raukothaur Geschrieben 7. Juni 2013 Geschrieben 7. Juni 2013 (bearbeitet) Willkommen im GTL zum Beowulf. Hier soll nach der Reclam-Ausgabe Lehnerts Zeile 662-836 (Warten auf Grendel, Kampf mit Grendel im zweiten Kapitel) diskutiert werden. Der allgemeine Besprechungsthread ist hier http://www.tolkienfo...f-und-die-edda/ zu finden. Grundsätzlich haben wir uns auf die Übertragung von Lehnert aus dem Jahr 1986 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 18303) geeinigt. Solltet Ihr eine andere Übertragung verwenden, wäre es hilfreich, wenn Ihr hierauf jeweils hinweisen würdet, weil Abweichungen in der Wortwahl bestehen können. Manche Übertragungen geben der wortgetreuen Übersetzung den Vorrang, manche scheinen mehr erläuternd dem Sinn oder der flüssigen Lesbarkeit den Vorrang zu geben. Auch hier wieder auf ein schönes Diskutieren und Austauschen (wenn auch bedauernswerterweise ohne Joran). Bearbeitet 7. Juni 2013 von seregthaur Zitieren
raukothaur Geschrieben 8. Juni 2013 Autor Geschrieben 8. Juni 2013 Der erste imho spannende Teil des Heldenepos. Der Held kämpft nun endlich mit dem Ungeheuer Grendel. Auch hier übertreibt es Beowulf für meinem Geschmack ein wenig. Er legt Rüstung und Schwert ab (ist er komplett nackt?), damit für beide Kontrahenten die gleichen Verhältnisse gelten. Soll das eine germanische Tugend sein oder pseudochristlicher Ausgleich oder doch nur zusätzliche Angeberei des Helden? Hinzu kommt die Art und Weise, wie er Grendel besiegt. Er nimmt des Ungeheuers Arm und reißt es ihm an der Achsel heraus. Hier frage ich mit erst einmal, wie groß Grendel wohl ist, dass Beowulf so einfach seinen Arm ergreifen kann. Grendel soll ja irgendwie mit Riesen verwandt sein, kann demnach aber doch nicht allzu groß sein. Daher habe ich ihn auf 3-4 Meter (wenn überhaupt) geschätzt. Was würdet ihr da schätzen? Außerdem ist Beowulf wohl ziemlich übermenschlich dargestellt, wenn er Grendel nur mit seiner Manneskraft einen Arm ausreißen kann und Grendel allein schon beim Anblick des Helden Furcht bekommt, wo das Ungeheuer doch sonst nichts fürchtend wie ein Berserker unter seinen Opfern wütet. In Vers 742 trinkt Grendel das Blut seines letzten Opfers, was mir seltsam erscheint, wo Grendel doch kein Vampir ist. Hier fehlt mir wahrsch. das nötige Wissen. Sind Vampire also nicht die einzigen Bösewichte, deren Grausamkeit es ist, menschliches Blut zu trinken? Ernährt sich auch Grendel von Blut? Auch ist interessant, dass in Vers 822 erwähnt wird, dass Grendel weiß, dass sein Leben nun vorbei ist. Hat das Ungeheuer ein Gespür dafür oder hat es genügend Verstand, um zu bemerken, dass es verbluten wird? Zitieren
Gast Dunderklumpen Geschrieben 11. Juni 2013 Geschrieben 11. Juni 2013 Ich habe begonnen, mich jetzt ein wenig in den Beowulf einzulesen, um die Lücke, die durch Joran entstanden ist, zumindest ein wenig zu füllen, auch wenn ich seine (gründliche) Herangehensweise nicht fortsetzen kann, natürlich, was ich bedaure. Auch hier übertreibt es Beowulf für meinem Geschmack ein wenig. Er legt Rüstung und Schwert ab (ist er komplett nackt?), damit für beide Kontrahenten die gleichen Verhältnisse gelten. Soll das eine germanische Tugend sein oder pseudochristlicher Ausgleich oder doch nur zusätzliche Angeberei des Helden? Ich wüsste nicht, dass die alten Kämpfer unter ihrer Rüstung nackt waren. Beowulf geht zu Bett, darum legt er auch den Helm und die Rüstung ab. Aber vorher hat er freilich erklärt, dass er fair mit Grendel kämpfen will. Das ist offenbar der althergebrachte faire Zweikampf, Es wird mit gleichen Waffen gekämpft. Darum will Beowulf nicht mit dem Schwert kämpfen, womit er sofort Grendel umbringen könnte. Diese Ritterlichkeit im Kampf ist natürlich spätestens mit der Erfindung der Massenvernichtungswaffen verschwunden, wo Bomben auf Millionen von zivilen Bürgern sie jenseits aller Fairness auslöschten. Siehe zu den früheren Geüflogenheiten vielleicht http://de.wikipedia.org/wiki/Duell#Altertum_und_Mittelalter Kapitel "Altertum und Mittelalter". Hinzu kommt noch - darin sind sich Lehnert und auch Tolkien in seinem "Beowulf"-Aufsatz, wie es aussieht, einig -, dass die Konfrontation von Beowulf und Grendel in dem Werk möglicherweise psychologisiert ist. Das heißt, es geht nicht um einen realen Kampf (wie auch, es gibt ja keine realen Ugeheuer). Zu Beowulfs Stärke: Wir erfahren bereits in Vers 408 ff über die Möglichkeiten Beowulfs: Er hat bereits mehrere Riesen vernichtet und ein paar Seeungeheuer erschlagen. Er ist also deutlich eine Sagenfigur; die inhaltlichen Stoffe des Beowulf gehen ja, wie ich gelesen habe, vielfach oder gar insgesamt auf alte Sagen zurück, die der Verfasser aufgegriffen, aber in ihrer Funktion und Bedeutung verändert hat. Im Vorwort von Lehnert (Reclam) stand, dass der Verfasser einerseits sehr gebildet war bezüglich alter mythischer Stoffe, andererseits aber auch sein Publikum gebildet war und ebenfalls alle diese alten Stoffe kannte. Insofern konnte der Autor den Inhalt der Stoffe - in dem Fall dann wohl auch alles über die Sagenfigur des Beowulf - bei den Zuhörern und Lesern voraussetzen. Diese waren immer nur gespannt auf Ausschmückungen und Veränderungen. Darum müsste man eigentlich heute bei der Lektüre des Beowulf wissen, was das damalige Publikum über Beowulf wusste. Ich schätze mal, dass man das auch schon erforscht hat. Zu der "Furcht" Grendels: Er weiß offenbar sofort, nachdem Beowulf ihn in die Mangel genommen hat, dass er seinen Meister gefunden hat und er nicht mehr lebend davon kommt. Was die körperliche Größe von Grendel angeht: ich schätze, das war bei mythischen Figuren zur Zeit der Niederschrift des Beowulf nie eine Frage. Mythische Figuren sind eben nie real, jedenfalls nicht in einer Dichtung, wo der Verfasser an reale Ungeheuer nicht glaubt, sondern ihnen einen symbolischen Gehalt verleiht. Zitieren
raukothaur Geschrieben 12. Juni 2013 Autor Geschrieben 12. Juni 2013 (bearbeitet) Erst mal schön, dass Du eingestiegen bist, Dunderklumpen. Zur Nacktheit: Im Text steht eben nicht explizit, ob er noch etwas anhat. Aber Du hast natürlich Recht, dass es seltsam wäre, wenn Krieger unter ihrer Rüstung nackt wären. Nur ist er in der Verfilmung "Die Legende von Beowulf" nackt, aber da dieser Film (wie schon erwähnt) einfach schlecht ist, sollte ich mich davon wohl nicht beirren lassen. Zur Ritterlichkeit: Wie kann man in diesem Kampf aber faire Maßstäbe anlegen, da es sich bei Grendel nunmal nicht um einen menschlichen Gegner handelt? Ich würde das ja nachvollziehen können, wenn bei zwei menschlichen Kontrahenten die gleichen Voraussetzungen an Waffen, Rüstungen etc. gegeben wären, aber bei einem Ungeheuer? Grendel hat es doch gar nicht verdient, ritterlich behandelt zu werden. Oder übersehe ich da was? Zur Psychologisierung: Dann wären im Beowulf doch Metaebenen zu finden, beispielsweise: - der beschriebene Kampf, allgemein die wortwörtliche Deutung des Textes - der darauf aufbauende metaphorische Kampf im psychologischen Sinne - die Botschaft des Autors an den Leser durch die Psychologisierung eines Kampfes, der nur in der Psyche ( ? ) stattfindet -> Könnte Grendel dann z.B. für gewisse böse Gedankengänge eines Menchen stehen, die der Mensch selbst überwinden muss, indem er z.B. ein Vorbild in Gott sucht? Zur "Furcht" Grendels: Aber woher weiß das Ungeheuer es denn? In der Metaebene wäre es ja dann ein Teil der Psyche, der 'weiß' von dem 'besseren' Teil der Psyche ausgestoßen zu sein. Zur Größe: Auf der ersten Metabene - die des beschriebenen Kampfes und der allgemeinen wortwörtlichen Deutung - könnte man es sich ja dennoch zum Spaße machen, eine fiktive Größe vorzuschlagen. Was spricht denn gegen ein Benennen einer realen Größe? Bearbeitet 12. Juni 2013 von seregthaur Zitieren
Gast Dunderklumpen Geschrieben 19. Juni 2013 Geschrieben 19. Juni 2013 Zur Nacktheit: Im Text steht eben nicht explizit, ob er noch etwas anhat. In einem Roman, wo beschrieben wird, wie zwei Leute ein Restaurant betreten und ihre Mäntel an die Garderobe hängen, steht auch nicht explizit, dass die beiden unter den Mänteln noch etwas anhaben. Zur Ritterlichkeit: Wie kann man in diesem Kampf aber faire Maßstäbe anlegen, da es sich bei Grendel nunmal nicht um einen menschlichen Gegner handelt? Ich würde das ja nachvollziehen können, wenn bei zwei menschlichen Kontrahenten die gleichen Voraussetzungen an Waffen, Rüstungen etc. gegeben wären, aber bei einem Ungeheuer? Grendel hat es doch gar nicht verdient, ritterlich behandelt zu werden. Oder übersehe ich da was? Es geht vermutlich um die eigene Anständigkeit. Wie soll man das sog. Böse besiegen, wenn es in einem selber ebenfalls vorhanden ist? Dein Argument mit dem "Verdienen" ist in etwa das Argument Frodos gegenüber Gandalf bezüglich Gollum. Oder nicht? Zitieren
raukothaur Geschrieben 20. Juni 2013 Autor Geschrieben 20. Juni 2013 (bearbeitet) [...] und ihre Mäntel an die Garderobe hängen, steht auch nicht explizit, dass die beiden unter den Mänteln noch etwas anhaben. Das ist ein Argument. Dann ist wohl davon auszugehen, dass Beowulf noch etwas anhat beim Kampf. Dein Argument mit dem "Verdienen" ist in etwa das Argument Frodos gegenüber Gandalf bezüglich Gollum. Oder nicht? Ich verstehe. Das klingt plausibel. Also ist der Held so anständig, jedem die gleiche Chance zu geben? Bearbeitet 20. Juni 2013 von seregthaur Zitieren
Gast Dunderklumpen Geschrieben 21. Juni 2013 Geschrieben 21. Juni 2013 Also ist der Held so anständig, jedem die gleiche Chance zu geben? Ich zögere, das so zu unterschreiben. Beide sind keine realen oder realistischen Menschen, und es gälte herauszufinden, worum genau es bei dem Kampf überhaupt geht. Ich schließe aus, dass es hier um billigen Filmschund geht, wo bloß die Lüsternheit des Publikums nach Blut und Grausamkeit befriedigt werden soll, so wie in den Arenakämpfen. Genausu schließe ich aus, dass es um sowas wie "Eine Stadt jagt einen Mörder" geht. Es fällt auf, dass die Dänen selber nicht in der Lage waren, Grendel zu töten. Und weil Grendel wusste, dass er mit keinem Widerstand rechnen musste, kam er immer wieder, verschlang die schlafenden Krieger. Wieso schlafen die immer? Auch die mitgebrachten Beowulf-Krieger schlafen, als Grendel kommt, und einer von ihnen wird auch gefressen. Aber weil Beowulf wach ist, kann er Widerstand leisten. Möglich, dass hier dann doch die Gethsemane-Erzählung im Neuen Testament assoziiert wird, wo Jesus in Todesangst darum ringt, seinen morgigen Tod zu akzeptieren. Auch da schlafen die Jünger, die Jesus eigentlich seelisch unterstützen sollten. Aber im Beowulf ist die Geschichte gegenteilig erzählt: der Tod soll nicht akzeptiert werden. Sie wird praktisch unterlaufen. Warum also kann Beowulf als einziger wach bleiben? Bier gekippt hat er genauso wie seine Freunde. Übrigens steht irgendwo, dass Beowulf weiß, dass Grendel durch Schwerter nicht besiegt werden kann. Es muss also die persönliche Kraft sein, die in diesem Ausmaß auf der ganzen Wellt nur Beowulf hat, wie es aussieht. Vom Dänenkönig heißt es, dass er zwar gut sei, aber - steht da unausgesprochen - nur schwache Krieger hat, die immer einschlafen. Und das seit Bau der Halle. Zitieren
Alatariel Geschrieben 11. Juli 2013 Geschrieben 11. Juli 2013 Die folgende Frage ist sicherlich in meinem persoenlichen Interesse an dieser Thematik begruendet, aber in diesem Abschnitt ist es mir noch einmal besonders aufgefallen:Wie versteht/empfindet ihr den Schicksalsgedanken in Beowulf? Ich finde es recht erstaunlich, dass Beowulf sich nicht etwa als sicherer 'Sieger' empindet, sondern alle Hinweise auf das Schicksal oder Gottes Rolle in dem bevorstehenden Konflikt mit Grendel recht 'neutral' ausfallen. Fast haette ich erwartet, dass sich der steretype 'gute' Held auf Gott berufen und seine Unterstuetzung erhoffen kann; Beowulf spricht aber immer davon, dass - salopp gesagt - alles so kommen wird, wie es kommen muss. In diesem Abschnitt wird das besonders in Zeile 685-687 deutlich, aber es finden sich auch weitere Beispiele (Zeile 455: Gaéð á wyrd swá hío scel.)Des Weiteren interessiert mich eure Interpretation von Zeile 711: "godes yrre bær" ("Er trug Gottes Zorn." ?)Die Stelle muss sich wohl auf Grendel beziehen, geht es hier also darum, dass Gottes Zorn auf ihm lag, gleich einem Fluch (als Vergeltung fuer seine Taten)? Oder ist er die Verkoerperung von Gottes Zorn?In Vers 742 trinkt Grendel das Blut seines letzten Opfers, was mir seltsam erscheint, wo Grendel doch kein Vampir ist. Hier fehlt mir wahrsch. das nötige Wissen. Sind Vampire also nicht die einzigen Bösewichte, deren Grausamkeit es ist, menschliches Blut zu trinken? Ernährt sich auch Grendel von Blut?Im gleichen Abschnitt wir allerdings auch erwaehnt, dass er die Knochen zermalmt, grosse Stuecke (Fleisch), Fuesse und Haende seines Opfers hinunterschluckt und schliesslich alles verschlingt. Fuer mich ist das Trinken des Bluts nur eine weitere Aufzaehlung in dieser Beschreibung und nimmt keine zentrale oder bedeutende Stelle ein. Was ich allerdings interessant finde, ist, dass meine Uebersetzung haeufig 'ogre' fuer das Angelsaechsische orcen (?)/eoten benutzt. Denn im Deutschen und Franzoesischen (nicht aber im Englischen!) werden Oger ja haeufig als Menschen- oder Kinderfresser identifiziert. Noch eine Anmerkung meinerseits: Ich finde es interessant, dass Beowulf Aufwand betreibt um die mutigsten und staerksten Maenner als seine Begleiter auszuwaehlen, sich dann aber bewusst fuer einen Zweikampf entscheidet. Welche Funktion haben seine 'companions' (einmal abgesehen davon, dass er wohl das Boot nicht alleine haette haendeln koennen...)? Sind sie nur dazu da, um eine signifikante Zahl (12) zu symbolisieren? Zitieren
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