicht heldenhaft sein wird.", sagte er leise, sodass nur Cathaer ihn verstand. „Also werde ich nicht durch dich sterben. Diese Freude werden dir die Götter nicht gönnen."

Cathaers rechter Mundwinkel zuckte wieder. Das geschah immer, wenn Zorn in ihm war. Das tote Stück Fleisch, das ihn retten würde, lag nun schwer in seiner Tasche, aber es war wieder Zorn in ihm. Selten erreichte er das, was er wollte, wirklich ganz. Keiner seiner Siege war bisher ganz gewesen. Im alten Visland hatte er sich einen schaurigen Ruf erworben, aber man hatte ihn verjagt. Im neuen Visland hatte er geplündert und gesiegt, aber dann war er geschlagen und wieder verjagt worden. Die Insel der Schatten gab ihm keine Befriedigung und nun musste er auch diese Leute, die ihn so gedemütigt hatten, gehen lassen. Er konnte sein Versprechen ja brechen, aber er empfand echte Achtung vor Duor und es geschah selten, dass er vor Anderen Achtung empfand. Vielleicht wäre es sogar ehrenvoll selbst von so einem Menschen getötet zu werden, dachte sich Cathaer, der sich selten so etwas dacht. Es würde immerhin besser sein als der Rache einer geflohenen Hure wie Surid zum Opfer zu fallen.

Manchmal ahnte er, dass er so, wie er lebte, eines Tages auch sterben musste. Und er hasste es.

„Richte der kleinen Hure aus, dass ich mich nach ihrem schönen Körper sehnen werde.", sagte er dann und das gefiel ihm. Diese Antwort zeigte die Verachtung eines Menschen, gegen den die ganze Welt feindlich war, so wie sie gegen ihn feindlich war.

Duor nickte, aber er hatte nicht vor Surid jemals so etwas auszurichten. Er war jetzt vierzig Jahre alt, hatte die meiste Zeit für die Freiheit seines Volkes und für eine ferne Gerechtigkeit gekämpft, hatte gegen alle gekämpft, die diesen Zielen im Weg standen, was sie auch für Gründe hatten das zu tun, und er hatte nur selten Rücksicht gekannt. Er hatte gegen viele Menschen gekämpft, die Schlechtigkeit in der ganzen Welt verbreiteten aus Gier nach Macht, Lust, Reichtum und Ansehen. Er kämpfte gegen solche Menschen, die die Welt so prägten, dass er sie verachten musste. Und er kämpfte für eine bessere Welt. Sein Kampf würde niemals enden.

Aber noch nie zuvor war ihm jemand wie Cathaer gegenüber gestanden. Jemand, der nicht aus Gier, sondern aus reiner Verachtung für die Welt gegen die Welt kämpfte. Sein Kampf würde niemals enden.

Sie verließen einander ohne ein weiteres Wort mit der festen Überzeugung sich irgendwann wiederzusehen.

Duor staunte, wie viel Kraft in der völlig unterkühlte Whondabris noch steckte, als die Stute aus dem Wasser in einem einzigen hohen Satz, der ihn beinahe abgeworfen hätte, auf das Boot sprang, das dabei beinahe kenterte.

Keiner auf dem Boot sagte etwas. Keiner war zornig oder erleichtert, denn keiner hier hatte etwas nur erlangt oder nur verloren.

Ende

Bearbeitet von Murazor
Geschrieben (bearbeitet)

Hallo Murazor,

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Du schreibst sehr flüssig und hast auch Grammatik/Rechtschreibung gut im Griff. Auch -und das ist wohl der wichtigste Punkt- schaffst du es, Spannung aufzubauen und den Leser neugierig zu machen. Von daher bin ich gespannt wie es mit Duor und Co weitergeht.

Wenn dies der Anfang eines Buches wäre, würde ich auf jeden Fall weiterlesen. ;-)

Ansonsten sind mir auch einige nette Ideen aufgefallen, die du in deine Geschichte eingebracht hast, wie zum Beispiel die Hand auf den Silbermünzen (eine recht originelle Idee mit der Aufhebung des Fluches) oder dieser verfluchte Berg.

Der einzige kleine Kritikpunkt den ich anzumerken habe, ist wohl dein Held Duor. Hier musst du denke ich aufpassen, dass er nicht zu einem Überhelden mutiert. Er nimmt es ja alleine mit ca. 50 Berittenen auf und besiegt einfach so einen Drachen. Das ist gerade so an der Grenze und ich finde es in deinem Gesamtzusammenhang noch in Ordnung, aber wie gesagt würde ich da nicht übertreiben. Ein makelloser Held, der alleine gegen eine ganze Armee gewinnt, kann schnell Langeweile aufkommen lassen.

Das war in diesem Abschnitt zwar nicht der Fall, aber eben als Tipp für die Zukunft (weil ich eben die Tendenz bemerke), deine/n Helden nicht auf -leicht übertrieben gesagt- gottgleiche Macht heranwachsen zu lassen. Nach meiner Erfahrung nimmt so etwas einer Geschichte auf Dauer einfach die Spannung, weil man dann in brenzligen Situationen denkt: "Der haut ja eh alle zusammen").

Von daher denke ich, dass es keine verschwendete Zeit wäre, wenn du dein Vorhaben in die Tat umsetzt. Talent hast du allemal und die nötige Motivation, Geduld und Disziplin scheinbar auch. ;-)

Bearbeitet von Fangli
Geschrieben

Danke Fangli, für deine Meinung zu meiner Geschichte, gerade auch weil du einen Kritikpunkt aufgezeigt hast.

Ich hatte niemals vor aus Duor einen perfekten Helden zu machen und nach jetzigem Stand wird er es auch nicht. Von seiner Geschichte und seinem Charakter will ich später noch mehr erzählen, aber ich weiß nicht, ob Duor der Protagonist der Romane, die ich vielleicht eines Tages schreiben werde, sein wird.

Ich habe mir noch andere Gestalten ausgedacht, die in dieser Welt leben, die beim Schreiben dieser Geschichte eine konkretere Gestalt angenommen hat, und einige dieser Gestalten sind auch erst beim Schreiben dieser Geschichte entstanden.

Dazu zählt die Königsnichte Surid. Ich weiß noch nicht genau, was ich mit ihr anfange, aber sie könnte eine große Zukunft haben.

Ich weiß noch nicht genau, ob ich das Romanprojekt wirklich in Angriff nehme. Immerhin beginne ich in wenigen Tagen mein Chemiestudium und werde wohl bald Norwegisch pauken, weil mich ein Studium in Norwegen sehr interessiert. Vielleicht kann mich der raue Norden ja inspirieren.

Die anderen Leser bitte ich auch um Feedbacks. Verdammt mich, wenn ich es verdiene, ich habe ein dickes Fell.

Geschrieben

So, bin immer noch nicht dazugekommen, es ganz zu lesen, aber nun gebe auch ich mal meinen Senf dazu :D

Auch ich muss Fanglis Anmerkungen bezüglich Duor teilen.

Vor allem das mit dem Drachenangrioff missfällt mir hier sehr.

Es kommt einem so vor, als käme der Drache, Duor sagt "Oh, ein Drache", Zack, das Vieh ist tot, Schiff auf dem meeresboden und wundersamerweie überlebt nur er.

DU musst zugeben, dass kommt schon ein bisschen arg gestellt^^

Aber ansonsten gefällt es mir sehr gut bisher.

Geschrieben

Ja, ich gebe zu, ich habe Duor zu heldenhaft beschrieben.

Danke für die Kritik.

Vergällt euch dieser Negativpunkt das Lesen völlig?

Geschrieben

Vergällt euch dieser Negativpunkt das Lesen völlig?

Nein, davon war nie die Rede. ;-) Du hast eine rundum spannende Geschichte abgeliefert und es hat Spaß gemacht sie zu lesen. Die Tatsache, dass dieser vergleichsweise kleine Punkt der einzige Kritikpunkt ist, sollte dich doch eigentlich erfreuen. Du wolltest ja ehrliche Kritik haben und das ist mir eben aufgefallen.

Allerdings ist es jetzt nichts, das mir beim Lesen den Spaß verdorben hat. Vielmehr ist es so, dass es mit der Zeit negativ auffallen würde, wenn es mit Duors "Machtzuwachs" in diesem Stil weitergehen würde. Da du aber schon selbst sagst, dass das nicht der Fall sein wird, ist der negative Kritikpunkt ja eigentlich schon aus der Welt.

Geschrieben

Danke!

Ich war innerlich schon dabei Duor in den literarischen Mülleimer zu werfen.

Geschrieben

Vielleicht schreibe ich wirklich noch eine zweite Geschichte mit Duor, in der ich näher auf ihn eingehe und den Erklärungsbedarf fülle, den seine eigentümlichen Taten bewirkt haben.

Wenn jemand an einer solchen Geschichte Interesse hat: Vorschläge und Inspirationen sind immer willkommen.

Geschrieben

So, ich bin jetzt auch "endlich" fertig damit.

Die Geschichte gefällt mir sehr gut.

Duor erscheint mir, wie schon gesagt, schon sehr übermenschlich und du solltest evtl. den Text nochmal gegenlesen, denn es finden sich ein paar Rechtschreibfehler bei den Namen.

Wie gesagt, es war schön zu lesen und hat mir sehr gefallen.

  • 2 Wochen später...
Geschrieben

Uff, ich hab's auch geschafft! Was soll ich sagen... Ich kann mich meinen Vorrednern nur anschließen, und ich denke bestimmt, dass sich für eine derartige Geschichte auch ein (zahlendes) Publikum finden würde, sie ist spannend, flüssig geschrieben und macht neugierig darauf, wie sie wohl weitergeht.

Was mir teilweise ein bisschen Mühe beim Lesen bereitet hat, waren die Namen der vielen (sehr vielen!) Personen, die hier auftauchen - oder auch nicht auftauchen, wie zB in dieser Aufzählung hier:

ihre Schwagerin, deren kleiner Sohn, ihre beste Freundin und ihre eigene kleine Schwester
die, finde ich, ein bisschen bemüht klingt, vor allem weil sie ein paar Absätze später noch einmal fast wörtlich wiederholt wird - aber diese Personen spielen dann überhaupt keine Rolle in der Handlung. Naja, ist halt nur meine persönliche Meinung.
Geschrieben

Danke, Eirien.

Auch danke für die Kritikpunkte, die ihr angebracht habt. Man kann sich nicht verbessern, wenn man nicht erfährt, was man falsch gemacht hat.

Vielleicht werde ich diese Geschichte hier noch einmal überarbeiten. Der Tod des Drachen ist sicher verbesserungswürdig, wie ich jetzt von zwei Leuten weiß.

Und die vielen Namen sind sicher auch ein Problem. Ich werde in Zukunft versuchen da entgegenzusteuern.

Vielleicht werde ich am Wochenende anfangen eine Art von Fortsetzung zu schreiben, in der vielleicht Duor, Surid, Tithar, Gölc oder eine andere Figur vorkommt. Diese Schreiberei von Geschichten für das Forum dient noch der Entwicklung der Welt, in der ich vielleicht einmal eine große Romanreihe spielen lassen werde, vielleicht...

  • 6 Monate später...
Geschrieben (bearbeitet)

Boaaaaaaaaaaaaaah könnt grad heulen... ein falscher Knopf Text weg . Denk mal das brauch ich euch nicht erzählen ...

Also Hallo erstmal,

ich bin neu hier und er verzeihet mir bitte meine grammatikalischen und rechtschreiberischen Fehler ! Danke.

Murazor , ich hab deine Geschichte komplett innerhalb einer Woche Nachtschicht übers iPhone gelesen. Mich hat die Story von vorn bis hinten gepackt und animiert weiter zu lesen ! Dafür hast meinen vollen Respekt!

Was ich gerade eben schon viel viel deutlicher beschrieben habe , würde ich nun gerne wiederholen . (Akku lehr)

Genau um das Wiederholen dreht es sich auch!

"ihre Schwagerin, deren kleiner Sohn, ihre beste Freundin und ihre eigene kleine Schwester!" - Das wurde ja schonmal erwähnt und ich denk sowas passiert dir nicht noch einmal.

Was aber im allgemeinen (mir) auffällt ist dass du wirklich fast zwanghaft versuchst altertümliche bzw veraltete Namen oder Synonyme zu verwenden die absolut (vergib mir meine Aussprache) fürn Arsch sind !

Es bringt nem Leser nix, an Mitfühlen oder wie soll ich schreiben? Mitfieber..?!, wenn nach zwei Sätzen wieder das selbe Verb benutzt wird! Es macht ganz klar viel aus wenn man Verben wie "zerstückeln" (oder ähnlich ? wenn ich mich nicht irre) benutzt, aber eben nicht zwei,drei Sätze folgend!

Das war jetzt nun leider nur die Kurzfassung ;-(

Ich hab grad extremste Probleme mit meinem Explorer ... mal wirds gesenedet, mal nicht ... !? Das nervt !

Ich denke ne komplett aussenstehende Meinung tut dir/euch nicht schlecht , deswegen hab ich mich hinreißen lassen was zu schreiben !

Alles in allem ist das hier die gelungendste Storry von Dir mit ein,zwei Pippifax-fehlern !!

MFG Tépawl

p.s.: Ich schreib selber nicht , also nimm/nehmts nich allzu sehr zu Herzen ^^

Bearbeitet von Tépawl

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