Valyanna Geschrieben 19. November 2009 Geschrieben 19. November 2009 (bearbeitet) Hallo Ich weiß jetzt nicht ob ich hier richtig bin, aber ich wollte euch mal was erzählen... Als ich im Buch "Herr der Ringe" nochmal so gelesen habe, hab ich auch über die entstehung von Herr der Ringe gelesen, und dort habe ich etwas gefunden worüber ich euch gern eine Frage stellen würde. Dort stand nähmlich das J.R.R. Tolkien mit seinem Buch nie der Menschheit einen tiefern Grund überbringen wollte sondern nur mal ein richtiges langes Buch schreiben wollte. Machen viele Menschen einen zu großen Wirbel um das Buch? Wollte er nichts sagen wegen der Regirung? Wollte er einfach das Menschen sich selber Gedanken machen? Wollte Tolkien uns wirklich nichts sagen? Und wenn, wie kann es sein das ein so hochbegabter Mann (war er wirklich, nicht nur wegen den Büchern. ) so viel Mühe in ein Buch steckt ohne sich etwas dabei zu denken? WAS DENKT IHR? Bearbeitet 9. Oktober 2011 von Cadrach Zitieren
Fangli Geschrieben 19. November 2009 Geschrieben 19. November 2009 (bearbeitet) Ich denke dabei bezieht sich Tolkien auf seine Abneigung gegenüber der Allegorie. Er betont ja im Vorwort des Herrn der Ringe: "Wahre oder erfundene Geschichte mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung der Leser ist mir viel lieber." Wir müssen hier also klar zwischen Anwendbarkeit und Allegorie unterscheiden. Eine Allegorie ist in diesem Zusammenhang eine eindeutige Botschaft, die indirekt ausgedrückt wird. Eine indirekte Aussage. Man sagt etwas, das "symbolisch" für etwas anderes steht. Also zum Beispiel ein rotes Herz als Allegorie (Symbol) für die Liebe oder der Sensenmann als Allegorie für den Tod. => Bildlich ist etwas anderes dargestellt, aber jeder weiß, was eigentlich gemeint ist. Allegorien haben also eine bestimmte Bedeutung. Oder wie Tolkien ebenfalls im Vorwort sagt: Allegorie "...wird ihm (dem Leser) von der Absicht des Verfassers aufgezwungen." => Wer eine Allegorie verwendet, will damit etwas ganz bestimmtes sagen. Die Deutung ist eindeutig und sozusagen vorgeschrieben. Anwendbarkeit hingegen "...ist der Freiheit des Lesers überlassen,..." Seine Aussage, das Buch habe keine Botschaft, heißt daher nicht, dass man nicht je nach Herkunft, Einstellung und seinen eigenen Erfahrungen eine bestimmte Botschaft darin sehen kann. Es heißt vielmehr, dass es keine bestimmte, vorgegebene Botschaft hat, sondern dass jeder darin etwas anderes sehen kann. Je nach eigener Erfahrung können ganz eigene und individuelle Deutungen und Interpretationen zustande kommen. Wer zum Beispiel sehr religiös ist, wird das Buch auch auf diese Art deuten, wird den christlichen Charakter betonen und hervorheben; wohingegen jemand, der mit Glauben nichts am Hut hat, etwas ganz anderes darin sehen kann. Tolkien ist diese Vielfalt an Gedanken viel lieber, weshalb er auch betont, dass es keine (vorgegebene) Botschaft hat. Bearbeitet 19. November 2009 von Fangli Zitieren
Valyanna Geschrieben 19. November 2009 Autor Geschrieben 19. November 2009 Also denkst du auch das Tolkien seinem Leser nicht die Fantasy und die eigenen Vorstellung rauben wollte. So nach dem Motto: Hätte Tolkien gesagt das z.B. die Orks für das gute stehen (ganz übertrieben ) und ein Kind hätte das buch gelesen und gesagt: "Für mich würden die Orks für das böse stehen, aber wenn Tolkien das so gemeint hat..." und dann legt der leser das buch weg und denkt nicht mehr weiter darüber nach. So meinst du das doch, oder? Naja, ich hab z.B. das Wort Allegorie noch nie gehört... Wieder was dazugelernt! *g* Zitieren
Fangli Geschrieben 19. November 2009 Geschrieben 19. November 2009 Also denkst du auch das Tolkien seinem Leser nicht die Fantasy und die eigenen Vorstellung rauben wollte. Ja, genau. Bei Verwendung von Allegorien wird einem vorgeschrieben, was man zu sehen hat. Der Text oder das Bild hat dann eine bestimmte Botschaft. Bei Tolkien wird nun mehr auf der Anwendbarkeits-Schiene gefahren, hier kommt es mehr auf den Leser an und dessen Hintergrund und schon können gänzlich verschiedene Deutungen herauskommen, einfach weil keine spezielle Deutung vorgeschrieben ist, wie es bei Allegorien der Fall wäre. Natürlich bleibt der Autor durch seine eigenen Erfahrungen nicht unbeeinflusst und bringt Dinge ein, die ihn selbst berühren und ihm etwas bedeuten, aber er schreibt diese Deutung so niemandem vor, sondern überlässt es dem Leser, dahinter zu kommen oder auch ganz andere Aspekte darin zu entdecken. Also, ja, Tolkien will dem Leser nicht die Freiheit rauben, seine eigene Deutung aufzustellen. Ich denke das kann man so sagen.:-) Zitieren
Rübezahl Geschrieben 19. November 2009 Geschrieben 19. November 2009 Hallo Ich weiß jetzt nicht ob ich hier richtig bin, aber ich wollte euch mal was erzählen... Als ich im Buch "Herr der Ringe" nochmal so gelesen habe, hab ich auch über die entstehung von Herr der Ringe gelesen, und dort habe ich etwas gefunden worüber ich euch gern eine Frage stellen würde. Dort stand nähmlich das J.R.R. Tolkien mit seinem Buch nie der Menschheit einen tiefern Grund überbringen wollte sondern nur mal ein richtiges langes Buch schreiben wollte. Machen viele Menschen einen zu großen Wirbel um das Buch? Wollte er nichts sagen wegen der Regirung? Wollte er einfach das Menschen sich selber Gedanken machen? Wollte Tolkien uns wirklich nichts sagen? Und wenn, wie kann es sein das ein so hochbegabter Mann (war er wirklich, nicht nur wegen den Büchern. ) so viel Mühe in ein Buch steckt ohne sich etwas dabei zu denken? Was bedeutet "einen tiefern Grund überbringen"? Welche "Regierung"? Was bedeutet "Wollte Tolkien uns wirklich nichts sagen?" Er "sagt" uns doch 10 000 Seiten, auf denen er, wie jeder andere Autor, seine Ansichten öffentlich macht. Gehe ich recht in der Annahme, dass du noch zur Schule gehst und die Lehrer euch mit der berüchtigten Frage "Was will uns der Autor damit sagen" belästigen? Wenn ja: Vergiss bitte die Frage, denn sie fragt falsch. Die Frage hat im Grunde nur den pädagogischen Sinn, das Reflexionsvermögen von jungen Menschen zu trainieren, kann dem Verstehen von Kunst aber im Weg stehen. Die zum Buchverstehen wichtigste Frage lautet: Warum schreibt der Autor "Y" und nicht "Z"? Wer sich anhand der (historischen, geistesgeschichtlichen, kunstgeschichtlichen, biographischen etc.) Faktenlage den Antworten nähert, ist dabei, den entsprechenden Abschnitt des Buchs zu verstehen. Seine Aussage, das Buch habe keine Botschaft, heißt daher nicht, dass man nicht je nach Herkunft, Einstellung und seinen eigenen Erfahrungen eine bestimmte Botschaft darin sehen kann. Es heißt vielmehr, dass es keine bestimmte, vorgegebene Botschaft hat, sondern dass jeder darin etwas anderes sehen kann. Je nach eigener Erfahrung können ganz eigene und individuelle Deutungen und Interpretationen zustande kommen. Wer zum Beispiel sehr religiös ist, wird das Buch auch auf diese Art deuten, wird den christlichen Charakter betonen und hervorheben; wohingegen jemand, der mit Glauben nichts am Hut hat, etwas ganz anderes darin sehen kann. Damit beschreibst du leider nur eine Rückkopplung im Kopf von inkompetenten Lesern: "Ich projiziere mich auf den Text, und dann hat der Text diese oder jene *Botschaft*." Ich bezweifle, dass der Wissenschaftler Tolkien solche sinnfreien Selbstgespräche unterstützt. Beispielsweise kritisiert er in bezug auf manche "Deutungen" der Nomenklatur eben diese geistige Rückkopplung: "I am honoured by the interest that many readers have taken in the nomenclature of The Lord of the Rings; and pleased by it, in so far as it shows that this construction, the product of very considerable thought and labour, has achieved (as I hoped) a verisimilitude, which assists probably in the 'literary belief in the story as historical. But I remain puzzled, and indeed sometimes irritated, by many of the guesses at the 'sources' of the nomenclature, and theories or fancies concerning hidden meanings. These seem to me no more than private amusements, and as such I have no right or power to object to them, though they are, I think, valueless for the elucidation or interpretation of my fiction. If published,[...] I do object to them, when (as they usually do) they appear to be unauthentic embroideries on my work, throwing light only on the state of mind of their contrivers, not on me or on my actual intention and procedure. Many of them seem to show ignorance or disregard of the clues and information which are provided in notes, renderings, and in the Appendices. Also since linguistic invention is, as an art (or pastime) comparatively rare, it is perhaps not surprising that they show little understanding of the process of how a philologist would go about it." (Letter No. 297 - - - draft for a letter to 'Mr Rang') Solange solche "Deutungen" Privatbelustigung sind, hat er, so meint er, "nicht das Recht oder die Macht", Einspruch dagegen zu erheben, wobei man, denke ich, an der Formulierung erkennen kann, dass es ihm in den Fingern juckt und er seine Recht- und Machtlosigkeit bedauert. Was das "Foreword to the Second Edition" angeht, so müsste man sich fragen, welche Intentionen dahinter stecken. War es nicht so, dass Tolkien das "Foreword" speziell als Reaktion auf die in Buchrezensionen und Fan-Briefen behauptete "Zweiter Weltkrieg"-Allegorie verfasste? Wenn man diese oft behauptete "Weltkrieg II"-Allegorie im Hinterkopf behält, liest sich das "Foreword" nicht wie eine Aufforderung, irgendwas individuell auf den Text zu projizieren, sondern in erster Linie als Ablenkung von der ihm angerüchteten Rolle eines Protokollanten des Zweiten Weltkriegs, eine Umleitung vom Speziellen eines Krieges zum Allgemeinen von Kriegen und vergleichbaren historischen Konfliktsituationen. Zitieren
Valyanna Geschrieben 20. November 2009 Autor Geschrieben 20. November 2009 Gehe ich recht in der Annahme, dass du noch zur Schule gehst und die Lehrer euch mit der berüchtigten Frage "Was will uns der Autor damit sagen" belästigen? Da liegst du vollkommen richtig. Wenn wir eine Geschichte oder ein Buch lesen kommt immer die Frage: "Was bedeuted das jetzt, was hat der Autor damit gemeint?" Das hatten wir erst vor kurzen, die ganze klasse hat lange grübeln müssen bis wir rausgekriegt haben was die hören will. *g* Dabei hat doch jeder seie eigenen Vorstellung. Und manche haben gar keine Lust über sowas nachzudenken, sie lesen das buch finden es schön und freuen sich daran und dann lesen sie das nächste Buch. Mir persönlich macht es immer Spaß mir viele und tiefe gedanken über ein Buch zu machen das mir gefällt. Mit der Regierung... Naja, wes ich grad selbst ne so recht*g*... Könnte ja sein das die ein Grund findet sich angegriffen zu fühlen, oder so. Also man könnte an Stelle davon lieber sagen vielleicht hätten sich manche Leute angegriffen gefühlt. (Das ist vielleicht besser ausgedrückt. ) Zitieren
Rübezahl Geschrieben 20. November 2009 Geschrieben 20. November 2009 Da liegst du vollkommen richtig. Wenn wir eine Geschichte oder ein Buch lesen kommt immer die Frage: "Was bedeuted das jetzt, was hat der Autor damit gemeint?" Das hatten wir erst vor kurzen, die ganze klasse hat lange grübeln müssen bis wir rausgekriegt haben was die hören will. *g* Ja, genau, wenn man doch nur wüsste, was die hören wollen. *g* (Kennst du das auch, dass das, was die hören wollen, oft uninteressanter ist, als das, woran man selbst gedacht hat? ) Na ja, Lehrer wollen einfache, handliche Antworten hören, weil der Lehrplan eingehalten werden muss und für mehr keine Zeit ist. Es geht oft nicht darum, eine Kurzgeschichte oder ein Drama zu verstehen, sondern nur darum, bestimmte Fachbegriffe anhand einer Beispielgeschichte zu erklären. Ein Klassiker ist z.B. der Begriff "Parabel", der dann anhand von Lessing abgearbeitet wird. Lessing selbst (also seine Literatur) spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht nur der Fachbegriff. Dass Literatur aber viel komplizierter ist, merkt man erst, wenn man in einer Bibliothek vor den 15 Regalen mit Büchern über Gottfried Benn und den Expressionismus steht. *ächz* Die Frage, die du dir stellst: "Wollte uns Tolkien damit etwas bzw. wirklich nichts sagen?" stammt direkt aus der Schule und hofft wahrscheinlich auf eine handliche Antwort, aber alle denkbaren Antworten sind sicher 15 Bücherregale lang, nehme ich an. Handliche Antworten gibt es nur in der Schule, nicht im "real life". Mit der Regierung... Naja, wes ich grad selbst ne so recht*g*... Könnte ja sein das die ein Grund findet sich angegriffen zu fühlen, oder so. Also man könnte an Stelle davon lieber sagen vielleicht hätten sich manche Leute angegriffen gefühlt. (Das ist vielleicht besser ausgedrückt. ) Ach so, du meinst: z.B. englische ( ? ) Politiker hätten sich durch Figuren wie Saruman, Sauron und Denethor angesprochen fühlen können? Oder anders gesagt: Vielleicht hatte Tolkien beim Schreiben ein paar reale Personen im Hinterkopf? Na ja, warum auch nicht? Parallelen zwischen mittelirdischen Machthabern und realen Machthabern aufzuzeigen, ist eines der Standardthemen in der Sekundärliteratur zu Tolkien. Die Ähnlichkeit zwischen Saruman und modernen Politikern ist ein Klassiker. Darüber kann man immer wieder etwas lesen. Wenn man nun die eine oder andere Argumentation schlüssig findet, merkt man womöglich, dass es egal ist, ob Tolkien "Botschaften" abstreitet: er "botschaftet" so oder so, ob er will oder nicht, z.B. indem er die und die Werte vermittelt. Aber allein schon dieses kleine Thema (fiktionale Machthaber <> nicht-fiktionale Machthaber) würde meines Erachtens einen eigenen Thread (und etwa 1½ Bücherregale ) rechtfertigen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass hier jemand schnell-schnell eine Antwort, die das ganze Thema abdeckt, liefern könnte. Zitieren
Valyanna Geschrieben 20. November 2009 Autor Geschrieben 20. November 2009 Ach so, du meinst: z.B. englische ( ? ) Politiker hätten sich durch Figuren wie Saruman, Sauron und Denethor angesprochen fühlen können? Oder anders gesagt: Vielleicht hatte Tolkien beim Schreiben ein paar reale Personen im Hinterkopf? Jep, genau das meinte ich damit. Aber ich finde es jetzt nach und nach doch gut das Tolkien von sich aus nichts gesagt, weil ich dann bestimmt nicht so viel weiter gelesen hätte (Zusatz) und dann ich am Ende gar kein Herr der Ringe-fan geworden wäre.(schreckliche Vorstellung) Also meinst du jetzt das sich die Frage nicht wirklich beantworten lässt? Oder meinst du das diese Frage nicht nötig ist?... Oder meinst du das wenn Tolkien was gesagt hätte die Antwort nur ein Buch lang wär?*g* Zitieren
Rübezahl Geschrieben 20. November 2009 Geschrieben 20. November 2009 Also meinst du jetzt das sich die Frage nicht wirklich beantworten lässt? Oder meinst du das diese Frage nicht nötig ist?... Oder meinst du das wenn Tolkien was gesagt hätte die Antwort nur ein Buch lang wär?*g* Ich meinte, dass schon allein dieses kleine Thema (Machthaber) kompliziert und die Besprechung langwierig ist. Wenn man zu überlegen anfängt, ob, in welcher Weise und warum Tolkiens Machthaber etwas mit Machthabern der 20er, 30er oder 40er Jahre zu tun haben, dann wird daraus sicher ein langer Thread, in dem 1000 Beiträge auf der Basis von nennenswertem Hintergrundwissen jeweils nur Details beleuchten können. Wenn ich nun deine Allround-Frage ("Wollte Tolkien uns etwas bzw. wirklich nichts sagen?"), die sämtliche Themen des Werks anspricht, einbeziehe, wird mir vom Umfang her schwindelig. Lies zehn Bücherregale und nimm dir 20 Jahre Zeit zur Werksreflexion: danach bist du ein paar Teilantworten sicher näher als jetzt. Einfache und schnelle Antworten zu erwarten ("Wie geht das TV an? Ach, da ist der Schalter."), ist eine schulische Angelegenheit, kein Literatur-Studium. Die Allround-Frage ist in etwa so wie die Frage "Hey, wie funktioniert das Universum?" Ja, puuuh... :anonym: Zitieren
Valyanna Geschrieben 21. November 2009 Autor Geschrieben 21. November 2009 Die Allround-Frage ist in etwa so wie die Frage "Hey, wie funktioniert das Universum?" Ja, puuuh... Ohhh, ja das würde dann schon eine Weile dauern, aber trotzdem Danke das du dir für meine Frage Zeitgenommen hast. Zitieren
Saruman Geschrieben 21. November 2009 Geschrieben 21. November 2009 Eine kurze Antwort möchte ich zu diesem Thema auch noch loswerden, denn unabhängig davon, was sich Tolkien beim Schreiben gedacht hat oder ob er sich überhaupt etwas gedacht oder sogar ob wir heutige Mensche Stellen falsch interpretieren, die sich Tolkien niemals so gedacht hätte, steht nicht zur Debatte, denn man kann eine Aussage interpretieren. Dieses Brett vorm Kopf hat mir damals meine Deutsch-Lehrerin genommen, als ich eine Facharbeit über den "Pakt der Wölfe" geschrieben habe. Das ist zwar ein Film, aber die Interpretation funktioniert ja ähnlich wie bei einem Schriftwerk. Ich wusste, dass sich der Regisseur Christophe Gans nichts Bestimmtes bei seinem Film gedacht hat. Es gibt dort auch eine seltsame Traumszene, wo man immer wieder denkt, die muss doch eine Aussage haben. Christophe Gans sagt aber von seinem Film, er wollte einen historischen Film machen, der junge Leute anspricht und diese Traumszene gefiel ihm einfach von den Effekten her - deswegen ist sie in den Film gekommen. Ich daraufhin zu meiner Lehrerin und habe einmal kritisch nachgefragt, wie man eigentlich wissen kann, dass man eine Szene richtig interpretiert, wenn sich die meisten Autoren sowieso nichts dabei gedacht haben. Deshalb halte ich die Frage "Was hat sich der Autor dabei gedacht" auch für völlig, völlig falsch. Und das hat auch meine Lehrerin zugegeben, aber dann noch einen klugen Satz hinzugefügt: "Es ist egal, ob sich der Regisseur etwas dabei gedacht, denn das heißt nicht, dass die Szene für uns keine Aussage haben kann." Und das ist hier ja auch so durchgekommen. Jeder interpretiert den HDR anders und ich bin sicher, dass Tolkien es so meint, wie er es schreibt - er hatte keine tiefere Aussage in seinen Werken, aber eine Aussage haben sie dennoch für uns. Interpretieren ist also möglich - nicht mehr im Sinne des Autors - aber möglich. Zitieren
Valyanna Geschrieben 21. November 2009 Autor Geschrieben 21. November 2009 Und das ist hier ja auch so durchgekommen. Jeder interpretiert den HDR anders und ich bin sicher, dass Tolkien es so meint, wie er es schreibt - er hatte keine tiefere Aussage in seinen Werken, aber eine Aussage haben sie dennoch für uns. Interpretieren ist also möglich - nicht mehr im Sinne des Autors - aber möglich. Also Tolkien hat sich nichts gedacht, aber er wusste das wir uns was denken, oder wollte das wir uns was denken. Wäre das was anderes wenn ich sage Tolkien hatte auch schon ein paar Allergorien gedacht hat es aber nicht ausgesprochen, weil sonst jeder das gleiche gesagt hätte. Es ist irgenwie Schade, weil wir nicht 100% nachweisen können ob Tolkien sich selber über sein Buch Gedanken gemacht hat, irgendwie kommt das mit der Frage: "Wer ist mit Herr der Ringe gemeint?" ziemlich gleich, oder? Aber ich habe dieses Thema eröffnet um eure Meinungen zu hören und ich bin immer wieder froh, wenn hier jemand seine Meinung uns mitteilt! Zitieren
Rübezahl Geschrieben 21. November 2009 Geschrieben 21. November 2009 Saruman: Grundsätzlich stimme ich dem zu, ich habe aber irgendwie Zweifel, ob das, was du schreibst, mit dem, was du meinst, übereinstimmt. Meinst du tatsächlich, dass sich manche Produzenten "nichts gedacht haben" oder meinst du lediglich, dass sie sagen, "dass sie sich nichts gedacht haben"? Gehe ich nach dem, was du schreibst, ist der Kernpunkt, auf den du hinauswillst: Auch wenn sich der Produzent nichts "dabei gedacht hat", kann etwas für den Rezipienten eine Bedeutung haben. Doch ich kann mir eben diese Situation (dass sich ein Produzent tatsächlich "nichts gedacht" hat) einfach nicht vorstellen. Wie sollte so ein Werk aussehen? Das einzige Beispiel, das mir dazu einfiele, ist das Gekleckse eines Schimpansen, das vor ein paar Jahren als "moderne Kunst" vorgestellt und von dem kunstverständigen Publikum beklatscht wurde. "Gedacht" hat der Schimpanse sich dabei sicher nichts, aber das Ergebnis, das Zufallsprodukt, kann ja trotzdem farblich ansprechend aussehen und sich gut an der Wohnzimmerwand machen, als ebenso ästhetischer Schmuck akzeptiert werden wie z.B. eine Blume, hinter der ebenfalls "keine Gedanken stecken". Wenn wir aber von menschlichen Produzenten ausgehen, habe ich Schwierigkeiten, mir diesen Kernpunkt vorzustellen. Die Schwierigkeit will ich mal mit dem Film-Beispiel illustrieren: [...] "Pakt der Wölfe" [...] geschrieben habe. Das ist zwar ein Film, aber die Interpretation funktioniert ja ähnlich wie bei einem Schriftwerk. Ich wusste, dass sich der Regisseur Christophe Gans nichts Bestimmtes bei seinem Film gedacht hat. Es gibt dort auch eine seltsame Traumszene, wo man immer wieder denkt, die muss doch eine Aussage haben. Christophe Gans sagt aber von seinem Film, er wollte einen historischen Film machen, der junge Leute anspricht und diese Traumszene gefiel ihm einfach von den Effekten her - deswegen ist sie in den Film gekommen. Ich habe den Film und die Traumszene nicht mehr richtig im Gedächtnis, kann mich nur noch schwach daran erinnern, dass die Szene sich nicht mit dem Stil des restlichen Films vertrug. Jedenfalls: Wenn ein Regisseur sowas macht, dann stellt er sich in eine bestimmte gestalterische Traditionslinie, in der Traumsequenzen und Stilbrüche als erzählerische Mittel fungieren. Demnach hat die Traumsequenz automatisch eine erzählerische Funktion, die man ergründen und benennen kann. Wenn sie eine erzählerische Funktion hat, dann hat sich der Regisseur auch "etwas dabei gedacht", er kann (oder will) das, was ihm vorschwebte, vielleicht nicht Wort für Wort ausbuchstabieren, aber "gedacht hat er sich etwas". Ich denke, das sieht man schon an deiner Zusammenfassung seiner Aussagen über den Film (sofern diese Aussagen tatsächlich von ihm stammen): Er meint, er wollte einen Film für junge Leute machen, und die "Traumszene gefiel ihm einfach von den Effekten her". Aber: Wäre es ihm nur darum gegangen, ein Effektfeuerwerk zu veranstalten, dann hätte er nicht ausgerechnet eine *Traum*sequenz drehen müssen. Mögliche Fragen wären also u.a.: *Warum* drehte er ausgerechnet eine Traumsequenz und in welcher Weise hängt dieses erzählerische Mittel mit den sonstigen Inhalten zusammen? Und wenn ein 16jähriger eine Kurzgeschichte, in der ein Sonnenuntergang öfters hervorgehoben wird, schreibt und dann darüber sagt: "Na ja, Sonnenuntergänge sind doch hübsch, ich mag die einfach, weiter nichts", dann wird ein Fachmann der Geschichte mitunter den Ausdruck von Pubertätstodessehnsucht unterstellen und damit vielleicht sogar richtig liegen, je nachdem, wie der Rest der Erzählung aussieht. Der Schreiber der Geschichte ist sich dessen nur nicht bewusst, weil er seine eigenen Gedankengänge nicht unters Mikroskop legt. (Noch nicht. Das macht er erst in der Midlife Crisis mit 41, wenn er unerwartet wieder Bock auf Sonnenuntergänge bekommt. ) Kurz: Das "Nichtsgedachthaben" kann ich mir nicht vorstellen. Zitieren
viator Geschrieben 5. Dezember 2009 Geschrieben 5. Dezember 2009 Bei Verwendung von Allegorien wird einem vorgeschrieben, was man zu sehen hat. Der Text oder das Bild hat dann eine bestimmte Botschaft. Bei Tolkien wird nun mehr auf der Anwendbarkeits-Schiene gefahren, hier kommt es mehr auf den Leser an und dessen Hintergrund und schon können gänzlich verschiedene Deutungen herauskommen, einfach weil keine spezielle Deutung vorgeschrieben ist, wie es bei Allegorien der Fall wäre. Natürlich bleibt der Autor durch seine eigenen Erfahrungen nicht unbeeinflusst und bringt Dinge ein, die ihn selbst berühren und ihm etwas bedeuten, aber er schreibt diese Deutung so niemandem vor, sondern überlässt es dem Leser, dahinter zu kommen oder auch ganz andere Aspekte darin zu entdecken. Also, ja, Tolkien will dem Leser nicht die Freiheit rauben, seine eigene Deutung aufzustellen. Ich denke das kann man so sagen. Was Allegorie und Anwendung betrifft, stimmen wir überein. Nur mit den Deutungen ist das so eine Sache. Ich denke schon, dass mehrere Deutungen eines hinreichend komplexen Werks möglich sind, aber nicht beliebig viele. Und vor allem setzt der Text der Menge der möglichen Deutungen eine Grenze und nicht die Phantasie des Lesers. Meines Erachtens nach ist es die Anwendbarkeit, die völlig dem Leser überlassen ist, also letztendlich das, was die Deutung des Textes durch den Leser für ihn und seine Sicht auf die Welt bedeutet. So kann der Leser zum Beispiel untersuchen, wie Saruman (die literarische Figur, nicht unser Saruman) korrumpiert wird und fällt. Wenn der Leser damit fertig ist, wird er hoffentlich eine am Text belegbare Deutung haben. Wenn die Deutung am Text belegt werden kann, dann kann sie nicht mehr beliebig sein, aber auch nicht so fix wie bei einer Analogie. Anschließend kann der Leser etwa analysieren, ob und wie sehr dieser Mechanismus in der realen Welt Entsprechungen hat (moderne Politiker sind schon genannt worden). Das wäre dann eine Anwendung. Zitieren
Valyanna Geschrieben 13. Dezember 2009 Autor Geschrieben 13. Dezember 2009 (bearbeitet) Hey Leute. Mein Vati (er arbeitet zu Hause und hat manchmal Zeit) hat im Internet etwas sehr interresantes gefunden. Ein Magazin, was Tolkien unterstützt hat.(oder so ) Leider auf Englisch, aber ein Freund von Tolkien äußert sich zu Hintergründen des Buches "Herr der Ringe". Und zwar nicht was er denkt, sondern was Tolkien sich damals so gedacht hat. Er kannte ihn wahrscheinlich und hat sich ein paar mal mit ihm unterhalten... Schaut es euch einfach mal an: Ich hoffe ich hab nichts falschgemacht, weil ich jetzt ein link hier reinkopiert habe... Also, was sagt ihr dazu? Bearbeitet 24. Dezember 2009 von Fangli Link zu rechtsextremer Seite entfernt Zitieren
Rübezahl Geschrieben 14. Dezember 2009 Geschrieben 14. Dezember 2009 Also, was sagt ihr dazu? Dass du soeben eine Website mit rechtskonservativem / rechtsextremem Hintergrund verlinkt hast. Dieser kurze Artikel von Stephen Goodson (der *kein* Freund Tolkiens war) geistert schon seit vielen Jahren durchs Netz. Auf Goodsons Aussage, er sei im Besitz von Tolkiens angeblich damals abonnierten rassistischen Magazinen, verweist auch Tolkienkritiker Shapiro, um den Rassismusvorwurf zu untermauern. Shapiros Kritik, die zu den Aufhängern im Parallel-Thread "Tolkien & Rassismus" gehört, kann man hier lesen: http://www.tolkiengesellschaft.de/v4/alleszutolkien/news/news20030103.shtml Dass dieser Goodson ("Finanzreformer"; pro "Abschaffung der Einkommenssteuer in Südafrika") tatsächlich im Besitz von Tolkiens angeblich abonnierten rassistischen Pamphleten ist, glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe: mit Foto und Herkunftsnachweis. Dass Shapiro ungeprüft glaubt, was ein einziger Mr. Goodson auf einer einzigen Seite im Internet schreibt, ist schlechte Recherche. Shapiros Aufgabe wäre es, der Sache persönlich nachzugehen, notfalls per pedes nach Südafrika zu marschieren, anstatt einen gewissen Goodson zu verlinken. Das Tolkien-Estate will von der Geschichte mit dem abonnierten und posthum verkauften "Candour"-Magazin jedenfalls nichts wissen. Doch das besagt auch wieder nichts, denn das Estate würde die Angelegenheit bestimmt auch dann abstreiten, wenn Abo und Verkauf in Akten vermerkte Fakten wären. Fazit: Unabhängig von der Rassismus-Frage selbst, ist dieser spezielle Artikel als Quelle solange unbrauchbar, bis jemand den Inhalt verifiziert. Zitieren
Gast Dunderklumpen Geschrieben 22. Dezember 2009 Geschrieben 22. Dezember 2009 Als ich im Buch "Herr der Ringe" nochmal so gelesen habe, hab ich auch über die entstehung von Herr der Ringe gelesen, und dort habe ich etwas gefunden worüber ich euch gern eine Frage stellen würde. Dort stand nähmlich das J.R.R. Tolkien mit seinem Buch nie der Menschheit einen tiefern Grund überbringen wollte sondern nur mal ein richtiges langes Buch schreiben wollte. Machen viele Menschen einen zu großen Wirbel um das Buch? Wollte er nichts sagen wegen der Regirung? Wollte er einfach das Menschen sich selber Gedanken machen? Wollte Tolkien uns wirklich nichts sagen? Und wenn, wie kann es sein das ein so hochbegabter Mann (war er wirklich, nicht nur wegen den Büchern. ) so viel Mühe in ein Buch steckt ohne sich etwas dabei zu denken? WAS DENKT IHR? Ich denke dabei bezieht sich Tolkien auf seine Abneigung gegenüber der Allegorie. Er betont ja im Vorwort des Herrn der Ringe: "Wahre oder erfundene Geschichte mit ihrer vielfältigen Anwendbarkeit auf das Denken und die Erfahrung der Leser ist mir viel lieber." Wir müssen hier also klar zwischen Anwendbarkeit und Allegorie unterscheiden. Eine Allegorie ist in diesem Zusammenhang eine eindeutige Botschaft, die indirekt ausgedrückt wird. Eine indirekte Aussage. Man sagt etwas, das "symbolisch" für etwas anderes steht. Also zum Beispiel ein rotes Herz als Allegorie (Symbol) für die Liebe oder der Sensenmann als Allegorie für den Tod. => Bildlich ist etwas anderes dargestellt, aber jeder weiß, was eigentlich gemeint ist. Allegorien haben also eine bestimmte Bedeutung. Oder wie Tolkien ebenfalls im Vorwort sagt: Allegorie "...wird ihm (dem Leser) von der Absicht des Verfassers aufgezwungen." => Wer eine Allegorie verwendet, will damit etwas ganz bestimmtes sagen. Die Deutung ist eindeutig und sozusagen vorgeschrieben. Anwendbarkeit hingegen "...ist der Freiheit des Lesers überlassen,..." Seine Aussage, das Buch habe keine Botschaft, heißt daher nicht, dass man nicht je nach Herkunft, Einstellung und seinen eigenen Erfahrungen eine bestimmte Botschaft darin sehen kann. Es heißt vielmehr, dass es keine bestimmte, vorgegebene Botschaft hat, sondern dass jeder darin etwas anderes sehen kann. Je nach eigener Erfahrung können ganz eigene und individuelle Deutungen und Interpretationen zustande kommen. Wer zum Beispiel sehr religiös ist, wird das Buch auch auf diese Art deuten, wird den christlichen Charakter betonen und hervorheben; wohingegen jemand, der mit Glauben nichts am Hut hat, etwas ganz anderes darin sehen kann. Tolkien ist diese Vielfalt an Gedanken viel lieber, weshalb er auch betont, dass es keine (vorgegebene) Botschaft hat. Ob ein Roman einen "Wert" hat für den Leser oder den Rezipienten, das entscheidet nicht der Autor, sondern der Leser, der Rezipient. Wir scannen ja nicht die Gedanken und Gefühle des Autors, sondern wir lesen sein Werk. Welche Schwierigkeiten Tolkien beim Schreiben des HdR hatte und wie er die Probleme löste, können wir über weite Strecken in der HoMe lesen, in der Christopher Tolkien viele Vorentwürfe des Romans veröffentlicht hat. Was Tolkien dem "Leser" vermitteln wollte, davon steht da nichts. Er hatte nur Sorge, dass der Verlag sein Werk nicht veröffentlichen wird, weil er der Bitte des Verlags, eine Fortsetzung des "Hobbit" zu schreiben, nicht nachzukommen instande war. Es wurde unter seinen Händen etwas anderes. Er folgte beim Schreiben, wie man in der HoMe erkennen kann, der "Logik" seiner Geschichte und seinen Impulsen. Was das alles "bedeuten" soll - solche Fragen hätten ihn wahrscheiniich nur behindert. Falls er diese Fragen beim Entwerfen seines Romans im Kopf hatte - dann hat er das zumindest nicht notiert. ich glaube allerdings nicht, dass er sie im Kopf hatte, da Tolkien, wie er mehrfach betont hat, seinen Impulsen folgt. Ob dann am Ende dieser Roman ein Dokument seiner Zeit oder Gesellschaft ist - das kann der Autor selber in der Regel nicht beantworten. Dazu sind die Rezipienten da, das festzustellen.Ein guter Autor, der menschliche und künstlerische Tiefe hat, kann gar keine "Kunst" produzieren, ohne dass sein Werk ein Dokument für seine Zeit oder/und die Menschen seiner Zeit oder gar die Menschen überhaupt sind. Wir können darum heute noch etwas mit Homer, Shakespeare, Goethe etc. etwas anfangen, weil auch unser heutiges Menschsein davon berührt ist. "Es" sagt uns auch heute noch etwas. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Genannten vorhatten, der Menschheit was zu sagen. Zählen tut nur, ob sie es taten. Wir brauchen keine Erlaubnis von den Autoren, ob wir ihre Werke bewerten oder deuten dürfen. Das Recht haben wir, denn Kunst ist immer ein Gemeinschaftswerk. Der Künstler holt seine Anregungen von anderen Künstlern und anderen Menschen, fügt etwas hinzu und gibt es der Gemeinschaft wieder zurück. Aus diesem Prozess entsteht die "Kultur". Ein Kunstwerk repräsentiert immer irgendetwas, notgedrungen. Das kann man schon beim Fotografieren sehen. Ich kann meine Familie fotografieren - das ist dann ein Dokument und sagt nichts darüber hinaus. Oder fast nichts. Ganz verhindern kann man es nie. Aber künstlerische Fotografie wählt bewusst eine Szene aus, um damit über das rein Abgebildete hinaus etwas sichtbar zu machen. Es dokumentiert nicht nur - wie eine Mutter im Jahr sowieso aussah z.B. -, sondern kann vielleicht die Verlassenheit einer alten Dame oder ihre Weisheit oder ihre Eingebundenheit in die Umgebung sichtbar machen. Damit wird es - in meinen Augen - zum Kunstwerk. Nicht nur die Familie interessiert sich dafür - ach ja, so sah Mutti aus mit 90 -, sondern kann tausende von anderen Menschen berühren: weil dieses künstlerische Foto, wie Fangli gesagt hat, angewendet werden kann; in dem Fall z.B. auf den persönlichen Erkenntnisweg eines Menschen. Vielleicht nimmt er mit 30 Jahren die Verlassenheit wahr, mit 50 die Weisheit, mit 80 die Verschmolzenheit mit der Umgebung. Und immer war es dieselber Fotografie. Mit literarischen Werken, die - gerade wenn es sich um Romane handelt - ja sogar oft komplexer sind als Fotografien (nehme ich an), ist es noch mehr so. Diese Werke "wachsen" mit einem mit. Manche Werke, die mich früher begeistert haben, kriege ich heute gar nicht mehr runter; andere lese ich ganz anders als noch vor dreißig Jahren. Das kann man auch auf die ganze Kulturgeschichte anwenden. Wie man Goethes "Werther" kurz nach der Entstehung des "Werther" aufgenommen und verstanden hat, können wir ein wenig rekonstruieren, weil es da ein paar Dokumente aus der Zeit von damals gibt. Aber heute lesen wir das Werk ganz anders, weil unsere eigene Zeit uns ganz anders geformt hat. Viele Literaturgeschichtler sind der Meinung, dass nur die alten Werke bis heute gelesen oder rezipiert werden, die von Anfang an das Potential in sich hatten, über die Dokumentierung der eigenen Zeit hinaus etwas Allgemeines - über den Menschen - eingefangen zu haben. Ob aber ein Werk dieses Potential hat, weiß niemand bei oder direkt nach der Entstehung. Das entscheidet die Historie. Mozart galt lange als oberfächlich - heute git er bei vielen als der tiefste Komponist aller Zeiten. Darum ist es schlechterdings unmöglich, ein allgemeingültiges Urteil über Wert oder Unwert eines gerade entstandenen Werkes zu fällen. Und ebenfalls ist es nicht möglich, allgemeingültig zu sagen: dies oder dies zeigt das Werk auf. Irgendwas zeigt es immer auf, wenn es eben keine einfache Dokumntation ist. Aber was genau aufgezeigt wird - das entscheidet am wenigsten der Künstler selber. Wenn er selber eine vielschichtige Person ist, wird er jede Menge in sein Werk mittransportiert haben, ohne es überhaupt zu merken. Und Kitschautoren transportieren nicht selten ein komisches Welt- und Menschenbid, ohne es gewollt oder auch nur gemerkt zu haben. Hätten sie es gemekrt, hätten sie vielleicht versucht, es zu verhindern. Der entscheidende Punkt ist, dass ein Kunstwerk eben nie ohne den Rezipienten existiert. Das kann einen sogar in die Verzweiflung treiben - aber man kann es nicht ändern. Ein Kunstwerk ist immer ein Gemeinschaftswerk. Bevor der Leser oder Rezipient nicht seinen eigenen Teil dazu beistuert, ist es nicht entzifferbar. Dann kommt natürlich gleich sofort die Frage auf: Also kann man alles Beliebige hineinlesen? Klar kann man. Tut man ja auch andauernd. Welche Instanz sollte auch die Leser alle kontrotllieren? Big Brother ist nicht watching us. Wenn ich einen Roman veröffentliche, gebe ich ihn frei, zur freien Verwendung. Er gehört nun den Lesern, und sie können alles mit ihm machen, was sie wollen. Und sie tun es ja auch. Die einen sehen sich durch den HdR zum strengen Katholizismus bekehrt, die anderen zum Verlassen des Katholizismus - als konstruiertes Beispiel. Einige sehen darin eine Bestätigung zur Anwendung von Gewalt, andere lassen von nun an alle Gewalt. Das sind ihre persönlichen Entscheidungen, die sie aufgrund der Lektüre fällen und vielleicht niemandem mitteilen. Solange wir die Menschen nicht dazu zwingen, ihre Psyche von Ethikkommissionen kontrollieren und umpolen zu lassen, können wir nicht verhindern, dass Romane so oder anders die Menschen beeinflussen. Anders wird es in dem Moment, wo der Bereich der Einzelpsyche verlassen wird und die Literaturwissenschaft sich der - literarischen - Werke annimmt. Es gab Zeiten, wo von "ewigen Werten" der klassischen Meisterwerke geredet wurde. Das erachtet man seit langem als falsch und auch als gefährlich. Jedes Kunstwerk steht in der Zeit, also verändert sich mit den Jahrhunderten, eigentlich schon mit den Jahren. Man kann eigentlich nur konstatieren, dass die Werke immer wieder anders gelesen werden, und nach Möglichkeit beschreiben, was sich in der Rezeption verändert hat. Die Literaturwissenschaft ist nicht präskriptiv, sondern deskriptiv - das heißt, sie schreibt nicht vor, wie ein Werk gelesen werden muss, sondern beschreibt, wie es gelesen wird. Freilich ist es auch ein Bereich der Literaturwissenschaft, festzustellen, ob man an den Kunstwerken selber festmachen kann, ob bestimmte Lesarten ausgeschlossen sind (wie Viator in diesem Thread thematisiert). Auch dazu gibt es verschiedene Meinungen. Einige Wissenschaftler sagen, dass gar nichts ausgeschlossen werden kann - andere sagen, dass die Strukturen eines Werkes einiges ausschließen. So wie die Satzstruktur: "Der Mann verkauft den Hund" die Lesart ausschließt, dass der Mann von dem Hund verkauft wird. Die allgemeingesellschaftlich definierte Funktion von Subjekt und Akkusativobjekt schließen diese Lesart aus. Aber gibt es solche allgemeingesellschaftlich definierten Funktionen auch in einem dickleibigen Roman? Nein. Da sind tausende von Strukturen und Beziehungen enthalten, die nicht Eindeutigkeit, sondern schwebende Bezüge schaffen. Wer sich jahrelang in dieses ganze Beziehungsgeflecht einarbeitet und gerade die schwebenden Bezüge nicht außer Acht lässt, wird am Ende zu einer Interpretation kommen, die zumindest nachvollziehbar gemacht werden kann - wenn man streng literaturwissenschaftlich arbeitet. Aber beweisbar sind sie nie, weil immer die geistigen Voraussetzungen des Interpreten teil der Interpretation gerade dieser schwebenden Bezüge sind. Und darum muss der Literaturwissenschaftler diese Voraussetzungen, diese Prämissen, benennen: damit man erkennt, aufgrund welcher Setzungen er zu welchen Ergebnissen kommt. Das alles geschieht, um das noch einmal zu wiederholen, gänzlich unabhängig davon,ob der Autor uns die Erlaubnis dazu gibt oder nicht. Oder wie er gar selber sein Werk gelesen haben möchte. Darauf hat er keinen Einfluss. Zitieren
Gast Dunderklumpen Geschrieben 24. Dezember 2009 Geschrieben 24. Dezember 2009 Also, was sagt ihr dazu? Dass du soeben eine Website mit rechtskonservativem / rechtsextremem Hintergrund verlinkt hast. Hallo Admins und Mods! Falls es stimmt, was Rübezahl da schreibt, solltest Ihr den Link überprüfen, dazu seid Ihr verpflichtet. Vielleicht habt Ihr das ja auch schon gemacht. Aber wenn Rübezahl Recht hat, müsst Ihr den Link löschen, sonst sehr Ihr alt aus. Zitieren
Valyanna Geschrieben 24. Dezember 2009 Autor Geschrieben 24. Dezember 2009 Da komm ich gerade gar ni mit... Hab ich (schonwieder) Mist gebaut? :( Zitieren
Gast Dunderklumpen Geschrieben 24. Dezember 2009 Geschrieben 24. Dezember 2009 Da komm ich gerade gar ni mit... Hab ich (schonwieder) Mist gebaut? Keine Ahnung, Valyanina. Aber wenn Rübezahl Recht hat, kriegen die Admins Riesenärger. Du solltest sicherheitshalber Deinen Link löschen. Offenbar ist kein Admin oder Mod dazu bereit bzw. anwesend. Zitieren
Fangli Geschrieben 24. Dezember 2009 Geschrieben 24. Dezember 2009 Du solltest sicherheitshalber Deinen Link löschen. Offenbar ist kein Admin oder Mod dazu bereit bzw. anwesend. Schon lange geschehen. Link wurde entfernt, vielen Dank für den Hinweis.;-) Zitieren
Valyanna Geschrieben 27. Dezember 2009 Autor Geschrieben 27. Dezember 2009 Ouch danke Fangil. Hab ich echt ni gewusst... :( Zitieren
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