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Einfluss des Herrn der Ringe auf die Fantasy-Literatur


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Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Hallo an Alle,

treiben sich hier vielleicht noch Leute herum, die daaaamals im Tolkienboard unterwegs waren? Dem Forum von tolkienwelt.de?

Da ich mich gerade studiumsbedingt ganz viel mit Herr der Ringe beschäftige, hab ich so ne kleine nostalgische Phase ;) Ich war mit 13/14 immer dort im Forum unterwegs, nachdem ich Herr der Ringe verschlungen hatte und gar nicht mehr genug von Tolkien bekommen konnte (bin immer noch groooßer Fan). Vielleicht sind hier ja noch Leute von damals :-) Das wäre irgendwie schön!

liebe Grüße,

Alfirin

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

treiben sich hier vielleicht noch Leute herum, die daaaamals im Tolkienboard unterwegs waren? Dem Forum von tolkienwelt.de?

Meinst Du jetzt das "Tolkienboard" oder "tolkienwelt.de"? Das waren zwei verschiedene Foren. Ersteres hieß wirklich "Tolkienboard".

Da ich mich gerade studiumsbedingt ganz viel mit Herr der Ringe beschäftige,

Das klingt interessant. Magst Du ein bisschen davon erzählen?

Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Also das war das Forum, das zu tolkienwelt.de gehörte. Ich meine, dass man es aber auch direkt über tolkienboard.de erreichen konnte. Kann mich da aber auch irren. Das ist ja nun auch ein Weilchen her ;-)

Ich schreibe meine Bachelorarbeit über den Einfluss, den der Herr der Ringe auf die nachfolgende Fantasyliteratur genommen hat. Na ja, bzw. befinde ich mich gerade im Anleseprozess und schlage mich mit den Definitionsproblemen zur phantastischen Literatur und zur Fantasy herum.

Mein Ziel ist es, exemplarisch 2-3 Werke auf den Einfluss hin zu untersuchen. Dazu muss ich aber erstmal Herr der Ringe analysieren und besonders das "Neue"/Innovative an HdR herausarbeiten, was die Fantasyliteratur danach geprägt hat.

Also es kann durchaus vorkommen, dass ich hier noch das ein oder andere mal Hilfe und Rat brauche. :-)

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Also das war das Forum, das zu tolkienwelt.de gehörte. Ich meine, dass man es aber auch direkt über tolkienboard.de erreichen konnte. Kann mich da aber auch irren. Das ist ja nun auch ein Weilchen her ;-)

Ich denke, die User in beiden Boards waren unterschiedliche. Vom blauen Tolkienboard sind hier im Forum ein paar, bei tolkienwelt.de kenne ich mich nicht aus. Aber letzteres Forum existiert ja noch, wenn ich das richtig verstehe.

Ich schreibe meine Bachelorarbeit über den Einfluss, den der Herr der Ringe auf die nachfolgende Fantasyliteratur genommen hat. Na ja, bzw. befinde ich mich gerade im Anleseprozess und schlage mich mit den Definitionsproblemen zur phantastischen Literatur und zur Fantasy herum.

Das (von mir Fettgedruckte) klingt für mich persönlich sehr spannend (und vermutlich für mindestens einen weiteren hier im Forum ebenfalls). Was benutzt Du, um diese Definitionsprobleme zu klären? Schreibst Du im Fach Englisch?

Mein Ziel ist es, exemplarisch 2-3 Werke auf den Einfluss hin zu untersuchen. Dazu muss ich aber erstmal Herr der Ringe analysieren und besonders das "Neue"/Innovative an HdR herausarbeiten, was die Fantasyliteratur danach geprägt hat.

Eine tolle Aufgabe. Hast Du die Werke, deren Einfluss durch Tolkien Du untersuchst, schon in etwa ausgesucht?

Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Ich denke, die User in beiden Boards waren unterschiedliche. Vom blauen Tolkienboard sind hier im Forum ein paar, bei tolkienwelt.de kenne ich mich nicht aus. Aber letzteres Forum existiert ja noch, wenn ich das richtig verstehe.

Ja, wenn das ein blaues Tolkienboard war, dann waren es unterschiedliche. Ich war in einem grünen unterwegs. :D Das existiert leider nicht mehr. Ich wüsste zu gerne, was ich damals da geschrieben habe.

Das (von mir Fettgedruckte) klingt für mich persönlich sehr spannend (und vermutlich für mindestens einen weiteren hier im Forum ebenfalls). Was benutzt Du, um diese Definitionsprobleme zu klären? Schreibst Du im Fach Englisch?

Cool, dass dich das interessiert :)

Also, ich lese mich gerade durch "Theorie der phantastischen Literatur" von Uwe Durst und durch ein paar andere theoretische Abhandlungen. Da es unterschiedliche Definitionsansätze gibt, kann ich nicht zu einer einheitlichen Definition gelangen. Ich stelle sie eher vor und versuche daraus einen Ansatz zu finden, um Fantasy da einzugliedern.

Ganz allgemein gibt es zwei Genredefinitionen: die maximalistische und die minimalistische. Erstere hat eindeutig mehr Vertreter.

Maximalistische Definitionsansätze sehen das Hauptmerkmal phantastischer Literatur darin, dass in einer realistischen Weltordnung etwas Übernatürliches passiert, das im unerklärlichen Gegensatz zu den wissenschaftlichen Naturgesetzen steht. Der Theoretiker Roger Caillois bezeichnet ein solches Ereignis als "Riss" in der Handlung.

Minimalistische Definitionsansätze sind da deutlich präziser. Der wohl bedeutendste ist von Todorov. (Seine Grundgedanken sind in diesem Skript auf S. 3 ganz gut zusammengefasst: http://www.ruhr-uni-bochum.de/komparatistik/downloads/Phantastik2007-2.pdf).

Fantasy als Subgenre der Phantastischen Literatur zu sehen ist jedoch problematisch, da Fantasy zum einen den Stempel des Trivialen hat (Stichwort Realitätsflucht etc. --> Dazu ist es ganz interessant zu lesen, was Tolkien dazu gesagt hat: http://www.helmutwpesch.de/index_htm_files/Pesch_Fantasy_Theorie-und-Geschichte.pdf Seite 173) und ein Element von Fantasyliteratur die imaginäre Welt ist, die im Gegensatz zu der realen Welt der phantastischen Literatur steht.

Da gibt es unterschiedliche Auffassungen. Einige Theoretiker gebrauchen Fantasy und Phantastik synonym, andere sehen Fantasy als Subgenre, und wieder andere sehen Fantasy als eigenes Genre, das neben der phantastischen Literatur und der SF existiert.

Joah...ich muss da jetzt irgendwie mir einen Rein draus machen. Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass ich Fantasy als "Folgegenre" der phantastischen Literatur einordne. :kratz:

Ich studier Deutsch :)

Eine tolle Aufgabe. Hast Du die Werke, deren Einfluss durch Tolkien Du untersuchst, schon in etwa ausgesucht?

Ja, finde ich auch :) Nein, ich hab die Werke noch nicht ausgesucht und ich finde es auch ziemlich schwierig, mich da zu entscheiden. Ich hatte überlegt, ein Werk zu nehmen, was unmittelbar nach HdR erschienen ist und den Einfluss Tolkiens sehr deutlich macht. Und dann hatte ich überlegt, vielllleeeiiiccht noch George R.R. Martins Lied von Eis und Feuer zu nehmen. Obwohl ich nicht weiß, inwiefern das dann meinen Rahmen sprengt. Aber allein die Tatsache, dass er auf dem Buchrücken als "amerikanischer J.R.R. Tolkien" gehandelt wird, fordert mich schon ein wenig heraus :)

Hast du sonst noch einen guten Tipp, welches Buch sich geradezu anbietet auf den Einfluss untersucht zu werden (Otherland hatte ich auch noch überlegt)?

Geschrieben

Ich hatte bisher das Gefühl, dass der minimalistische Definitionsansatz in der Forschung stärkere Berücksichtigung findet, das kann aber natürlich auch daran liegen, dass mit Todorov und Durst zwei Minimalisten die beiden Standardwerke zum Thema stellen. Hast Du Belege in irgendeiner Form dafür, dass der Maximalismus mehr Vertreter hat oder ist das auch nur ein Gefühl Deinerseits?

Welche Werke Du auf Tolkien'sche Einflüsse untersuchen "darfst", hängt letztlich stark davon ab, welchen Definitionsansatz Du wählst, da hierdurch bestimmte Werke entweder in die Fantasy-Literatur einzuordnen sind oder eben nicht. Persönlich würde mich die Otherland-Untersuchung am meisten reizen.

In jedem Fall klingt das nach einer sehr interessanten Arbeit :-)

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Ja, wenn das ein blaues Tolkienboard war, dann waren es unterschiedliche. Ich war in einem grünen unterwegs. :D Das existiert leider nicht mehr.

Schade. Ich kann die Nostalgie verstehen, vor allem, wenn es das erste Forum war, das man desbezüglich kennengelernt hat. Vielleicht taucht ja noch jemand auf.

Zu Uwe Durst: ich hab seine Bücher noch immer nicht gelesen, obwohl ich das schon lange wollte. Ich möchte im Prinzip wie Du den Durchblick durch die verschiedenen Theorien kriegen, aber es kam immer was dazwischen.

Die Todorovschen Gedanken kenne ich so in etwa.

Fantasy als Subgenre der Phantastischen Literatur zu sehen ist jedoch problematisch, da Fantasy zum einen den Stempel des Trivialen hat [...]

Letzteres ist wahr, wird aber oft abgestritten.

(Stichwort Realitätsflucht etc. -->

Realitätsflucht wurde auch lange der literarischen Romantik vorgeworfen, wird es zum Teil auch heute noch.

Realitätsflucht ist meines Erachtens nicht automatisch ein Zeichen von Trivialität.

Aber mir gefällt, dass Du überlegst, ob Fantasy wirklich ein Subgenre zur Phantastischen Literatur ist. Wobei es ja auch, fällt mir grad ein, innerhalb der Phantastischen Literatur auch Trivialität gibt, ohne Fantasy zu sein. Zum Beispiel Science Fiction. Oder zählt letztere nicht zur Phantastischen Literatur?

Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, dass ich Fantasy als "Folgegenre" der phantastischen Literatur einordne. :kratz:

Finde ich nicht schlecht.

Hast du sonst noch einen guten Tipp, welches Buch sich geradezu anbietet auf den Einfluss untersucht zu werden (Otherland hatte ich auch noch überlegt)?

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, willst Du ja das Fantasyelement als solches in den beeinflussten Werken untersuchen - wie weit dieses Element also schon bei Tolkien enthalten ist, und erst seit Tolkien?

Falls das stimmt, dann müsste man ja auch herausfinden, was dieses Fantasyelement überhaupt ist, oder?

"Das Lied von Eis und Feuer" kenne ich nicht, insofern habe ich keine Ahnung, ob die Beeinflussung lediglich inhaltlicher Natur ist oder eben das Fantasyelement selber da herauspräparierbar ist.

Sicherlich beeinflusst von Tolkien ist Michael Endes "Die unendliche Geschichte" - aber dieses Buch eignet sich eventuell nicht zum Vergleich.

"Otherland" ist da mit Sicherheit weit ergiebiger. Aber ich weiß nicht, ob man sagen kann, "Otherland" sei Fantasy oder trage Fantasy-Elemente in sich.

Das hängt dann eben davon ab, von welchem Fantasy-Element Du dann letztendlich ausgehen willst für den Vergleich.

Geschrieben

Den Ansatz für die Arbeit finde ich gut und sehr spannend.

Ich habe mich früher auch einmal mit ein paar Grundlagen beschäftigt. Aber es gelingt mir nicht nebenher auf dem laufenden zu bleiben. Die Bücher von Uwe Durst stehen zwar hier. Doch noch immer ungelesen.

Vielleicht wäre Ursula K. LeGuins 'Erdsee' ein guter Untersuchungsgegenstand im Vergleich mit Tolkien.

Sicherlich beeinflusst von Tolkien ist Michael Endes "Die unendliche Geschichte" - aber dieses Buch eignet sich eventuell nicht zum Vergleich.

Ende zählt zwar Tolkiens 'Blatt von Tüftler' zu seinen Lieblingsgeschichten. Aber ich sehe, außer im Rückgriff auf die Romantik, keinen so großen Tolkieneinfluß bei Michael Ende.

Auch wenn es hier ein bißchen OT ist, wo siehst Du denn, Dunderklumpen, Tolkien bei Ende?

Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Ich hatte bisher das Gefühl, dass der minimalistische Definitionsansatz in der Forschung stärkere Berücksichtigung findet, das kann aber natürlich auch daran liegen, dass mit Todorov und Durst zwei Minimalisten die beiden Standardwerke zum Thema stellen. Hast Du Belege in irgendeiner Form dafür, dass der Maximalismus mehr Vertreter hat oder ist das auch nur ein Gefühl Deinerseits?

Da beziehe ich mich auf Durst: "Trotz der allgemeinen Verwirrung lassen sich zwei grundsätzliche Definitionen des Genres unterscheiden, nämlich eine maximalistische, die bis heute das Feld theoretischer Auseinandersetzung beherrscht, und eine minimalistische, die lediglich von einer Forschungsminderheit vertreten wird." (Uwe Durst: Theorie der phantastischen Literatur, Berlin 2007, S. 28) Ich kann dir aber nicht sagen, wieviele das sind ;) Da würd ich auch darauf tippen, dass es an den beiden Standardwerken liegt. Insbesondere, weil Todorov der erste war, der sich umfangreicher damit beschäftigt hat.

Welche Werke Du auf Tolkien'sche Einflüsse untersuchen "darfst", hängt letztlich stark davon ab, welchen Definitionsansatz Du wählst, da hierdurch bestimmte Werke entweder in die Fantasy-Literatur einzuordnen sind oder eben nicht. Persönlich würde mich die Otherland-Untersuchung am meisten reizen.

Ich werde mich auf die Definition von Fantasy stützen. In dem nächsten Punkt, den ich mir vorknöpfe werd ich darauf nochmal näher eingehen. Also welche Elemente Fantasy charakterisieren (magisches Element, heroisches Element, Element der imaginären Welt). Du hast Recht, Otherland würde ich nach der Fantasy-Definition nicht unter Fantasy einordnen, sondern unter Science Fiction. Das wird also ein wenig schwierig.

In jedem Fall klingt das nach einer sehr interessanten Arbeit :-)

Ja :) Ich hoffe, ich bin ihr gewachsen. Hab grad das Gefühl, mir platzt der Kopf ;)

Vielleicht wäre Ursula K. LeGuins 'Erdsee' ein guter Untersuchungsgegenstand im Vergleich mit Tolkien.

Danke für den Tipp. Habe ich leider nicht gelesen, aber ich google das mal und vielleicht hat die Bücherei es ja im Sortiment :-)

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Auch wenn es hier ein bißchen OT ist, wo siehst Du denn, Dunderklumpen, Tolkien bei Ende?

Allein schon der Titel: "Die unendliche Geschichte". Das ist eines der Grundthemen Tolkiens, dass Geschichten nie zu Ende gehen. Allerdings habe ich vergessen, wie Endes "Unendliche Geschichte" das Unendliche thematisiert.

Dann der Kampf gegen den Untergang der Phantasie. Bei Ende ist das direkt das Handlungsthema, bei Tolkien die Motivation zum Schreiben.

Eigentlich dachte ich bislang, dass Ende sich ganz bewusst in die Tolkien-Tradition eingeklinkt hat. Kann aber natürlich auch ein Irrtum sein.

Geschrieben

Eigentlich dachte ich bislang, dass Ende sich ganz bewusst in die Tolkien-Tradition eingeklinkt hat. Kann aber natürlich auch ein Irrtum sein.

Meines Wissens hat er sich von Tolkien bzw. vom Herrn der Ringe distanziert. Er selbst sah seine Unendliche Geschichte nicht in der Tradition Tolkiens. Ich habe das auch irgendwo in einem Interview. Ende ist ja ständig auf eine Verbindung zu Tolkien angesprochen worden. Wenn ich ein bißchen Zeit habe, schaue ich mal nach.

Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Zu Uwe Durst: ich hab seine Bücher noch immer nicht gelesen, obwohl ich das schon lange wollte. Ich möchte im Prinzip wie Du den Durchblick durch die verschiedenen Theorien kriegen, aber es kam immer was dazwischen.

Ja, das glaub ich. Wenn ich nicht dieses Thema gewählt hätte, würde ich auch nicht unbedingt sofort danach greifen. Es ist halt einfach sehr, sehr viel Theorie und teilweise etwas ermüdend, das kann ich nicht leugnen ;-)

Realitätsflucht wurde auch lange der literarischen Romantik vorgeworfen, wird es zum Teil auch heute noch.

Realitätsflucht ist meines Erachtens nicht automatisch ein Zeichen von Trivialität.

Find ich auch.

Aber mir gefällt, dass Du überlegst, ob Fantasy wirklich ein Subgenre zur Phantastischen Literatur ist. Wobei es ja auch, fällt mir grad ein, innerhalb der Phantastischen Literatur auch Trivialität gibt, ohne Fantasy zu sein. Zum Beispiel Science Fiction. Oder zählt letztere nicht zur Phantastischen Literatur?

Da habe ich verschiedene Ansätze zu gefunden. Einige ordnen SF unter phantastische Literatur ein und andere als ein "Nebengenre". Inwiefern phantastische Literatur auch trivial sein kann weiß ich grad auch nicht, wäre aber interessant herauszufinden.

Wenn ich Dich richtig verstanden habe, willst Du ja das Fantasyelement als solches in den beeinflussten Werken untersuchen - wie weit dieses Element also schon bei Tolkien enthalten ist, und erst seit Tolkien?

Falls das stimmt, dann müsste man ja auch herausfinden, was dieses Fantasyelement überhaupt ist, oder?

Es geht mir weniger um ein Fantasyelement, als um die "Dinge", die HdR ausmachen. Also ich habe vor, erstmal HdR auf Fantasyelemente hin zu untersuchen (insbesondere auf das, was neu war), aber auch die Handlungsstruktur, die Charaktere und die Motive etc. zu analysieren. Natürlich nur exemplarisch, sonst ufert das noch aus ;-) Daraufhin nehme ich mir ein anderes Werk vor und gucke gezielt, wo sich Parallelen und Einflüsse finden.

Sicherlich beeinflusst von Tolkien ist Michael Endes "Die unendliche Geschichte" - aber dieses Buch eignet sich eventuell nicht zum Vergleich.

"Otherland" ist da mit Sicherheit weit ergiebiger. Aber ich weiß nicht, ob man sagen kann, "Otherland" sei Fantasy oder trage Fantasy-Elemente in sich.

Das hängt dann eben davon ab, von welchem Fantasy-Element Du dann letztendlich ausgehen willst für den Vergleich.

Ja, Otherland hat mit Sicherheit Fantasyelemente, allerdings, wie oben geschrieben, würd ich das (nach heutiger Lektüre) doch eher zur SF einordnen.

Die unendliche Geschichte wäre auch SF, glaub ich...Die schau ich mir aber nochmal genauer an.

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Eigentlich dachte ich bislang, dass Ende sich ganz bewusst in die Tolkien-Tradition eingeklinkt hat. Kann aber natürlich auch ein Irrtum sein.

Meines Wissens hat er sich von Tolkien bzw. vom Herrn der Ringe distanziert.

O...

Er selbst sah seine Unendliche Geschichte nicht in der Tradition Tolkiens. Ich habe das auch irgendwo in einem Interview. Ende ist ja ständig auf eine Verbindung zu Tolkien angesprochen worden. Wenn ich ein bißchen Zeit habe, schaue ich mal nach.

Dafür wäre ich dankbar. Denn ich hatte tatsächlich genau das Gegenteil gelesen. Werde das aber wohl nicht wederfinden.

Ob dennoch Beeinflussungen möglich sind, könnte dann nur eine Strukturanalyse ergeben.

Ich selber sehe Tolkien um ein Vielfaches innovativer an als Michael Ende. Ich mag Endes Haltung, seine Gedanken etc., aber die Bücher, die ich gelesen habe - und oft gelesen habe -: "Momo" und "Die unendliche Geschichte", sind mir literarisch gesehen ganz uninteressant.

Interessant hingegen fand ich ein Zitat von ihm, das ich mal gefunden habe über das Thema "Phantastische Literatur" oder surreale Literatur.

Da leugnete er den kategorialen Unterschied zwischen realistischer und abstrakter Kunst. Er sagte sinngemäß: dass alles, was wir sehen, bereits abstrahierend von dem Gesehenen ist. Ich male den Berg da vor mir, und schon ist es eine Abstrahierung von dem "wirklichen" Berg.

Die Abstrahierung kann zwar stärker vorgenommen werden oder weniger stark - aber das seien Unterschiede im Grad, nicht in der Sache selbst.

Ich muss sagen, sein Argument hat mir ziemlich eingeleuchtet.

Gast Dunderklumpen
Geschrieben (bearbeitet)

- 2 -

Maximalistische Definitionsansätze sehen das Hauptmerkmal phantastischer Literatur darin, dass in einer realistischen Weltordnung etwas Übernatürliches passiert, das im unerklärlichen Gegensatz zu den wissenschaftlichen Naturgesetzen steht.

Hier muss ich mal nachfragen:

1. Von welcher Perspektive aus steht da etwas im Gegensatz zu denh wissenschaftlichen Naturgesetzen? Aus der Perspektive der entsprechenden Protagonisten oder aus der Perspektive des Lesers?

Mir fällt im Moment kein Werk ein, wo der Protagonist selber erstaunt ist darüber, dass die Naturgesetze außer Gefecht gesetzt sind. Der "Schreck" über das Gesehehen scheint mir anderer Natur zu sein. Aber ich kann mich auch irren.

Wenn die Perspektive die des Lesers ist, die phantastische Literatur von realistischer Literatur wegen der Verletzung von Naturgesetzen unterscheidet, dann wäre das ein anderer Snack. Und eventuell ein fragwürdidger.

2. Wie ist das mit Volksmärchen? Werden diese von den Maximalisten aus der Phantastik ausgeschlossen? Denn in den Volksmärchen ist das Übernatürliche ganz natürlich.

Bearbeitet von Dunderklumpen
Gast AinaAlfirin
Geschrieben

1. Von welcher Perspektive aus steht da etwas im Gegensatz zu denh wissenschaftlichen Naturgesetzen? Aus der Perspektive der entsprechenden Protagonisten oder aus der Perspektive des Lesers?

Nach Todorov aus der Perspektive des Lesers. Häufig empfindet der Protagonist ebenso und wird zu einer Identifikationsfigur für den Leser. Der Leser nimmt die dargestellte Welt als reale Welt wahr, die sich unseren Naturgesetzen unterwirft (oder eben nicht, wenn das phantastische hinzukommt).

Mir fällt im Moment kein Werk ein, wo der Protagonist selber erstaunt ist darüber, dass die Naturgesetze außer Gefecht gesetzt sind. Der "Schreck" über das Gesehehen scheint mir anderer Natur zu sein. Aber ich kann mich auch irren.

Hmmm, ich würde das so interpretieren, dass das Ereignis den Protagonisten so erschreckt, weil er keine realistische Erklärung für das Geschehen hat.

Wenn die Perspektive die des Lesers ist, die phantastische Literatur von realistischer Literatur wegen der Verletzung von Naturgesetzen unterscheidet, dann wäre das ein anderer Snack. Und eventuell ein fragwürdidger.

Seh ich auch so. Deshalb wurde Todorovs Ansatz auch kritisiert, weil er sich auf den Leser fokussiert und dessen Unschlüssigkeit bezüglich der Klärung des besonderen Ereignisses.

2. Wie ist das mit Volksmärchen? Werden diese von den Maximalisten aus der Phantastik ausgeschlossen? Denn in den Volksmärchen ist das Übernatürliche ganz natürlich.

Volksmärchen wurden von Maximalisten, wie Fricke (1981) und Nodier (1830) eingeschlossen. Diese zählen aber auch Bibelgeschichten, Science Fiction und antike Mythen dazu. Also ein sehr weites Feld. Das kommt dann natürlich drauf an, wie man das "Andere", was der Realitätsordnung entgegengesetzt ist, definiert. Ob es sich um eine reale Welt handeln muss oder ob die Elemente dieser Welt real sein müssen und mit phantastischen Elementen aufeinandertreffen. Da gehen die Meinungen auseinander.

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

1. Von welcher Perspektive aus steht da etwas im Gegensatz zu denh wissenschaftlichen Naturgesetzen? Aus der Perspektive der entsprechenden Protagonisten oder aus der Perspektive des Lesers?

Nach Todorov aus der Perspektive des Lesers. Häufig empfindet der Protagonist ebenso und wird zu einer Identifikationsfigur für den Leser. Der Leser nimmt die dargestellte Welt als reale Welt wahr, die sich unseren Naturgesetzen unterwirft (oder eben nicht, wenn das phantastische hinzukommt).

Okay. Nur denke ich, dass der Leser da oft falsch verstanden wird. In der Regel weiß der Leser schon, dass in der Literatur mit Bildern gearbeitet wird, die nicht in Konkurrenz zu unserer naturwissenschaftlichen Welt stehen, sondern sie deuten. Wenn Dali verbogene Uhren zeigt, dann glaubt niemand, dass diese verbogenen Uhren einen Konflikt mit den unverbogenen Uhrern unserer Primärwelt hervorrufen. Man weiß, dass gemeint ist, dass die Zeit auch ganz anders verstanden werden kann als durch ein äußeres Messen. Es wird also die Zeit thematisiert, und nicht die realen Uhren, die naturwissenschaftlich gesehen in dieser Form gar nicht verbiegen können.

Weiß nicht, ob ich klar machen kann im Moment, was ich meine. Ich meine, dass das Wesen von phantastischer Literatur nicht darin besteht, dass "Naturgesetze gebrochen werden". Das ist einfach nur ein künstlerisches Mittel, um eingefleischte Wahrnehmung zu lockern. Und darum geht es auch Tolkien, wenn man seinen theoretischen Äußerungen glauben will.

Mir fällt im Moment kein Werk ein, wo der Protagonist selber erstaunt ist darüber, dass die Naturgesetze außer Gefecht gesetzt sind. Der "Schreck" über das Gesehehen scheint mir anderer Natur zu sein. Aber ich kann mich auch irren.

Hmmm, ich würde das so interpretieren, dass das Ereignis den Protagonisten so erschreckt, weil er keine realistische Erklärung für das Geschehen hat.

Wenn man auf der Handlungsebene bleibt, vielleicht ja. Dennoch glaube ich es dann doch nicht so richtig. Wenn Josef K. in Kafkas Werken erschrickt, weil er morgens von komischen Männern verhaftet wird und in komische Gerichtssäle geschleppt wird, dann ist dieses Erschrecken von anderer Natur, als wenn dasselbe mir oder dir passieren würde.

Wir in unserer realen Welt gehen eben davon aus, dass so etwas nicht passieren kann - es sei denn, man träumt oder man ist in einen Wahn gefallen. Und darum kriegen wir dann wirklich einen Schreck, der aber mait Selbstzweifeln zu tun hat. Wir würden doch nie glauben, dass sich über Nacht unsere Demokratie verändert hat.

Josef K. aber - und jede noch so realistische Figur in der Literatur - lebt gar nicht in unserer realen Welt. Sie hat selber immer etwas Unrealistisches an sich, und darum ist die Begegnung bei ihr mit dem Phantastischen immer noch natürlicher, als wenn es uns in dieser Welt passieren würde.

Wenn wir uns also mit dieser Figur identifizieren, wie Du sagst, dann vermutlich nicht darum, weil wir ebenfalls Angst haben, dass eines Morgens die Bäume alle geschrumpft sind. Phantastik thematisiert nicht die Naturwissenschaft und ihre Gesetze - so denke ich. Sie beschreibt auch nicht den Zusammenbruch der Naturwissenschaft.

Sondern - so vermute ich - richtet den Blick auf unsere Wahrnehmung; die, nach Tolkien und auch meiner entschiedenen Sicht nach, gefesselt ist, manipuliert durch die Mainstreamwahrnehmung. Wir leben in einer extravertiert ausgerichteten Zivilisation, und die Phantastik macht - wenn sie gut ist - bewusst, dass Resultate introvertierter Wahrnehmung einen Schock auslösen können.

Hast Du das, was ich da eben geschrieben habe, irgendwo mal bei den Theoretikern so ähnlich gefunden?

Geschrieben

Aufgrund der Themenänderung habe ich den Thread mal umbenannt. Ich hoffe, der gewählte Titel ist passend, ansonsten dürfen gern Änderungswünsche an mich herangetragen werden. Ich bin selbst nicht 100%ig glücklich damit, da die Genrediskussion zur Phantastischen Literatur nicht enthalten ist.

Zum Thema: Ich meine, dass bei Todorov nicht der tatsächliche Leser, sondern der implizite Leser den Bruch wahrnimmt. Da Todorov Strukturalist ist, kann es eigentlich nicht anders sein. Mag aber sein, dass ich mich irre, und Todorov an diesem Punkt inkonsequent ist.

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Danke, Cadrach. Das hatte ich mir schon gewünscht, dass der Thread umbenannt wird.

Ich finde den Titel gut. So kann man hier auch anderes als die Genrediskussion führen. Denn die ist ja ohnehin nur ein Baustein zum Hauptthema, wenn ich das richtig verstanden habe.

Zu Todorov:

Ich hab sein Büchlein leider nicht zur Hand, müsste erst Kisten durchstöbern. Aber vielleicht tue ich das in der nächsten Woche. Das wäre schon nicht unwichtig, genannte Frage zu klären.

Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Weiß nicht, ob ich klar machen kann im Moment, was ich meine. Ich meine, dass das Wesen von phantastischer Literatur nicht darin besteht, dass "Naturgesetze gebrochen werden". Das ist einfach nur ein künstlerisches Mittel, um eingefleischte Wahrnehmung zu lockern. Und darum geht es auch Tolkien, wenn man seinen theoretischen Äußerungen glauben will.

Ja, da geb ich dir Recht. Ich hab an dieser Stelle versucht den Konsens der Theoretiker wiederzugeben, wenn es darum geht, eine Definition zu finden.

Ich denke eh, dass diese Versuche, die phantastische Literatur in eine Definition zu "zwängen" ihr nicht gerecht wird. Dabei fällt ja meistens soetwas wie die Wirkung von phantastischer Literatur raus.

Wenn man auf der Handlungsebene bleibt, vielleicht ja. Dennoch glaube ich es dann doch nicht so richtig. Wenn Josef K. in Kafkas Werken erschrickt, weil er morgens von komischen Männern verhaftet wird und in komische Gerichtssäle geschleppt wird, dann ist dieses Erschrecken von anderer Natur, als wenn dasselbe mir oder dir passieren würde.

Bei dem Erschrecken geht es ja eher um ein Erschrecken vor dem vorerst Übernatürlichen. Das Unbekannte in der phantastischen Literatur ist demnach nicht etwas, was dir oder mir passieren würde.

Josef K. aber - und jede noch so realistische Figur in der Literatur - lebt gar nicht in unserer realen Welt. Sie hat selber immer etwas Unrealistisches an sich, und darum ist die Begegnung bei ihr mit dem Phantastischen immer noch natürlicher, als wenn es uns in dieser Welt passieren würde.

Natürlich, Josef K. ist eine fiktive Person und lebt so oder so in einer anderen Welt, als der unseren, weil Literatur nie die Welt so darstellen kann, wie sie ist. Jedenfalls nicht zu 100%. Ich denke, man kann das von zwei Seiten sehen: Entweder wird davon ausgegangen, dass die Gesetze unserer Welt für die des Textes ebenso Geltung haben oder die Weltordnung des Textes wird als gegeben akzeptiert und auf dieser Ebene passiert dann etwas Übernatürliches. Das ist halt das Problem, dass es da keine Einigkeit gibt.

Wenn wir uns also mit dieser Figur identifizieren, wie Du sagst, dann vermutlich nicht darum, weil wir ebenfalls Angst haben, dass eines Morgens die Bäume alle geschrumpft sind. Phantastik thematisiert nicht die Naturwissenschaft und ihre Gesetze - so denke ich. Sie beschreibt auch nicht den Zusammenbruch der Naturwissenschaft.

Nein, das stimmt. Da gebe ich dir Recht. Die Naturwissenschaft ist nicht das eigentliche Thema von phantastischer Literatur. Sie wird nur als Mittel herangezogen, um zu dem Versuch einer Definition zu gelangen. Denn in phantastischen Texten werden die Naturgesetze in irgendeiner Art und Weise angegriffen. Das macht ja das Phantastische aus, dass es über Grenzen hinausgeht.

Sondern - so vermute ich - richtet den Blick auf unsere Wahrnehmung; die, nach Tolkien und auch meiner entschiedenen Sicht nach, gefesselt ist, manipuliert durch die Mainstreamwahrnehmung. Wir leben in einer extravertiert ausgerichteten Zivilisation, und die Phantastik macht - wenn sie gut ist - bewusst, dass Resultate introvertierter Wahrnehmung einen Schock auslösen können.

Seh ich auch so. Bei den literaturwissenschaftlichen Definitionen geht es leider weniger um den Zweck oder die Intention phantastischer Texte, sondern vielmehr um strukturelle, inhaltliche Aspekte.

Hast Du das, was ich da eben geschrieben habe, irgendwo mal bei den Theoretikern so ähnlich gefunden?

Am ehesten würde ich das noch bei Berg sehen, der das Genre als Ausdrucksmedium sieht, mit modernen Krisen umzugehen. Ich bin da aber nicht tief genug im Thema drinnen, als dass ich dir da näher Auskunft geben kann ;-) Der Gliederungspunkt "Phantastische Literatur - Definitionsansätze" macht auch nur zwei Seiten meiner BA-Arbeit aus, d.h. ich "streife" nur ein wenig die Theorie.

Zum Thema: Ich meine, dass bei Todorov nicht der tatsächliche Leser, sondern der implizite Leser den Bruch wahrnimmt. Da Todorov Strukturalist ist, kann es eigentlich nicht anders sein. Mag aber sein, dass ich mich irre, und Todorov an diesem Punkt inkonsequent ist.

Ja, du hast Recht. Ich habs nochmal nachgelesen. Es war der implizite Leser :-) Danke für den Hinweis!

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Ich meine, dass das Wesen von phantastischer Literatur nicht darin besteht, dass "Naturgesetze gebrochen werden". Das ist einfach nur ein künstlerisches Mittel, um eingefleischte Wahrnehmung zu lockern. Und darum geht es auch Tolkien, wenn man seinen theoretischen Äußerungen glauben will.

Ja, da geb ich dir Recht. Ich hab an dieser Stelle versucht den Konsens der Theoretiker wiederzugeben, wenn es darum geht, eine Definition zu finden.

Ja, ich weiß. Ich wollte da nur einfach weiterdenken.

Wenn man auf der Handlungsebene bleibt, vielleicht ja. Dennoch glaube ich es dann doch nicht so richtig. Wenn Josef K. in Kafkas Werken erschrickt, weil er morgens von komischen Männern verhaftet wird und in komische Gerichtssäle geschleppt wird, dann ist dieses Erschrecken von anderer Natur, als wenn dasselbe mir oder dir passieren würde.

Bei dem Erschrecken geht es ja eher um ein Erschrecken vor dem vorerst Übernatürlichen. Das Unbekannte in der phantastischen Literatur ist demnach nicht etwas, was dir oder mir passieren würde.

Ich wollte ursprünglich oben die Handlungsebene von der Deutungsebene unterscheiden, war dann aber irgendwie zu müde, das klar zu tun.

Was ich sagen wollte - und habe dabei erst mal nur die Handlungsebene im Blick gehabt:

Selbst bei der Betrachtung der reinen Handlungsebene ist eine Bewertung oder Beschreibung dessen, was mit den Protagonisten geschieht, nicht durch einen Vergleich mit uns realen Menschen machbar.

Ob dieses Erschrecken - selbst auf der Handlungsebene - tatsächlich ein Erschrecken vor dem Übernatürlichenist, zweifele ich zur Zeit an. Zumindest an einigen Werken der Romantik oder des Surrealismus könnte ich das widerlegen.

Darum vermute ich, dass dies nur eine bestimmte Art rationale Theoretiker ist, die nach Kategorien sucht, die im Werk selber gar nicht diese Rolle spielen. Und auch der implizite Leser - ohnehin nur schwer dingfest zu machen - kommt wohl nicht auf die Idee, dass das Übernatürliche ihn erschrecken soll.

Ich befürchte, dass die momentanen Theoretiker mit ihren Definitionsversuchen den phantastischen Werken Kriterien unterstellen, die vielleicht bei den Theoretikern selber eine Rolle spielen, aber nicht in der Phantastik selber.

Ist aber völlig ins Unreine gesprochen, darüber muss ich noch nachdenken. Mich würde halt interessieren, was die Diskutierenden hier dazu sagen.

Natürlich, Josef K. ist eine fiktive Person und lebt so oder so in einer anderen Welt, als der unseren, weil Literatur nie die Welt so darstellen kann, wie sie ist. Jedenfalls nicht zu 100%.

Meiner Meinung nach: eher zu 0 %. Ein gezeichneter Apfel nützt einem zu 0 %, wenn man Hunger oder Durst hat. Ein geträumter Hund hat fast 0 % gemeinsam mit einem echten Hund. Wobei ich den realen Apfel und den realen Hund durch seine reale Funktion innerhalb unserer Welt definiere. In dem Moment, wo ich beide ästhetisiere, betrete ich die künstlerische Welt, wo andere Gesetze herrschen. Das ist ein Kategorienwechsel. Darum gibt es da keine Überlappungen (meiner Meinung nach).

Ich bring mal kurz ein Beispiel, von dem ich hoffe, das es nicht OT ist, sondern den Kern trifft:

Mitte September 2001 hatte ich eine Eintrittskarte für ein Konzert in der Hamburger Musikhalle mit dem unglaublichen Komponisten Karl-Heinz-Stockhausen. Meine Freunde und ich freuten uns wie Kinder auf dieses Konzert, wir hatten Stockhausen noch nie live gesehen, und er war da schon 73 Jahre, man musste sich beeilen ihn zu erleben.

Als wir die Musikhalle betraten, erfuhren wir, dass der Hamburger Senat das Konzert abgesagt hat. Wir kriegten alle unser Geld direktemang zurück. Was war passiert?

Stockhausen hatte in einem Pressegespräch zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (die grad eine knappe Woche zurücklagen) erklärt:

Stockhausen:

Also was da geschehen ist, ist natürlich - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat …

Das fand der Senat als eine solche Beleidigung gegenüber den Opfern des 11. September, das er eine Aufführung eines Stockhausenschens Konzertes für unmoralisch hielt.

Mit anderen Worten: die von Stockhausen geforderte "Umstellung des Gehirns" (in meinen Worten: Kategorienwechsel) wollte der Senat nicht tun.

Wikipedia - das mir obiges Zitat geliefert hat - bringt auch Stockhausens ausführlichere Erklärung für seine Wahrnehmung. Ich zitere auch sie, weil sie mir zu Michael Endes Zitat - das ich wieter oben im Thread gebracht habe - zu passen scheint:

Stockhausen:

Daß also Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nie träumen könnten, daß Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch, für ein Konzert. Und dann sterben. [Zögert.] Und das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Das sind also Leute, die sind so konzentriert auf dieses eine, auf die eine Aufführung, und dann werden fünftausend Leute in die Auferstehung gejagt. In einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, also als Komponisten. … Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das Konzert gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen.

Stockhausen nimmt also den künstlerischen Aspekt des Geschehens wahr - ohne übrigens die ethische Verwerflichkeit zu leugnen. Es war meines Erachtens nicht gerechtfertigt, das Konzert ausfallen zu lassen.

Man verstand eben nicht die künstlerische Sicht. Sie hat andere Gesetze.

Hoffe, dass es irgendwie deutlich wird, dass für mich auch die Phantastik nicht durch den Vergleich von natürlich-unnatürlich definiert werden kann, eigentlich.

Ich denke, man kann das von zwei Seiten sehen: Entweder wird davon ausgegangen, dass die Gesetze unserer Welt für die des Textes ebenso Geltung haben oder die Weltordnung des Textes wird als gegeben akzeptiert und auf dieser Ebene passiert dann etwas Übernatürliches. Das ist halt das Problem, dass es da keine Einigkeit gibt.

Ja. Und ich wollte da noch eine dritte Möglichkeit ins Spiel bringen.

Sondern - so vermute ich - richtet den Blick auf unsere Wahrnehmung; die, nach Tolkien und auch meiner entschiedenen Sicht nach, gefesselt ist, manipuliert durch die Mainstreamwahrnehmung. Wir leben in einer extravertiert ausgerichteten Zivilisation, und die Phantastik macht - wenn sie gut ist - bewusst, dass Resultate introvertierter Wahrnehmung einen Schock auslösen können.

Seh ich auch so. Bei den literaturwissenschaftlichen Definitionen geht es leider weniger um den Zweck oder die Intention phantastischer Texte, sondern vielmehr um strukturelle, inhaltliche Aspekte.

Strukturelle Aspekte sind eigentich das Gegenteil zu ihnaltlichen Aspekten. Literaturwissenschaft sollte sich eigentlich an strukturelle Aspekte halten und nicht an inhaltliche. Und das wird nicht getan, wenn man realweltliche Unterscheidungen - natürlich/übernatürlich -, also außerliterarische Unterscheidungen, heranträgt. Ich sollte wirklich den Uwe Durst lesen, denn der scheint da doch eher das Außerliterarische auszuklammern, oder?

Gast AinaAlfirin
Geschrieben

Darum vermute ich, dass dies nur eine bestimmte Art rationale Theoretiker ist, die nach Kategorien sucht, die im Werk selber gar nicht diese Rolle spielen. Und auch der implizite Leser - ohnehin nur schwer dingfest zu machen - kommt wohl nicht auf die Idee, dass das Übernatürliche ihn erschrecken soll.

Du sagst es. Es ist der Versuch, Kategorien zu finden, die überhaupt nicht auf jedes Werk der phantastischen Literatur anwendbar sind. Deshalb gibt es, meiner Meinung nach, keine wirkliche Definition. Und ich gelange auch immer mehr zu der Überzeugung, dass es eine solche theoretische Definition auch gar nicht geben kann. Das Phantastische ist zu weitreichend und irgendwo liegt darin ja auch der Reiz, dass es Spielraum lässt und nicht starr an Kategorien festgemacht werden kann.

Meiner Meinung nach: eher zu 0 %. Ein gezeichneter Apfel nützt einem zu 0 %, wenn man Hunger oder Durst hat. Ein geträumter Hund hat fast 0 % gemeinsam mit einem echten Hund. Wobei ich den realen Apfel und den realen Hund durch seine reale Funktion innerhalb unserer Welt definiere. In dem Moment, wo ich beide ästhetisiere, betrete ich die künstlerische Welt, wo andere Gesetze herrschen. Das ist ein Kategorienwechsel. Darum gibt es da keine Überlappungen (meiner Meinung nach).

Das ist natürlich Ansichtssache. Wenn man von der Funktion ausgeht, wie in deinem Beispiel, dann hast du Recht. Ich bin der Meinung, dass die Kunst jedoch die Realität abbilden kann. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Und ist es nicht z.B. auch so, dass die Sprache ein Versuch der Menschen ist, die Welt darstellen zu können? Der Hund, von dem ich träume, wird meist so aussehen, wie ein Hund in der realen Welt. Jedenfalls wie er unseren konventionellen Vorstellungen von einem Hund entspricht.

name='Dunderklumpen' timestamp='1351849614' post='301841']Stockhausen:

Also was da geschehen ist, ist natürlich - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat …

Diese Aussage finde ich persönlich auch sehr gewagt. Da spielt dann natürlich die Frage mit rein, was man unter einem "Kunstwerk" versteht. Ich glaube ich kann erahnen, was Herr Stockhausen damit ausdrücken wollte. Auf der künstlerischen Ebene kann man nicht mit der gleichen Denkweise herangehen, wie unser Gehirn es normalerweise tun würde. Dennoch wäre an dieser Stelle und angesichts des Leids ein wenig mehr Feingefühl angebracht gewesen - jedenfalls meiner Meinung nach.

Strukturelle Aspekte sind eigentich das Gegenteil zu ihnaltlichen Aspekten. Literaturwissenschaft sollte sich eigentlich an strukturelle Aspekte halten und nicht an inhaltliche. Und das wird nicht getan, wenn man realweltliche Unterscheidungen - natürlich/übernatürlich -, also außerliterarische Unterscheidungen, heranträgt. Ich sollte wirklich den Uwe Durst lesen, denn der scheint da doch eher das Außerliterarische auszuklammern, oder?

Da sollte ein "und" zwischen strukturelle und inhaltliche Aspekte ;-) Literaturwissenschaft beschäftigt sich auch mit inhaltlichen Aspekten. Sonst würden z.B. Literaturinterpretationen ja gar nicht unter den Begriff "Literaturwissenschaft" fallen.

Ja, lies mal den Durst. Bei ihm wird ziemlich deutlich, warum diese ganze terminologische Verwirrung herrscht.

Unterscheidungen, wie natürlich/übernatürlich ließen sich ja z.B. auch nicht auf der Herr der Ringe anwenden. Ein Grund mehr, HdR nicht unter phantastische Literatur einzuordnen. Jedenfalls nicht unter diese fadenscheinigen Definitionsansätze, wie ich finde.

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