Zum Inhalt springen

Myths Transformed


Empfohlene Beiträge

Geschrieben (bearbeitet)

Vorbemerkung von Cadrach: Die folgende Diskussion entstand im >Quellensammlung-Thread und wurde von mir nachträglich ausgelagert.

 

Mit seinen brutalen Änderungen der Mythologie, wie wir sie „Myths transformed“ in Morgoth´s Ring (History of Middle Earth Vol. 10) entnehmen können, hat Tolkien gegen Ende seines Lebens vielen Lesern das Herz gebrochen. Tatsächlich verrät er dort die Poësie Eäs an das heliozentrische Weltbild.
Demnach ist zum Beispiel die Geschichte von Sonne und Mond, nichts als ein Märchen, das sich die Atani erzählen, weil sie im Gegensatz zu den Eldar keinen blassen Schimmer von Astro-Physik haben.

Niemand weiß, warum er gedachte, die Souveränität der Valar zu opfern, um damit die wundervolle Kosmogonie seiner Schöpfung an das moderne wissenschaftliche Denken anzupassen.

Die Konsequenz daraus liegt für mich auf der Hand: Wir müssen uns von Tolkien emanzipieren.




 

Bearbeitet von Cadrach
Vorbemerkung eingefügt
Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Mit seinen brutalen Änderungen der Mythologie, wie wir sie „Myths transformed“ in Morgoth´s Ring (History of Middle Earth Vol. 10) entnehmen können, hat Tolkien gegen Ende seines Lebens vielen Lesern das Herz gebrochen. Tatsächlich verrät er dort die Poësie Eäs an das heliozentrische Weltbild.

 

Das sehe und empfinde ich ganz ähnlich.

 

Allerdings hat Tolkien diese - zwischenzeitlichen - Überlegungen ja nie veröffentlicht. Er hat sich ja auch belehren lassen.

 

Allerdings scheint mir auch, dass Tolkien  möglicherweise in Krisemzeiten sein eigenes Werk nicht mehr verstand.

 

Darum schrieb ich ja, wie wichtig es ist, die HoMe nicht a-historisch zu lesen, sondern immer im Kontext mit der Zeit, in der er schrieb. Und veröffentlicht davon hat er nichts. Es waren immer nur - oft sehr widersprüchliche - Überlegungen.

 

Wie heißt das doch so schön bei Conrad Ferdinand Meyer?

"Ich bin kein ausgeklügelt Buch,

Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch."

Geschrieben

Niemand weiß, warum er gedachte, die Souveränität der Valar zu opfern, um damit die wundervolle Kosmogonie seiner Schöpfung an das moderne wissenschaftliche Denken anzupassen.

Die Konsequenz daraus liegt für mich auf der Hand: Wir müssen uns von Tolkien emanzipieren.

Nun, es war ein Kennzeichen der Entwicklung von Arda und Mittelerde in Tolkiens Schaffen, daß sie nie "fertig" war oder wurde. Er hat sie stets verändert, ums sie seinen sich weiterentwickelnden Ideen anzupassen. Das mag man bei dem einen oder anderen Punkt aufgrund eigener Präferenzen beklagen, ist aber so. Und das ist keine Wertung, sondern eine Beobachtung. Auch die alten Versionen waren nicht Selbstzweck, sondern Teil eines größeren Ganzen (auch wenn das bruchstückhaft blieb).

 

Allerdings hat Tolkien diese - zwischenzeitlichen - Überlegungen ja nie veröffentlicht. Er hat sich ja auch belehren lassen.

IIRC stammen die 'Myths Transformed' aus seinen letzten Jahren, und insofern kann man soíe wohl nicht als "zwischenzeitlich" betrachten, sondern eher als eine Art grober Skizze wie es sich weiterentwickelt hätte, hätte Tolkien noch 10 oder 15 weitere Jahre Zeit gehabt zu schreiben.

Grüße

Tolwen

P.S.: Die diakritischen Zeichen (bes. Trema), die in den englischen Versionen der Texte über dem 'e' oder 'a' häufig zu finden sind, sind im Deutschen nicht nötig :)

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Ich habe jetzt mal ein wenig recherchiert.

 

Die 'Myths Transformed' ordnet Christopher den späten Fünfzigern zu.

Was ich allerdings im Kopf hatte - dass Tolkien sich davon abhalten ließ, die Sonne-Mond-Geschichte den realen astronomischen Verhältnissen anzupassen - war noch früher gewesen. Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger.

 

Weiter hatte ich im Kopf, dass Tolkiens letzte Erzählung - Smith of Wootton Major, 1967 - ja keinerlei Anzeichen dafür trägt, dass Tolkien des mythischen Erzählens verlustig gegangen wäre. Im Gegenteil eher.

 

Allerdings hat sich für mich jetzt einiges aufgelöst. Bemerkungen und Zitate, die Christopher den 'Myths Transformed' vorgeschaltet hat, machten mir die Problematik Tolkiens deutlicher:

Die 'Ainulindale' und die Silmarillion-Sagen hatte er ursprünglich als reine Elbentradition entworfen. Aber als er dann nacheinander das Zweie und Dritte Zeitalter entwarf, hat er in seinen Erzählungen diese Sagen ja in die Hände von Menschen geraten lassen: z.B. den Numenorern und den Gondorianern. Aufbewahrt wurden diese Sagen außerdem - sage ich jetzt hinzufügend - in Bruchtal.

Dort lebten Elben, die seit ewigen Zeiten mit Menschen in Kontakt waren, sodass die elbischen und die menschlichen Erzähltraditionen irgendwann miteinander verschmolzen waren.

 

Darum vermute ich jetzt, dass Tolkiens Problem vor allem erzähltechnischer Natur war: Seine Geschichten spielten inzwischen mehr unter den Menschen, und darum mussten die alten Mythen aus deren Denken heraus geschrieben werden. Die Menschen hätten diese elbischen Sagen umerzählt, so dachte Tolkien wohl.

 

Christopher schreibt allerdings zu Recht, dass die Geschichte mit den Zwei Bäumen dann eben auch hätte gestrichen und umformuliert werden müssen; und das war wohl nicht möglich, da diese Sage bis in den LotR reicht.

Geschrieben

Ich habe jetzt mal ein wenig recherchiert.

 

Die 'Myths Transformed' ordnet Christopher den späten Fünfzigern zu.

Was ich allerdings im Kopf hatte - dass Tolkien sich davon abhalten ließ, die Sonne-Mond-Geschichte den realen astronomischen Verhältnissen anzupassen - war noch früher gewesen. Ende der Vierziger, Anfang der Fünfziger.

OK, danke. Man sollte halt nicht immer vagen Erinnerungen trauen - die können doch mal täuschen :)

Jetzt müsste man noch mal genauer analysieren, welche alten mythen der Altvorderenzeit Tolkien noch hiernach ausgearbeitet bzw. bearbeitet hat.

Grüße

Tolwen

Gast Dunderklumpen
Geschrieben (bearbeitet)

Nach weiterer kleiner Recherche, wenn auch keiner gründlichen Analyse:

 

Zum letzten Mal bearbeitet hat Tolkien die Ainulindale 1951. In seinen verschiedenen Enwürfen dazu hat er mal die 'Flat-World-Version', mal die 'Round-World-Version' angewandt - also die ursprüngliche Fassung, dass die Welt als Scheibe nach der Numenor-Katastrophe gerundet wurde, wechselte mit der Fassung, dass die Erde von Anfang an rund war.

Ebenfalls wechselte, dass, wie ursprünglich, die Sonne erst sehr spät geschaffen wurde, mit der Fassung, dass die Sonne schon vor Erschaffung von Arda vorhanden war.

 

Die Folgen einer solch radikalen Änderung - falls Tolkien sie je durchgeführt hätte - wären meiner Meinung nach unabsehbar gewesen, hätten vermutlich auch den HdR zum Einsturz gebracht bzw. den HdR aus dem neuen Legendarium herauskatapultiert.

 

In den Myths Transformed, ca. 1959 - einer Ansammlung von Überlegungen Tolkiens - hat Tolkien über die Folgen nachgedacht: Die Elben wären kein Sternenvolk mehr gewesen, sondern wären in vollem Sonnenlicht erwacht.

Der HdR aber - sage ich - basiert auf der alten Fassung.

1966 hat Tolkien den HdR stark überarbeitet, in Vorwort und Anhängen neue Texte eingefügt, die den Überlieferungscharakter der Frodo-Legenden etc. betonten: aber völlig unangetastet ließ er die Elben und deren Legenden.

 

Mit anderen Worten:

Die Myths Transformed sind lediglich Reflektionen über ein zukünftiges Sil, sind keine Änderungen.

Selbst in den Annals of Aman von 1958 ist, wenn ich das richtig sehe, noch munter vom Licht der Zwei Bäume die Rede, das bei Sonnenlicht ja ganz überflüssig wäre.

Tolkien spricht immer wieder von dem frühelbischen Überlieferungsstrang, der von dem menschlichen Überlieferunsstrang zu unterscheiden wäre - aber in der Praxis hat er das, wie es aussieht, nirgendwo durchgeführt.

 

In bisher Gesagtem beziehe ich mich auf HoMe 10. Um das alles in seiner Komplexität zu verstehen, müsste ich die ganten 430 Seiten durchackern, aber das muss ich verschieben, bis anderes Tolkienzeuch abgehakt ist. :-)

 

 

Bearbeitet von Dunderklumpen
Geschrieben

„Nun, es war ein Kennzeichen der Entwicklung von Arda und Mittelerde in Tolkiens Schaffen, daß sie nie "fertig" war oder wurde. Er hat sie stets verändert, um sie seinen sich weiterentwickelnden Ideen anzupassen.“
 

Zu meiner Bestürzung sieht Tolwen in „Myths Transformed“ nicht den geringsten Bruch mit der behutsamen mythologischen Entwicklung Ardas. Dabei sind es doch gerade die Kontinuïtät des narrativen Kerns und die äußerst feinfühlige Überarbeitung der einzelnen Stadiën über Jahrzehnte hinweg, die die Genese der Quenta Silmarillion auszeichnen.
Sich von Tolkiens dramatischen Eingriffen nicht vor den Kopf gestoßen zu fühlen, grenzt meiner Meinung nach an Ignoranz. Wie ernsthaft kann eine Auseinandersetzung mit Tolkiens Werk sein, die selbst radikale Kehrtwenden wie die genannte, achselzuckend hinnimmt?

Wer dem Professor die „Myths Transformed“ durchgehen läßt, stürzt sein literarisches Vermächtnis in totale Beliebigkeit.

Wir müssen uns klar machen, was die plötzliche Oriëntierung am heliozentrischen Weltbild für Mittelerde bedeutet: Nach über einem halben Jahrhundert unermüdlicher Arbeit an seinem einzigartigen Multi-Mythologie-Destillat ordnet Tolkien seine Schöpfungsautorität (bzw. für den Meta-Diskurs: seine Interpretationshoheit) auf einmal einer völlig unpoëtischen, physikalischen Dogmatik unter. Schlimmer: Er macht Newton zum Autoren der Kosmogonie des Silmarillions!
Genauso gut hätte er Mickey Mouse auf dem Amon Rudh hausen oder Daft Punk in Menegroth auftreten lassen können.

 

Wie Herr Dunderklumpen glaube ich, daß die Umsetzung der neuen Überlegungen Arda im Kern erschüttert und völlig unkenntlich gemacht hätten.

Es scheint fast so, als wäre der Professor gerade noch rechtzeitig gestorben, bevor er seine Welt eigenhändig zerstört hätte.

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Es scheint fast so, als wäre der Professor gerade noch rechtzeitig gestorben, bevor er seine Welt eigenhändig zerstört hätte.

 

Ich schrieb bereits, dass dieses Werk 1959 geschrieben wurde. Tolkien ist also überhaupt nicht "rechtzeitig" gestorben, da er danach noch 14 J ahre lebte. Auch schrieb ich, dass Tolkien den HdR 1966 ja nicht verändert hat - also habe ich Deine These längst widerlegt, dass Tolkien "seine Welt eigenhändig zerstört hätte."

Geschrieben

Sich von Tolkiens dramatischen Eingriffen nicht vor den Kopf gestoßen zu fühlen, grenzt meiner Meinung nach an Ignoranz. Wie ernsthaft kann eine Auseinandersetzung mit Tolkiens Werk sein, die selbst radikale Kehrtwenden wie die genannte, achselzuckend hinnimmt?

Wer dem Professor die „Myths Transformed“ durchgehen läßt, stürzt sein literarisches Vermächtnis in totale Beliebigkeit.

Wir müssen uns klar machen, was die plötzliche Oriëntierung am heliozentrischen Weltbild für Mittelerde bedeutet: Nach über einem halben Jahrhundert unermüdlicher Arbeit an seinem einzigartigen Multi-Mythologie-Destillat ordnet Tolkien seine Schöpfungsautorität (bzw. für den Meta-Diskurs: seine Interpretationshoheit) auf einmal einer völlig unpoëtischen, physikalischen Dogmatik unter. Schlimmer: Er macht Newton zum Autoren der Kosmogonie des Silmarillions!

 

Und mir hat man mal immer wieder mal den Tolkien-Polizisten vorgehalten. Gut zu sehen, daß es immer auch noch anders geht ;-)

Ich persönlich kann abweichende Meinungen gut aushalten und tolerieren. Ich empfinde mich nicht als Gralshüter von Tolkiens literarisch "guten" Entwicklungen (und den Beerdiger seiner "schlechten") - insofern soll ein jeder nach seiner Façon selig werden.

Grüße

Tolwen

P.S.: Tremata werden im Deutschen nach wie vor kaum benötigt (zumindest nicht in den hier bisher verwendeten Kontexten)

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Wie Herr Dunderklumpen glaube ich, daß die Umsetzung der neuen Überlegungen Arda im Kern erschüttert und völlig unkenntlich gemacht hätten.

 

 

Diese Aussage hatte ich allerdings bereits revidierend erweitert. Was genau hast Du dagegen, dass Tolkien eine elbische und eine menschliche Sagentradition unterscheiden wollte? Das würde mich mal interessieren. Die elbische, an der Du so hängst, wäre Dir doch geblieben? Und ist Dir ja auch geblieben.

 

Geschrieben

Ich liebe Konfusionen und diese hier hat sogar die typische Tolkien-Symmetrie: Die elbische Kosmogonie wird zur menschlichen und die menschliche bzw. irdische wird zur elbischen. Die Frage nach meinem Unmut über das Downgrading der Quenta Silmarillion müßte sich einem aufmerksamen Leser meiner Postings allerdings nicht mehr stellen.

Die große Enttäuschung von „Myths Transformed“ liegt für mich in der Einführung einer naturwissenschaftlichen Objektivität, durch die die poëtischen Vorstellungen der Mythologie plötzlich falsifizierbar werden. Es handelt sich um nichts geringeres, als um die Entmachtung des Geheimen Feuers.

Das Kernproblem der beiden unterschiedlichen Sagentraditionen hatte ich ja schon in meinem ersten Posting zu „Myths Transformed“ benannt: Menschliche und elbische Weltbilder werden in den Ausführungen nicht als gleichwertig angesehen. Indem er plötzlich das heliozentrische Weltbild installiert, degradiert Tolkien die Quenta Silmarillion zum Märchen bzw. zur menschlichen Fehlinterpretation. Der Professor erklärt die Abweichung beider Weltbilder ja damit, daß die Menschen im Gegensatz zur Eldalië keinen Umgang mit den Valar hatten und daher keine Gelegenheit, die "wahren" astrophysikalischen Verhältnisse vom Bau des Sonnensystems zu erlernen. Tolkien gibt die Schönheit seiner Mythologie schonungslos der Lächerlichkeit Preis, indem er sie zum Ergebnis von menschlicher Unwissenheit macht.

Selbst Varda und Aulë müssen sich verraten gefühlt haben, als der Professor ihre Entwürfe zerknüllte und ihnen die Philosophiae Naturalis Principia Mathematica in die Hand drückte, mit der Anweisung: „Vergeßt Eure kindischen Lichtgefäße. So wird das jetzt gemacht und nicht anders.“
Denkt man den verheerenden Artikel in der History of Middle Earth konsequent weiter, bekommt man schnell Angst um das valinorische Pantheon, denn eigentlich wird es gar nicht mehr gebraucht.


Da Tolkien das Silmarillion nie veröffentlich hat, läßt sich die These des literarischen Selbstmords letztendlich auch nicht wirksam widerlegen. Ich erkenne allerdings Dunderklumpens Hinweise dankbar an, die dafür sprechen, daß die zerstörerischen, galiläïschen Tendenzen zumindest zwischenzeitlich ruhten. Auch das Argument, daß Tolkien doch genügend Zeit zur kanonischen Vereinheitlichung seiner radikalen Ideen gehabt habe, wenn er nur gewollt hätte, relativiert sich, wenn wir die zeitlichen Dimensionen seines Schaffenszyklus betrachten. Ich selbst möchte gerne an die Annals of Aman glauben. Aber der Gedanke, daß irgendwann einmal eine komplett heliozentrische Quenta auftaucht, schwebt wie ein bedrohlicher Schatten über meiner persönlichen Mittelerde.
 

 

Falls dies jemals geschieht oder schon geschehen ist, wird der Nachlaßverwalter hoffentlich weise genug sein, das richtige mit einer solch unheilvollen Quelle zu tun.

Geschrieben

Verzeih bitte, aber in meinen Augen deuten die Textfragmente in "Myths Transformed" keineswegs auf einen bevorstehenden "literarischen Selbstmord" hin, wie du es so schön bezeichnest. Sie sind im Gegenteil ein Beweis für die Gründlichkeit, mit der Tolkien ans Werk gegangen ist. Sie zeigen, dass wir in Tolkien einen Zweitschöpfer vor uns haben, der sich der Grenzen seines Werks voll und ganz bewusst war. Grenzen, die ihn haben zweifeln lassen, denen er sich gestellt und mit denen er gerungen hat. Was für ein lächerlicher Wicht wäre Tolkien gewesen, hätte er sich bei all den hohen Ansprüchen, die er an sein Werk gehabt hat - gerade in Bezug auf "Wahrheit" -, mit dem zufrieden gegeben, was er gehabt hat, wie mit einem hübschen roten Plüschsofa, in dem man sich bequem zurücklehnen kann. Für mich sind diese radikal vom Rest verschiedenen Texte ein unbeschreiblich wertvoller Hinweis auf die Zerrissenheit eines Menschen, der gleichzeitig in zwei Welten lebte, in einer mythisch geprägten und in einer naturwissenschaftlich geprägten, die er nicht miteinander in Einklang zu bringen wusste. Genau das macht einen Großteil der Aktualität von Tolkiens Werk aus. Dein Vorschlag der Zensur etwaiger weiterer Auswüchse dieses Ringens nimmt dem ganzen Werk doch das Feuer, durch das es erst entstanden ist! Ignorier meinetwegen diese existenziellen Konflikte und räkel dich auf deinem Plüschsofa, aber erhebe Tolkiens Mythos bitte nicht zu etwas Sakralem, das keinen Zweifel zulässt!

Gast Dunderklumpen
Geschrieben

Die elbische Kosmogonie wird zur menschlichen und die menschliche bzw. irdische wird zur elbischen.

 

 

Auch wenn ich nicht ganz verstehe, was Du meinst: ich sage der Sicherheit halber noch einmal: es handelt sich natürlich nur um literarische Figuren und um Überlegungen, wie eine Erzählung funktionieren kann.

 

 

Die Frage nach meinem Unmut über das Downgrading der Quenta Silmarillion müßte sich einem aufmerksamen Leser meiner Postings allerdings nicht mehr stellen.

 

 

Nun ja, ich als Leser Deiner posts bin kein Gott, der Seelen lesen kann. Aber vermuten tue ich schon etwas: Du erkennst nicht, dass Tolkien einfach nur darüber nachdenkt, wie seine Geschichten am besten funktionieren. Du verwechselst das mit weltanschaulichen Überlegungen.

 

 

Die große Enttäuschung von „Myths Transformed“ liegt für mich in der Einführung einer naturwissenschaftlichen Objektivität, durch die die poëtischen Vorstellungen der Mythologie plötzlich falsifizierbar werden. Es handelt sich um nichts geringeres, als um die Entmachtung des Geheimen Feuers.

 

 

 

Hier könnte sich deutlicher zeigen, welche Ebenen Du vermischst:

 

a. Tolkien als realer Mensch stand wohl fest auf realistischem Boden. Im Märchenaufsatz schreibt er sinngemäß irgendwo, dass Mythen nur dann funktionionieren, wenn dem Mythenschreiber klar ist, wie die Realität beschaffen ist, in der die Menschen leben.

 

b. Von einer falsifizierbaren Objektivität spricht er allerdings nicht. Das unterstellst Du Tolkien und rammst dadurch an seinem Anliegen vorbei.

 

c. Tolkien brütet ja nur über die Weltanschauung seiner Figuren nach. Bei Dir aber hört sich das so an, als ob Tolkien über das reale Leben philosophiert.

 

d. Was Tolkien als Privatmensch über die Dimensionen des Lebens dachte oder empfand, wissen wir nicht, weiß niemand.

 

e. In Vorüberlegungen zu seinem Märchenausatz - nachzulesen in der Fliegerausgabe - steht sinngemäß in einem Fragment, dass für ihn die fairy-stories mit der mystischen Realität so wenig zu tun haben wie Gespenstergeschichten mit dem Leben nach dem Tod.

Das war für mich ein Augenöffner. Tolkien war sich also voll bewusst, dass seine ganzen literarischen Konstruktionen überhaupt nicht den Anspruch hatten, irgendwelche mystischen Wahrheiten zu verkünden. Seine Silmarillion-Elben waren am Reißbrett entworfene Kunstfiguren, die innerhalb einer gut konstruierten Geschichte funktionieren sollten.

 

f. "Das Geheime Feuer": Welche Funktion dieses Element innerhalb der story bei Tolkien hat, hat er nirgends geschrieben. Bei Dir aber hört sich das so an, als ob Du das esoterisch liest.

Das ist natürlich Dein Recht. Aber Deine Verurteilung Tolkiens scheint mir auf diesem Kardinalirrtum zu beruhen.

 

 

Selbst Varda und Aulë müssen sich verraten gefühlt haben, als der Professor ihre Entwürfe zerknüllte und ihnen die Philosophiae Naturalis Principia Mathematica in die Hand drückte, mit der Anweisung: „Vergeßt Eure kindischen Lichtgefäße. So wird das jetzt gemacht und nicht anders.“

 

 

 

Er hat sie ja nicht zerknüllt, wie Du inzwischen ja wissen musst, weil ich es mehrfach geschrieben habe.

 

Ich erzähl Dir jetzt mal was:

Ich habe mal ein Theaterstück inszeniert, in dem der Hauptdarsteller bei der Premiere seine Rolle in solch mythischer Kraft gestaltet hat, dass es mir fast so vorkam, als sei diese Gestalt nun geistig in der Welt. Sei da und könne nicht mehr weggehen.

Bei der nächsten Aufführung spielte ein anderer diese Rolle. Da war keine mythische Kraft vorhanden. War dadurch die Figur der Premiere überspielt, gelöscht? Natürlich nicht. Sie war weiterhin vorhanden.

 

Ähnlich bei Tolkiens Eressea-Entwürfen in den Lost Tales: Im ersten Entwurf lag die Insel in der Nähe von Aman und sollte später von Ulmo in die Position des heutigen England gezogen werden. Eine glanzvolle Idee, wie ich fand, um sinnträchtig zu machen, dass die Engländer neben menschlichem auch elbisches Blut in sich haben.

Dann aber hat Tolkien diese Fassung verworfen, stattdessen wollte er es nun so, dass Tol Eressea bei Aman blieb und England von Anfang an schon da war. Die beiden Inseln sollten quasi wie Spiegelungen voneinander sein - Kortirion gab es auf beiden Inseln: nur dass auf der einen Englisch sprechende Elben lebten, auf der anderen echte Engländer.

 

Erst war ich verschnupft, weil ich an der ersten Fassung hing und die zweite mir nicht einleuchtete.

Bis mir dann aufging, dass beide Fassungen das Gleiche leisten sollten: ein Menschenbild transportieren, das den göttlichen Funken in sich trug.

Die beiden Fassungen waren nur unterschiedliche literarische Konzepte. Das erste funktionierte nicht mehr, da Tolkien sein Mittelerde inzwischen geographisch erweitert hat oder erweitern wollte. Da ging es nicht um weltanschauliche Veränderungen, sondern nur um Konstruktionsprobleme innerhalb der story.

 

 

 

Aber der Gedanke, daß irgendwann einmal eine komplett heliozentrische Quenta auftaucht, schwebt wie ein bedrohlicher Schatten über meiner persönlichen Mittelerde.

 

 

 

Sie kann so wenig auftauchen wie eine fertige Fassung der Lost Tales auf der Basis der beiden sich spiegelnden Inseln. Tolkien hat ja nicht umsonst die Lost Tales abgebrochen: die neue Idee funktionierte eben lierarisch auch nicht.

 

Tolkien ist - was die literarische Umsetzung betrifft - der große Scheiterer schlechthin. Er wollte ja die mythische Erzählung auf neuem Boden installieren. Diesen neuen Boden sehe ich allerdings nicht im naturwissenschaftlichen Bereich, sondern im realistischen. Unvergessen für mich ist Tolkiens Aussage, dass ihn schon immer gestört habe, dass die Märchenhelden einfach losstürmen und nie erwähnt wird, wie sie sich unterwegs überhaupt ernähren.

 

Diese Aussage kann verblüffen, wenn man gewohnt ist - wie ich zum Beispiel -, Märchenfiguren eher als innerseelische Figuren zu verstehen, die eigentlich gar nicht essen und trinken müssen. Tolkien will aber deutlich die fairy-story erneuern, im 20.Jahrhundert tragfähig machen. Dazu gehört für ihn offenbar, das Mythische im Realistischen ausfindig zu machen, und nicht jenseits davon.

 

Wie Tolkien sich das dachte, können wir lediglich an seinen Romanen und Romanfragmenten studieren, nicht an seinen Annalen und Silmarillion-Abrissen  - diese sind von Haus aus nur Hintergrundsdateien und keine erzählende Prosa. Tolkien scheint sie allerdings nach dem HdR und schon während des Schreibens daraufhin abzuklopfen, wie sie in ein erzählerisch realistisches Grundkonzept zu integrieren seien.

 

Ich wiederhole: In ein realistisches - und nicht in ein naturwissenschaftliches. Tolkien scheint zu plagen, wie er Elben glaubhaft mit Menschen jahrtausendelang umgehen lassen soll, ohne dass die Elben erfahren, was es mit der Sonne auf sich hat.

 

Zusammenfassend: Für Tolkien scheint sein Grundanliegen - literarisch das Mythische im Realistischen auffindbar zu machen und damit das Mythische neu tragfähig zu machen - nicht im Bereich der Kosmologie zu liegen. Nicht dort liegt für ihn die Erneuerung. Darum kann er das leicht aufgeben, weil für ihn das gar nicht der Kern ist.

 

 

 

 

Geschrieben (bearbeitet)

Also erst mal Entwarnung. Aus Hochnerd-soziologischer Sicht verläuft das, was hier geschieht, nach völlig normalen Parametern. Plötzlich taucht jemand mit einer neuen Sichtweise im Forum auf und natürlich schreien die Lokal-Matadoren erst mal entrüstet auf, weil sie ihre Interpretationshoheit gefährdet sehen. Genau das geschieht tagtäglich auf Tausenden von Websites.

Den unreflektierten Vorwurf der sakralen Überhöhung gebe ich natürlich umgehend zurück. Hier merkt jemand nicht, daß er genau das tut, was er anderen vorhält. Wie kann man mit verzücktem Pathos Tolkiens Zerrissenheit verherrlichen und ihn quasi zum Fantasy-Märtyrer erheben, dann aber seinem Diskussionspartner gleich im nächsten Satz religiöse Verklärung vorwerfen wollen?

 

Tatsächlich scheinen einige in diesem Forum blind für die Ausmaße ihres eigenen Tolkien-Kults zu sein. Der Professor gilt hier als unfehlbar. Selbst sein Scheitern wird in literarische Tiefe umgedeutet und glorifiziert. Zwar darf Tolkien an sich selbst zweifeln, aber niemand sonst ist würdig, ihn in Frage zu stellen. Daher wird jede Kritik an seinem Werk als Blasphemie verstanden.
Wer sich an einer Wendung in Tolkiens Denken stört, befindet sich im „Kardinalirrtum“ und muß auf der Stelle bekehrt werden. Die Offenbarung des Genies wird um jeden Preis verteidigt. Wer also meint, bei Tolkien einen Fehler zu finden, sollte das Studium vertiefen, da er den Professor offenbar noch nicht richtig verstanden hat.

 
Ich habe durchaus Respekt vor Herrn Dunderklumpens sehr persönlichen Berichten von seinem Tolkien-Verständnis. Aber wenn er sich Hypothesen zu den inneren Beweggründen anderer erlaubt, wird er sich dasselbe auch bei seinen eigenen Ausführungen gefallen lassen müssen. Tatsächlich liest sich seine geschilderte Erfahrung wie eine klassische Glaubenskrise: Die Disharmonie zwischen seinen eigenen Anschauungen und dem Denken des Meisters war ihm unerträglich. Der Konflikt ließ ihm solange keine Ruhe, bis er endlich eine gedankliche Auslegung fand, die die Harmonie wieder herstellte und ihn mit dem toten Professor versöhnte. Er hat alle Irritationen ausgemerzt und seine eigene Meinung aufgegeben, um wieder im Einklang mit seinem Idol sein zu können. Er ist der perfekte Tolkien-Jünger.

Für Herrn Dunderklumpen ist Tolkien unkritisierbar, weil er dessen Werk als abgeriegeltes Versuchslabor auffaßt. Widersprüche und Kuriositäten bereichern das Gesamtsystem. Aus der konstruktivistischen Logik heraus ist jede literarische Laune genauso interessant wie die veröffentlichte Version. Ihn fasziniert der Prozeß, nicht das Ergebnis. So gesehen kann Tolkien also tatsächlich nichts falsch machen: Solange er Fans hat, die süchtig nach jedem verworfenen Story-Fetzen sind, kann er praktisch schreiben, was er will.
Qualitäts-Ansprüche an Tolkien zu stellen, macht für Herrn Dunderklumpen daher natürlich keinen Sinn. Tolkien muß nur gegenüber Tolkien Rechenschaft ablegen. Der Professor ist sein eigener Maßstab. Eine Bewertung ist nicht vorgesehen, denn die Voraussetzung dazu wäre ein Vergleich mit etwas von außerhalb. Doch wer Tolkien als selbstreferentiëlles System betrachtet, für den gibt es kein außen und damit keinen Vergleich.
Diese streng werkimmanente Perspektive erklärt die Empörung über meinen Umgang mit Tolkien. Warum um alles in Arda sollte der Professor auch ausgerechnet Nelkharts Ansprüchen gerecht werden müssen?
Herr Dunderklumpen hat die Fähigkeit zur Kritik an Tolkien offenbar längst verlernt. Er will den Professor nicht bewerten, er will ihn verstehen. Und das ist natürlich sein gutes Recht.

Was unsere Auffassungen grundsätzlich unterscheidet ist Herrn Dunderklumpens Weigerung, sich von Tolkien zu emanzipieren. Möglicher Weise ist er ein Opfer seiner eigenen Faszination und kann gar nicht anders. Wie so viele Hoch-Nerds begnügt er sich damit, den Kanon intellektuëll zu verwalten und sich dabei dem Denken seines Meisters asymptotisch anzunähern.

Meiner Meinung nach ist Tolkien nur eine literarische Station auf einer poëtischen Reise, die längst noch nicht vorbei ist. Es gab lange vor ihm elbisch Fühlende und es gibt sie nach ihm. Tolkien ist nicht die einzige Quelle Tolkiens. Wir alle sind dazu aufgerufen, die Suche weiterzuführen.

 

Ich schätze die Hoch-Nerds und verstehe ihre bedingungslose Begeisterung. Letztendlich ist es das, was die Energie einer Fan-Gemeinde freisetzt: Obsessive Faszination.
Aber Ihr müßt schon entschuldigen, wenn jemand einen Mittelerde Zugang bevorzugt, der Eurem widerspricht. Ich halte mir meine Beziehung zu Tolkiens Werk lebendig, indem ich den Autor kritisiere und ihn herausfordere. Ich bewundere ihn für sein Genie und ich beschimpfe ihn für sein Versagen. Ich nehme mir heraus, meine eigenen ästhetischen Maßstäbe anzulegen und komme daher zu dem Schluß, daß der Professor manchmal Irrwege eingeschlagen hat. Deswegen bin ich vom Schaffen des Professors nicht weniger fasziniert, als ein unkritischer Schwärmer.

 

Wenn es sich jemand zu gemütlich auf seinem Plüschsofa gemacht hat, dann ist es dieses Forum. Es kämpft permanent mit dem Einnicken.
Vertraut mir! Ein klein wenig Pluralismus wird der Diskussionskultur gut tun.

Davon geht Mittelerde nicht unter. 


-


„Tolkien scheint zu plagen, wie er Elben glaubhaft mit Menschen jahrtausendelang umgehen lassen soll, ohne dass die Elben erfahren, was es mit der Sonne auf sich hat.“

In diesem eleganten Satz schwingt ein vages Echo von dem Kerngedanken mit, um den es mir geht. Hiermit könnte ich möglicher Weise weiter arbeiten. Allerdings nur, wenn Herr Dunderklumpen sich vertippt hat. Das zweite „Elben“ müßte „Menschen“ heißen. Oder er schuldet mir eine 
Erklärung.

Bearbeitet von Nelkhart
Geschrieben

Also erst mal Entwarnung. Aus Hochnerd-soziologischer Sicht verläuft das, was hier geschieht, nach völlig normalen Parametern. Plötzlich taucht jemand mit einer neuen Sichtweise im Forum auf und natürlich schreien die Lokal-Matadoren erst mal entrüstet auf, weil sie ihre Interpretationshoheit gefährdet sehen. Genau das geschieht tagtäglich auf Tausenden von Websites.

Du weißt schon, dass in einem Internet-Forum jedes Mitglied für sich alleine steht und Du hier ziemlich pauschalisierst, nur weil Dunderklumpen und Du nicht einer Meinung seid, was ihr auch gar nicht sein müsst. Dunderklumpen vertritt eine bestimmte Ansicht, die sich aber nicht automatisch mit einer Grundhaltung des Forums deckt. Gleiches gilt für Tolwen und Berenfox. Jeder vertritt hier nur seine spezifische Meinung, was das mit dem Forum an sich zu tun haben soll, erschließt sich mir nicht.

Und falls Du das mit den "normalen Parametern" nur benutzt, um noch mal Deine eigene ach so tolle Meinung zu untermauern, weil Du ja der "böse Neue" bist (obwohl das nirgendwo impliziert wurde), finde ich das - nun ja - [bitte entsprechendes Wort einsetzen].

Was ich im Endeffekt sagen will: diese 'soziologische Analyse' halte ich für ziemlich unangemessen.

Zum Rest:

Leider kann ich da nicht mitsprechen, da mir dort eindeutig das entsprechende Wissen fehlt.

Geschrieben

Meines Erachtens war es nie Tolkiens Ziel, eine neue Welt zu erschaffen, sondern einen neuen Mythos, der durchaus Bezug zu der Welt hat, in der wir alle und auch er leben. Und in dieser Welt gibt es unzählige Mythologien und Sagen, von denen die meisten irgendeinen Schöpfungsbericht haben, und in keiner von denen ist, meines Wissens nach, vom Urknall oder einem heliozentrischen Weltbild die Rede. Daher finde ich es garnicht schlecht, dass sich Tolkien auch in seiner Welt mit Problemen der Aufklärung befasst. Und wie dort gibt es in der "realen Welt" genug Leute, die an den alten Mythen festhalten (wollen). Und das ist deren gutes Recht, da die Mythen ja noch nie endgültig wiederlegt wurden. Aber das wird jetzt ein theologisches Problem, mit dem ich hier nicht weiter gehen will.

Geschrieben (bearbeitet)

Als ich vor 34 Jahren das Silmarillion als erstes Tolkienbuch gelesen hatte, so war es nicht der eigentliche literarische Text der mich faszinierte, der war anfangs eher verwirrend.

 

Aber dies Buch hat mich zum Staunen gebracht, wie wenige vorher oder auch nachher. Zum Staunen über ein eigenes Universum mit all seiner unerschöpflichen Fülle, die sich in diesen kurzen Texten andeuteten.

 

Aus diesen 'Fragmenten' wurde jedoch für mich deutlich, dass Tolkien eben kein widerspruchsfreies Universum geschaffen hat (schaffen wollte?). In all den Wandlungen, die sich dann aus den später veröffentlichten Entwürfen, Textfragmenten und Variationen zu einem Thema aus den UT, den BoLT und den HoME ergeben, zeigt sich für mich die fortwährende Auseinandersetzung Tolkiens mit seinem eigenen (unvollständigen?) Werk.  

 

So wie wir aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse unsere Welt stets neu definieren - und dabei vielleicht den einen oder anderen liebgewonnenen Mythos (wie dem von der Erde als Scheibe) aufgeben müssen, weil er widerlegt wurde - so hat auch Tolkien seine Mythologie immer wieder in Frage gestellt. Wir haben es hier eben nicht mit einem abgeschlossenen Werk, einem in sich geschlossenen Kosmos, zu tun, sondern mit Fragmenten. Daher müssen wir akzeptieren, das es in Tolkiens Denk- und Entwicklungsprozess auch Dinge und Überlegungen gegeben hat, die im Widerspruch zu den eigenen Erwartungen und Vorstellungen von Arda stehen, ja auch in sich widersprüchlich sind. Das macht für mich viel vom Reiz von Tolkiens Welt aus.

 

Jeder kann sich natürlich seine eigene Sichtweise auf das Werk Tolkiens suchen, sollte diese aber nicht zum Dogma stilisieren.

 

So wie Tolkien sein Werk anlegt hat, waren die Elben eben nicht nur "gut und würdevoll" sondern auch zerrissen zwischen den von Eru gegebenen Eigenschaften und ihrem Freiheitsdrang, dem Brudermord, dem Hass auf Morgoth, der Gier nach den Silmarili und ... und ... und.

 

So wie sich das Bild der Elben im Laufe der Historie von Mittelerde gewandelt hat, so haben sich auch die einzelnen Elben im Laufe der Zeitalter gewandelt und hatten dadurch die Möglichkeit zu ihren ursprünglichen 'Anlagen' zurückzukehren. An der Figur von Galadriel könnte man diese Wandlungen exemplarisch darstellen. Tolkien hat sein Werk, seine Mythologie also durchaus als 'Entwicklungsroman' angelegt.

 

So wie sich die Gestalt von Mittelerde (und ganz Arda), die Persönlichkeit der Elben und Menschen im Laufe der Entwicklung verändert hat, so könnte sich auch die Mythologie selber im Laufe der Zeitalter wandeln.

Als es den 'geraden Weg' in den Westen gab, bestand für die Elben keine Notwendigkeit, sich über die Gestalt von Arda Gedanken zu machen um Mythos und Wirklichkeit in Übereistimmung zu bringen.

Nachdem der 'gerade Weg' jedoch krumm geworden - und nur noch für wenige zu finden - war, bestand durchaus auch für die Elben aber besonders für die Menschen die Notwendigkeit, sich mit dem Mythos und den 'realen' Gegebenheiten in Mitelerde auseinanderzusetzen. Für mich wäre es daher nicht auszuschließen, dass die elbischen und menschlichen Gelehrten auch zu einem heliozentrischen Ardabild hätten kommen können.

 

Die kategorische Ablehnung dieser im Werk von Tolkien angelegten - und im Ansatz ja begonnenen aber dann nicht weiter verfolgten -Möglichkeit ist jedenfalls aus meiner Sicht falsch. Wir müssen uns mit den bekannten Texten Tolkiens auseinandersetzen, nicht mit den Vorstellungen die wir vom Sinn der Texte haben.

 

Welche Überraschungen sich in der Zukunft noch ergeben mögen, kann keiner von uns absehen; denn keiner von uns weiss, ob Christopher Tolkien wirklich alles was es gibt/gab bereits in den HoME veröffentlicht hat.

 

Wir können mit unseren (vielleicht unvollständigen) Kenntnissen der tolkienschen Mytho- und Kosmologie noch viele Überaschungen erleben, wenn wir unseren Geist offen für neues Gedankengut halten und nicht durch vorgefasste Vorstellung wie Arda und seine Bewohner zu seine haben einengen.

 

Lassen wir uns das Staunen über Tolkiens Werk nicht nehmen.

 

Kein Hochnerd, auch kein Tolkienfan(atiker) sondern nur ein geneigter Leser

Bearbeitet von Eriol
  • 1 Monat später...
Geschrieben

Der Moment, in dem sich etwas seiner selbst bewußt wird, hat immer etwas Überirdisches. Das gilt auch für Internet-Foren, wie dieses.

Ich mag diesen Ort. Hier gibt es anspruchsvolle Diskussionen und anregende Gedanken zu jedem Thema im Tolkien-Kosmos, aber was meiner Meinung nach zu kurz kommt, ist eine selbstreflexive Perspektive.

In den letzten Wochen habe ich mich in den Threads umgeschaut und bin dabei auf die Vielfalt menschlicher Beweggründe hinter den Beiträgen gestoßen. Man findet alles: Gegenseitige Wertschätzung bis hin zur Verehrung, Neid, Euphorie und Leidenschaft, konservative und progressive Ansichten, Wir-Gefühl, Narzißmus, Distinktion und abgrundtiefe Abneigung, Hilfsbereitschaft, Enthusiasmus und Resignation, Spott und Überheblichkeit, Angst vor Gesichtsverlust oder Paradigmenwechseln, und die kindliche Freude darüber Gleichgesinnte gefunden zu haben. Nahezu gesamte Palette des sozialen Miteinanders also.
Manche Verfasser beziehen in ihren klugen Beiträgen bereits die eigene Fan-Situation in die Argumentation mit ein.

Die Veröffentlichung der Briefe hat gezeigt, daß man dem Phänomen Tolkien nur dann gerecht werden kann, wenn man die Perspektive der Faszinierten mit einbezieht.

Ich möchte daher einen Fan-Soziologie Thread gründen (oder fortführen), der die Situation der Tolkien-Begeisterten dokumentiert und die Wissens-Bandbreite dieses Forums um einen wichtigen Aspekt erweitert.

Die Hallen dieses Forums reichen unendlich weit, Ich bin sicher, ich werde ein Plätzchen für mein Thema finden.

Geschrieben

Ich möchte daher einen Fan-Soziologie Thread gründen (oder fortführen), der die Situation der Tolkien-Begeisterten dokumentiert und die Wissens-Bandbreite dieses Forums um einen wichtigen Aspekt erweitert.

Die Hallen dieses Forums reichen unendlich weit, Ich bin sicher, ich werde ein Plätzchen für mein Thema finden.

 

Du kannst gerne einen entsprechenden Thread eröffnen, am besten im Unterforum Tolkiens Fans

Dein Kommentar

Du kannst jetzt schreiben und Dich später registrieren. Wenn Du ein Konto hast, melde Dich jetzt an, um unter Deinem Benutzernamen zu schreiben.

Gast
Leider enthält Dein Inhalt Begriffe, die wir nicht zulassen. Bitte bearbeite Deinen Inhalt, um die unten hervorgehobenen Wörter zu entfernen.
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung wiederherstellen

  Nur 75 Emojis sind erlaubt.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Editor leeren

×   Du kannst Bilder nicht direkt einfügen. Lade Bilder hoch oder lade sie von einer URL.

×
×
  • Neu erstellen...